Für Tim Raue läuft es schon sehr lange ziemlich gut. Es vergeht kaum ein Jahr in dem kein Restaurant mit ihm als Consultant eröffnet wird. Er ist äußerst umtriebig und versteht es, das Eisen zu schmieden so lange es heiß ist. Neben seinen üblichen Aktivitäten war er ebenfalls Juror beim S. Pellegrino Young Chef Halbfinale. Der Sieger hat nun Zeit, um sich für das nächste Jahr vorzubereiten. Während des Wettbewerbs hatte ich Gelegenheit, mich mit Tim Raue zu unterhalten. Es entstand ein sehr kurzweiliges Interview mit Tim Raue über die Medien, Netflix und die heutige Präsenz als Starkoch.
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Tim Raue im Interview
Guten Tag Tim, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst. Ein Schwerpunkt bei dem Wettbewerb des „S.Pellegrino Young Chef“ ist die Persönlichkeit und das Storytelling der jeweiligen Protagonisten. Das ist ein Punkt an dem Du wie vermutlich kaum ein zweiter Koch in Deutschland erfolgreich bist. War es für Dich schon immer die Auffassung Deines Schaffens, sich auch mit persönlichen Details dem Publikum zu öffnen, wie Du es zum Beispiel in Deinem letzten Kochbuch getan hast?
Tim Raue: Das klingt tatsächlich sehr gut strukturiert und durchdacht – aber ehrlicherweise handle ich tatsächlich eher aus dem Bauch und der Intuition heraus. Aber natürlich finde ich schon, dass Kochen und vor allen Dingen auch die Kreation eines Gerichtes in meinem Fall ganz stark mit einem Ereignis verbunden ist. Sei es, dass ich irgendwo etwas gegessen habe, probiert habe, etwas erlebt habe, gerochen, gefühlt habe. Ich finde es dann auch wichtig, das mitzuteilen. Sich nur hinzustellen, umzudrehen und zu gehen, ist relativ wenig. Die Interaktion mit dem Gast halte ich dagegen für elementar. Denn der Gast wird dadurch im Endeffekt auf diese Reise, die ich selber gemacht habe, mitgenommen. Er hört dann aber nicht nur eine Geschichte, sondern kann sie auch schmecken. Nur so können die Menschen dann so nah wie möglich an diesem Erlebnis oder dieser Kreation teilhaben.
Wie sehr helfen Dir die öffentlichen Auftritte bei Sendungen wie die Folge bei Netflix oder anderen TV-Shows, um Deine eigenen Gastrokonzepte zu etablieren?
Tim Raue: Man muss da wirklich stark differenzieren. Die grundsätzliche Präsenz im Fernsehen, so ist auf jeden Fall mein Eindruck, sorgt dafür, dass man oft wiedererkannt wird, dementsprechend heutzutage Selfies machen darf und angesprochen wird. Und davon profitieren dann eher die Casual- Konzepte, die wir haben.
Wenn wir Netflix nehmen, dann muss man sagen, dass es wie eine Tsunamiwelle im besten Sinne war. Ich weiß auch nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Wenn man zig- zehntausende Gäste über mehrere Jahre hat, die wegen einer Episode kommen, ist das gewaltig, unglaublich. Damit haben wir nie gerechnet, als ich damals zugesagt habe.
Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass die Episode ein sehr eindimensionales Bild von mir abbildet. Nämlich eines aus der Sicht derer, die den Film gemacht haben. Was meine Person angeht fehlt mir da also einiges. Vor allen Dingen der Humor und die Liebenswürdigkeit, die ich habe. Auch die Herzlichkeit im Umgang mit meinen Kollegen und Mitarbeitern. Stattdessen wurde meines Erachtens nach das Bild eines Egomanen gezeigt, der ich nicht bin.
Ohne die Menschen um mich herum, ohne Marie-Anne Raue als meine Geschäftspartnerin, ohne Christian Singer als meinen Küchenchef und ohne André Macionga als unseren Restaurant Manager, wäre das alles nicht möglich. Die sind auch nicht deswegen mit mir so lange unterwegs, weil ich mich für den Geilsten halte. Sondern weil sie wissen, dass wir das alles zusammen stemmen und dass wir ein Team sind. Und jeder hat seine Aufgabe in diesem Team.
Wie hast Du eigentlich den Umgang mit den Medien erlernt bzw. Dir angeeignet?
Tim Raue: Vor allen Dingen bin ich jemand, der durch Fehler enorm viel lernt. Ich hatte eine traumatische Geschichte mit dem Fernsehen. Damals wurde eine Kamera in meiner Küche stehen gelassen und so wurde aufgezeichnet, was da so in der Küche passiert. Da muss ich ganz klar sagen, da war ich ein riesen Arschloch. Gleichzeitig hat es mir die Augen geöffnet: Nur weil Dich jemand nett anlächelt, möchte er nicht zwangsläufig etwas Nettes von Dir.
Bei mir hat sich der Umgang mit den Medien dann im Endeffekt dadurch entwickelt, dass ich damals 2006 „Koch des Jahres“ geworden bin und meinen ersten Stern gekriegt habe. Da ist die Aufmerksamkeit tatsächlich enorm gestiegen. Und in dem Zuge haben sich Menschen aus meiner Jugendzeit gemeldet, die gesagt haben, dass ich ein riesen Arschloch war und Mitglied bei den 36 Boys. Daraufhin hat mich dann das größte deutsche Boulevardblatt damit konfrontiert und mich vor die Wahl gestellt, die Geschichte aus meiner Sicht zu erzählen oder das zu drucken, was sie für richtig halten. Erst in diesem Gespräch ist mir klar geworden, was ich lange Jahre vor mir selbst versucht habe, zu verstecken: meine Jugend und meine Kindheit. Dadurch habe ich das Thema offen ausgesprochen und bin es nie wieder losgeworden.
Dass ich heute 45 bin, dass alles inzwischen 30 Jahre her ist und ich natürlich kein anderer Mensch bin, aber ich mich schon von meinem Wesen, von meiner Lebensart geändert habe – das ist klar. Das, was mir in den vergangenen 20 Jahren passiert ist, hat mich gelehrt, meine Geschichte klar und deutlich zu formulieren und mich nicht zu verstellen, sondern ich zu sein. Und damit auch umgehen zu können. Dabei ist mir heute einfach bewusst, dass Menschen, die mit mir sprechen nicht unbedingt mein Bestes wollen, sondern eine Geschichte wiedergeben möchten und eine ganz eigene Idee dazu haben.
Die kann positiv, aber auch negativ sein. Und manchmal ist es so, dass man Menschen trifft, mit denen es richtig Spaß macht sich auseinanderzusetzen und die daraus großartige Geschichten machen. Großartig natürlich aus meiner Sicht, wo es um Inspiration geht, darum geht, wie wichtig mir die Menschen um mich herum sind und wie wichtig mir auch die Gäste sind.
Ich habe in den vergangenen Jahren also trainiert, eine Rhetorikkurs belegt und mir selber durch einen „Trial and Error Modus“ beigebracht, wie man auftritt, wie wichtig das ist, Energie zu sammeln. Auf die Bühne zu gehen und dann einfach auch Präsenz zu zeigen. Dass man das Innere nach außen kehrt. Und das, was ganz wichtig ist, in welcher Tonlage man spricht.
Ich versuche in Allem, was ich mache, immer besser zu werden. Das ist nicht nur beim Kochen so, wenn ich mir überlege, welche der fünf Kerbelsorten wir auf den Teller legen oder ob’s Nummer sechs, die Blüte, ist. Was passt besser? Wieviel Mikrogramm sind das? Sondern genauso choreographiere ich jeden Auftritt. Alles was ich mache liegt der Frage zugrunde, welche Energie ich haben will, was ich heute aussagen möchte. Und dann gehe ich auf die Bühne und dann bin ich einfach ich. Und das was dann rauskommt, passiert halt aus dem Moment.
Würdest Du auch gerne mal das mediale Rad ein wenig zurückdrehen, um sich mehr auf andere Dinge konzentrieren zu können?
Tim Raue: Nein. Natürlich würde ein Teil von mir, also der Küchenchef in mir, das gerne machen. Weil ich als Kreativer gern etwas zurückgezogener arbeiten würde. Aber der Unternehmer in mir, und das ist die andere Hälfte meines Seins, weiß ganz genau wie elementar die Öffentlichkeitsarbeit ist.
Ich glaube, das ist der entscheidende Faktor. Ich nehme mich nicht so ernst. Ich weiß sehr genau, wer ich bin und was ich kann und was nicht. Nur weil andere mich dann überhöhen, heißt das noch lange nicht, dass ich das glaube oder ich mich für geil oder gut halte. Das kann ich sehr gut einschätzen. Ich habe keinerlei Allüren. Das ist etwas, was ich immer wieder merke, wenn ich auf Kollegen treffe, die in ähnlichen Sphären unterwegs bin. Was die alles wollen, was die an Menschenmassen um sich herum geschart haben.
Ich bin immer noch derjenige, der selbst seine Interviews gibt. Ich kümmere mich um die Belange, die mich betreffen selbst. Ich muss nicht mit einer S-Klasse von a nach b oder mit der Business Klasse innerhalb Deutschlands fliegen. Ich bin da ganz normal geblieben und habe auch genug Menschen um mich herum, die da sofort den Finger heben würden, wenn ich hier anfangen würde, zu glauben, ich kann jetzt fliegen.
Der Beruf des Kochs hat sich ja in den letzten Jahren enorm verändert. Welche Aufgaben oder Veränderungen sind für Dich am Gravierendsten, auf die vielleicht auch Du Dich in der Zeit neu einstellen musstest?
Tim Raue: Ich glaube es ist ganz klar, dass das Ernährungsbewusstsein der Menschen und jungen Generation eine extreme Rolle spielt wenn es darum geht, was für Lebensmittel wir verarbeiten, wie wir diese Lebensmittel beziehen, wo sie herkommen, mit welcher Achtsamkeit wir damit umgehen. Allerdings ist das etwas, das im Moment vielleicht für drei oder vier Prozent der Köche eine Rolle spielt. Ich glaube jedoch, dass es in rasender Schnelligkeit 30- 40 % und irgendwann 80% betreffen wird.
Instagram, also Social Media an sich, spielt heute eine große Rolle. Auch Foodblogger sind anders als Kritiker – viel schneller. Das heißt, wenn Du heute einen Laden aufmachst, musst du im Endeffekt schon vier Wochen lang ein Pre-Opening machen – ohne, dass irgendjemand der über dich schreibt oder etwas weitergibt, kommt. Einfach damit Du, wenn Du in der fünften Woche aufmachst, sofort von allen eingeschätzt und bewertet bist. Und das muss passen. Früher hast Du ein halbes Jahr Zeit gehabt, dann kamen so die ersten Kritiker, dann die Tester. Das ist alles viel schneller geworden. Ich möchte da mit den Kollegen, die jetzt gerade dran sind, überhaupt nicht tauschen. Ich bin glücklich, dass das bei mir so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Ich kann mich nicht beschweren.
Kann dieser Wettbewerb zu einem besseren Image des Berufs beitragen?
Tim Raue: Was ich ganz großartig finde ist, dass es bei dem Wettbewerb nicht nur ums Kochen geht – à la „Ich koche und das war’s“. Sondern dass es auch darum geht, mehr zu machen. Also zu präsentieren, wirklich auch schon angeregt wird auf dem allerhöchsten Niveau zu performen.
Das ist natürlich eine enorme Herausforderung. Wenn wir uns bspw. die Juroren angucken, dann sitzen da viele, die in der The World’s 50 Best Liste sind – also wirklich die Cracks unserer Branche. Die im Endeffekt als Vorbild zu nehmen ist natürlich schon eine harte Nummer. Aber auf der anderen Seite auch positiv, weil Du dann gleich das Beste kennen lernst und weißt, wohin der Weg Dich führen soll.
Aber es ist natürlich eine vielschichtige Geschichte. Eine der großen Schwierigkeiten ist bspw. die Performance auf Englisch. Das haben wir hier auch gesehen – und daran müssen wir in den kommenden Jahren arbeiten. Die, die hier mitmachen, müssen noch besser geschult sein und es muss ihnen klar sein, dass Sprache (auch die englische Sprache!) ein wichtiger Faktor ist. Die Internationalität also ganz entscheidend ist.
Ich finde das Format gut und dass es auch nur ein Gericht gibt – man sich also nicht auf drei Teller fokussiert, sondern tatsächlich auf einen. Der muss allerdings richtig geil sein – also ein
Teller auf Perfektion getrimmt, zusätzlich verbunden mit der Geschichte, mit der Herkunft dessen, was man isst und wer man ist.
Nachdem Ihr in der Jury den Gewinner auserkoren habt, welche Dinge müssen noch besser bei dem finalen Teilnehmer herausgearbeitet werden und welche Ratschläge würdest Du dem Kandidaten mit auf dem Weg geben?
Tim Raue: Bei ihm ging es tatsächlich nur noch um Nuancen beim Kochen, ich fand das war ganz exzellent. Er könnte lediglich noch ein bisschen tiefer in die Präsentation gehen. Also dieses Konzentrieren, Fokussieren und in diesem Zusammenhang mit mehr Kraft und Selbstsicherheit da sein. Das ist etwas, wo er definitiv dran arbeiten kann.
Vielen Dank für das Interview.