Was wurde dieses Buch doch von allen herbeigesehnt. „Desire“ von Sergio Herman ist erschienen. Wie bereits der Vorgänger wurde dieses Buch auf wenige Exemplare limitiert. Man musste es vorbestellen und eine einmalige Nummer wurde in diesen Band gedruckt. Das kannte man alles noch allzu gut vom Vorgänger. Auch am Preis hat sich nicht viel getan. Ist es doch mit knapp 150 € exkl. Versand hier wieder sehr hochpreisig angeboten. Die Erwartungshaltung nach dem Erstlingswerk und bei diesen Anschaffungskosten ist natürlich ungemein hoch und diese gilt es nun zu erfüllen.
“Desire”
Sergio Herman
Fotografie: Tony Le Duc
Minestrone Cookbooks
Antwerpen, 2014
2 Bände im Leinenschuber
„Recipes“ m. 216 Seiten, gebunden
„Stories“ m. 144 Seiten, gebunden
149,50 €
ISBN (englisch): 978-949002-861-9
ISBN (niederländisch): 978-9490028-60-2
Ich schreibe ganz bewusst meine Eindrücke beim ersten Auspacken nieder, da sich diese beim mehrmaligen Wiederaufnehmen dieses Buchs nicht signifikant geändert haben.
Desire fügt sich bei der Präsentation bereits dem ersten aktuellen Trend. Es beinhaltet zwei Bände, welche wiederum in einem gut verarbeiteten Buchschuber mit Leineneinschlag geliefert werden. Der größere Band mit dem Aufdruck „Rezepte“ inkludiert allem Anschein nach die optische als auch mit Zubereitungsanleitungen begleitete Aufbereitung der einzelnen Gänge. Der simulierte Stempeldruck und der Stoffeinband suggerieren eine gewisse Bodenständigkeit, ganz im Gegenteil zu „Sergiology“ mit Goldprägung und gestanzter Plakette für die ersten 400 Ausgaben. Das Papier ist cremefarben und durch den Fasereinschluss eher griffiger Natur. Man nutzt hier keinen Hochglanzeffekt und gibt sich unprätentiös und schlicht.
Bei dem kleineren Buch im flexiblen Einband mit dem Hinweis „Stories“, handelt es sich um eine Art Aufarbeitung verschiedenster Themen, welche in Form eines Tagebuch dargestellt werden. Dieses Konzept ähnelt dem von René Redzepis „A Work in Progress“. Dort wurde sogar mit einem dritten Buch mit „Snapshots“ aufgewartet.
Ich habe immer die Angewohnheit einmal quer über das Buch zu fliegen, indem ich die Seiten wie bei einem Daumenkino schnell herunter blättere. Ich entdeckte bei diesem Vorgang wider Erwarten kein einziges Bild. Ich wiederholte diesen Vorgang und war erst einmal entsetzt. Sollte es doch wirklich keine Bilder geben?
Das Vorwort zog mir direkt den nächsten Zahn.
Es erklärt dem Leser, dass man einen Picasso nicht verstehen muss, um ihn zu mögen. Man könne zudem Songs von „U2“ begeistert wieder und wieder hören, ohne überhaupt zu verstehen, worüber die Liedzeilen eigentlich handeln. Man muss auch Sergio Hermans Teller nicht verstehen, um von ihnen begeistert zu sein, heißt es dort.
Doch könne mit diesem Verständnis der Wert der Erfahrung deutlich gesteigert werden, würde man seine Arbeit in ihrem Ursprung vermittelt bekommen und dadurch vollständig nachvollziehen können. Dies war im Hintergrund die Motivation, die Ideen hinter den finalen 25 Gängen des „Oud Sluis“ zu dokumentieren.
Dieses Buch hat einzig und allein diese Aufgabe. Eine weitere Zeile in diesem Text trifft mich ebenfalls hart:
„It means that the book doesn`t contain classic recipes“.
Ich schlage noch einmal zufallsweise im Buch nach und finde tatsächlich kein einziges Rezept oder einen Text, welcher nur im Ansatz solches darstellt. Ein weiterer Blick auf das Buchcovert: „Desire – Recipes“. Ich bin ratlos.
So fange ich an, das erste Gericht zu studieren. Es geht hier um „Oyster,Potato and Meadowsweet“. Sergio Herman erzählt von seinem Faible für die Auster und der jährlichen Saison, welcher er wohl immer mit Schmetterlingen im Bauch begegnet. Er setzt deswegen immer ein Austerngericht auf die Karte, in diesem Buch befinden sich allein drei an der Zahl.
In dieser Komposition kommt Mädesüß zum Einsatz, eine Blüte, die der des Holunders gleicht und bei Überdosierung sehr schnell das Gericht versauen kann.
„If you use a little too much of it you can fuck up the whole dish“
Direkt nach dieser Erklärung offenbart sich mir auch das bisher verborgene Konzept. Visuell werden sämtliche Gerichte nun doch als Bilder auf ausklappbaren Seiten gezeigt. So verdoppelt sich die Breite und man sieht die verschiedenen Komponenten dieses Gerichts neben dem komplett angerichteten Teller. Hinter dieser optischen Darstellung geht er nochmals speziell auf vier zubereitete Einzelteile ein. Es geht dabei nicht um die Zubereitung oder Garmethoden, lediglich die verschiedenen Texturen werden bestenfalls in ihrer Beschaffenheit angerissen. Von einem Wissenszuwachs mit horizonterweiterndem Mehrwert bin ich nach diesem ersten Gericht noch weit entfernt.
Das nächste Kapitel mit dem Namen „A wink to the spring“ beschreibt sein Faible für den Frühling, der ihm mit all den neuen Babygemüsesorten in der Zeit nach dem dunklen Winter neue Hoffnung gibt, da er merkt, dass solche Gewächse die kreativen Mechanismen wieder ankurbeln und glücklicher machen. Zu sehen ist dann ein Arrangement von unterschiedlichen Gemüsesorten, Joghurtschaum, Tomatenpuder, schwarze Oliven, Basilikumvinaigrette und Weidenkätzchen.
„I thought of this dish as soon as I knew that Oud Sluis would be closing a year later; not a easy period“
Hier legt er offen, wie man dieses Mahl zu verzehren hat. Zweifelsohne ist es hier aufgrund der besonderen Anrichteweise sehr interessant, wie das optimale Vorgehen ist, durchlebt man doch hier verschiedene geschmackliche Eindrücke, die vom Winter bis hin zum Frühling reichen, gesammelt auf einem Teller. Mit ein paar wenigen Worten, zur pflanzenbedingten Rotation erklärt er mit der Anmerkung, dass es eine Kunst sei, dieses Gemüse zu einem biodynamischen Ganzen werden zu lassen. Würde man nur eine grüne Bohne wegnehmen, verliert es sämtliche Balance, gibt Sergio Herman zu verstehen.
Er leitet zu einem seiner weiteren „besten Kreationen“ über, bei dem ich zum ersten Mal bemerke, wie mich dieses Aufklappkonzept der Bilder doch anstrengt. Bei jedem dieser Impressionen muss man sehr vorsichtig die Seiten wieder einklappen, damit diese keine Falten oder Einrisse bekommen. Auch hier wird das Buch nach einigem Durchsehen und dem daraus resultierenden Zustand eine ganz eigene Geschichte erzählen. Die Seiten bekommt man nämlich kaum wieder so zusammen, so dass sie sich immer etwas herausschieben.
Im weiteren Verlauf werden so die oben beschriebenen Gänge erklärt und Anekdoten offeriert.
Bleibt noch das zweite kleinere Buch im flexiblen Cover. Mit dem Aufdruck „Stories“ sammelt es die Einträge von Mara Grimm, einer Food- Kolumnistin, die Sergio Herman über einem Zeitraum von mehr als einem Jahr regelmäßig gesprochen hat. Aus den gewonnenen Erfahrungen stellte sie ein Tagebuch aus der Perspektive von S. Herman zusammen. Stets gespickt mit dem Zeitpunkt der jeweiligen Anekdote oder Erzählung suggeriert sie so eine unmittelbare ungeschönte Nähe zum Protagonisten. In diesen Texten ist von verschiedenen Ereignissen die Rede. So kommt sein Standpunkt zu wichtigen und einschneidenden Lebensabschnitten, die im Zusammenhang mit der Schließung des „Oud Sluis“ stehen, zum Tragen. Oder auch seine Einstellung zu referenzierenden Organisationen wie dem Guide Michelin oder dem alljährlichen Hype um die Benennung der „50 Best Restaurants“ finden hier Platz.
„… At a certain point things are fine the way they are. I`ve never been a strategist either, I`m not into that. If you want to be in the top 10 of the 50 Best you have to go travelling around the world. But I`m really not going to go on a promo tour an attend conferences, I have no time for that. There`s only way I`m promoting my kitchen – that`s by being in it every day. …“
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Mit Aussagen wie diesen wird der Inhalt des zweiten Bands geprägt. Der Leser bekommt somit auf den 142 Seiten einen Blick hinter die Kulissen. Designtechnisch wird der Text im Blocksatz dargestellt und das leider viel zu eng an der Bindung, so dass der Text zur Mitte hin verschwindet, zieht man das Buch nicht stetig auseinander. Das ermüdet, der Leser leidet teilweise mit. Ob das so gewollt ist?
Bleibt abschließend abzuwägen, inwiefern das Buch einzuordnen ist. Ich für meine Begriffe muss eingestehen, dass mich der Inhalt und das Konzept nie so richtig eingefangen haben. So mächtig war doch das erste Buch. Sind die Erzählungen in dem flexiblen Band „Stories“ sehr spannend, überwiegt die Enttäuschung beim großen Band „Recipes“ doch um so einiges. Das Ausbleiben von Rezepturen mag sicherlich den Hintergrund gehabt haben, nicht alle Geheimnisse preisgeben zu wollen. 150 Euro sind auf der andere Seite aber auch irgendwo erst mal zu rechtfertigen. Die geringe Auflage mag dafür natürlich maßgeblich verantwortlich sein. Der einzelne Leser muss aber schon ein großes Maß an Überzeugung mitbringen, um dieses Buch in seiner Beschaffenheit und vom Inhalt als preiswert einzustufen. Ich bin davon nicht überzeugt.