FAUNA von Nils Henkel
98 €Pros
- Struktur & Didaktik: Jeder Rezeptteil ist durchdacht aufgebaut, logisch gegliedert und sehr gut lesbar.
- Vielfalt & Niveau: Gerichte wie Glattbutt mit Birne, Eifelreh mit Fichtensud oder Lamm mit Vadouvanjus zeigen die enorme Bandbreite.
- Grundrezepte & Glossar: Fast 100 Seiten liefern technisches Rüstzeug und wertvolle Grundlagen.
- Bildsprache: Ruhige, technisch klare Fotos in konsistentem Stil – meist aus 45° oder Top-Down-Perspektive.Bildsprache
Contras
- Format: Für die praktische Nutzung in der Küche eher unhandlich.
- Komplexität: Für Einsteiger:innen schwer zu bewältigen.
- Fotografie: Teilweise zu hell oder leicht blaustichig – Geschmackssache.
Manche Bücher liegen einfach zu lange auf dem Stapel – aus Zeitgründen, aus Überfluss, aus reiner Überforderung der Auswahl. FAUNA, das zweite Buch der Flora-und-Fauna-Reihe von Nils Henkel, war genau so ein Fall bei mir. Und das, obwohl ich dem Autor persönlich wie beruflich seit Jahren eine hohe Wertschätzung entgegenbringe. Spätestens nach unserem Treffen im Rahmen der Preisverleihung der Goldenen Feder – bei der Henkel für genau dieses Buch ausgezeichnet wurde – war klar: Jetzt ist der Moment, um mich intensiv mit FAUNA auseinanderzusetzen.
Nils Henkel verdient einfach mehr Aufmerksamkeit
Als jemand, der selbst aktiv in der Küche stand und Henkels Weg seit vielen Jahren beobachtet, war seine Arbeit immer ein Maßstab für Präzision, Eigenständigkeit und leise Exzellenz. Keine Effekthascherei, keine kurzfristigen Trends, sondern eine klare Handschrift, die sich durch Ruhe, Überlegung und Substanz auszeichnet.
Dass Nils Henkel nach seiner Zeit bei Dieter Müller als dessen Nachfolger im legendären Schlosshotel Lerbach eine eigene Ära prägte und nun im „Bootshaus“ des Hotels Papa Rhein wirkt, macht ihn zu einer der beständigsten und gleichzeitig wandlungsfähigsten Figuren der deutschen Spitzengastronomie. Grund genug, sich diesem neuen Werk mit offenem Blick zu widmen.
Erster Eindruck & Haptik
FAUNA ist – wie schon sein pflanzenbasiertes Schwesterbuch FLORA – ein Statement. Ein visuelles, inhaltliches und physisches Statement. Mit 376 Seiten, großformatigem Layout und hochwertigem Papier aus Algenfasern (Alga Carta) bringt es nicht nur Gewicht, sondern auch Charakter auf den Tisch. Das Einbandmaterial fühlt sich angenehm strukturiert an, die leicht eingeprägten Tierillustrationen setzen haptische Akzente.
Beim Durchblättern fällt sofort die ruhige, klare Gliederung auf. Das Buch ist großzügig gesetzt, die Schrift ist gut lesbar, die Weißräume lassen die Inhalte atmen. Das Papier ist matt, aber nicht stumpf – ein schöner Kontrast zur oft überpolierten Ästhetik vieler anderer High-End-Kochbücher.
Foodfotografie & Bildsprache
Die Bildsprache ist reduziert und natürlich. Die Gerichte werden in klassischem Editorial-Stil fotografiert – auf den Punkt angerichtet, ohne aufdringliche Requisiten. Für meinen persönlichen Geschmack sind einige Bilder fast zu hell belichtet, teils mit leichtem Blaustich oder hoher Helligkeit an der Grenze zur Überstrahlung. Das ist sicher eine stilistische Entscheidung, aber sie führt dazu, dass einige Gerichte visuell an Plastizität verlieren.
Andererseits – und das möchte ich klar sagen – passt diese zurückhaltende Ästhetik gut zur Haltung des Buches insgesamt. Nils Henkel inszeniert keine Bildstrecken zum Selbstzweck, sondern stellt das Gericht, die Zutaten und die Idee in den Vordergrund. Hier wird nicht mit Dramatik gearbeitet, sondern mit Klarheit.
Inhaltliche Ausrichtung & Aufbau
Ein gut strukturiertes Inhaltsverzeichnis ist für mich eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale eines Kochbuchs – nicht nur aus gestalterischer Sicht, sondern vor allem im Hinblick auf die praktische Nutzung. Wer ein Buch nicht nur zum Blättern nutzt, sondern es aktiv zur Planung eines Menüs oder einzelner Gerichte heranzieht, muss sich orientieren können. Und genau das gelingt FAUNA sehr gut.
Der Aufbau ist logisch, übersichtlich und funktional. Die Rezepte sind nicht wahllos aneinandergereiht, sondern folgen einer klugen, nachvollziehbaren Dramaturgie, die sowohl thematisch als auch kulinarisch schlüssig ist. Den Auftakt bildet das Kapitel „Brot & Butter“, das sich – ganz im Sinne des Einstiegs in ein Menü – dem Fundament widmet.
Es folgt der „Prolog“, der sich kleineren Gerichten und Snacks widmet. Diese ersten 36 Seiten zeigen Miniaturen wie „Salatcreme mit Ossietrakaviar und Knuspercannelloni mit Eiweiß“ oder eine „Gillardau-Auster mit Sojaperle, Gurke und Dashi“. Auch Klassiker wie Rindertatar mit Tapiocacracker, Pulpo und Mojocreme sind hier neu interpretiert. Diese Einstiege sind nicht nur handwerklich anspruchsvoll, sondern vermitteln auch Henkels klare Linie: modern, produktbezogen, technisch präzise – aber nie unnötig verspielt.
Das Herzstück des Buches bilden die Kapitel „Fauna – Fisch“ und „Fauna – Fleisch“. Mit über 90 Seiten ist der Fischanteil klar dominierend. Das ist bemerkenswert – denn es zeigt, wie stark Nils Henkel den Fokus auf die maritime Produktwelt legt. Gerichte wie „Carabinero mit Avocado, Tomate, Jalapeño und Basilikum“ oder „Glattbutt mit Räucheralbohne und Williams-Birne“ zeigen den typischen Henkel-Stil: aromatisch komplex, aber sauber aufgebaut.
Im Fleischkapitel, das auf etwa 60 Seiten folgt, finden sich deutlich weniger Rezepte – was dem aktuellen Zeitgeist einer fleischreduzierten Küche durchaus Rechnung trägt. Dennoch stehen auch hier ausgearbeitete Gerichte mit klarer Produktidee im Mittelpunkt.
Die Dessert-Sektion fällt mit rund 13 Rezepten vergleichsweise kompakt aus, bietet jedoch kreative wie klassische Anklänge. Der „Epilog“ bringt fünf ausgefallene Petits Fours, darunter eine „Maiseis mit Zwiebelkonfit, Vogelmiere und Popcorn“ oder ein „Peanut Butter Cup mit Karamellgel“. Auch dieser Abschnitt zeigt, dass im FAUNA Wert auf das kulinarische Gesamtbild gelegt wird – nicht nur auf die Hauptgänge.
Ein besonderes Highlight stellt das über 90 Seiten umfassende Kapitel „Grundrezepte“ dar. Hier wird deutlich: FAUNA ist kein oberflächliches Signature-Dish-Buch, sondern ein Werkzeugkasten für Profis. Ob Fonds, Sude, Cremes, Pürees oder Texturen – alles ist dokumentiert. Wer tiefer in die Gerichte einsteigen möchte, findet hier die technische Basis, um die Rezepte tatsächlich nachzuvollziehen. Diese Tiefenschärfe ist ein echter Mehrwert – sowohl für ambitionierte Köch:innen als auch für Profis.
Abgerundet wird das Buch durch ein kleines Glossar, eine Übersicht über verwendete Geräte, Utensilien und Hersteller sowie ein sehr zurückhaltendes, fast schon bescheidenes Autorenporträt. Wer Nils Henkel nicht kennt, wird ihn auch nach der Lektüre nicht mit biografischer Tiefe kennen. Aber das passt wiederum zur Haltung des Buchs: Hier steht das Handwerk im Vordergrund, nicht der Starkult.
Aufbau und Struktur – Übersichtlichkeit als Stärke
Das Inhaltsverzeichnis ist klar und funktional gegliedert:
- Prolog (Snacks)
- Fauna – Fisch
- Fauna – Fleisch
- Desserts
- Epilog (Petits Fours)
- Grundrezepte
- Glossar, Gerätekunde, Produzenten & Partner
- Sachregister
Die Struktur folgt also einem roten Faden – für Leser:innen und Köch:innen gleichermaßen hilfreich.
Rezepte & Umsetzbarkeit
Die Rezeptstruktur in FAUNA ist von Anfang an durchdacht und klar gegliedert. Jedes Gericht folgt einem festen Aufbau, der dem Leser sofort Orientierung bietet. Neben dem Rezepttitel steht eine reduzierte, zeitgenössische Zutatenbeschreibung, etwa: „Bonito – Sojasauce, Fjordgarnelen, Yuzu, Kohlrabi“. Auf diesem Niveau wird nicht ausgeschweift – das Detail folgt in den Rezeptabschnitten.
Im Rezeptkopf finden sich zusätzliche Informationen wie das Entstehungsjahr des Gerichts sowie eine Wein- und alkoholfreie Getränkebegleitung, was den Anspruch des Buches an eine vollständige Menüidee unterstreicht. Die Zutaten sind übersichtlich nach Komponenten gegliedert und die einzelnen Zubereitungsschritte in gut lesbarer, großzügig gesetzter Typografie aufgelistet.
Anrichten als zentrales Element
Ein zentrales Element vieler Gerichte ist die Anrichtungsanleitung. Das zeigt, mit welcher Präzision Nils Henkel arbeitet. Die Teller wirken bewusst komponiert, ohne überladen zu sein. Genau hier zeigt sich die kulinarische Handschrift des Autors: Sorgfalt, technische Exaktheit, aber auch die Lust an differenzierten Texturen und an optischer Ausgewogenheit.
Komplexere Gerichte wie „Erdbeeren mit Milchschokolade, Macadamianüssen und Mädesüß“ beanspruchen gleich zwei Doppelseiten. Das spiegelt nicht nur die Detailverliebtheit, sondern auch den modularen Aufbau wider – eine Handschrift, wie man sie aus der Spitzenküche kennt.
Auch wenn das Buch einlädt, sich in kreative Prozesse zu vertiefen, lässt es zugleich Raum für realistische Einschätzungen. Bereits auf Seite 11 weist Nils Henkel darauf hin, dass viele der Rezepte eine solide Vorbereitung, gutes Mise-en-Place und vor allem Zeit erfordern. Das Buch ist ausdrücklich kein Werk für die schnelle Feierabendküche. Stattdessen richtet es sich an erfahrene Köche, ambitionierte Hobbyköche und Profis, die ein Gespür für Timing und Technik haben – oder es sich aneignen möchten.
Arbeitsweise wie in der Profiküche
Dass sich viele Gerichte über zwei Tage vorbereiten lassen, wird ebenfalls angesprochen. Ruh- und Trockenzeiten, das genaue Abstimmen der Komponenten und die separate Herstellung von Grundrezepten erfordern Organisation und Konzentration – genau wie in einer professionellen Küche. Das ist nicht abschreckend formuliert, sondern ehrlich – und für fortgeschrittene Leser:innen ein echter Mehrwert.
Einheitlich und professionell erfolgt die Angabe sämtlicher Zutaten in Gramm – auch bei Flüssigkeiten. Das zeigt den Anspruch des Autors an Präzision und Messgenauigkeit. Nur wo nötig, gibt es Hinweise zur Skalierung. Denn wie Henkel selbst schreibt, lassen sich manche Rezeptbestandteile – etwa bei der Arbeit mit Mixern oder Pacojet-Mengen – nicht beliebig reduzieren.
Vielschichtige Produktverarbeitung
Inhaltlich fällt positiv auf, dass Henkel häufig mehrere Zubereitungen eines Produkts kombiniert. Fisch wird oft in zwei Konsistenzen präsentiert, Gemüse erscheint roh, gegart, geräuchert und knusprig auf einem Teller. Bei Fleisch greift er gelegentlich auch zu weniger gängigen Stücken, etwa zu Innereien – was Textur, Aromatik und auch Tierethik mit einbezieht. Bei Desserts kommt es vor, dass zwei Eissorten kombiniert werden, was zwar aufwendig ist, dem Ergebnis aber mehr Spannung verleiht.
Besonders gelungen ist, dass Henkel im gleichen Atemzug auch entlastet: Nicht jedes Rezept muss komplett umgesetzt werden. Wer einzelne Komponenten weglässt, verfeinert dennoch auf hohem Niveau. Das motiviert – und senkt die Schwelle zur Umsetzung auch für erfahrene Laien.
Kurzum: FAUNA bleibt in der Rezeptpräsentation klar, technisch und nachvollziehbar – ohne zu vereinfachen. Es spricht eine leserfreundliche Sprache für ein komplexes Thema und ermutigt, nicht nur nachzukochen, sondern sich wirklich mit der Philosophie dahinter auseinanderzusetzen.
Ein paar Beispiele aus dem Buch:
1. Schwarzer Kabeljau mit Artischocke (Black Cod)
Ein Paradebeispiel für das Spiel mit intensiven Aromen und Texturen. Der Kabeljau wird in einem kräftigen Artischockensud serviert, der aus Artischockenabschnitten, Gemüse, Olivenöl und Sherry gewonnen wird. Ergänzt wird das Ganze durch ein Kapern-Confit aus Schalotten, Kapern, Oliven und Petersilie – aromatisch und komplex. Der Fisch liegt auf einem Petersilienpüree, verfeinert mit Zitronengel und knusprigen Artischockenscheiben. Die Zubereitung dieses Gangs verlangt höchste Präzision, nicht nur in der Textur des Fisches, sondern auch in der geschmacklichen Abstimmung der Begleiter.
2. Rote Garnele mit Kalamaretti & griechischem Salat
Diese mediterran inspirierte Komposition besticht durch ihre Vielzahl an Texturen: pochierte Pulpo-Scheiben, Pulpo-Roulade, ein intensiver Gemüsesud, frittierte Kalamaretti, Joghurtcreme, Paprikagelee und sogar spherifizierte Joghurttropfen. Alles ordnet sich einem durchdachten Anrichteprinzip unter. Die Herausforderung hier: ein detailliertes Mise en Place mit vielen Komponenten, die jeweils eigene Grundrezepte erfordern. Ohne exakte Planung ist dieser Gang kaum realisierbar, bietet aber ein hohes Lernpotenzial – besonders für ambitionierte Köche.
3. Erdbeeren mit Milchschokolade, Macadamia und Mädesüß
Dieses Dessert nimmt zwei vollständige Doppelseiten ein – ein Indiz für die Komplexität der Zubereitung. Zwei Sorten Eis, knuspriges Macadamiakrokant, Kräuterelemente wie Mädesüß und mehrere Cremes und Gels machen dieses Dessert zu einem Highlight des Buchs. Für den ambitionierten Profi ist es ein Musterbeispiel für die Kombination klassischer Aromen mit moderner Texturarbeit. Wer als Hobbykoch den Ehrgeiz hat, wird jedoch viel Zeit und Geduld benötigen, um diesem Dessert gerecht zu werden.
Stärken & Schwächen von FAUNA
Das Buch FAUNA von Nils Henkel ist in seiner Gesamtheit ein beeindruckendes Werk – mit all den Vor- und kleinen Nachteilen, die ein solches Format mit sich bringt. Es ist hochwertig, großformatig, optisch anspruchsvoll gestaltet und liegt dank des strukturierten Leineneinbands sowie des griffigen Papiers gut in der Hand. Die Gestaltung ist edel, das Druckbild präzise, die Haptik überzeugt auf ganzer Linie.
Doch genau diese Stärken führen zu einer seiner wenigen Schwächen: Das Buch ist im aktiven Kücheneinsatz schlichtweg unhandlich. Wer ernsthaft mit FAUNA arbeiten möchte – also wirklich nachkochen und nicht nur blättern –, wird das Buch kaum offen auf einem Aufsteller liegen lassen. Zu groß, zu schwer, zu schade. Positiv ist wiederum, dass die Seiten flach liegen bleiben und nicht wieder zurückklappen, was das Handling beim Nachlesen deutlich erleichtert. Dennoch ist für die praktische Umsetzung ein Notizblock oder ein digitales Tool wahrscheinlich die funktionalere Variante – ein klassischer Fall von Form folgt nicht ganz der Funktion.
Für Profis gemacht – in Struktur und Tiefe
Inhaltlich ist das Buch durchgehend stark – wenn auch mit einem klaren Fokus auf professionell arbeitende Köche oder ambitionierte Hobbyköche mit Erfahrung. Die Gerichte sind äußerst präzise aufgebaut, sauber dokumentiert und in ihren Kompositionen vielfältig, kreativ und gut nachvollziehbar. Sie spiegeln die Handschrift Henkels eindrucksvoll wider: strukturiert, saisonal orientiert, technisch anspruchsvoll und gleichzeitig angenehm reduziert. Viele der Gerichte – etwa der Schwarze Kabeljau mit Artischocken und Petersilienpüree oder das Eifelreh mit Pfifferlingen und Fichtensud – zeigen diese Verbindung aus handwerklicher Tiefe und gestalterischer Ruhe sehr eindrucksvoll.
Kritikpunkt: Ästhetik vor Verwertung?
Ein kleiner Kritikpunkt betrifft die Verarbeitung von Fleischstücken, die zum Teil – rein der Optik wegen – in rechteckige, gleichmäßige Formen geschnitten wurden. Das mag ästhetisch funktionieren, stellt aber in puncto Produktverwertung eine Herausforderung dar. Abschnitte, die dabei entstehen, sind nicht immer direkt verwertbar und widersprechen aus Sicht nachhaltiger Küchenpraxis dem Prinzip der vollständigen Verwertung. Auch wenn diese Form der Anrichteweise in der Spitzengastronomie zum Standard gehört, wäre hier vielleicht etwas mehr Natürlichkeit oder ein kurzer Kommentar zur Resteverwertung ein wertvoller Zusatz gewesen.
Techniken statt Trends – methodisches Denken auf dem Teller
Dafür überzeugt die Vielfalt an Herangehensweisen an ein Produkt – etwa bei Henkels Roter Garnele mit Calamaretti und Schafsjoghurt. Hier stehen Techniken wie Sphärisierung, Gelee-Roulade, Schäumung, Sudherstellung und das Kochen mit aromatisierten Ölen nebeneinander – ein Paradebeispiel für das, was dieses Buch so wertvoll macht: Es lehrt nicht nur Rezepte, sondern Methoden, Denkweisen und Prinzipien des Anrichtens. Die Komplexität ist da, aber nicht als Selbstzweck, sondern mit klarer kulinarischer Absicht.
Kulinarische Präzision – das Spiel mit Texturen und Kontrasten
Gleiches gilt für Gerichte wie den bereits erwähnten Schwarzen Kabeljau, dessen Kontrast aus Süße, Bitterkeit und intensiver Umami-Note aus Artischockensud und Kapernkonfit ein subtiles Spiel mit Geschmackstypen zeigt. Der Teller wirkt auf den ersten Blick puristisch, offenbart aber beim zweiten Hinsehen ein klares Texturspiel aus weich, knusprig, warm, kühl. Der Rehrücken aus der Eifel wiederum punktet mit klassischer Aromenführung und technischer Souveränität – der Fichtensud und das Pfifferlingskompott nehmen dem Reh die Schwere, das Kartoffel-Lauch-Püree erdet die Kombination.
Was sich ebenfalls als starker Aspekt herausstellt, ist die glasklare Rezeptstruktur – von Zutaten über Zubereitung bis hin zu genauen Anrichtungsanweisungen und Querverweisen auf Grundrezepte. Die Seiten wirken nie überfrachtet, sondern sind grafisch so gut organisiert, dass man sich auch bei umfangreichen Gerichten gut zurechtfindet. Die konsequente Angabe aller Mengen in Gramm unterstützt das professionelle Arbeiten und erlaubt präzise Umsetzung. Ergänzt wird das alles durch Getränkeempfehlungen (alkoholisch und alkoholfrei), was das Menüdenken abrundet.
Anspruchsvoll, aber nicht dogmatisch
Eine Schwäche – wenn man überhaupt davon sprechen kann – ist sicher die Tatsache, dass viele der Gerichte nur schwerlich in einem privaten Umfeld vollständig umsetzbar sind. Wer keinen Pacojet, Thermomix oder Vakuumierer besitzt, wird auf Alternativen zurückgreifen oder Teile des Rezepts weglassen müssen. Hier hilft der faire Hinweis Henkels im Vorwort, dass Reduktion und Vereinfachung erlaubt und gewünscht sind – und das Rezept auch dann seine Wirkung nicht verliert. Dieser Realismus ist angenehm und hebt das Buch von anderen, teils dogmatischen Werken der Spitzenküche ab.
Fazit: Mehr als ein Kochbuch – ein Werkzeug fürs Denken
Unterm Strich: Die Stärken dieses Buchs sind gewaltig – in Inhalt, Form, Struktur und Anspruch. Die wenigen Schwächen liegen eher im Bereich der praktischen Umsetzung und Gewichtung einzelner Stilmittel. Für jeden, der sich ernsthaft mit gehobener Küche beschäftigen möchte, ist FAUNA nicht nur Inspiration, sondern auch ein Lernwerkzeug, das die Realität des Kochens in der Spitzengastronomie auf sehr ehrliche, praxisnahe und ästhetisch anspruchsvolle Weise abbildet.
Fauna von Nils Henkel ist mehr als ein Kochbuch. Es ist ein Manifest einer leisen, präzisen, zutiefst reflektierten Küche. Es richtet sich an Menschen, die über das Kochen hinaus denken. An Menschen, die sich mit Produktqualität, Gartechniken, Aromatik und Anrichte auseinandersetzen wollen.
Für mich ist Fauna ein Meilenstein – weil es konsequent den Weg weitergeht, den Henkel mit Flora begonnen hat. Wer in Ausbildung ist, professionell kocht oder sich ernsthaft mit gehobener Küche auseinandersetzt, wird in diesem Buch Inspiration, Systematik und vor allem: Tiefe finden.