Alpen- Kochbücher haben es in den letzten Jahren immer mehr in die Regale der Bücherläden geschafft. Die alpine Küche hat gerade mit den naturverbundenen Themen einen waren Hype erlebt. Das neue Buch Kräuterreich von Vitus Winkler aus dem Matthaes Verlag schlägt in diese Kerbe hinein und zeigt eine äußerst lebendige Kräuterlandschaft in Verbindung mit kreativen Gerichten, welche daraus entstehen können. Das Niveau ist bei diesem Kochbuch recht gehoben und wie ein Spaziergang durch die Landschaften der Alpenregionen in gedruckter Form.
Geheimnisse der alpinen Küche – Kräuterreich
Der Österreicher Vitus Winkler ist ein Haubenkoche mit dem Drang, die Kräuter aus seiner Region wieder salonfähig zu machen. Er möchte ihnen ein modernes Antlitz verleihen und dem Leser dieses Universum näher bringen. Sämtliche seiner Rezepte sind unmittelbar von der Natur inspiriert. Die Ideen entspringen dem Salzburger Land mit all seinen Spezialitäten. Viele Gerichte aus diesem Buch orientieren sich an überlieferten Rezepten.
Zum Gipfel der Genüsse in acht Etappen
Im Buch begibt sich der Leser in acht Etappen von der Schatzkammer zum Dorf, ans Feld, zu den Flüssen & Seen, Wald & Wiese, zur Baumgrenze, auf die Alm und schließlich hinauf zu den Gipfel um den jeweiligen Verarbeitungsempfehlungen von Vitus Winkler zu folgen.
So startet diese Reise in seinem Heimatdorf in dem er aufgewachsen ist. Jedes Kapitel leitet er mit einem kleinen autobiografischen Teil ein. Erzählungen von seinen Aufenthalten im In- und Ausland umreißen seinen Werdegang und geben Aufschluss über das, was ihn geprägt hat.
Begleitet mit sehr eindrucksvollen Fotografien der Landschaften, welche im Mosaikprinzip aneinandergereiht sind, gibt er sehr gut die manchmal auch sehr raue Art der Natur wieder.
Brot & Schmalz, Gott erhalt’s
Der kulinarische Start beginnt bei einem bodenständigen Brot & Schmalz Setting bei dem er das erste Kraut, die Zitronenmelisse, mit anrichtet. Dabei wird sie in einem kleinen Infoteil neben der deutschen Bezeichnung ebenso mit dem lateinischen Namen umschrieben. Fakten wie die Dauer der Saison und die Art der Verwendung ergänzen diesen Information auf kurze und knappe Art und Weise.
Hinzu kommen Erzeugnisse der Bauern, wie die frische Bauernmilch in Verbindung mit Almheu, welches er nutzt, um die Rohmilch vorsichtig damit zu aromatisieren. Später entsteht nach weiteren Schritten ein Frischkäselab, welchen er mit Bergsalz und Kräuteröl abschmeckt. Das schaut alles sehr geerdet und so gar nicht nach Fine Dining aus.
Spannend ist ebenso die Zubereitung des Ei’s vom Grünleger. Dieses wird konfiert und in einer essbaren Eierschale serviert. Ein Kartoffelstampf mit Vogelmiere und saurer Sahne runden den bodenständigen Gang ab. Überhaupt scheint das Ei es ihm angetan zu haben. Es gibt noch einige weitere Gerichte, welche in diesem Kapitel folgen und diesem Produkt zuzuordnen sind.
Kräuterreich ist knackig und frisch
Die Speisen sehen allesamt sehr ansehnlich aus und wurden mit viel Kontrast und Helligkeit nachentwickelt. Teilweise bis ins Unnatürliche. Das Blättern in dem Buch Kräuterreich bereitet Spaß und bietet viel Inspiration. Besonders interessant liest sich für mich das Tauernlamm mit Lammfilet, und -krone, einem Buchweizencracker, Raukepesto, Haxen, Kohlrabi und Wiesenchampignons. Oder etwa das „Süße aus Wald & Wiese“ bei dem er eine Sauerkleetarte, Baiser und Heujoghurtsorbet auf den Teller bringt. Er ist bei allem sehr versiert zugange.
Aufbau der Rezepte
Jedem Gericht widmet man wenigstens ein großflächiges Bild, zumeist auf einer einzelnen Seite. Die Zutaten und Zubereitungen sind dabei gut strukturiert, wobei ich große Probleme mit der Schrift an sich habe. Der Text ist in einer recht schwer zu lesenden, geometrischen Schrift dargestellt. Sie wirkt sehr grafisch und die Buchstaben breiten sich durch die sehr dünnen Linien und breiten Lettern eher wie ein Teppich aus. Einzelne Absätze oder gar Passagen sind bei längeren Texten schwer auszumachen. Mir gefällt diese Art und Weise der Inhaltsdarstellung weniger, da sie bei Büchern, bei denen man sich immer wieder einlesen muss, keinen visuellen Ankerpunkt geben, woran man sich festhalten kann. Flüssigkeiten werden in hier Volumen alles andere in Gramm dargestellt.
Keine modernen Texturas dafür viele regionale Spezialitäten
Auf den Einsatz von modernen Texturas wird weitergehend verzichtet. Natürlich bezieht er sich bei den Zutaten vor allen Dingen auf seine Region, welche nun mal Quelle dieser Lebensmittel ist. Diese nun in Deutschland heran zu bekommen, dürfte eine kleine Herausforderung sein. Dennoch kann man sicherlich einen Großteil der Produkte ersetzen. Inwiefern der Spirit des eigentlichen Gerichts dadurch verloren geht, weiß nur der Autor.
Obendrein wird das Anrichten der jeweiligen Speise erklärt. Somit bekommt der Laie wirklich viel an Informationen an die Hand, wenn gleich ich denke, dass die Zielgruppe wohl ganz sicher professionelle Köche oder zumindest sehr ambitionierte Hobbyköche sein dürften. Es wird damit geworben, dass die Gerichte bodenständig und gehoben, unkompliziert und anspruchsvoll, raffiniert und traditionell seien. Das ist sicherlich ein sehr gewagter Spagat.
Ein Kochbuch für Profis
Die meisten der Umschreibungen passen, jedoch sind die hier gezeigten Speisen für meine Begriffe ein Müh zu komplex um unkompliziert zu sein. Es ist nun mal eine Königsdisziplin, Speisen zu kreieren, die auf der einen Seite die sehr gehobenen Ansprüche des Autors bedienen und wiederum auf der anderen Seite dem Leser die Möglichkeit geben, das Kochbuch auch praktisch zu nutzen. Will heißen, er muss selbst auch irgendwo in der Lage sein dürfen, ohne das Maß der Erfahrung und Ausbildung eines Kochs, die Gerichte zuzubereiten. Ansonsten verliert meiner Meinung nach das Kochbuch die primäre Funktion, schreibt man es denn mitunter auch für den heimischen Koch.
Insofern empfinde ich das Buch als sehr spannend und absolut abwechslungsreich. Es kann jedem Leser viele Eingebungen für eigene Gerichte bieten oder einfach nur eine Vorlage sein, dieses oder jenes Rezept 1:1 nachzukochen.
Das Rezeptregister und dessen unterschätzte Funktion
Das Rezeptregister ist gegliedert nach dem Namen der Gerichte, der Schatzkammer (Grundrezepten) oder den „Kräuter & Wildpflanzen“ an sich. Die Funktionalität eines konsistenten Index‘ ist für mich leider nicht gegeben. Habe ich nur einen Teil des Namens bzw. eines Produktes des jeweiligen Gerichts in Erinnerung, welche stets nach dem sehr reduzierten Konzept „Schneemann – Ricotta • Karotte • Milchreis • Bergapfel • Karottengrün“ wiedergegeben wird, komme ich bei diesem Register nicht weit. Gerade weil die Gerichte lediglich nach dem Fantasienamen gelistet sind. Ich bin als Leser also auf’s zeitintensive Durchblättern angewiesen.
Daher bevorzuge ich mehr und mehr bei Fantasienamen Inhaltsverzeichnisse mit kleinen Vorschauen (Thumbnails), die dem Leser die ursprüngliche Funktion, Gerichte schnell und unkompliziert wiederzufinden, nicht vorhalten.
Über das Ding mit der Hygiene
Ich bin ein großer Fan von Natürlichkeit und Authentizität. Wenn ich ein Thema habe, welches die Natur im Fokus hat, dann bin ich voll dabei, wenn die unterschiedlichsten Kräuter und Pflanzen aus der selbigen eigenhändig herausgezogen werden. Das man da nicht zwingend saubere Hände bzw. Nägel hat, ist selbsterklärend und trägt vermutlich zu der überzeugenden Darstellung bei.
Doch verschmutzte Hände bei denen der Dreck noch gut sichtbar unter den Nägeln liegt, welche gerade die Speisen anrichten, haben für mich nichts in einem Kochbuch verloren. Gerade in heutigen Zeiten bei denen Hygiene enorm wichtig ist, ist das das falsche Signal an den heimischen Hobbykoch und vor allen Dingen an den professionellen Koch. Vor allen Dingen die Zutaten aus dem Wald gehören ordentlich gewaschen und der Umgang hat stets mit gewissen Hygienestandards zu erfolgen – Romantik hin oder her. Sorry, aber da bin ich richtig deutsch.
Die unerwähnten Gefahren beim Foraging
Was mich ebenfalls dazu hinreissen lässt, anzumerken, dass über die Gefährlichkeit des „Foragings“ im Buch leider nichts erwähnt wird.
Es kann Jahre dauern, bis man lernt, alle verschiedenen Wildpflanzen zu identifizieren, die gegessen werden können – und noch wichtiger, diejenigen zu erkennen, die man auf keinen Fall essen sollten. Sicherlich ist der Nervenkitzel, etwas zu verzehren, was man selbst gefunden hat, sehr hoch und man hat schnell Lust, mehr über die Natur zu erfahren, was diese noch zu bieten hat.
Der erste Schritt, Wildkräuter und Pflanzen einzusetzen, ist jedoch zu lernen, wie man sie erkennt. Man kann nicht einfach in den Wald hineingehen, und sich Blattwerk aus diesem herausholen, wenn man nicht wirklich Ahnung davon hat. Leider suggeriert mir das Buch das ein wenig zu sehr ohne vor den Gefahren zu warnen. Ebenfalls sind die sehr klein und teilweise auch schwarz-weiß dargestellten Bilder nicht zielführend, die besagte Pflanze in Flora und Fauna zu erkennen.
Das Fazit zu Kräuterreich
Kräuterreich von Vitus Winkler ist für erfahrene Herdkünstler ganz sicher ein Gewinn, denn hier zeigt ein großes Talent, was alles in regionalen Produkten aus der alpinen Landschaft so stecken kann. Eindrucksvolle und ziemlich kontrastreiche Bilder geben wider, was alles so in Wald und Wiese stecken kann. Das birgt mitunter überraschende Kombinationen.
Ich finde das Thema wurde hervorragend umgesetzt. Die Rezepte stehen für eine leichte und unkonventionelle Art des Kochens. Jedoch vergisst man hier zu erwähnen, dass Wildern in der Natur auch erhebliche Gefahren mit sich führt, was mir schon ziemlich übel aufstößt. Das Wissen, was es braucht, um genau das zu tun, wird in dem Buch nicht vermittelt. Dafür sind die Abbildungen der Pflanzen zu ungenau und teilweise schwarz-weiß. Für mich gehört diese Aufklärung unweigerlich bei Kochbüchern zu diesem Thema mit hinzu.
Dennoch bleibe ich dabei, dass ich zu dem Erwerb dieses Buchs eine Empfehlung aussprechen kann. Die Speisen wirken modern, arbeiten das Kernthema wunderbar auf und werden bestimmt immer wieder von mir nachgeschlagen.