Das Ikarus Team hatte es 2020 nicht leicht. Denn im Lockdown, bei dem das Reisen mehr als schwierig ist, mussten neue Ideen und Konzepte her, wenn man weiterhin an dem Grundsatz der monatlich wechselnden Gastköche festhalten wollte. Einige Spitzenköche sagten ab und andere sind ganz unverhofft in seinem Genusstempel erschienen. Martin Klein und Eckart Witzigmann ist es in diesem Jahr erstaunlich gut gelungen, sich die Tour durch den Corona- Umstand nicht vermiesen zu lassen. Durch einen besonderen Kniff haben sie anstatt der üblichen 12 Köche insgesamt 23 Spitzenköche in ihrem Restaurant Ikarus und schließlich auch in diesem Buch.
Die Weltköche zu Gast im Ikarus Band 7
Das Jahr ist für Gastronomen nicht leicht. Das muss man heute keinem mehr erklären. Dass der Lockdown gerade für Konzepte wie dem des Restaurant Ikarus Gift ist, wird schnell klar, wenn das Reisen auf einmal zum Problem wird. Denn in elf der zwölf Monate im Jahr erscheint ein Gastkoch im Ikarus, um seine Gerichte in dieser Lokalität anzubieten. Das ist freilich längst nicht mehr so selbstverständlich möglich, wie es die vergangenen Jahre der Fall war. Neue Ideen mussten also her.
Der Jahresrückblick der besonderen Art
Wie auch in allen anderen gastronomischen Einheiten, hatte das Ikarus mit dem Coronavirus und dessen Auswirkungen zu kämpfen. Was ursprünglich als monatlich wechselndes Konzept geplant war, konnte wegen des Lockdowns in der Konsequenz nicht umgesetzt werden. Man griff zu einem smarten Kniff. Es wurden die Gäste danach befragt, welche Gerichte man in der oben beschriebenen Best of Version sehen möchte.
Best of Ikarus
Man entschied sich in einem besonderen Special, die Gäste zu befragen, welche der 200 Köche, die bereits hier gekocht haben, die Favorisierten seien. Herausgekommen ist ein Best of, welches die Top 12 Hangar-7 Gastköche noch einmal hochleben lässt. Es gibt in diesem Buch eine erstaunlich hohe Anzahl an unterschiedlichen Meistern ihres Fachs zu sehen. Besonders die deutschen Fans dürfen in dieser Ausgabe voll auf ihre Kosten kommen. Denn unter den gewählten Gastköchen gab es nicht wenige deutsche Vertreter. Doch dazu später mehr.
Restaurant Ikarus im Hangar-7
Wer das Konzept nach all den Jahren noch nicht kennt, dem sei gesagt, dass das Restaurant vermutlich der beste Arbeitsplatz der Welt ist. Denn hier kann jeder Koch im Laufe jedes Jahres Einblicke in die Kochphilosophie von elf Gastköchen erhalten. Jene stellen monatlich wechselnd ihre eigene Karte vor und werden für die ersten Tage im Service extra eingeflogen.
Die Köche können genau sehen, wie die Gerichte zu zubereitet werden. Nach den Tagen der Einführung ist das erfahrene Ikarus Team um Executive Chef Martin Klein auf sich gestellt und kocht für den Rest des Monats ohne den Gastkoch weiter. In diesem Jahre war wieder eine großartige Auswahl getroffen worden.
Sicherlich gab es coronabedingt ein paar Improvisationen, doch wie ihr sehen könnt, wurde dennoch groß aufgefahren. Somit gab es 2020 folgende Köche im Restaurant Ikarus zu bestaunen:
November: Georgianna Hilidaki & Nikos Roussos, Griechenland • Funky Gourmet
Dezember: Best of Portugal, Benoît Hinton, Hans Neuner, Dieter Koschina
Januar: Chayawee Sutcharitchan, Thailand • Sra Bua by Kiin Kiin
Februar: Ciccio Sultano, Italien • Duomo
März: Ivan Ralston, Brasilien • Tuju restaurant
April: geschlossen
Mai: Team Ikarus – ‘Best of Ikarus’, Salzburg • Restaurant Ikarus
Juni: Best of Gastköche, Salzburg • Restaurant Ikarus
Juli: Marco Müller, Deutschland • Weinbar Rutz
August: Team Ikarus, Österreich • Restaurant Ikarus
September: Paul Stradner & Jean-Georges Klein, Frankreich • Villa René Lalique
Oktober: ‘Best of Österreich’, Juan Amador, Konstantin Filippou & Alain Weissgerber • Amador Restaurant, Restaurant Konstantin Filippou & Restaurant Taubenkogel
Die volle kulinarische Bandbreite
Wenn es eines im Buch “Die Weltköche zu Gast im Ikarus” in Hülle und Fülle gibt, dann ist es ausreichend Raum. Man ist nicht geizig und widmet den Protagonisten viel Platz, um sie und die mitgebrachten Speisen gut darstellen zu können.
Und von jenen hochinteressanten Köchen gibt es ja bekanntlich eine Menge. Einige waren mir bis heute noch unbekannt, was für die großartige Nase von Eckart Witzigmann und Martin Klein spricht. Denn die zwei Gastgeber zeichnen sich für die Auswahl verantwortlich. Beispielhaft dafür stehen gleich die ersten beiden Herdhelden namens Georgianna Hiliadaki & Nikos Roussos. Sie stellen ihre Gänge aus dem “Funky Gourmet” vor.
Da wäre der Seeigel “Pocket- Pasta”, der mit Trüffelcreme gefüllten Nudeltaschen, Sauerklee und Trüffelfond aufwartet. Oder die Schokoladenbombe, welche als eine Schokoladenkugel mit Füllung auf einer Kakaoerde mit Haselnussstreusel und -nougat gereicht wird. Die Schokobombe trägt eine Haselnuss- Praliné Creme in sich.
Optisch folgen die Speisen allesamt einer recht ähnlichen Stilistik. Sehr filigran dabei ist die Moinho- dos- Ilhéus- Auster mit Gänseleber, Geranium und Ananas von Hans Neuner anzusehen. Ein formschöner Ananaschip thront auf der Auster, welche mit gefrorener Gänseleber abgedeckt wurde. Ein wenig Ananasgel hier und Geraniumdropse dort runden die Vorspeise ab.
Es zeigt sich schnell, dass das Buch vermutlich eher Inspirationsgeber denn Vorlage für den Hobbykoch zu Hause zu sein scheint. Es sei denn, er ist in der Lage, mit dem notwendigen Equipment und vor allen Dingen den edlen Lebensmitteln aufzuwarten. Dennoch gibt das Buch viel her, wenn es darum geht, die professionellen Köche dieser Welt zu verstehen und kennen zu lernen.
Ausführliche Portraits vorab
Denn jeder Menüfolge gehen aufwendig recherchierte Portraits voran. Sämtliche Köche wurde dabei vom Executive Martin Klein besucht. Dabei entstanden großartige Bilder, welche der Leser bei jedem vorgestellten Konzept nicht vorenthalten bekommt.
Die authentischen Abbildungen kommen dabei wieder einmal von Helge Kirchberger, der schon seit einer gefühlten Ewigkeit für die großartige Fotografie aus dem Restaurant Ikarus steht. Jahr für Jahr rückt er die Bilder der Hauptdarsteller ins richtige Licht. In dieser Edition bestechen seine Aufnahmen durch eine elegante Schlichtheit.
Der auf ein grau reduzierte Hintergrund lenkt nicht vom Essen ab und schafft durch die monochromen Lichtverläufe noch mehr Farbkontrast auf den Tellern.
Natürlich darf Eckart Witzigmann nicht fehlen
Freilich geht es nicht ohne Eckart Witzigmann, welcher als Jahrhundertkoch und Patron des Hauses von Beginn an als einer der Best of Kandidaten gesetzt war. Sein wichtigstes Credo ist “Das Produkt ist der Star, und der größte Luxus ist es, den Produzenten persönlich zu kennen”. Sein Streben nach Perfektion und die ewige Neugier treiben ihn bis heute an. Blickt er auf seine Vergangenheit zurück, sagt er, würde er wohl wieder Koch werden.
Beef- Tatar mit Bete und Imperial Kaviar
Sein Beef-Tatar mit Bete und Imperial Kaviar steht sinnbildlich für seine Art zu kochen. Das Rindertatar wird zusammen mit einer klaren Bete Consommé der sehr komplexen Art angerichtet. Dabei wurden ganze 20 Zutaten gebraucht, um das Bete Extrakt herzustellen. Daneben gesellt sich ein Störmousse mit einer Variation von Bete (gelbe Bete, Baby- Rote- Bete, Rote Bete Püree, Püree aus gelben Beten, Rote Bete Chips) und einem gehäuften Löffel des Imperial Kaviar. Ein beachtlicher Gang, welcher sicherlich für die heutige Zeit ein wenig Anpassung gefunden hat.
Koschina, Raue, Herman und Co. im Restaurant Ikarus
Nicht weniger beachtlich sind die weiteren Starköche, die sich in der Top 12 Riege versammeln. Zum Beispiel Dieter Koschina (Balfégo- Thunfisch mit Rettich und Dashi), Harald Wohlfahrt (Jakobsmuscheln mit Spitzmorcheln und Chablissud), Christopher Muller (Trüffelconsommé unter der Blätterteighaube) oder etwa Sergio Herman mit der Taube mit Haselnuss, Gnocchi und Kerbel. Gerade das Best of ist von deutschen Köchen dominiert und nicht nur mit klassisch, frankophiler Küche vertreten.
Marco Müller aus Berlin
Der einzige und erste 3- Sternekoch Berlins hat es in Band 7 geschafft, da er im Juli mit Martin Klein zusammen im Restaurant Ikarus ein Menü kochte. Es bestand aus folgenden Gerichten:
Lärchentee, Stockbrot, Sauerklee
Mairübe, Emmer, Apfel
Dünenaromen, Muchelstaub
Steinbutt, Bottarga, Nussbutterschaum
Brot- Miso, Hechtkaviar, Haselnussmilch
Blutwurstbrot
Muschelaromen, Kohlrabi,
Saiblingskaviar, Molke, Holunderblüte
Bachforelle, Lardo,
Blumenkohl
Pfifferlinge,
Hühnerhaut, Kirsche
Waldboden, Pilztee,
Gereiftes Rindfleisch
Warum, Ochsenherztomate,
Grüner Wacholder
Salzwiesenlamm,
Dashi, Junglauch
Geeiste Karotte, Sanddorn
Lärchenholz, Himbeere
Gurke
Sandelholz, Wildrose
Das Buch beinhaltet die Rezepte für fünf der hier aufgeführten Gänge. Gerade das Salzwiesenlamm zeigt die enorm detailverliebten Gerichte des Marco Müller mit einem hohen Maß an Komplexität. Dabei sind die Rezepte, wie bei allen anderen Beispielen, gut gegliedert und nachvollziehbar geschrieben.
Die Zutatenliste dürfte sicherlich die ein oder andere Zutat beinhalten, die nur schwer bis gar nicht zu erhalten ist. Das war vermutlich nicht Sinn der Sache, ein Kochbuch von Sterneköchen zu kreieren, dessen Küche man problemlos zuhause nachmachen kann. Ganz im Gegenteil, hier wird ganz groß ausgeholt.
Haptik und Verarbeitung
Das grobe Konzept hat sich über die letzten Jahre kaum geändert. Hier und da ist lediglich in der Aufmachung an den Stellschrauben gedreht worden. Innerhalb der letzten sieben Bände hat sich mehr und mehr die Qualität des Buches verbessert. Es kamen mehrere Arten von Papier zum Einsatz und auch die Art der Reportage wurde tiefgründiger. Nach wie vor hat sich ein sehr günstiger Preis etabliert, der gemessen an den gezeigten Inhalten, seinesgleichen sucht.
Fazit
Bedenkt man, dass wir hier eine nie dagewesene Krise haben, die immer noch anhält, ist es schon erstaunlich, wie großartig das Buch doch geworden ist. Hier wird erneut eine enorme Menge an Rezepten auf über 300 Seiten abgebildet. Natürlich ist das keine Alltagsküche, die hier gezeigt wird. Und das soll sie auch nicht sein. Ich finde die Serie dieses Projekts aus dem Hangar-7 erstaunlich, da sie für einen sehr attraktiven Preis dem Leser unglaublich viel liefert. Eine enorm hohe Bandbreite an verschiedenen Kochstilen, die mit fantastischen Portraits zu jedem der monatlichen Gastköchen abgeliefert wird, offenbaren sich dem Leser.