Berliner Speisemeisterei • Life as a chef 👨🏻‍🍳

Mein Name ist Steffen Sinzinger (42). Ich betreibe den Blog die Berliner Speisemeisterei seit mehr als 13 Jahren und schreibe hier über alle gastronomischen Themen, welche mich begeistern. Ich bin gelernter Koch und habe den Großteil meiner beruflichen Karriere in der Berliner Gastronomie verbracht. Ich freue mich, dass Du zur Berliner Speisemeisterei gefunden hast.

Über Frauen und das #rollingpingate

Über Frauen und das #rollingpingate

Nachdem die Rolling Pin ihre Liste der 50 besten Köche Deutschlands herausgegeben hatte, schlugen die Wellen richtig hoch. Das bekannte Magazin stellte ein Ranking mit, bis auf eine Ausnahme, Männern als Nominierte dar. Von Frauenpower kann hier nicht die Rede sein. Aus allen Ecken wurde offen die Frage nach einem längst überfälligen Diskurs gestellt. Es bleibt abzuwarten, inwiefern der Rolling Pin dafür das Podium bieten sollte, da das Magazin mit der anschließenden katastrophalen Öffentlichkeitsarbeit für reichlich verbrannte Erde gesorgt hat.

Rolling Pin blockt Dich weg

Für jeden, welcher das Gewirbel der letzten Tage nicht mitbekommen hat, dem sei gesagt, dass das Gastromagazin Rolling Pin, welches wohl mit das meistgelesenste Blatt im Kreise der professionellen Köche sein dürfte, die 50 besten Köchinnen und Köche per Voting ehren wollte und mit der geschlechtstechnisch höchst einseitigen Darstellung einen Shitstorm geerntet hatte. Dafür rief die Redaktion zur Stimmabgabe unter den Kolleginnen und Kollegen auf. Insgesamt kamen so laut Rolling Pin mehr als 5000 Stimmen zusammen. Darunter befand sich lediglich eine einzige Frau, Douce Steiner. Weitere Damen schafften es nicht in den erlauchten Kreis, auch gab es keinen einzigen farbigen Chefkoch, welcher sich unter den 50 besten Chefs behaupten konnte.

Die Reaktion folgte prompt

Auf das Echo musste die Rolling Pin nicht lange warten. Die Stimmen, allen voran Hendrick Haase, welcher neben der Kritik ebenso mit Lösungsvorschlägen aufwartete, überschlugen sich kurzzeitig. Das Forum auf der Fanpage von Rolling Pin lief heiß und die Redaktion nahm sich laut eigener Aussage heraus, die Beiträge als auch Proteste, welche sich nicht konstruktiv zu dem Thema äußerten, zu löschen und deren Verfasser für die Seite zu blockieren. Darunter gab es viele einflussreiche Foodblogger, welche sich absolut falsch behandelt fühlten und deren Widerspruch auf diese meiner Meinung nach höchst „unglücklich“ geführte Pressearbeit dafür sorgte, dass die Lage nur noch mehr eskalierte.

Frauenpower

Das Ergebnis waren unzählig blockierte Nutzer, welche teilweise angaben, recht harmlos argumentiert und schon gar nicht beleidigend agiert zu haben. Doch das nutzte nichts. Hinterher wurde bekannt, dass die betroffenen Nutzer persönlich vom Chefredakteur angerufen wurden. Bei dem Gespräch soll er sich wohl entschuldigt haben. Es sei alles nur ein Missverständnis und man suche bei der Redaktion irrtümlich vergebens nach dem Schuldigen. Sie seien ja lediglich die Überbringer der Botschaft. Die Gastronomen selbst haben mit ihren vielen Stimmen so wenige Frauen in die Top 50 gewählt. Insofern sehe man da keine Schuld.

Frauenpower
Screenshot der Fanpage vom Rolling Pin vom 21. August 2017

Doch hier verkennt er für meine Begriffe die Möglichkeiten, welche sich mit dem Bekanntheitsgrad seines Heftes bieten. Er hat die Chance mit Hilfe dieses Magazins, das altmodische und längst nicht mehr zeitgemäße Bild dieser nun kritisierten Männerwelt neu anzugehen.

Sexistische Werbung

Doch das männerdominierende Klischee wird weiterhin von der Rolling Pin bedient. Auf den sogenannten Chefdays, ein Symposium welches das Magazin in der Nähe von Berlin demnächst veranstaltet, sind verschiedenste hochrangige Köche als Redner geplant. Es spielt dort keine einzige Frau eine Rolle. Sicherlich entspannen die frauenfeindlichen Werbeanzeigen der Rolling Pin die Lage ebenso wenig wie die Stellungnahme in Videoform vom Chefredakteur wenige Tage später.

Frauenpower
Screenshot der Fanpage von Hendrik Haase vom 21. August 2017

In einem Artikel von Sophia und Maria Giesecke auf Refinery29 wurde neben einigen anderen Punkten folgende Frage aufgeworfen:

Warum hinterfragen wir nicht, warum es immer noch so wenige Frauen bis ganz nach oben schaffen?

Ironischerweise gab es zu diesem Thema einen Artikel in einer Sonderausgabe der Rolling Pin. Bereits auf dem Titelbild erkannte man bereits, dass es sich hier um eine Ausgabe mit nur weiblichen Protagonisten drehen würde allen voran Tanja Grandits. Des Weiteren findest Du hier den Inhalt über die weiteren recht femininen Inhalte dieser Ausgabe.

Man erkennt, dass Rolling Pin durchaus anders kann, wenn Frauen als wichtiges oder verwertbares Thema begriffen werden. Auch finden sich ganz sicherlich viele Damen, welche genug spannende Stories erzählen können und dabei nicht weniger erfolgreich als Männer sind. Die Berichte über deren Erfolge können mitunter auch eine Motiviationsquelle für den Nachwuchs sein, sich derer anzuschließen um gleichfalls in der Gastronomie durchzustarten.

Frauenpower

 

# Frauenpower

Es fragt sich nur, inwiefern der Rolling Pin aufgrund des Gesprächsangebots an Hendrick Haase, der ideale Ort dafür ist, einen Diskurs darüber zu führen, was nun konkret in der deutschen Gastronomie falsch läuft und Grund dafür ist, dass es so wenige Frauen in den vordersten Reihen gibt.

Frauenpower
Hendrik mit seiner ausführlichen Auseinandersetzung nach der Stellungnahme von J. Pichler

Ganz sicher ist es so oder so dafür ratsam, sich mit einigem zeitlichen Abstand zu begegnen, da ich meine, derzeit die Stimmung derart überhitzt ist, dass ein sachlicher Dialog kaum möglich ist. Auch sind die Fragen, welche zum Beispiel im oben erwähnten Artikel im Online-Portal Refinery29 aufgeführt sind, recht scharf formuliert:

Warum hinterfragen wir nicht, warum es immer noch so wenige Frauen bis ganz nach oben schaffen?
Warum nehmen wir Männer es stattdessen hin, dass die sexuelle Belästigung von Frauen in der (Profi-)Küche immer noch als „eigentlich normal“ angesehen wird?
Warum stellen wir Männer uns nicht hinter diese Frauen und feiern sie für das was sie in den letzten Jahren für die kulinarische Weiterentwicklung dieses Landes getan haben?_” (Quelle: Facebook)

 

Mir erschließt sich auch ein anderes Bild in der Gastronomie

Ich selbst habe in der jetzigen Diskussion kaum Stimmen von Menschen, welche selbst in der Gastronomie aktiv arbeiten, zu Gehör bekommen. Ich lese stets von Menschen außerhalb, welche mit diesem Blick den Status quo bewerten. Dort ist von sexueller Belästigung die Rede und der „offensichtlichen“ Tatsache, dass diese als eigentlich normal angesehen wird.

Mir ist nach nun mehr als 20 Jahren durchgehend aktiver Laufbahn als Koch nichts derartiges untergekommen. In dieser Zeit bin ich sämtliche Positionen angefangen vom Azubi, Jungkoch, Demichef, Chef de Partie, Sous Chef und schließlich Küchenchef durchgegangen. Es soll natürlich nun nicht heißen, dass es solches Fehlverhalten nicht gibt. Ganz sicher ist die Gastronomie nicht frei davon. Es als den wie oben beschriebene „Normalzustand“ zu bezeichnen, halte ich für maßlos übertrieben.

Um außerdem noch einige Zahlen zu meinem derzeitigen Betrieb zu nennen, die wiederum recht gut darstellen, dass es eigentlich auch geht, folgen hier ein paar Fakten.

Frauenpower
Eine sehr bekannte und erfolgreiche Köchin: Sarah Henke

Bei uns arbeiten insgesamt 20 Mitarbeiter in der Küche. Davon sind 10 Frauen. Von diesen 10 Frauen ist eine Sous Chef (stellv. Chefköchin), eine Junior Sous Chef, 4 Chef de Parties (Postenchefin) und 2 Demichef de Parties (stellv. Postenchefin). Sicherlich gibt es nicht überall solch ein ausgewogenes Verhältnis jedoch sehe ich mich aufgrund der aufgeführten Negativbeispiele gezwungen, auch mal ein Positives abzubilden.

Abgesehen davon halte ich es für grob fahrlässig, sämtlichen Gastronomen zu unterstellen, dass sexuelle Übergriffe von denen als „normal“ angesehen werden. Sicherlich wurde der Beitrag meines Erachtens mit „glühender Feder“ geschrieben, was ihn für mich aber nun erst recht nicht realer im Inhalt wirken lässt. Eine sachliche und konstruktive Diskussion lässt sich so nicht führen.

Gegenteiliges ist hier und dort der Fall

Mit Blick auf den hiesigen Arbeitsmarkt muss ich sogar feststellen, dass wir heute überhaupt nicht mehr in der Lage sind, Frauen als potentielle Arbeitskräfte radikal zu benachteiligen, da wir einen absoluten Fachkräftemangel haben. In Großstädten wie Berlin, wo wir pro Jahr tausende neue Hotelzimmer hingestellt bekommen und fast schon täglich zig neue Foodkonzepte eröffnen, sollten wir doch überhaupt nicht den Luxus haben, uns derart frauenfeindlich aufzustellen. Wenn wir hier Bewerbungen von Frauen bekommen, werden auch die bei geeigneter Qualifikation ausnahmslos geladen und bei einem „Treffer“ eingestellt, spätere Förderungen zwecks Mitarbeiterbindung eingeschlossen.

Was nicht heißt, dass das Berliner Bild mit Restaurants mit dem auf dem Lande zu vergleichen ist, wo ich viel eher die Problematik sehe. Doch das kann man wiederum auch nicht pauschalisieren.

Das öffentliche Bild muss sich dennoch ändern

Ganz sicher ist, dass die Frauen sich heute gerne mehr zeigen dürfen und auch gefälligst mehr Frauen gezeigt werden sollen. Ich selbst werde nun sogar meine Rolle hier überdenken und ebenfalls nun gezielt nach mehr Frauenpower in den Reihen der Herdkünstlerinnen suchen.

Rolling Pin spielt hier jedoch eine erhebliche Rolle und sollte sich der meiner Meinung auch zwingend annehmen. Bei dem jüngst veröffentlichten Cover habe ich aber da so meine Zweifel, dass damit bald zu rechnen ist. Jedoch haben sie sich eine große Bürde auferlegt und mit dem Versprechen gegenüber Hendrick Haase dafür gesorgt, dass nun ganz viele Augen darauf schauen werden, was daraus nun wird.

Steffen Sinzinger

Steffen Sinzinger, Jahrgang 1980, ist ein in Berlin lebender Küchenchef und seit nun mehr als 14 Jahren ein passionierter Foodblogger. In der deutschsprachigen Bloggerszene ist er ein fester Bestandteil und spricht mit seinen breitgefächerten Themen sowohl die professionellen Köche als auch die am heimischen Herd kochende Fraktion an.

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