Ich muss offensichtlich meine Gastro-Kenntnisse der Hauptstadt hinterfragen. Erst kürzlich habe ich im Wedding das UUU-Chinese Dining für mich entdeckt. Nun ist es die peruanisch-italienische Küche, die auf meinem Gastro-Radar auftauchte. Neben all den benachbarten Fine-Dining Adressen in der Nachbarschaft mit Nähe zur Oranienburger Straße ist das 136 Restaurant noch immer kein allzu bekannter Culinary Hotspot. Dabei muss ich nach meinem Dinner der Crossover-Küche von Matias Diaz Silva anmerken, dass es wie kaum ein zweites Konzept in Berlin unterbewertet ist. Daher halte ich es für überfällig, euch heute meine Impressionen zu diesem unscheinbaren Gourmettempel zu teilen.
Crossover Küche um jeden Willen
Kurz nach der Jahrtausendwende war die damals noch so beliebte Crossover Küche das heiße Ding der Hauptstadt. Zum ersten Mal hatten sich die Köche hierzulande von der recht frankophilen Küche gelöst und fast schon entfesselt aufgekocht. „Alles kann, nichts muss“ war damals die Devise. Dass dieser Zeitgeist auch teilweise übertrieben wurde, hatte sich recht schnell herauskristallisiert. Einige wollten zu schnell zu viel. Heiß wurde mit kalt, süß mit salzig, süß mit scharf und natürlich europäische Kochkultur mit der asiatischen Küche vermengt. Teilweise ergab es Sinn – teilweise eben nicht.
Das 136 Restaurant – eine italienisch-peruanische Fusion
Gott sei Dank sind diese Zeiten nun vorbei. Nachdem die Crossover Konzepte sich nach und nach größtenteils zurückgezogen haben, sind sie seit einigen Jahren wieder zurückgekehrt. Nun ist eher von Fusion-Cuisine und eklektischen Konzepten die Rede. „Eklektisch“ ist ein Begriff aus der Kunst, bei der man sich aus verschiedensten Stilen die besten Elemente zieht und etwas Neues daraus schafft.
Das 136 Restaurant ist solch eine eklektische Küche. Hier verbindet Matias Diaz Silva (32), welcher gebürtig aus Lima stammt, die peruanische mit der italienischen Küche. Vor dem 136 Restaurant legte er eine rasante Laufbahn hin. Seine Ausbildung zum Koch startete er im The Mandala Hotel. Seine nächste Station war für zwei Jahre die eines Chef de Parties im „HUGOS“ des Hotel Intercontinental Berlin.
Bereits nach nur vier Jahren übernahm er 2019 die kulinarische Verantwortung im 136 Restaurant. Aus der einst rein italienischen Küche flossen mit der Zeit immer mehr peruanische Elemente mit ein, so dass die italienisch-peruanische Fusionküche daraus entstanden ist.
Und diese ist gespickt mit vielen Überraschungen.
Das Konzept des 136
Wenn du im 136 Restaurant einkehrst, wird dir ganz sicher der stark mit Rottönen akzentuierte Gastraum auffallen. Er erinnert vom Interior nicht an ein Fine Dining Lokal, doch genau das ist hier Programm. Die Crew um den Küchenchef serviert ein gesetztes Menü in 7 Gängen. Eingeleitet wird es von vier Aperos. Als da wären ein mit Sepia gefüllter Arancino, eine Tarte mit Brandadenfüllung, ein Rote Bete Baiser mit Büffelmozzarellafüllung und einem Rindertatar im Cornetto. Das Quartet ist wunderbar inszeniert und sehr ausbalanciert im Geschmack. Ein schöner Einstieg.
Ein zweiter Gruß aus der Küche wurde in einer Kaviardose präsentiert. Das Ragout von Oca, einer Kartoffel aus Peru, wurde mit der Sauce einer Yucatan-Pflanze, Kamillengelee und Parmesan angerichtet. So langsam bekommen wir ein Gefühl davon, wie komplex diese Küche doch ist.
INVOLTINI-ADLERFISCH • Rocoto / Süßkartoffel / Koriander / Amalfizitrone
Der erste deutliche Mix aus der italienischen und peruanischen Küche ist der Adlerfisch-Involtini. Dieser roh marinierte Fisch, welche klassisch eine Ceviche ist, trägt in sich die Aromen der Amalfiezitrone Italiens. Zusammen mit Sticks von Süßkartoffel, Rocoto und Koriander zeigt dieser Gang sehr deutlich und unmissverständlich, wie diese Fusion-Küche gemeint ist – uns gefällt es sehr.
LANGOSTINO • Fenchel/Moscardini/Cochayuyo
Sehr klassisch wirkt der folgende Gang. Der spanische Kaisergranat von gutter Qualität wird mit Fenchel und Moscardini, einer Moschuskrake und Seetang zu einem vollmundigen Geschmacksspektakel verbunden. Der abgeflämmte Langoustinoschwanz bringt rauchige Aromen mit sich. Wir sind weiterhin angetan.
TOMATE „CUORE DI BUE “ • Basilikum / Kiwiche / Aji Amarillo
Und wieder folgt ein sehr komplexer Beleg für die verspielte und gelungene Mixtur aus europäischer und südamerikanischer Küche. Eine in lila Maisessig eingelegte Scheibe der Ochsenherzomate wird zusammen mit unterschiedlichen Zubereitungsarten der Tomate zu einem süß-säuerlichen Potpourri vereint. Zudem spielen leichte Rauchnoten mit ein, wenn die vielfach deklinierte Tomate mit Amaranth und Aji Amarillo mit einer angenehm scharfen Chilicreme den Gaumen verzückt.
ITALIENISCHE STÖR • Sellerie/ Royal Kaviar/Buttermilch
Bei allen Gerichten fällt die komplexe Anrichteweise auf. Das ist einem so gut besuchten Restaurant umzusetzen, würde bei einem reinen à la Carte Betrieb schwer möglich sein. Da das Team vom Prinzip her sich auf das Menü fokussieren, und es recht kompakt die Gänge an alle mehr oder minder gleichzeitig anrichten kann, ist es möglich, derart viele Handgriffe in jedem einzelnen Teller unterzubringen.
So wie bei diesem pochierten Stör, der auf einem Salat von Sellerie thront. Der Stör kommt zudem in Geleeform mit auf den Teller. Der Kreis schließt sich mit der großzügigen Nocke Royal Kaviar. Aufgelockert wird das Zwischengericht mit einem luftigen Buttermilchschaum und gepufftem Reis, der im originalen aus Lima stammt.
HIRSCH • Brombeere/ Birne / Zucchini /Pilz
Der Hauptgang mutet recht klassisch an. Ein Stück Hirschkalbsrücken mit aus Italien stammender gelber und grüner Zucchini wird belgeitet von einem Brombeergelee, Enokipilzen und ebenfalls in Essig eingelegtem Lauch, der kurz vorm Anrichten noch flambiert wird. Die Jus schafft die Brücke zwischen all den Beilagen, die sich zu einem harmonischen Wildhauptgang zusammenfügen.
Lucuma, Himbeere, Mandel und Rhabarber
Das als Vordessert angekündigte erste süße Intermezzo ist ein Lucuma-Mousse mit Tonkabohnensorbet, Mandelhippe und eingelegter Rhabarber. Hier zeigt sich, dass es sehr intelligent ist, wenn man im Frühling schon eine grobe Ahnung davon hat, was man im Winter für eingelegte Früchte braucht. Denn ohne diese Eingebung hätte es niemals diesen fruchtigen süß-sauren Rhabarber inmitten des kalten Herbstes gegeben.
RICOTTA • Chuncho „Cuzco“/Aprikose / Pistazien /Quinoa
0Auch beim Dessert zeigt sich, dass die Küche um Matias Diaz Silva viel Aufwand beim Anrichten betreibt. In diesem süßen Abschluss stecken wieder viele Handgriffe. Das Ricottamousse wird begleitet von einem Cuzco Sorbet (Schokolade stammt aus Cuzco in Peru), Schokoladen- & Pistaziensponge und einer säuerlichen Aprikosensauce.
Fazit über das 136 Restaurant
Das Konzept des 136 Restaurant wird auf der Homepage als „Raffiniert – Außergewöhnlich – Überraschend“ umschrieben. Dem kann ich nur zustimmen. Was hier abgeliefert wird ist ganz großes Kino. Mich wundert zum einen, warum in Berlin dieses Restaurant noch immer eher als Geheimtipp gehandelt wird, müsste es doch nach all der Zeit längst zu einer festen, kulinarischen Instanz herangewachsen sein. Wer weiß, vielleicht steht dem 136 Restaurant noch eine ganz große Zukunft bevor. Wünschen würde ich es dem Team, denn für mich funktioniert der Ansatz der peruanisch-italienischen Fusion-Küche wunderbar.
136 Restaurant
Matias Diaz versucht, peruanische und italienische Produkte in seinem eigenen Stil zuverarbeiten. Er kreiert eine Art Küche mit Aromen, die ihm seit Kindesbeinen an vertraut sind Meine Küche ist basiert auf Kindheitserinnerungen, die ausschließlich in Peru gelebt wird. Um jedem Produkt seinen eigenen Stil zu verleihen, lässt er noch eigene Ideen und
Rezepturen einfließen. Jeder, der zum 136 kommt, soll sich wie zu Hause fühlen.