Der Poststreik ist schuld. Dieses Buch ist mir eindeutig zu lange künstlich vorenthalten wurden. Heiko Antoniewicz hat zusammen mit Michael Podvinec und Thomas Ruhl ein Buch herausgebracht und zugleich sein Portfolio an bereichernden Publikationen um ein grundlegendes Feld der wiederentdeckten Garmethoden erweitert. Es geht ums Fermentieren.
„Fermentation“Heiko Antoniewicz
Fackelträger Verlag
2015, Köln
256 S., gebunden, 69,00 €
ISBN: 978-3771645656
„Eine archaische Technik erobert die feine Küche.“
Eine Auseinandersetzung mit der Fermentation ist automatisch auch eine Beschäftigung mit den Traditionen verschiedenster Kulturkreise. Eine grundlegende Eigenschaft von Fermentiertem ist die Haltbarmachung. Das kann man bei vielen anderen Kochtechniken ebenso beobachten. Beispielsweise wurde ursprünglich eingekocht und eingeweckt um Lebensmittel für den Winter zu sichern. Auch wurden Fische auf Schiff eingesalzen, um Proviant für die Reise gewährleisten zu können. Auch gilt das sauer einlegen, welches wir heutzutage in Form einer Relish oder den berühmten „Mixed Pickles“ in den Gerichten wiedererkennen einst als Konservierungsmethode. Auch das Einlagern in Ölen und Fetten wirkt ähnlich und wurde als sinnvolle Handhabung angewandt. Es gibt aber auch Gründe für eine bessere Verdauung, die dafür gesorgt haben, dass man Lebensmittel schon vor dem Verzehr künstlich zersetzt.
Diese Handhabung galt bis zu dem Moment als der Kühlschrank die Welt eroberte und somit sämtliche Gewohnheiten des Einlagerns und auch des Verzehrens von Speisen und Lebensmitteln revolutionierte.
Heute nutzt man die Fermentation um ein besonderes Geschmackserlebnis zu erzeugen. Auch möchte man ein noch authentischeres Produkt erschaffen, indem man dieses mit den traditionellen Methoden produziert. Die Naturküche oder Trendthemen wie Rohkost oder auch die Raw- Food- Philosophie entsprechen nicht selten diesem Wunsch nach „echtem“ Essen. Die stetig wachsende Nachfrage ist kaum noch zu bedienen. Die Preise geben da ein klares Bild wieder.
Sandor Ellix Katz, ein amerikanischer Food- Aktivist, wird zum Thema Fermentation wie folgt zitiert:
„Es ist lustig. Wenn ich mit Leuten spreche, die sich von fermentierten Lebensmitteln gesundheitliche Vorteile versprechen, dann ertappe ich mich dabei, dass ich vorwiegend über Aromen spreche. Ich möchte die Leute anregen, darüber nachzudenken, dass es nicht nur um Nutzen geht, sondern auch um Genuss. Und wenn ich mit den Leuten spreche, die aus einer Gourmet- und Aromenperspektive an das Thema herangehen, dann werde ich die wichtigen gesundheitlichen Vorteile ins Gespräch einbringen. Wir kommen aus einer Kultur, die das letzte Jahrhundert damit verbracht hat, den Bakterien pauschal als Feinden den Kampf anzusagen. Darum ist es so wichtig, den Blickwinkel nicht aus dem Auge zu verlieren, dass es zu einem Großteil eine hohe Diversität von bakteriellen Kulturen ist, die diesen Lebensmitteln ihre interessanten Aromen und ihre gesundheitlichen Vorteile verleiht.“
Wie geht H. Antoniewicz dieses Thema im Buch „Fermentation“ an? Vorab wird der Leser sinnvollerweise in die Theorie der Fermentation eingeweiht. Man offenbart hier ein wenig Geschichte rund um das bakterielle Zersetzen von unterschiedlichen Produktgruppen und warnt auch vor den Nachteilen fermentierter Lebensmittel. Gerade bei Fisch und Fleisch sollte man sich nicht ohne fachmännische Hilfe an diese Technik heranwagen. Sie wird dringend empfohlen und das ist auch gut so. Fehler könnten arge Folgen nach sich ziehen.
Die weiteren Kapitel wie „Wie funktioniert Fermentation“, Arten der Fermentation“, „Fermentation ohne Mikroorganismen“ oder „Sicherheit fermentierter Lebensmittel“ werden begleitet von stark vergrößerten Lebensmitteln, welche allesamt schon bakteriell zersetzt sind oder sich gerade im Prozess der Zersetzung befinden. So kann man sich schon vorab ein Bild davon machen, wie fermentierter Rhabarber ausschaut.
Danach geht es dann endlich nach all der Theorie zu den Gerichten und schließlich zu dem Abschnitt, wie man die Fermentation heute kreativ einsetzen kann. Ein Dessert bildet die Ouvertüre. Sie besteht aus „Kefir, Mango, Mohnsoufflé und Minzepesto“. Hier wird eine Kefirknolle mit Milch bei 25°C für zwei Tage gelagert und nach dem anschließenden Passieren für lässt man sie zusammen mit Sternanis für 24 Stunden im Kühlschrank reifen. Man erkennt sofort: Fermentieren ist nichts für Ungeduldige. Ein grober Zeitplan und entsprechend rechtzeitiges Einlegen ist sehr empfehlenswert bei dieser Cuisine.
Sehr spannend finde ich den nächsten Gang. Hier wird Rotkohlsaft mit Hefe versetzt und anschließend bildet dieser Fond die Basis für die weiteren Komponenten, welche da Makrele und Joghurt wären. Die mit Essigfond vakuumierte Makrele wird nach 12 Stunden von der Silberhaut befreit und mit dem Bunsenbrenner abgeflämmt. Bei diesem Gericht würde ich ohne zu zögern zugreifen. Ich finde diese Zusammenstellung nicht nur optisch sehr gelungen sondern auch vom Lesen her in sich schlüssig. Dabei sind die Zubereitungsschritte, wie anfangs im Buch schon erwähnt wurde, sehr einfach gehalten. Sie bestehen stets aus wenigen sehr einfachen und leicht nachvollziehbaren Schritten.
„Der Rotkohlsaft wird in diesem Rezept mit Hefe angeimpft und 3 Tage stehen gelassen. So findet eine alkoholische Gärung statt: Der vorhandene Zucker in der Lösung wird in Alkohol und Kohlensäure umgewandelt.“
Was bei jedem Gang immer wieder sofort auffällt, ist die doch ungewohnte bis fast befremdliche Optik, welche die zersetzten Speisen so mit sich bringen. Ein ganz unübliches Food- Design schlägt sich so auf den Tellern nieder. Hat man sich damit angefreundet, entpuppt sich auch dieser Stil als so ziemlich ansehnlich. Man hat dafür auch auf die sichere Bank gesetzt. Mit Thomas Ruhl hat man sich letzten Endes ja auch einen der bekanntesten und nicht minder erfolgreichen Food- Fotogafen mit ins Boot geholt. Bekanntermaßen setzt er die Arrangements immer leicht vergrößert in Szene. Man verlässt sich dabei aber nicht nur auf den Zoomfaktor, sondern platziert die Speisen auf unterschiedlichstes Porzellan. Farben und Oberflächentexturen spielen dabei ebenso eine große Rolle, wie die kulinarischen Darbietungen.
Bei den eingesetzten Produkten schrenkt man sich nicht durch regionale Herkünfte ein. Es stehen Waren wie Erbsen, Minze und Zander ebenso auf dem Einkaufszettel wie Shii Take, Tempeh- Garnelen oder Pak Choi.
Die Gerichte sind von der Gliederung in 5 Hauptgruppen unterteilt:
„Weiß | Gold“
„Umami | Kokumi“
„Mitgehangen“
„Feld | Wiese“
„Sack | Asche“
Zusätzlich werden noch im Kapitel „Getränke“ 7 Rezepte feilgeboten, welche zum Großteil aus fermentierten Sud bestehen.. Die „Grundrezepte“ runden das Wissen noch ab und die Kategorie „Rezepte für Leidensfähige“ zeigt noch mal ganz „besondere“ Zubereitungen, welche für die absoluten Liebhaber der Fermentation gedacht sind.
Die Thematik der Fermentation wurde für meine Begriffe bisher nicht auch nur annähernd so attraktiv dargestellt und nähergebracht wie hier. Das Dreiergespann schafft es ganz fabelhaft das Feld der „traditionellen Garmethode“ zu entmystifizieren. Ich bin gespannt auf die hunderten Adaptionen, welche auch dieses Buch in den Restaurants, Blogs und sonst wo hierzulande nach sich ziehen wird.
Heiko Antoniewicz hat sich mit diesem und allen seiner weiteren Werke wieder mal ein Denkmal gesetzt. Für mich ist er der beste Kochbuchautor unserer Zeit und hoffentlich wird er uns weiterhin so unterhaltsam wie aufschlussreich eigentlich staubtrocken wie langweilige Themen so qualitativ hochwertig und einzigartig präsentieren. Mehr davon bitte!
PS: Es empfiehlt sich dringend beim Kauf in der Buchhandlung der anschließende Schlenker zum Drahtbügelglasverkäufer!
Vielen Dank für diesen ausführlichen Artikel. Hab bis jetzt ob des Preises noch gezögert, aber deine Beurteilung überzeugt mich völlig, dieses Buch zu erstehen.
Während Katz zwischen Esoterik und Genialität schwankt, scheint dieses ein Meisterwerk zu sein.
Gerne geschehen. Ich denke, wen dieses Thema interessiert und ich eine spannende und zeitgemäße Aufarbeitung zulegen möchte, macht hier nicht viel verkehrt.