Berlin, ja sogar Deutschland, hat seine erste reine Dessertbar. Die CODA Dessert Bar mit René Frank, ehemaliger Chef Patissier von Thomas Bühner, und Oliver Bischof, einem Diplom Designer aus Berlin, ist also ein Novum, jedenfalls für deutsche Verhältnisse.
Wem das als Berliner bis jetzt in der Stadt noch nicht aufgefallen ist, dem muss man wohl ernsthaft fragen, welche Medien er/sie wohl in den letzten Wochen und Monaten konsumiert hat. Derart viel PR bei einer Neueröffnung habe ich bisher selten erlebt.
Dessertbars sind keine Neuheit
In Frankreich oder auch Spanien gibt es solche Dessertbars zuhauf. Hierzulande hat man sich wohl nur noch nicht so richtig getraut. Die beiden waren sich aber darüber einig, dass es wohl funktionieren könnte, aber zweifelsohne nur in einer ganz bestimmten Stadt. Und das musste Berlin sein.
Doch in welchem Bezirk lässt man sich nun nieder?
Hier entschied man sich ebenfalls für eine Gegend, welche szenetechnisch derzeit hoch im Kurs steht, Neukölln. In der Friedelstraße mit Nähe zum Volkspark Hasenheide oder auch dem Görlitzer Park in die andere Richtung siedelte man sich für Gourmetverhältnisse in einer eher dünn besiedelten Gegend an. Aber auch dies ist wohl ein Understatement, welches vermutlich so zum Gesamtkonzept gehören soll.
Eine Symbiose zwischen Speise und Getränk
Wer zudem nicht so recht weiß, wo der Dessertladen der Stunde genau liegt, wird wohl vermutlich erst einmal daran vorbeilaufen, so unscheinbar ist die graue Fassade, bei der auch kein Schild oder sonstiger Hinweis darauf aufmerksam macht, vor welchem vielversprechenden Lokal man sich hier befindet. Nach meiner Ankunft begebe ich mich direkt zu René und Julia in die größtenteils offene Küche, in der abends freilich nicht mehr gekocht, sondern primär angerichtet wird. Die Inneneinrichtung, die Tische als auch die Bar an sich sind aufs Nötigste reduziert gestaltet und dekoriert.
Hier begegnet man dem Gast ohne viel Schnick Schnack in einer recht gedämmten Atmosphäre. Der Barbereich ist frei von etikettierten Markengetränken, diese wurden allesamt in schwarze Flaschen umgefüllt. Denn schließlich auf den Inhalt und den Endgeschmack der jeweiligen Drinks kommt es den Machern an. Doch dazu später mehr.
Ich interessiere mich natürlich für die Küchenausstattung der CODA Dessert Bar. Und diese kennt keine halben Sachen. Hier steht der Thermomix, dort der Pacojet, mehrere Excalibur Dörrautomaten, Sous Vide Becken und andere Markengeräte. Dieser Handwerksraum kennt keine Kompromisse und so ist vermutlich auch die Arbeitseinstellung von René, der die letzten Jahre als Chef der „Dessertabteilung“ auf drei Sterneniveau im La Vie in Osnabrück gearbeitet hatte.
Seine vorbereiteten Speisen, Gewürze und sonstigen Zutaten sind akkurat und leicht nachvollziehbar in einem optisch ansprechenden Regalsystem untergebracht. Das müssen sie sicherlich auch, schließlich schafft er ja in einer offenen Showküche. Doch auch der nicht einsehbare Raum ist sehr ordentlich aufgeräumt.
Doch wie steht es um die Desserts?
Um die Desserts zu verstehen, muss man wissen, dass hier die Nachspeisen nicht von der Bar oder deren Getränke zu trennen sind. Allen Gerichten wird ebenso ein Pairing in der flüssigen Form empfohlen und die meisten Gäste lassen sich auch gerne darauf ein. In der Regel stellt er sich sein Dessert zusammen und zieht davon am Ende ein paar Komponenten ab um dann daraus dann mit Barchef Julian einen passenden Drink zu erarbeiten.
A must go for foodies
So entstehen dann zum Beispiel Kombinationen wie beim Dessert mit „KIWI:DINKELGRAS:HIMBEERE“, welches mit einem Drink aus „Traube:Nuss:Alge“ gereicht wird. Man erkennt gleich, das hier nicht auf Regionalität, sondern auf Produktqualität gesetzt wird. Sicherlich wird primär probiert, die Produkte aus der Region zu beziehen, doch ist man auch nicht bereit, deswegen auf erstklassige nicht ersetzbare Mittel zu verzichten.
Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt meiner Ansicht nach bei ihm in der Präsentation, die an diesem Abend bei keinem Dessert auch nur im Ansatz als gewöhnlich bezeichnet werden dürfte. Das wird freilich durch die vielen „zeitgemäßen“ Techniken befördert. Hier gibt es eine Sphäre, dort ein live in Stickstoff gekühltes Sorbet. Die Dörrautomaten geben die knusprigen Texturen frei. Der Espuma beherbergt den volumigen Aprikosenespuma und die Smoking Gun sorgt für die Raucharomen im fabelhaften Schokoladengang.
Der Muckefuck- Geschmack erlebt hier sein Comeback
Genau dieser Gang namens „SCHOKOLADE 70%:PFLAUME:ZICHORIE“ ist nicht nur wegen der Inszenierung bei mir hängen geblieben. Unter einer kunstvollen Glosche wird am Gast die Schokolade geräuchert. Parallel dazu wird ein Glas mit Lambrusco eingesetzt, welcher zudem am Tisch über einem Zerstäuber mit Whiskey aromatisiert wird. Die neben der Schokoladenpraline angerichtete Schokoladensauce mit Zichorie schmeckt sehr stark nach dem aus der ehemaligen DDR bekannten Muckefuck, einem sogenannten Kaffeeersatzgetränk. Hier hat René schon oft an der Reaktion der Gäste erkennen können, ob denn hier ein Bezug oder gar die Herkunft aus dem Osten vorhanden ist. Das Zusammenspiel aller hier dargebotenen Bestandteile funktioniert einfach wunderbar.
SCHAFSKÄSE:BRIOCHE:TRAUBEN
Zwischendurch reicht er gerne Desserts, um es zu ermöglichen, sich geschmacklich wieder neu kalibrieren zu können. Das gelingt ihm mit einer Kuppel aus Schafskäse, welche mit einem selbst hergestellten Brioche, einem Rucolapesto mit Cashewkernen und weißen Trauben gefüllt ist. Dazu reicht die Bar einen Crémant du Jura mit Karamellsirup und Meersalz.
Optisch einprägsam dürfte für die meisten das folgende Dessert sein. Hier dressiert er die Sorbetmasse aus Kiwi und Dinkelgras erst kurz vor dem Anrichten in die mit Stickstoff befüllte Styroporbox. Heraus kommt wenig später das darin gefrorene Sorbet. Zusammen mit den Sphären aus Mandelmilch, gekeimten und gepufften Dinkel nebst Kiwitatar ist das sicherlich eines der spektakuläreren Desserts. Der Drink dazu soll mit seiner Zusammensetzung aus „TRAUBE:NUSS:ALGE“ die grünen Aromen der Kiwi mit aufnehmen.
Verschiedene Menüs & moderate Preise
Die Preise für das große fünfgängige Dessertmenü kostet ohne Getränkebegleitung 39 € und mit dieser 67 €. Obendrein wird dann noch ein Menü mit drei (ohne: 24 € | mit: 40 €) oder eben lediglich zwei Gängen (ohne: 17 € | mit: 27 €) angeboten. Man hat natürlich die Möglichkeit, einzelne Desserts „à la carte“ zu wählen. Die Preise liegen hier um die 10 bis 13 €. Man hat sich ganz bewusst für eine nicht allzu hohe Auspreisung entschieden, da man liebend gerne hätte, dass der Neuköllner Kiez- Bewohner das Restaurant nicht nur annimmt, sondern hin und wieder die Gelegenheit ergreift, sich den süßen Versuchungen zu ergeben.
Für mich ist dieses Restaurantkonzept sicherlich ein Anwärter auf einen Stern im Guide Michelin und René dürfte nun mit zu den besten „Puddingköchen“ der Stadt zählen. Vermutlich sind sie schon jetzt ein heißer Kandidat für Preise bei den Berliner Meisterköchen in den Kategorien „bester Pâtissier“ und „Aufsteiger“.
Dennoch frage ich mich, ob denn die für meine Begriffe recht überschaubaren Sitzplätze für genug Umsatz sorgen können, um den Betrieb auf diesem Niveau am Leben zu erhalten. Die CODA Dessertbar ist von Dienstag bis Samstag nur abends ab 19 Uhr geöffnet. Wünschenswert wäre es, gerade weil Berlin von solch einer pluralen, vielschichtigen Gastronomiewelt lebt und besteht. Es wäre aber auch nicht das erste Mal, dass gute Konzepte scheitern. So gilt es, das zu verhindern, indem Ihr alle Euch in diesen neuen Tempel des Zuckers begebt, um Eure ganz eigene Erfahrung mit den Desserts von René und Olli einzuholen.
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»CODA Dessert Bar«
Friedelstraße 47
12047 Berlin
www.coda-berlin.com