Mit dem Kochbuch Cook the Mountain hat Norbert Niederkofler eine Momentaufnahme geschaffen, die auf der einen Seite seine der Natur unterworfenen Küche und andererseits eine gänzlich neue Art von Kochbuch zeigt. Beides ist mutig und wird schlussendlich mit einem großartigen Gesamterlebnis belohnt. Wer gedacht hat, der deutschen Verlagslandschaft seien im Bereich der gehobenen Kochbücher die Ideen ausgegangen, der wird mit diesem opulentem Meisterwerk der traditionellen Art eines Besseren belehrt.
Cook the Mountain
Über das Kochen in den Bergen gibt es viele Berichte im Internet zu lesen. Da wird zum Beispiel die Frage gestellt, warum Bergsteiger sich keine Spaghetti in dem Bergwipfeln zubereiten können. Denn in einer Höhe von 8.000 Metern würde das aufgrund des Luftdrucks, welcher dort herrscht, nicht möglich sein.
Das Wasser würde bereits bei 70°C beginnen zu kochen und da die Pasta wenigstens 100°C benötigt, um gar zu werden, würde das keinen Sinn ergeben. Auch der süße und salzige Geschmackssinn wird in starken Höhen enorm beeinflußt.
Wie sich das Kochen in den Bergen aber auch auf höchstem Niveau gestalten lässt, zeigt das neue Kochbuch von Norbert Niederkofler. Doch geht es bei ihm nicht in die extremen Höhen sondern viel mehr in die Berge von Südtirol. Der Inhalt dieses Buches richtet sich an die Vielfältigkeit, die Südtirol zu bieten hat. Die Produkte, welche hier verwendet werden, kommen ausschließlich aus dieser Region und werden in diesem sehr einzigartigen Karton (der mit Faltanleitung zu einem Buchständer umfunktioniert werden kann), der ganze zwei Bände beinhaltet, geliefert.
The nature around you
Mein erstes Kochbuch, welches ich von Norbert Niederkofler in den Händen hielt, ist bereits ein paar Jahre alt. „Mein Südtirol“ war vor acht Jahren erschienen und schon damals war das Kernthema die Region, in der er lebt. Diese damalige Momentaufnahme erhielt eine schon damals recht hohe Bewertung, da mir besonders sein Einfallsreichtum im Umgang mit den ihm verfügbaren Lebensmitteln gefiel.
Doch das soll nicht heißen, dass er stets und ständig am Improvisieren ist. Er kann auf Rohstoffe aus seiner Region zurückgreifen, da würde sich so manch anderer Koch die Finger danach lecken.
Schon damals hatte er mit einem gewissen Weitblick und der späteren Zuhilfenahme seines Souchefs Michele Lazzarini ein Konzept kreiert, welches Cook the Mountain hieß. Der Fokus bei diesem Unternehmen ist auf den Respekt vor der Natur und der Erhaltung der Kultur und Tradition gerichtet. Das geschieht in enger Zusammenarbeit mit den Bauern aus der Umgebung und schlussendlich einem hohen Maß an umgesetzter Nachhaltigkeit.
Diese zentrale Aufgabe machte sich N. Niederkofler zu eigen. Zu Beginn gab es erwartungsgemäß Gegenwind – zum Beispiel von Bauern, die bei der Nachfrage nach Kartoffeln, Kohlrabi, Karotten und Kohl, meinten „Ja, aber…“ oder „Ja, vielleicht schon, aber eigentlich nicht“. So brachte er die Bauern an einen Tisch, um sich mit ihnen auf Augenhöhe zu treffen.
Mit der Natur zu leben
In dieser Runde begriff er, was Bauern längst wussten: mit der Natur zu leben. Derer Spielregeln galt es zu verstehen und zu verinnerlichen. Da helfen große Wünsche, welche nichts mit den Realitäten zu tun haben, nichts. In diesem Moment halfen ihm die Kindheitserinnerungen weiter. Denn seine Kindheit fand nicht in der Nähe eine prall gefüllten Supermarktes statt. Was über den kalten Winter half, war eine reichlich gefüllte Speisekammer, die mit den Erträgen aus dem Sommer bestückt war.
Fermentieren, Pulverisieren, Einlegen. Das war der tonangebende, kulinarische Dreiklang und Haltbarmachen das magische Wort unter dem alles unterordnete wurde. Spätestens mit dem bereits oben erwähnten Michele konnte das bisher theoretisch entworfene Projekt richtig in die Tat umgesetzt werden.
In dem Kochbuch wird er als drahtiger, junger Koch aus dem Bergdorf beschrieben, der Wiesen und Wälder als Spielplatz sein eigen nannte und eine Expertise in Pilze und Kräuter vorweisen konnte. Mit diesem Koch nahm das Projekt Form an und konnte konkret umgesetzt werden.
Cook the Mountain nimmt Form an
Weniger später gab es 2014 die erste offielle Veranstaltung in St. Kassian. Dort konnte mit weiteren Köchen, die ähnlich dachten, Kontakt aufgenommen werden. Dieser Austausch brachte unter anderem hervor, dass Niederkofler mit seinem Team im Vergleich zu den anderen einen weiten Vorsprung genoss, wohingegen seine Kollegen noch ganz am Anfang standen. Das gab ihm Mut, sich weiterhin mit der Umsetzung zu befassen.
Zu diesem Zeitpunkt gab es gerade von Restaurantkritikern Gegenwind, mit dem er zusammen mit seinem Team lernen musste, umzugehen. Doch waren sie sich sicher, Cook the Mountain ist der Weg. Und das sollte sich auszahlen.
2017 folgte der dritte Stern im Guide Michelin, was wie ein Ritterschlag anmuten musste. Denn das war sein großes Ziel, wie bei so vielen seiner Kollegen. Später merkte er in dem Buch an:
Gemüse reift nicht im „Kilotakt“
Die Herangehensweise, wie dem Leser erklärt wird, wie eben die Natur und deren Erträge zu einer gesunden, unverfälschten und authentischen Küche zusammengeführt werden können, werden sehr ausführlich und aufschlussreich wiedergegeben. Verschiedene saisonale Gegebenheiten und die daraus resultierenden Aktionen sind offen dargelegt.
Beispielsweise kann der Leser erfahren, dass Anfang Februar die Planung ansteht. Wer baut was an? Was wird gebraucht? Jedes Jahr stehen sie vor der Herausforderung, das zur Verfügung stehende Land in der Planungsphase zu berücksichtigen. So umschreibt er, dass Gemüse nicht die Angewohnheit hat, im „Kilotakt“ zu reifen.
Sollten also 300 kg Tomaten verarbeitet werden müssen, dann wird es gerne mal etwas brenzlig. Eine kluge Preisregulierung ist notwendig. Das letzte Wort hat stets die Natur.
Mit praktischen Tipps für jede Saison
Übersichtliche To Do Listen für die Kräuter des Frühlings, die Früchte der Bäume oder Frühlingsblüten, welche zu Honig verarbeitet werden können veranschaulichen den jährlichen Neubeginn. Speisen wie „Orzotto und Kräuter“ oder das „Sauerampfer- Fichten- Granita“ verdeutlichen die Möglichkeiten, welche mit der eingeholten Ernte zubereitet werden.
Im Sommer sind es Speisen wie der „Lauch und Buttermilch“ oder die „Gebrannten Erbsen“. Getreu dem Motto, Food Waste zu bekämpfen, wird jedes Teil des Tieres zum Einsatz gebracht, doch bei einigen speziellen Cuts empfiehlt er eine vorsichtige Kommunikation am Gast. Das „Zwerchfell“ ist solch ein Rezept, bei dem er ganz offen preisgibt: „Unter uns gesagt! Man tut gut daran, wenn man das „heikle“ Gericht erst nach dem Essen erklärt. Rinderzwerchfell ist nicht jedermanns Sache.“
Ohne Zweifel ein unbeschreibliches Buch mit vielen Facetten
Ohne Frage ist dieses Buch ein Unikum. Wenn man in der Lage ist, im Jahr 2020 solch ein Werk hinzulegen, dann bohrt man für meine Begriffe ganz dicke Bretter. Denn mit dem großen Band ist man noch lange nicht am Ende. Wer gut mitgelesen hat, wird merken, dass ich bisher noch kein Wort über den Rezeptaufbau verloren habe. Das hat einen guten Grund.
Sämtliche Rezepte wurden dem großen Band vorenthalten und finden in einem zweiten Buch mittlerer Größe Platz. Dort sind die Zubereitungen der Speisen, welche mit Querverweisen im jeweiligen Buch wiedergefunden werden können, hinterlegt. Sicherlich ist es hin und wieder mit dem Auf- und Zuschlagen des Buchs verbunden. Dennoch empfinde ich es als sinnvoll, wenn man durch den großen Band hindurch gehen,
und die entsprechende Philosophie ergründen kann, ohne durch die dazwischen liegenden Rezepte aus dem Konzept gebracht zu werden. Ebenfalls überzeugt ein durchgehendes Rezeptbuch im handlichen Format, welches neben den sehr übersichtlich gestalteten Rezepten, einen weiteren großen Pluspunkt für sich verbuchen kann. Jedem Rezept wurde eine Seite für eigene Notizen freigehalten, so dass man das eigene Nachkochen mit passenden Anmerkungen hinterlegen kann. Das ist großartig.
Auch für den Hobbykoch zuhause geeignet
Etwas schade finde ich den Umstand, dass das Rezeptbuch komplett in schwarz – weiß gehalten ist. Somit hat man hier und da Schwierigkeiten, die Gerichte optisch wieder zuerkennen. Aber das ist nur eine kleine Randnotiz verglichen mit dem sehr konsistenten Design, welches dem Leser in beiden Büchern begegnet.
Die Texte sind sehr klar und gut strukturiert gesetzt. Die Zubereitungen gut lesbar aufbereitet. Man legt hier im Vorwort besonderen Wert darauf, anzumerken, dass sämtliche Speisen gerade auch für den ambitionierten Hobbykoch zuhause zuzubereiten sind. Das finde ich sehr löblich, dass man sich als 3- Sternekoch darüber Gedanken gemacht hat. Die meisten Kollegen liefern da auf diesem Niveau anders ab.
Fazit von Cook the Mountain
Was kann man zu diesem Buch eigentlich anderes sagen, als das es ein ganz besonderes Kochbuch ist. Norbert Niederkofler samt Team, Fotograf und Verlagsteam haben hier wahrlich Großes geleistet. Ein authentisches Buch über ein Thema, welches von so vielen bereits besetzt worden ist, nur längst nicht auf diesem Niveau.
Das Buch zeigt, wie umfassend dieser Ausnahmekoch bei allem, was er anpackt, das große Bild im Auge hat. Dieses Werk ist für meine Begriffe nicht nur dafür da, den Köchen und die, die es ambitioniert zuhause tun, zu zeigen, wie man in Südtirol gut mit regionalen Produkten arbeiten kann. Sondern dient es vielmehr als eine Schablone, um das Konzept für die eigene Region zu adaptieren und schließlich Norbert Niederkofler gleichzutun. Ich würde glatt behaupten, das Kochbuch gehört in jedes gut sortierte Kochbuchregal. Musst have.