Wir erleben gerade schwierige Zeiten, in der vermutlich das eigene Heim der Ort der Stunde für die nächsten Wochen sein wird. Grund genug sich mit dem bestmöglichen Lesestoff einzudecken. Eine großartige Wahl dafür scheint mir das brandneue Kochbuch von Tim Raue zu sein, welcher sich zusammen mit Steve Karlsch für die Geschicke der Brasserie Colette in Konstanz, München und nicht zuletzt auch Berlin verantwortlich zeigt. Dieses Kochbuch vermittelt wie kaum ein zweites den perfekten Moment, den man in den vielen Brasserien Frankreichs erleben kann. Warum das so ist und was mir an dem Buch etwas sauer aufstößt, erfahrt Ihr in dieser Buchbesprechung.
Rezepte aus der Brasserie Colette von Tim Raue
Tim Raue obliegt die Gestaltung von ganzen 10 Restaurants. Offensichtlich ist es lediglich eine Frage der Zeit, bis er das Dutzend voll macht.
Die Brasserie Colette, dessen Restaurants man in Konstanz, München und Berlin finden kann, ist seine moderne Hommage an die bodenständige Kochkultur Frankreichs. Hier wird das von Tim Raue beherzigte Zusammenspiel von Süße, Säure und Schärfe mit den Klassikern der Bistroküche Westeuropas vereint. Doch was genau bedeutet das?
Das legere Speisen wird dabei in allen Colettes großgeschrieben. Französisch zu essen hatte lange Zeit in Deutschland das steife Image, alles müsste im feinen Zwirn und Garn nach einer vollends einstudierten Tischetikette exerziert werden. Wer sich eine Brasserie Colette bereits von innen anschauen konnte, wird vom kompletten Gegenteil überzeugt sein.
Die französische Art zu Leben
Denn hier herrscht vor allen Dingen die französische Leichtigkeit vor. Man trifft auf eine Atmosphäre, welche inmitten von Mosaikböden, Vintage- Brasseriestühlen und antiken Spiegeln kaum bourgeoiser hätte ausfallen können. Die historischen Bahnhofslampen tauchen die quadratischen Marmortische in ein angenehm warmes Licht. So wird eine gar heimische Kulisse geboten, welche den Gast ziemlich schnell und authentisch in die Brasseriewelt eintauchen lässt.
Der kulinarische Start ist mit der bretonischen Artischocke samt Dips nicht besser hinzubekommen. Gekocht und einzeln entnehmbar sind die Blätter dieses Distelgewächses im Zusammenspiel mit Petersiliendressing, einer Safranmayonnaise und der aufgerührten Creme Fraîche das wohl kommunikativste Amuse Bouche, dass man in der Brasserie Colette ordern kann.
Klar ist auch, dass Austern nicht fehlen dürfen. Zum einen in Form einer „Fines de Claire“ in gratinierter Form oder die „Gillardeau“ Auster mit Vinaigrette. In beiden Versionen empfiehlt sich dazu ein Glas Champagner, das sagt Tim Raue. Dem stimme ich beherzt zu. Zur Not funktioniert dieses Gericht vielleicht sogar ohne Austern. Man müsste es auf einen Test ankommen lassen.
Knall, Bumm, Peng
Was Spaß bereitet, sind die mit eingeschobenen Einleitungen vom Protagonisten, der ganz klar zu verstehen gibt, wie sehr ihn Gerichte reizen, die „… auf die Geschmacksnerven peitschen…“ oder „… den Gaumen reizen…“. Es geht Tim Raue stets darum, mit den Sinnen zu spielen. Dabei geht er auch den Schritt, Signature Dishes, welche man aus seinem Hauptrestaurant „Tim Raue“ kennt in angewandelter Form zu präsentieren. Die „Garnelen Marocain“ ist eine eigene Interpretation des „Wasabi Kaisergranaten“.
In dieser Variante herrschen jedoch Litschi, Pistazie und Kreuzkümmel vor. Dabei werden die Garnelen im Tempurateig ausgebacken und zusammen mit einer Vadouvan- Mayonnaise gereicht. Der Gast erlebt also erneut eine Achterbahnfahrt mit dem Geschmacksakkord Süße, Säure und Schärfe. Immer wenn ich diese Metapher über seine Signature Dishes lese, habe ich direkt die Comics von Batman & Robin im Kopf, bei denen in den Sprechblasen stets dieses „Knall“, „Bumm“ und „Peng“ als Verstärkung eingesetzt wurde.
Weil einfach einfach einfach ist
Die Rezepte sind in diesem Buch immer klar durchstrukturiert. Die Schrift für mein Empfinden ziemlich groß skaliert aber immer noch angenehm zu lesen. Sie bestechen vor allen Dingen dadurch, dass sie komplett auf die modernen Gerätschaften dieser Zeit verzichten und kaum auf Texturgeber zurückgreifen. Weil einfach einfach einfach ist, kommt beispielsweise der in viel Butter geschmorte Lauch mit einer simplen Mohnbutter und einem milden Mimolette- Kartoffelpüree auf das Porzellan.
Durch die Reduktion auf das Wesentliche überlässt Tim Raue dem Leser Rezepte, ohne künstlich zu verkomplizieren. Dieses als auch die meisten anderen hier aufgeführten Gerichte funktionieren vor allen Dingen, weil sie so herrlich unprätentiös daherkommen und gerade das die große Stärke dieses Buches ist. Es ist in der Zubereitung zudem ohne weiteres am heimischen Herd nachkochbar. Dessen bin ich mir sicher.
Best Pulpo ever
Nach einem ganz speziellem Gericht habe ich in diesem Buch besonders gesucht. Nämlich „Pulpo mit Kalbskopf und Birne“. Genau dieser Pulpo wurde einst von meiner Begleitung als der beste ihres Lebens bezeichnet, welches mich als Koch natürlich besonders trifft. Tim Raue lässt diesen mit einer kräftigen Kalbskopfjus und knackigem Kopfsalatherzen und Birnenspalten anrichten. Einzig und allein das Rezept des Pürees unter dem Pulpoarm bleibt er uns schuldig. Dennoch ist dies ein großartiger Gang.
Leider ohne die sagenhaften Cornichons der Brasserie Colette
Was nicht gefällt, und jetzt kommen wir zu meinem wunden Punkt, ist folgendes. Als mir die Veröffentlichung dieses Kochbuches mitgeteilt wurde, habe ich auf ein weiteres bestimmtes Gericht gehofft, welche ich dort verzehrt hatte. Das waren die legendären Cornichons, welche jedem Gast vorab mit Butter und Brot gereicht werden. Vermutlich wird dieses Rezept für immer als Verschlusssache eingestuft werden. Ich hatte bereits mehrere Versuche ergebnislos gestartet.
Inhalt, Funktion, Bildsprache
Das Spektrum der Gerichte ist breit. Der Leser darf sehr unterschiedliche aber natürlich immer stark frankophil gefärbte Speisen erwarten. Tim Raue versetzt seine Leserschaft mit diesem Buch der Brasserie Colette in die Lage, demnächst ein „Kalbskopf Ravigote“, „Loup de mer mit Speckschaum und Kaviar“, „Schellfisch mit Waldorfsalat und Mandarine“ oder eine „Spanferkelhaxe mit Ananaskraut“ anzubieten.
Wie bereits erwähnt, sind die Rezeptanleitungen stets funktional, übersichtlich und ansprechend. Die Bildsprache bei der Food- Fotografie ist herrlich natürlich, appetitanregend und stets gut ausbalanciert. Tim Raue adelt den Fotografen Joerg Lehmann als wohl den besten deutschen Food- Fotografen.
Ein gemeinsames Buch mit Tim Raue
Mit ein wenig Stolz kann ich gar verkünden, dass sogar mein Fotomaterial den Weg in dieses Buch gefunden hat. Als ich gehört hatte, dass dieses Buch über französische Küche in Produktion ist, kam ich nicht umhin, die Fotos meiner letzten Parisreise feilzubieten. Und siehe da, nun kann ich behaupten, ein Buch mit einem der wohl erfolgreichsten Kochbuchautoren derzeit gestaltet zu haben. Wenn das mal nichts ist. Insofern bleibt mir nur, die exzellente Fotografie jenseits des Foods zu loben. Eindrucksvoll und ausdrucksstark. 😉
Fazit
Wer bis hierhin zwischen den Zeilen nicht herauslesen konnte, dass mir dieses Buch eine Herzensangelegenheit ist, dem sei gesagt:“Dieses Buch ist einfach nur schön“. Ich liebe die unkomplizierte, einfache und akzentuierte Küche. Ich habe eine schwäche für klassisch, französische Brasserie- Konzepte. Sie schaffen zumeist die Kulisse mit der Besinnung auf das Wesentliche: den Genuss. Das Kochbuch Rezepte aus der Brasserie von Tim Raue zelebriert genau diese „l`art de vivre“. Ein Kauf ist schon wegen der einzigartigen Parisbilder anzuraten.
Zusätzliche Links
Wer Tim Raue himself dabei zuschauen möchte, wie er sein Buch vorstellt, sollte mal hier vorbeischauen. Der Kollege beherrscht die Buchpräsentation wirklich gut.
Leider stimmt die Garzeit des Beauf borgignon so überhaupt nicht, schade!
Was genau stimmt denn nicht? Kannst Du uns da einen Hinweis geben?