Es ist ein subjektiver Eindruck, ja – aber einer, der sich hartnäckig hält: Der Gastrojournalismus in Deutschland hat gelitten. Nicht nur an Relevanz, sondern auch an Substanz. Immer häufiger werden Inhalte zugespitzt, voreilig veröffentlicht oder aus zweiter Hand übernommen – bevor man überhaupt selbst vor Ort war oder sich fundiert mit einem Konzept auseinandergesetzt hat. Es wirkt, als gehe es weniger um journalistische Sorgfalt, sondern vor allem darum, der Erste zu sein.
Dabei erhalten neben klassischen Journalist:innen auch sogenannte Content Creator eine Aufmerksamkeit und Bedeutung, die allein durch ihre Reichweite entsteht, nicht aber durch eine Qualifikation, die diesen Stellenwert tatsächlich rechtfertigen würde.
Was Content Creator leisten – und was nicht
Natürlich erfüllen Content Creator heute eine wichtige Funktion. Viele betreiben Foodblogs, machen aufmerksam auf neue Konzepte, erzählen Geschichten, fotografieren, dokumentieren – all das ist Öffentlichkeitsarbeit. Und das ist völlig legitim. Aber es ist keine Kritik im klassischen Sinne.
Denn Kritik setzt Einordnung voraus. Ein Verständnis von Produkten, Techniken, Handwerk, von Abläufen in der Küche, vom Serviceniveau, von Nachhaltigkeitsaspekten – kurz: von Gastronomie als Profession. Wer diese Einordnung nicht leisten kann, mag ein gutes Auge oder ein gutes Gespür haben. Aber daraus erwächst noch keine Expertise, auch nicht im Gastrojournalismus.
Wer Essen immer nur durch die Kamera sieht, erkennt oft nicht, was auf dem Teller tatsächlich passiert.
Wer kritisieren will, muss vergleichen können
Ein zentrales Prinzip des kritischen Journalismus: Wer kritisieren will, muss vergleichen können. Wer vergleichen will, braucht Expertise. Und Expertise bedeutet nicht, dass man oft essen geht oder hübsche Fotos macht. Es bedeutet, dass man weiß, wie man Produktqualität beurteilt, Abläufe im Service einordnet oder Nachhaltigkeit in der Küche erkennt – weil man das Handwerk kennt oder gelernt hat.
Ein guter Blogger ist noch lange kein guter Journalist. Und umgekehrt.
Die Aufgabe des Gastrojournalismus
Journalist:innen, nicht nur im Gastrojournalismus, tragen eine Verantwortung – gegenüber ihren Leser:innen und gegenüber dem Thema. Sie sollen einordnen, bewerten, unabhängig berichten. Vor allem aber sollen sie auch dort hinschauen, wo sonst niemand hinsieht: auf Restaurants, die keine PR-Maschine im Rücken haben, auf Konzepte, die nicht laut sind, aber stark.
Denn der journalistische Auftrag besteht nicht darin, auf Einladungen zu reagieren oder PR-Veranstaltungen in weichgespülte „Berichte“ umzuwandeln. Vielmehr geht es darum, Leser:innen Orientierung zu bieten. Orientierung durch Wissen, Erfahrung, Recherche. Und ja – durch Distanz.
Wenn Nähe im Gastrojournalismus zum Problem wird
Doch diese Distanz verschwimmt zunehmend. Immer öfter sieht man klassische Journalist:innen, die eingeladen werden – und dann berichten. Ohne Kennzeichnung. Ohne Transparenz. Wer eingeladen wird, sollte umso sauberer arbeiten. Und offenlegen, unter welchen Bedingungen ein Text entstanden ist.
Denn sonst sind wir nicht mehr weit davon entfernt, dass PR, Content und Kritik nicht mehr unterscheidbar sind. Das ist für Leser:innen nicht nur verwirrend – es ist auch gefährlich.
Der schmale Grat zwischen Glanz und Glaubwürdigkeit – ein Blick auf „50 Best“
Kaum eine Liste sorgt jährlich für so viel Gesprächsstoff wie die „World’s 50 Best Restaurants“. Ihre Strahlkraft ist unbestritten – ein Eintrag kann Karrieren beflügeln, Reservierungsbücher füllen und internationale Aufmerksamkeit erzeugen. Doch gerade deshalb lohnt sich ein zweiter Blick auf die Mechanismen, die dahinterstehen.
Die Auswahl der Juror:innen setzt sich aus unterschiedlichen Gruppen zusammen: etablierte Köch:innen, erfahrene Food-Journalist:innen – aber eben auch Personen mit hoher Reichweite aus dem Bereich Social Media. Diese Mischung macht die Liste einerseits vielstimmig, andererseits stellt sich die Frage, wie ausgewogen und fachlich fundiert das Ergebnis am Ende ist. Denn Reichweite ist nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit Fachkompetenz oder Unabhängigkeit.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist zudem zu beobachten, dass manche Mitglieder des Auswahlkomitees ihre Besuche in potenziellen „Kandidaten-Restaurants“ offen zur Schau stellen – inklusive der Information, dass es sich um Einladungen gehandelt hat. Ob und wie sich solche Erlebnisse auf das Abstimmungsverhalten auswirken, bleibt spekulativ – aber der Eindruck entsteht, dass persönliche Beziehungen und direkte Erfahrungen bei der Entscheidungsfindung nicht ganz unerheblich sein könnten.
Das wäre per se nicht verwerflich – wenn es denn transparent kommuniziert und redaktionell eingeordnet würde. Doch genau das geschieht selten. Die Methoden bleiben intransparent, das Abstimmungsverfahren wenig nachvollziehbar. So wirkt die Liste in Teilen weniger wie eine reflektierte, journalistisch geerdete Bewertung – sondern eher wie ein Abbild dessen, wer aktuell im internationalen Gespräch ist und über ein starkes Netzwerk verfügt.
Was dabei zu kurz kommt, ist eine sachlich fundierte Auseinandersetzung mit gastronomischer Qualität im engeren Sinne. Und das hat Konsequenzen: Kleinere Betriebe mit hoher handwerklicher Kompetenz, aber ohne internationale PR-Ausrichtung, geraten schnell ins Hintertreffen.
Wenn Kritik zur Kür wird
Und das ist das eigentlich Bedauerliche: Gute Häuser, die sich lieber aufs Kochen konzentrieren als auf Reichweite, gehen leer aus. Während andere, mit geschickter PR und solidem Netzwerk, in Rankings auftauchen – ohne je in einer objektiven Bewertung wirklich vorne zu liegen.
Was hier fehlt, ist journalistische Korrektur. Ein Systemcheck. Eine redaktionelle Einordnung. Und vor allem: ein klares Signal, was Meinung ist – und was Kritik.
Mein Wunsch: mehr Trennung, mehr Haltung
Was ich mir wünsche, ist keine Abwertung von Content Creators. Im Gegenteil: Viele machen großartige Arbeit. Aber es braucht klare Kennzeichnung zu echtem Gastrojournalismus. Ist es ein Kommentar? Eine persönliche Meinung? Oder eine journalistische Kritik? Nur so kann man einordnen, was man liest – und vor allem: wie viel es wert ist.
Denn nur weil jemand regelmäßig gut essen geht, heißt das noch lange nicht, dass er auch versteht, was er da isst. Was es bedeutet, Food Waste zu vermeiden. Was Nachhaltigkeit in der Küche heißt. Oder wie herausfordernd es ist, eine präzise Sauce herzustellen, wenn der Dienstleistungsdruck im Service täglich steigt.
Und genau deshalb braucht es Journalismus. Mit Ausbildung, Erfahrung – und Haltung.