Berliner Speisemeisterei • Life as a chef 👨🏻‍🍳

Mein Name ist Steffen Sinzinger (42). Ich betreibe den Blog die Berliner Speisemeisterei seit mehr als 13 Jahren und schreibe hier über alle gastronomischen Themen, welche mich begeistern. Ich bin gelernter Koch und habe den Großteil meiner beruflichen Karriere in der Berliner Gastronomie verbracht. Ich freue mich, dass Du zur Berliner Speisemeisterei gefunden hast.

Die Zukunft nach dem Coronavirus

Die Zukunft nach dem Coronavirus

Es sind harte und schier unüberschaubare Zeiten. Keiner konnte sich noch vor 14 Tagen vorstellen, den Großteil seiner Bekannten wegen des Coronavirus nicht mehr sehen zu dürfen. Der Verzicht im Alltag ist das Konzept der Stunde. Arg reduzierter Umgang mit den Liebsten und vor allen Dingen das Einschneiden sämtlicher Freiheiten wird von jedem abverlangt. Wer sich daran nicht hält, riskiert einfach alles. Die Frage, welche sich ein jeder nun stellt, ist die nach der eigenen Zukunft. Vor allen Dingen das Miteinander in der Öffentlichkeit wird in hinterfragt werden. Was sich dadurch verändern wird ist ganz sicher die Eventkultur sowie die Restaurantlandschaft. Anbei hinterlasse ich meine Gedanken zu diesem Thema.

Coronavirus

Düstere Aussichten

Je mehr ich mich mit der Thematik „Coronavirus und seine Konsequenzen“ auseinandersetze umso besorgter schaue ich in die Zukunft. Die Szenarien, welche für uns in Betracht kommen, zeichnen sich zunehmend ab. Ich bin von Grund auf ein recht positiv eingestellter Mensch und gerade auch bei dieser Krise der Meinung, dass sie Chancen in sich trägt.

Was uns zweifelsfrei in dieser beispiellosen Seuche vors Auge geführt wird, ist die Selbstverständlichkeit mit der wir die uns gegebenen Freiheiten behandelt haben. Diese wird uns nun in den kommenden Wochen und Monaten gar schmerzlich fehlen. Mit dem Rückerhalt, der sicherlich in Stufen kommen wird, dürfte uns das Bewusstsein darum für die nächsten Jahrzehnte gesichert sein.

Viele andere Dinge erachten wir in unserer heutigen Gesellschaft ebenso als ausgemacht, wie zum Beispiel der Kontakt mit unserer Familie, Freunden und Bekannten. Wie wir durch diesen Zwangsstopp zum ersten mal erkennen können, wie sehr wir tatsächlich im Hamsterrad der ständigen Verfügbarkeit gefangen sind und dass es wahrlich nicht gesund sein kann, derart wenig Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu haben.

Coronavirus

Der Coronavirus und das Ding mit der Reflexion

Bisherige Probleme sind fast spurlos den heutigen Herausforderungen gewichen. Was gestern noch als unlösbar galt, und schwer auf den Schultern lag, wirkt aus der heutigen Perspektive gar nichtig. Aber ebenso kommen viele positive Dinge jetzt zum Vorschein.

Wir erkennen jetzt, wie sympathisch doch eine entschleunigte Großstadt wie Berlin oder München sein kann. Es ist bedauerlich, dass der Arbeitsstress erst durch die nachhaltige Präsenz der nun einkehrenden Angst weichen wird. Wir werden damit umzugehen lernen müssen, weil die Gemeinschaft ihre Gewohnheiten umschreiben wird. Wir stehen schon wieder vor einer drastischen Reevaluation unserer Gepflogenheiten. Erneut werden die Gesetze des Alltags neu geschrieben.

Hat die Erfindung des Internets eine zweite Renaissance in unser soziales Zusammenleben gebracht, wird man wohl davon ausgehen können, dass uns der Coronavirus das Leben ebenfalls auf den Kopf stellen wird. Und das hat zugleich mehrere Gründe.

Coronavirus

Flatten the curve – Das Senken der Infektionen

Das groß angelegte Ziel ist es derzeit, die Infektionsraten zu verringern, die Wege der Ansteckungen abzuklemmen. Die Folge ist hoffentlich, dass sich immer weniger Menschen mit dem Coronavirus anstecken. In Deutschland haben wir seit letzten Sonntag nun den Umstand, dass durch das Kontaktverbot genau das erreicht werden soll. Wird dieses bei vielen Experten als einzig adäquates Mittel angesehen Mittel greifen, wäre das sicherlich sehr gut für die Allgemeinheit, denn die notwendigen Mittel und Ressourcen wären dann in den medizinischen Einrichtungen stets gegeben. Das Risiko, schwerwiegende Fälle nicht in den Griff zu bekommen, erheblich reduziert.

Durch diese flache Entwicklung wird sich der Virus ohne einen wirksamen Impfstoff langsam aber dennoch fortwährend im Volk verbreiten und es verseuchen – eben nur viel langsamer. Bis zu 70 % würden so betroffen sein. Man hört an vielen Ecken, dass uns so der Virus bis zu zwei Jahre beschäftigen könnte, es sein denn, wir haben zeitiger ein Gegenmittel, den Impfstoff, entwickelt. Realistische Schätzungen gehen von wenigstens 18 Monaten aus, bis wir mit diesem ausgestattet sind.

Will heißen, wir müssen mindestens über diese Zeit die Risikogruppen schützen, denn diese wären weiterhin bei einer Infektion einer sehr hohen Sterberate ausgesetzt. Das sind Menschen ab etwa 50 Jahren, Raucher, Personen mit Vorerkrankungen des Herzens, der Lunge oder der Leber und Menschen mit Diabetes, Krebs oder einem geschwächten Immunsystem. Für jüngere Menschen bedeutet eine Coronavirusinfektion normalerweise keine Lebensgefahr, doch auch hier sind schwere Krankheitsverläufe möglich.

Coronavirus
[dt-quote size=“medium“ alignment=“center“ text=“Die Krankheitsverläufe sind unspezifisch, vielfältig und variieren stark, von symptomlosen Verläufen bis zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Tod.“ author=“Robert Koch Institut“]

Wie schützen wir die Risikogruppe vor dem Coronavirus?

Gehen wir davon aus, dass wir nun nach zwei Monaten diese abflachende Kurve erkennen und die Epidemie einigermaßen in den Griff bekommen haben, dann stellt sich anschließend die Frage, wie man weiter verfährt. Da wir entgegen einer Grippe bei einer Infektion mit dem Coronavirus nicht die starken Symptome haben, jene uns zweifelsfrei ohne einen Test erkennen lassen, ob wir uns mit diesem Virus infiziert haben oder eben nicht, müssen wir davon ausgehen, dass wir immer noch gefährdet sind. Das mag bei jungen Menschen vielleicht kein Problem sein, doch muss man in der Konsequenz weiter gehen und sich fragen, inwiefern es dann überhaupt möglich sei, nach wie vor die oben genannten Risikogruppen sinnvoll zu schützen.

In England und den Niederlanden diskutiert man darüber, das Konzept der Herdimmunität in Betracht zu ziehen. Es sieht vor, dass möglichst viele Menschen sich mit dem Virus infizieren, nach Möglichkeit jedoch nicht die Risikogruppen. Nach der Genesung wären die noch nicht Erkrankten inmitten der bereits Gesundeten beinahe isoliert und eine weitere Ansteckung nicht ausgeschlossen aber dessen Wahrscheinlichkeit stark gemindert. Hier stünde man wiederum vor dem Problem, dass es keine ausreichenden Kapazitäten für diese Menge an Infizierten gibt. Insofern gibt es vermutlich kaum Zuspruch für diese Art des Krisenmanagements.

Coronavirus

Kein Kontakt – ergo keine Events?

Besonders effiziente Maßnahmen werden bei uns gerade eingeleitet, doch sind sie in einer modernen, freiheitsliebenden Gesellschaft auch für einen längeren Zeitraum denkbar? Ist eine derartige Isolation von bestimmten Personenkreisen überhaupt umzusetzen bzw. für sie auszuhalten.

Wenn wir heute wissen, dass eigentlich immer noch bei jedem Personenkontakt dieser gefährliche Virus übertragen und wir ihn später in unsere Familie einschleppen können, müsste doch theoretisch ein riesiges Angstpotential vorherrschen. Genau diese Befürchtung vor einer Ansteckung könnte dafür verantwortlich sein, dass im privaten als auch geschäftlichen Sinne jegliche physische Kommunikation hinterfragt werden müsste.

Wie sehr kann dann noch ein Zusammentreffen mit dutzenden oder gar hunderten Personen noch verantwortet werden. Wie sehr wird sich der mündige Bürger noch in ein belebtes Restaurant mit vielen Möglichkeiten der Übertragung setzen wollen? Kann ein Restaurant so viel Sicherheit bietend, dass eine Kontamination glaubhaft ausgeschlossen werden kann?

Coronavirus

Business trotz Angst

Die Angst ist noch nie ein guter Ratgeber gewesen. Die Furcht vor dem Virusbefall könnte für einen größtmöglichen Wandel bis hin zu einer anteilig isolierten Gesellschaft führen – wenigstens bis wir einen Impfstoff gefunden haben. Bis dahin wird kein Unternehmer das Risiko auf sich nehmen wollen, Grund für eine Infektion zu sein, die stattfinden könnte, weil ein Event mit vielen Gästen in seinen Hallen abgehalten worden ist. Stattdessen übt man sich in Vorsicht und fährt die geplanten Veranstaltungen sicherheitshalber runter.

Coronavirus

Welche Rituale können nach dem Coronavirus noch beibehalten werden?

Auch im Privaten wird man sich überlegen müssen, inwiefern man sich dem Risiko aussetzen mag. Ob nicht doch der Essenstisch zuhause die geeignetere Alternative zum auswärtigen Dinner ist. Denn schließlich hat es ja ganz gut in den letzten Wochen geklappt und die Lieferdienste, die wohl in den Monaten April und Mai das Geschäft ihres Lebens gemacht und gleichzeitig sich enorm in Sachen Effizienz und Qualität gesteigert haben dürften.

So werden die Folgen bei diesem Szenario recht schnell klar werden. Der Markt für die Eventindustrie wird sich nicht nur ändern sondern schlagartig einbrechen und neu strukturieren müssen. Neue Produkte und Leistungen müssten her. Das klassische Geschäft, welches wie gehabt vonstatten geht, dürfte wohl so nicht mehr funktionieren, weil der Kunde sich einfach noch nicht traut, derart unbekümmert unter die Bevölkerung zu gehen.

Double Seating

Ein völliger Umschwung

Ebenfalls ist ein Restaurantbesuch nicht wirklich sinnstiftend. Die Bedrohung ist zwar kleiner, dennoch niemals auszuschließen. Was wir hier vermutlich erleben werden, ist ebenfalls ein völliger Wandel und der Übergang hin zu einer gänzlich neu aufgebauten Foodszene. Sie wird sicherlich weniger in den altbekannten Konzepten der Restaurants stattfinden. Eine große Ausdünnung wäre die Folge.

Was jedoch kommen wird, sind total neue Antworten auf gastronomische Herausforderungen, wie wir sie heute noch nicht absehen können. Gerade was die smarte Konnektivität angeht, ist hier vermutlich noch viel Musik drin. Der Lieferdienst und auch das Erlebnis in den Supermärkten spielen da meiner Meinung nach eine große Rolle. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass viele Menschen nun beginnen werden, kochen lernen zu wollen.

Sich mehr am eigenen Herd wagen werden und Kochbücher oder auch Online- Rezepte noch mehr gefragt sind. Vollautomatisierte Küchen, wie wir sie schon auf der letzten IFA sehen konnten, weiter den Vormarsch bilden. Wir stehen vor einem riesigen Umbruch, dessen Ausmaße uns heute noch nicht klar sind.

Somit können wir uns so oder so auf eine Gesellschaft einstellen, welche sich neu definieren und einem enormen Stresstest ausgesetzt wird. Ich hoffe für alle Beteiligten, dass wir weiterhin diese Umstände besonnen angehen und keinen zurück lassen müssen, wenngleich ich heute immer noch viel Widerstand und Klammern an alten Standards erlebe.

Veränderung ist nicht jedermanns Sache und weckt bei vielen zuallererst Unsicherheit. Es ist die Aufgabe der Gestalter unter uns, die nun stattfinden Leere mit sinnvollen und nachvollziehbaren Ideen und Lösungen zu füllen.

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Steffen Sinzinger

Steffen Sinzinger, Jahrgang 1980, ist ein in Berlin lebender Küchenchef und seit nun mehr als 14 Jahren ein passionierter Foodblogger. In der deutschsprachigen Bloggerszene ist er ein fester Bestandteil und spricht mit seinen breitgefächerten Themen sowohl die professionellen Köche als auch die am heimischen Herd kochende Fraktion an.

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