Flavour//Pairing, das Spiel der Aromen, ist das vor kurzem erschiene Buch von Heiko Antoniewicz, der bereits so einige Werke auf den Markt gebracht hat. Darunter waren Titel wie “Verwegen kochen”, “Molekulare Basics”, “Brot”, “Sous- Vide” und nicht zuletzt das bisher schon in der vierten Auflage verlegte Stück namens “Fingerfood”.
“Flavour//Pairing″
Heiko Antoniewicz
Fotografie: Ralf Müller
Matthaes Verlag
Stuttgart, 2013
374 S., gebunden, 79,90 EUR
ISBN: 3-87515-076-7
Um Arbeit muss er sich sowieso keine Sorgen machen, ist er doch kürzlich zum Ehrenpräsident des Institute of Culinary Art ernannt worden. In diesen wie auch anderen Bereichen bringt er die von ihm bevorzugte Kochphilosophie, welche stark auf die so oft verschriene “Molekulare Küche” baut, unter die Massen. In diesem Fall beruht es auf dem Konzept des sogenannten “Flavourpairings” (Aromenkreuzung), welches nicht nur den reinen Geschmack in seiner Kombination berücksichtigt, sondern alle bei der Nahrungsaufnahme aktivierten Sinne mit einschließt. Das sind also neben den bisher fünf bekannten Geschmackssinnen und dem Geruchssinn verschiedene Reize wie zum Beispiel die Temperatur oder auch der Tastsinn auf der Haut, welcher Textureigenschaften wie knusprig oder cremig zu unterscheiden weiß.
Dass so jedes einzelne Produkt ganz unterschiedliche Eigenschaften in seinem Geschmack und der dadurch obligatorischen Wahrnehmung beim Verzehr hat, macht uns H. Antoniewicz in seinem Buch anhand 13 verschiedener Produktbeispiele begreiflich. Einleitend erklärt er exemplarisch, dass Avocadoöl bei Zimmertemperatur nach frisch gemähten Rasen erinnert, bei extremer Kühlung durch Stickstoff der Geschmack sich überaschender Weise komplett in eine andere Richtung entwickelt und teilweise schon rauchige Noten entstehen.
Mit der Avocado wird auch das erste Sammelsurium an Rezepten mittels fünf hier vorgestellter Gerichten eröffnet. So tritt sie als “avocado//öl” mit Kaisergranat in Form von Tatar und gebratenem Schwanz sowie Mandelcreme auf. Danach erfährt man von einem “avocado//eis” bei dem unter anderem eine Tomatenmayonnaise, grüner Olivensaft und eine Ingwercreme zum Tragen kommen.
Eines fällt bei der Betrachtung der Rezepte sofort auf. Will man alle nachkochen, muss man neben der Standardausrüstung einer zeitgemäßen Küche im Besitz eines Thermomix`, flüssigem Stickstoffs samt dem notwendige Zubehör, diverser Texturas von “Herbafood” und einiger Seren der Selektion Antoniewicz sein.
Zudem wird hier und da auf das Sortiment von Koppert Cress zurückgegriffen, welches für meine Begriffe auf dem Endverbrauchermarkt eher schwer zu bekommen sein dürfte.
So lässt sich auf den ersten Seiten schon Folgendes feststellen. Dieses Buch ist keinesfalls für Hobbyköche, auch nicht für die ambitionierten dieser Art. Man braucht hier fundiertes Wissen im Umgang mit Lebensmitteln und so einiges an Erfahrung, will man diese akurat angerichteten Zusammenstellungen auf dem Teller auch nur im Ansatz so detailgetreu reproduzieren.
Auch die dargestellten Gerichte auf den nächsten Seiten zeigen das gleiche Bild. Ein absolut barrierefreier Umgang mit den Lebensmitteln schafft Platz für Kreationen wie “banane// petersilien- eis”, welches mit Bananenkompott, gerösteten Erdnüssen und süßem Petersilienpesto gereicht wird.
Ein angehängter Verweis auf die hinteren Seiten signalisiert, wo die Philosophie, die hinter diesem Gang steckt, vermittelt wird. So wird dort verdeutlicht, dass dieses Pairing doch gar nicht so neu sei und bereits vor einiger Zeit von Thomas Keller angewandt wurde. So wie bei dieser Speise findet sich zu jedem in diesem Werk aufgeführten Arrangements ein Dreizeiler mit dem dazugehörigen Hintergrundwissen zur Entstehung. Dazu wird jede Komponente in der Totalansicht recht nachvollziehbar aufgezeigt. Ein sinnvoller Beitrag, sind doch die Teilabbildungen im Hauptabteil des Buches oft angeschnitten und so über zwei Seiten dargestellt.
Weitergeführt wird dieses Konzept nach der Avocado und der Banane noch mit den Hauptdarstellern Bottarga, Holunder, Kaffee, Kartoffel, Lachs, Oliven, Rhabarber, Salz, Steinköhler, Tomate und Vanille.
Allesamt wurden sie visuell in einem sehr eigensinnigen Stil dargestellt, für dessen Photographie sich Ralf Müller verantwortlich zeigt. Seine ganz eigene Art die Aufbauten ins rechte Licht zu setzen, lassen den geübten Betrachter sofort ihn als Urheber erkennen. Seine ausgeprägten Schattenspiele und auch die individuellen Bühnen für die Kunstwerke, sind sein markantes Zeichen, welches zudem der eher flach wirkenden Lichtbildkunst aus der Vogelperspektive mehr Tiefe und Räumlichkeit gibt.
Diese Anschauung ist für mich auf den ersten Blick ein wirklich schönes Detail, bei längerer Beobachtung aber auch größter Schwachpunkt im Buch. Eine Photographie ausschließlich aus diesem 90 Grad Winkel fordert dem Betrachter so einiges an Vorstellungsvermögen ab, will er doch genau wissen, wie das Gericht aus der “normalen” Ansicht anmutet. So mag das vielleicht designtechnisch kurzweilig wirken, rein funktionell ist es leider eher kontraproduktiv. Auch der stetige Anschnitt des Gangs, welcher nur bei den hinten angefügten Erklärungen in einer 100 %-igen Version gezeigt wird, ist für mich nicht bei jedem Rezept sinnvoll. Man möchte einfach zu gerne alle Komponenten auf einer Seite sehen, ohne ständig dabei eine Seite vor und zurück blättern zu müssen, weil der Rest dort zu finden ist. Man geht bei dem Design eben andere Wege, das macht sich auch bei der Seitengestaltung, die zum größten Teil aus schwarzen Flächen besteht, bemerkbar.
Da sich über Geschmack ja bekanntlich nicht streiten lässt, betrachte ich den Inhalt des Buches natürlich getrennt und der weckt mit Sicherheit den Tatendrang in mir, so einige Experimente in der professionellen Küche zu starten. Gerade auch das oben genannte Konzept unter Einsatz von gesüßter Petersilie in Verbindung mit Banane reizt mich schon sehr.
Aufgefüllt wird der Buchinhalt zudem noch mit sehr anschaulichen und übersichtlichen Infografiken, welche darstellen, ganz in Foodpairing- Manier, welche Zutaten mit welchen perfekt harmonieren und inwiefern verschiedene Gewürze dazu beitragen können den Geschmack noch komplexer wirken zu lassen. Möchte der Koch dem Ganzen noch den korrespondierenden Wein zur Seite stellen, so erfährt er auf 12 Seiten noch die passenden Getränkeempfehlungen.
Dieses Buch wird zudem einer Pflicht gerecht, welches die meisten Verleger Kochbücher der gehobenen Gastronomie komplett außer Acht lassen. Es wird zwar überall davon ausgegangen, dass ISI- Siphon, Thermomix, Sous- Vide- Wasserbäder, Rotationsverdämpfer, Gefriertrockner und der Smoking- Gun vorrätig sind oder eine unmittelbare Verfügung für den Buchkäufer machbar ist, aber in keinem mir bekannten Buch wurde jemals ein Gerät auch nur im Ansatz in der Handhabung näher gebracht. Gerade auf diesem Gebiet, in dem es für viele dieser Werkzeuge vor einem Jahrzehnt noch gar keine Verwendung gab, besteht bei vielen Profis noch Nachholbedarf. Dieses Buch macht einen guten Ansatz und erklärt die Verfahrensweise grob und bietet eine Abbildung für ein besseres Verständnis mit ab. Ich würde mir wünschen, dass bei der selbstverständlichen Nutzung von solchen Helfern in Kochbuchrezepten heutzutage hier und da auch das technische Know- How in Kochbüchern wie diesem hier mit vermittelt wird.
Alles in allem ist dieses Buch für eine weitere Quelle neuer Inspirationen sehr empfehlenswert. Ich werde es immer wieder einmal aufgreifen.
Hinweis der Redaktion
Ein Teil der besprochenen Produkte wurden von Unternehmen zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.