Das nächste Kapitel ist aufgeschlagen. Daniel Humm und Will Guidara gehen nun leider getrennte Wege. Die beiden haben lange Zeit das kulinarische Geschehen in den Staaten beherrscht. Nun ist Daniel Humm nach dem Weggang der alleinige Strippenzieher.
Vor zwei Jahren wurde das zweite Kochbuch aus diesem großartigen Spitzenrestaurant im Originalen veröffentlicht. In diesen Tagen ist es nun endlich auch auf Deutsch erschienen und es ist einfach großartig.
Daniel Humm und seine präzise Küche
Es muss schon eine schwere Zeit für die Autoren aus dem Matthaes Verlag sein. Jahr für Jahr versucht man die Spitzenköche Deutschlands auf dem hiesigen Buchmarkt zu etablieren. Die Creme de la Creme wird dabei aufgefahren. Zuletzt Christian Bau, dessen Buch ganz sicher eine gelungene Momentaufnahme seines Könnens darstellt, jedoch in den Verkaufscharts lange nicht so dominant ist, wie es die Werke von diesem Schweizer Talent sind.
Daniel Humm versteht es, seine Küche an den Mann oder eben die Frau zu bringen. Man hat beim Betrachten seiner Gerichte nie das Gefühl, die Speisen seien unnahbar oder vielleicht auch mal am heimischen Herd „nachzubauen“. Das macht die Bücher von ihm so begehrt. Bei unseren deutschen und auf Techniken vertieften Spitzenköchen ist das anders.
Die Besprechung des Originals
Sie fokussieren sich selten darauf, was der Leser vielleicht mit dem Buch auch anfangen möchte. Man versucht alles bis auf das Letzte heraus zu kitzeln. Das lässt die Lektüre dann abgehoben erscheinen. Der Reiz, die teilweise unrealistisch erscheinenden Gänge nachzukochen, ist schnell verflogen. Solche Bücher landen dann schnell im Regal und werden selten wieder hervorgeholt.
Daniel Humms Konzept: Exquisit – Schön – Kreativ – Bewusst
Anders als viele seiner Mitstreiter gibt sich Daniel Humm nicht allzu viel mit seiner Person in diesem Buch ab. Es geht hier nicht um den Starkoch Daniel Humm. Es geht um das Produkt, die Speisen, seine Arbeit. Die Arbeit, welche in seiner Wahlheimat New York stattfindet und immer ein Teil seiner Gerichte ist. Er ist einer der vielen Protagonisten, die gerade dabei sind, Amerika eine neue kulinarische Identität zu verpassen. Bisher stand diese Küche eigentlich für nichts.
Er verleiht ihr mit dem Einsatz derer regionalen Produkte eine neue Daseinsberechtigung auch auf internationaler Ebene. Seine Speisen sind gerade auf Foren wie Instagram enorm verbreitet, was dabei hilft, den Bekanntheitsgrad dieses Restaurants nach oben zu peitschen. Gerade diese mediale Präsenz ist manchmal auch ein wenig von Nachteil, weil man beim Blättern durch sein Buch das Gefühl hat, man kenne bereits einige der Speisen. Doch fangen wir von vorne an.
Make it nice
Diesem Credo ist wirklich alles unterworfen und was so simpel klingt, ist im Kern die Formel für den Erfolg. Dabei folgt Daniel Humm einem eher minimalistischen Handwerk ohne Materialschlachten auf dem Teller. Das erkennt man schnell, wenn man sich durch das erste Kapitel namens Frühling blättert.
Dort gibt es zum Beispiel „Gehobelter Rettich mit Hecht und Kapuzinerkresse“. Hier wird ein geräucherter und gehackter Hecht mit einer Fischgrätenmayonnaise mariniert, angerichtet und darauf ein Bett von eingelegten Radieschen gesetzt. Eine Hechtrogensauce sowie grasgrüne Kapuzinerkressesauce serviert er dazu. Einfach und dennoch sehr stilsicher.
Vor dem eigentlichen Gang und dessen Zubereitung wird neben einer wunderbaren Illustration von Janice Barnes eine kleine Anekdote über unterschiedlichste Dinge wie dem eingesetzten Produkt oder Erfahrungen, die Daniel mit dem Gericht verbindet vorangestellt.
The Art of Storytelling
Daniel Humm teilt so unheimlich viel über seinen Werdegang und dem daraus resultierenden Verständnis für das Kochen mit, wie kaum ein anderer. Besonders gefällt neben der ästhetisch sehr anspruchsvollen Aufmachung, dass man sich bei den Texten auf eine angenehme Länge eingependelt hat.
Bei vielen Kochbüchern wirken die Dreizeiler zu den Rezepten, als wäre es eine Art Pflichtprogramm, was man abspulen muss, weil der Leser das heute so erwartet. Hier habe ich das Gefühl, der Autor möchte das Wissen und die Erfahrung wirklich gerne teilen. Das Lesen bereitet so natürlich viel mehr Freude, wenn er darüber philosophiert, dass das Brunchen in der Schweiz in der bekannten Form überhaupt nicht üblich ist. Für ihn war es kurz nach der Übersiedlung eine „entspannte, verrückte, unterhaltsame Mahlzeit“.
Der Brunch war für ihn nach den ersten sechs Jahren in den Staaten eine erste Einführung in die Stadt, welche er bis dahin kaum kennenlernen konnte, da die meiste Zeit für die harte Arbeit im EMP drauf ging.
Dieses und noch mehr nutzt er, um seine „Eggs Benedict mit Kaviar und Spargel“ einzuleiten. In einer Kaviardose mit eigenem Aufdruck nutzt er ein Gelee vom grünen Spargel als Sockel um darauf gelierten Schinkenfond, Würfel vom Spargel und Kaviar anzurichten. Dazu gibt er eine klassische Sauce Hollandaise mit englischen Muffins.
Das liest sich fast schon profan, schaut in seiner Darbietung absolut perfekt ausgearbeitet aus. Augenscheinlich überlässt Daniel Humm absolut nichts dem Zufall. Jede einzelne Spargelspitze sitzt genau da, wo sie sein soll. Die Würfel allesamt höchst präzise platziert. Superb!
Großartige Texte – Rezepte sowieso
Bei Daniel Humm hat man niemals das Gefühl, als habe man den einen oder anderen Gang bereits in ähnlicher Weise bei einem seiner Kollegen gesehen. Er kopiert nicht, er wird kopiert. Er hat einen sehr uniquen Stil und einen eisernen Willen, bis zum Letzten zu gehen. Das umschreibt er zum Beispiel bei dem Dessert „Beeren – Cheesecake mit weißem Johannisbeer- Sorbet“.
Nachdem das Gericht auf Papier gebracht wurde, überlegte die Pâtisserie, wie sie das denn bitteschön umsetzen sollten, denn um den Käsekuchen samt Sorbet für eine gesamte Saison auf die Karte zu setzen, mussten sie praktisch jede einzelne weiße Johannisbeere beschaffen, die in den Staaten angebaut wurde. Seine Antwort kam schnell recht schnell auf den Punkt:“Okay, dann lasst uns sie holen“.
Kurzum wurde eine Unmenge an Bauern in den USA angefragt, diese Beere anzubauen mit der Zusage, dass die Ernte auch verpflichtend abgenommen werden würde. So konnten sie ihr Sorbet produzieren und es den Gästen servieren.
Die Texte, welche sehr anschaulich zeigen, dass Daniel Humm mit seiner Expertise und der Gabe, das Große und Ganze zu blicken, sich derart abgrenzt, wie kaum ein zweiter seines Faches, wären schon ein eigenes Buch wert. Zusammen mit der Sammlung seiner Gerichte ist es ein einmaliger kulinarischer Schatz.
So reist man mit Daniel Humm durch ein gesamtes Jahr. Es macht richtig Spaß, die Stories hinter den Gerichten zu erkunden. Sie heben das Buch, welches im Ursprung ja eigentlich ein Kochbuch ist, zu einem Erlebnis. Die Illustrationen, der Speisen und Zutaten sind einfach großartig.
Die Ausführungen suchen ihresgleichen. Wieder mal wurde Francesco Tonelli für die Fotografie eingesetzt. Die Bilder sind allesamt brillant und auf den Punkt. Man schlägt wieder einen sehr ausgewogenen Ton in der Bildsprache an. Hier hat man es mit einer sehr natürlichen und ästhetischen Arbeit zu tun, welche das Gericht und nicht den Fotografen ins Zentrum rückt.
Frühling – Sommer – Herbst – Winter
Das Buch ist, wie bereits erwähnt in die 4 Jahreszeiten untergliedert. Jedem Rezept ist eine sehr spannendende und unterhaltsame Einleitung beigefügt, welche mit Aquarellillustrationen versehen ist. Die Rezepte sind dabei übersichtlich angegliedert und geben kaum Grund zu Beanstandungen.
Ein klein wenig stört es, dass bei längeren Rezepten die Absatzfunktion nicht genutzt wird und man während des Kochens man sich immer wieder reinlesen muss. Ansonsten sind die Rezepte genau und in meiner langjährigen Erfahrung als inoffizieller Rezeptetester von Daniel Humm kann ich sagen, dass bei den bisher ausprobierten Zubereitungsanleitungen es nie Probleme gegeben hatte. Ich vermute, dass man hier auch so konsequent auf funktionierende Rezepte geachtet hat.
Fazit • Das Buch von Daniel Humm ist ein Meisterwerk
Das Buch gehört in jedes, und ich meine auch wirklich jedes, Kochbuchregal. Es ist gemessen am Preis und was man sonst so derzeit für das Geld bekommt, erschreckend preiswert. Wer seinem Liebsten ein Weihnachtsgeschenk der besonderen Art machen möchte, greift hier zu. Ich kann nicht genau sagen, wie hoch diese Auflage ist, aber erfahrungsgemäß dürfte dieses Buch vermutlich keine Probleme haben, ausverkauft zu werden.
In diesem Buch, welches mit mehr als 100 Stories aufwartet und ebenso mehr als 100 Rezepte vereint, wird bewiesen, dass er zweifelsohne zu den besten Köchen dieser Welt gehört. A MUST HAVE!