Levantinische Küche gehört für mich schon seit Jahren zu den spannendsten kulinarischen Entwicklungen in Berlin. Die Stadt war schon immer ein Magnet für kulinarische Einflüsse aus aller Welt – aber gerade das östliche Mittelmeer hat es den Berliner:innen besonders angetan. Kein Wunder also, dass es irgendwann unausweichlich wurde, beim vielleicht besten Vertreter dieser Stilrichtung einzukehren: im PRISM in Charlottenburg, dem Restaurant von Gal Ben Moshe.
Der Besuch im PRISM stand schon lange auf meiner Liste – nicht nur wegen des Rufs, der dem Ort vorausgeht, sondern auch, weil hier mit Aromen und Techniken gearbeitet wird, die weit über das hinausgehen, was man sonst so unter “levantinisch” versteht. Es ist ein Mix aus Erinnerungen an Kindheit und Heimat, High-End-Fine-Dining und subtiler Eleganz – ohne großes Tamtam, aber mit viel Tiefgang.
Ambiente – Wohnzimmer trifft Weltbühne
Das PRISM liegt ein wenig versteckt in Charlottenburg. Kein protziges Schild, kein Palast. Stattdessen: leise Töne. Sobald man den Gastraum betritt, wird klar, worum es hier geht: Reduktion aufs Wesentliche – aber mit Stil. Die Wände sind in warmem Anthrazit gestrichen, das Licht ist gedimmt, aber nicht duster. Alles wirkt kuratiert, aber nicht gestellt.
Dunkle Holztöne, eine durchgehende samtige Sitzbank in leuchtendem Gelb, ein imposanter Weinkühlschrank – das ist mehr Galerie als klassisches Fine-Dining-Restaurant. Es fühlt sich fast ein bisschen an wie ein Wohnzimmer, nur eben eines, das von Menschen eingerichtet wurde, die sehr genau wissen, was sie tun. Der Empfang ist herzlich, der Service aufmerksam, aber nicht überkandidelt. Alles wirkt konzentriert – aufs Produkt, aufs Erlebnis, auf den Moment.
Der Einstieg im PRISM
Feuerbrot mit Olivenölmarmelade
Los geht’s mit einem vermeintlich simplen Brotgang – wobei „simpel“ hier schon fast eine Beleidigung wäre. Das Feuerbrot aus Kamut, lauwarm serviert, hat eine intensive Röstnote, außen knusprig, innen soft – Textur 10/10. Dazu eine Olivenölmarmelade, die fast an Honig erinnert, mit einer leichten Süße und seidiger Konsistenz. Es ist ein Auftakt, der nicht laut ist, aber klarmacht: Hier wird mit Kontrasten gespielt. Rauch trifft Süße, Brot wird zur Botschaft.
Auster mit Eisgemüsesalat
Die Auster, serviert auf Eis, kommt mit einem fein gehackten Gemüsesalat, der an eine levantinische Vinaigrette erinnert. Die Texturen sind spannend – knackig, kalt, salzig, mild. Das Zusammenspiel von Salinität, Säure und Frische funktioniert großartig. Kein Effekt um des Effekts willen, sondern einfach ein sehr präziser Moment am Gaumen. Es bleibt lange ruhig danach – im besten Sinne.
Knuspercroustade mit geräuchertem Labneh, Spargel und Rosinen
Danach wird’s knusprig: Eine kleine, filigrane Croustade, gefüllt mit einem wunderbar rauchigen Labneh, ergänzt durch gegrillten Spargel und Rosinen, die für eine süßliche, weiche Nuance sorgen. Der Boden ist krachend-knusprig, die Füllung cremig und frisch. Dekoriert mit Blüten, fast ein kleines Stillleben auf Porzellan. Und: sehr balanciert.
Pâté en Croûte mit Sauerkirsch-Mostarda
Der für mich stärkste Snack in dieser ersten Runde: Pâté en Croûte in perfekter Konsistenz – nicht zu kühl, nicht zu fest, innen saftig, außen mürbe. Dazu eine Sauerkirsch-Mostarda, die sich weder in Süße noch in Schärfe verliert, sondern genau diesen Punch mitbringt, den man bei so einer Kombination sucht. Ein Highlight.
Auberginenchip mit fermentiertem Jameed-Joghurt
Zum Abschluss der Snackreihe: ein Auberginenchip, schwarz, tief, kross, mit fermentiertem Joghurt, der eine gewisse Fülle, fast etwas animalisches Funkeln mitbringt. Auch hier wieder: knusprig trifft cremig, geröstet trifft fermentiert. Und weil es optisch wie kulinarisch clever gemacht ist, bleibt der kleine Chip erstaunlich lange im Kopf.
Das PRISM Frühlingsmenü
Wilder Brokkoli mit grüner Erbse, Stracciatella, Ma La & Finger Limes
Ein Gang wie ein Frühlingsspaziergang in einem Gewürzgartenbildet den Start im PRISM: Der wild gewachsene Brokkoli – wahrscheinlich ein Verwandter des italienischen „Cime di Rapa“ – kommt knackig und intensiv grün auf den Teller, eingerahmt von grünen Erbsen, deren Süße eine perfekte Balance zum pikant-frischen Stracciatella bildet. Der Clou aber ist das Zusammenspiel mit Ma La – einer Gewürzmischung mit Szechuanpfeffer und Chili, die durch ihre prickelnde Schärfe fast schon elektrisierend wirkt. Dazu Kinome, das junge Blatt des japanischen Sansho-Baums, das mit zitronig-pfeffrigen Noten ein feinherbes Gegengewicht bietet. Finger Limes steuern eine frische Säure bei, während kleine Ringel von Tagetes den Gang optisch abrunden. Ein sehr präziser, aromatisch dichter Teller mit tollem Texturspiel und eleganter Wucht.
Jakobsmuschel mit Lamm-Dashi, Akkoub & Kombu
Zart, saftig und auf der Schnittfläche ganz leicht angeröstet: Die Jakobsmuschel spielt in diesem Gang im PRISM die Hauptrolle – aber sie ist bei weitem nicht allein auf der Bühne. Ihre warme Süße wird durch eine intensive Lamm-Dashi umrahmt, die Tiefe und Umami verleiht, ohne je schwer zu werden. Mit im Spiel: Akkoub, ein arabisches Wildgemüse mit leicht herben Noten – ungewohnt, aber sehr stimmig –, sowie ein fein dosiertes Kefir-Limettenöl, das mit zitrischer Frische das Lamm abfedert. Die feine Lage weißer Kombu rundet das Gericht ab – ein weiterer Layer Umami, mild und elegant. Dass diese Aromen auf einem Teller serviert werden, der selbst schon ein Kunstwerk ist, macht diesen Gang zu einem kleinen Höhepunkt.
Adlerfisch mit Verjus, Lauch & XO-Sauce
Hier wird’s deutlich lauter – zumindest, was die Aromen angeht. Der Adlerfisch – perfekt gegart, mit zartem, fast schmelzendem Fleisch – liegt auf einem Bett aus geschmortem Lauchgemüse mit jungem Knoblauch. Letzterer bringt milde Tiefe, kein aufdringliches Knoblauchbombardement. Die Sauce? Eine Reduktion aus Verjus, die dem Ganzen eine säurefrische Leichtigkeit verleiht.
Aber der eigentliche Kick kommt aus der XO-Sauce, die in kleinen, dunklen Tropfen platziert ist – ein komplexes Umami-Konzentrat aus getrockneten Meeresfrüchten, Chili, Schinken. Eine kleines, feines Statement, das klar macht, dass Küchenchef Gal Ben-Moshe keine Angst vor kräftigem Ausdruck hat.
Wagyu A5 Kagoshima Ribeye & Loquat Kebab
Einer der wohl eindrucksvollsten Gänge des Abends im PRISM: das butterzarte Kagoshima A5 Wagyu – perfekt gegart, mit exakt dem richtigen Maß an Bräunung und Saftigkeit. Daneben rollt ein Loquat-Kebab auf den Teller, der mit seinem süß-säuerlichen Profil und einer feinen Rauchnote überrascht.
Die Loquat, auch Wollmispel genannt, bringt Frische und Tiefe zugleich, während ein leicht gebratener wilder Spargel für Textur sorgt. Die Sauce – kräftig, klar, aber nie laut – verbindet alles zu einem in sich absolut runden Gericht. Meine Begleitung fand den Loquat-Kebab ein wenig zu dominant – ich hingegen hätte davon gerne noch eine zweite Portion gehabt.
Verjus-Sorbet, gegrillte Trauben & Ricotta
Ein Dessertgang, der alles anders macht: Hier spielt kein Zucker die erste Geige, sondern ein faszinierend frisches Verjus-Sorbet aus unreifem Traubensaft. Es bringt eine fast slushy-artige Konsistenz mit sich, die großartig zur rauchigen Tiefe des geräucherten Ricotta passt, der seinerseits auf einem Olivenöl-Kuchenstück sitzt – eine Kombination im PRISM, das überrascht und überzeugt.
Gegrillte Weintrauben und ein zarter Sirup runden dieses Dessert harmonisch ab. Kein lautes Finale – aber ein sehr intelligenter Zwischenton im süßen Schlussteil.
Rhabarber | Kampotpfeffer | Aprikose
Rhabarber ist jedes Jahr ein persönliches Highlight. Hier kommt er als fein geschnittenes Ragout auf den Teller – mit viel Frische, einem Hauch Bitterkeit und schöner Säure. Darauf eine warme Kampotpfeffer-Sabayone, die durch ihre aromatische Komplexität fast schon an einen leichten Chai erinnert.
Gekrönt wird das Ganze von einem Aprikosensorbet, das mit seiner Fruchtigkeit und angenehmen Kühle einen perfekten Gegenpart bietet. Wilde, getrocknete Erdbeeren, Pistazie und ein paar Blätter Kapuzinerkresse ergänzen dieses Dessert mit subtilen bitteren, fruchtigen und nussigen Noten. Für mich war das der Punkt, an dem klar war: Hier stimmt einfach alles.
Petit Fours: der verspielte Abschluss
Zum Schluss wird es im PRISM noch einmal bunt, verspielt und ein bisschen nostalgisch. Die Präsentation der Petit Fours gleicht einer kleinen Parade – kunstvoll angerichtet, jedes Element auf seiner eigenen Porzellanbühne.
Da wäre zunächst das Bergamot-Tartlet mit einer zarten, abgeflämmten Baiserhaube – angenehm weich, nicht zu süß und mit der feinen Zitrusnote, die dieser Dessertklassiker auszeichnet. Daneben: Turkish Delight in Form einer Pâte de Fruit mit Lychee, Rose und Mandel – eine charmante Reminiszenz an den Orient, für manche vielleicht eine Spur zu süß, für andere ein willkommener Abschluss mit viel Duft und Eleganz. Mich persönlich hat vor allem die Mangopraline begeistert – die dunkle Schokolade umhüllt ein intensives Mango-Innenleben mit dem Crunch gerösteter Pekannüsse. Ein grandioser letzter Biss des Frühlingsmenüs im PRISM.
Fazit: Ein Abend, der bleibt
Das PRISM in Berlin-Charlottenburg ist weit mehr als nur ein Fine-Dining-Restaurant mit levantinischem Schwerpunkt. Es ist ein Ort, an dem sich Erinnerung, Geschmack und Atmosphäre auf leise, aber präzise Weise verbinden. In Zeiten, in denen die Spitzengastronomie unter ökonomischem und personellem Druck steht, ist es umso wichtiger, solche Orte zu besuchen – nicht nur, weil sie Genuss auf höchstem Niveau ermöglichen, sondern auch, weil sie die Triebfedern kulinarischer Entwicklung sind.
Sterneküche wie des PRISM sorgt dafür, dass Inspiration in die Breite getragen wird. Dass Gerichte, Techniken, Ideen ihren Weg in neue Kontexte finden. Insofern ist ein Besuch hier nicht nur ein Fest, sondern auch ein kleines kulinarisches Bekenntnis. Und wer einmal den feinsinnigen Service erlebt hat – geleitet von Yael Tamar Ben-Moshe – wird wissen: Hier kommt man nicht nur wegen des Essens zurück. Sondern auch wegen des Gefühls, genau richtig zu sein.
🥢 Fun Facts & Must-Knows zum PRISM Berlin
📍 Adresse:
PRISM Berlin
Fritschestraße 48
10627 Berlin-Charlottenburg
📞 Reservierung:
Online oder telefonisch empfohlen
🌐 www.prismberlin.de
🍽️ Menüpreis:
215 € für das Menü
🍷 Weinbegleitung:
Classic 108 € | Concept 180 € | Iconic 300 €
👨🍳 Küchenchef:
Gal Ben-Moshe – israelischer Küchenvisionär mit Stationen in San Francisco, Tel Aviv und Berlin. Leidenschaftlich, detailverliebt und fernab jedes Klischees.
💁♀️ Serviceleitung:
Yael Tamar Ben-Moshe – Gastgeberin mit Charme, Wissen und Intuition. Führt den Service ruhig, klug und warmherzig – ohne aufgesetzte Show.
🍇 Weinkarte:
Starke Handschrift des Hauses. Fokus auf Israel, spannende Naturweine und ausdrucksstarke Pairings. Drei Varianten zur Auswahl – sehr gut kuratiert.
🛋️ Ambiente:
Wohnzimmer-Vibes statt Steifheit. Samtsofa, sanftes Licht, warmes Holz. Intim, aber nicht aufgesetzt. Ideal für zwei – oder den Abend, den man nicht vergisst.
🍋 Kulinarik:
Levantine Fine Dining ohne Allüren. Nahost trifft Frankreich, Japan und Berlin – aromatisch komplex, mutig, feinsinnig.
🥄 Tellerkultur:
Es geht ums Ganze. Teller werden erzählt, nicht nur angerichtet. Jeder Gang ein Kapitel, nicht bloß eine Episode.
🧠 Tipp:
Stellt Fragen! Das Team liebt es, über Produkte, Produzenten und Geschichten hinter den Gerichten zu sprechen. Wer zuhört, isst doppelt.