Warum in die Ferne schweifen – das Gute liegt so nah. So müsste der Subtitel dieses Restaurantberichts heißen. Denn im Rutz Zollhaus folgt man genau dieser Devise und verschreibt sich zu großen Teilen bei der Zubereitung der kulinarischen Schätze aus der Umgebung. Doch geht Küchenchef Florian Mennicken alles andere als dogmatisch dabei vor. In diesem ruhig gelegenen Restaurant in Berlin Kreuzberg steht einzig und allein der Genuss auf dem Porzellan und im Glas in geselliger Runde im Fokus. Ein Restaurantbericht eines legeren Restaurants, das alles andere als rustikal ist.
Das Rutz Zollhaus – eine angenehm ruhige Wohlfühloase
Idealer kann ein Restaurant kaum liegen. Das Rutz Zollhaus liegt unmittelbar am Landwehrkanal und ist somit gerade im Sommer mit der überdachten Terrasse der perfekte Ort, um die Küche des Küchenchefs Florian Mennicken bei einem, oder gerne auch mehreren Gläsern Wein zu genießen.
Ein kulinarischer Ort mit Geschichte
Bereits seit ungefähr 3 Jahren wird dieses geschichtsträchtige Zollhaus am Kreuzberger Landwehrkanal nun von Marco Müllers Team um den Küchenchef Florian betrieben. Das etwas abseits und daher auch wunderbar ruhig gelegene Fachwerkhaus ist gerade jetzt zu den heißen Tagen im Jahr ein willkommener Ruhepol in der ziemlich lauten Hauptstadt. Der überdachte Bereich am Wasser bietet dafür ein schattiges Plätzchen auf der großen, einladenden Terrasse.
Das bereits im 19. Jahrhundert erbaute Fachwerkhaus war ursprünglich ein Lager der Berliner Stadtreinigung. Später hatte es als Kontrollpunkt der örtlichen Schifffahrt gedient, bevor es dann für ganze 3 Jahrzehnte (in Worten: dreißig Jahre) eine Kultadresse für die einheimische Küche von Herbert Beltles Aigner wurde. Durch die Übernahme vor knapp vier Jahren sind Teile des kulinarischen Konzepts geblieben – nicht ohne jedoch einen modernen und zeitgemäßen Twist einzubauen.
Florian Mennicken – der Küchenchef des Rutz Zollhaus
Für diesen zeichnet sich in der Küche der 36 Jahre junge Belgier verantwortlich. Er kann bereits beachtliche Stationen wie dem Facil, dem Lorenz Adlon Esszimmer oder dem Slate vorweisen und ist nun seit 2020 Teil des Teams.
Das Interior – modern und reduziert
Meinen ersten und letzten Besuch hatte ich inmitten der Coronazeit abgehalten. Aufgrund der winterlichen Jahreszeit nahm ich im sehr schön gestalteten Innenbereich Platz. Das sehr reduzierte Interieur hat einen modernen Touch, ohne dabei dessen ursprüngliche Charakteristik des Fachwerkhauses zu nehmen. Holz- und Steintöne geben mit den grauen Stoffbezügen der gepolsterten Stühle die Farbstimmung vor.
Dieses Mal soll es für mich auf die Terrasse gehen. Denn das Wetter war optimal, als wir uns auf die von der Küche empfohlene Speisenfolge eingelassen haben. Wir sollten belohnt werden.
Tatar vom Holsteiner Weideochsen – Speck, Gurke & Forellenkaviar
Für uns kann ein Menü kaum besser starten. Als bekennende Fans von Tatar jeglicher Natur, können wir bei dem roh geschnittenen Fleisch, hier vom Holsteiner Weideochsen, nicht nein sagen. Diese wunderbar auf den Punkt abgeschmeckte Version wird von Florian mit einer leicht geräucherten Crème Fraîche, abgeflämmten Gurkensticks, Speckstaub und frischem Kräutersalat in Balance gebracht. Für einen jodigen Touch sorgt der Forellenkaviar, der sich sehr harmonisch in diesen fulminanten Start einfügt. So kann es gerne weitergehen.
Forelle von 25 Teichen & eingelegte Mairüben – Joghurteis, Schnittlauchemulsion und Kapuzinerkresse
Und das tat es auch. Beim zweiten Gang wurde erneut der Aspekt der Nachhaltigkeit durch die Einbindung regionaler Produkte unterstrichen. Denn mit der Forelle von den 25 Teichen bedient sich das Team Fischprodukten aus der sehr bekannten Fischzucht in Gräben (Brandenburg).
Die Forelle kommt als Tatar mit einem frischen Joghurteis, hauchdünn aufgeschnittene Mairübenscheiben, die final mit einem Mairübenpulver abgestäubt werden, bevor im Teller ein optisch beeindruckendes Saucenspiel mit Holunder-Kapuziner-Vinaigrette sowie Dill- und Schnittlauch angegossen wird.
Für die zusätzliche Dopaminausschüttung im Kopf sorgt der knusprig aufgepuffte Buchweizen. Jede Gabel dieser erfrischenden Vorspeise beweist, dass eigentlich nicht viel importiert werden muss, um zu überzeugen. Wenn wie hier die heimischen Produkte alle so gut verarbeitet werden, darf es gerne es auch mit regionalen Erzeugnissen zugehen.
Königsberger Klopse „Halb & Halb“ – Kartoffelpüree, Saiblingskaviar & Schnittlauchöl
Es folgt als erster Zwischengang ein Klassiker und Evergreen des Rutz Zollhaus‘. Wer an deutsche Küche denkt, kommt an Königsberger Klopse kaum vorbei. Die Königsberger Klopse „Halb & Halb“ werden aus je einem Teil Kalbfleisch und Iberico-Schwein zubereitet. Was man bei dieser Bezeichnung eher mit einem Thüringer Kloß verbinden mag, umschreibt in der Küche von Florian die magische Formel, um die perfekte Textur zu erzeugen.
Und tatsächlich erweist sich diese Ausführung als sehr delikat. Die drei Fleischbällchen thronen auf einem sehr cremigen Nussbutter-Kartoffelpüree. Auch hier bedient sich die Crew dem Surf & Turf Konzept und steuert mit Forellenkaviar fischige Noten mit bei. Knackige Salatstreifen geben mit den knusprig ausgebackenen Kapern den letzten Kick, der nur noch von der grandiosen Sauce übertroffen wird. #Lieblingsklopsversionpotential
Brandenburger Burrata mit Kohlrabitatar – Ofenpaprika, Tomatensud & Koriander
Spätestens mit diesem Gang dürfte es der Letzte begriffen haben. Die Küche des Rutz Zollhaus ist eine produktbasierte Regionalküche. Man nehme ein besonders gutes Lebensmittel aus der Region und stelle ihm unterstützende Komponenten zur Seite. In diesem Fall ist es ein Brandenburger Burrata. Dieser wird auf Ofenpaprikaragout und Kohlrabi gebettet.
Vogelmiere und Kartoffelchips sorgen für Frische und Salzigkeit, der mit Chili-Koji und Korianderöl angereicherte Tomatensud für Säure und Schärfe. Der/die Italiener/-in wird sich vielleicht an der Temperatur des Burratas stören. Die liegt im Mittelmeerraum nämlich bei Zimmertemperatur. Aber da drücke ich gerne einmal ein Auge zu.
Entrecôte von der Friesischen Ferse & Wilder Brokkoli – Röstzwiebel, Berliner Miso Emulsion, Lauch & Leinsaatchip
Der Menühöhepunkt ist das Entrecôte (14 Tage nass & 28 Tage trocken gereift) von der Friesischen Ferse. Dazu gibt es einen säuerlich eingelegten Brokkolimix mit wildem Brokkoli, Misomayonnaise und Röstzwiebel. Simpel und ohne viel Schi Schi kann auch dieser Gang überzeugen. Die Körnerknäckechips sorgen für angenehme Akzente. Vor allen Dingen gefällt uns hier jedoch die superbe Fleischqualität.
Rhabarbermousse & Estragonöl – Himbeersorbet, eingelegter Rhabarber und Mohnstreu
Als Koch ist für mich das Dessert stets die Königsdisziplin. Der Gast ist bei diesem Gang in der Regel bereits gesättigt. Daher muss das Süße einmal mehr überzeugen, damit es den Weg auf die Gabel findet. Im Rutz Zollhaus setzt die Patisserie an diesem Abend auf die Kombination Rhabarber & Himbeere. Dabei wird der Rhabarber mannigfaltig dekliniert.
Er kommt als Mousse, eingelegt, als Schaum, als Sauce und zuletzt auch als Hippe in die Schale. Eine Nocke Himbeersorbet und frische Himbeeren sogen mit dem Estragon (Öl & Pulver) für ein angenehm stimmiges Finale aus Süße und Säure. Diese Schale haben wir ebenfalls sehr gerne leer geputzt.
Fazit zum Besuch im Rutz Zollhaus
Wer braucht eigentlich noch Sternerestaurants und all das Fine Dining, wenn rustikal so großartig sein kann? Spaß beiseite, denn das Rutz Zollhaus ist bei weitem nicht so rustikal, wie einem das einstige Image des Vorgängers einhauchen mag. Diese Küche zeigt, wie zeitgemäß und spielerisch regionale Küche doch sein kann. Vor allen Dingen dann, wenn sie so erfrischend selbsterklärend und undogmatisch ist.
Der großartige und sehr aufmerksame Service versucht nicht, die Regionalität bedeutungsgeschwängert als USP zu verkaufen. Vielmehr bietet dieser nun seit einigen Monaten eine noch größere Weinkarte der Weinläden-Schmidt-Filialen an. Es gab bei unserem Besuch keinen einzigen Wein, der uns nicht absolut gefallen hat. Wenn du also einen großartigen Ort zum Genießen (denkbar für die meisten Anlässe) mit ruhiger Umgebung und inmitten der Großstadt suchst, bist du mit dem Rutz Zollhaus bestens beraten.
Funfacts zum Rutz Zollhaus
Restaurant: | Rutz Zollhaus |
Küchenchef/-in: | Florian Mennicken |
Auszeichnungen: | 2 Hauben Gault Millau 7 Gusto Pfannen FF+ Feinschmecker |
Adresse: | Carl-Herz-Ufer 30, 10961 Berlin |
Kontakt: | +49 30 2332 -76670 | info@rutz-zollhaus.de |
Datum des Besuchs: | Juli 2023 |