Auf dieses Buch habe ich gewartet. Ich muss ehrlich eingestehen, dass alles stark gehypte ich nicht selten genauso stark ablehne. Essen zum Berispiel alle Burger, warte ich erstmal ab, bis die Herde weiter gezogen ist und ich mich in Ruhe dem Thema widmen kann. Speist jeder auf einmal vegan oder sieht sich gezwungen entsprechende Maßnahmen aufgrund des gepushten Gruppenzwangs auch am heimischen Kühlschrank zu vollziehen, ist das für mich noch lange kein Grund hektisch zu werden. So ging diese Welle an mir erst mal vorbei und die ersten Vorläufer zu den nächsten Themen sind schon auszumachen.
„Gemüse aus dem Bauerngarten“
Thomas Ruhl
Fotografie: Thomas Ruhl
Fackelträger Verlags GmbH
Köln, 2014
256 Seiten, gebunden
49,95 €
ISBN: 978-3-7716-4545-8
Aber an dem Buch „Gemüse aus dem Bauerngarten“ von Thomas Ruhl bin ich nicht vorbeigekommen. Das hat mehrere Gründe.
Zum einen empfinde ich [derzeit] Gemüse als weitaus spannender als Fisch oder Fleisch, jedenfalls was die Zubereitung angeht. Das war nicht immer so, gab es um die Jahrtausendwende noch nicht diese Auffassung meinerseits. Damals hatte man auch noch nicht die heutige Auswahl. Nun ist das anders. Mit Pflanzen zu kochen ist schon sehr erfüllend und Fleischbeilagen braucht es dafür nicht zwingend. Vor kurzem bemerkte ich das erst wieder beim besten vegetarischen Lokal der Stadt. „Cookies Cream“ heißt der Laden und Stephan Hentschel kocht da schon sehr lang sehr groß auf. Er verzichtet vollkommen auf alles Tierische und kredenzt Gemüsejus von unnachahmlicher Kraft und Würze, die so manch herkömmliche Sauce in den Schatten stellt. Auch lässt er ganz bewusst Tofu, Reis und Pasta als obligatorische Mitstreiter auf dem Teller aus, was die meisten Herdkünstler wiederum auf den ersten Blick stark einschränken würde. Er macht aber aus der selbstgewählten Not eine Tugend und gibt sich dabei absolut unprätentiös. Selbst ißt er wahnsinnig gerne Fleisch, vorausgesetzt die Qualität ist spitze.
Was aber tun, wenn einem so gänzlich der fundierte kulinarische Background fehlt oder man mehr als die üblichen Gemüsevertreter a.k.a. Porree, Karotte & Blumenkohl auftischen möchte. Ein gut aufgearbeitetes Kochbuch kann da weiterhelfen.
„Gemüse aus dem Bauerngarten“ könnte solch ein Buch sein. Thomas Ruhl gehört unter die Riege der besten internationalen Food- Photographen und hat mit der Ankündigung diverser Titel (ON FIRE, Kevin Fehling, etc.) mit Sicherheit derzeit ein straffes Programm. Das kürzlich veröffentlichte Buch über die „vergessenen und besonderen Sorten“ der vegetarischen Art nimmt die bisherigen „Nebendarsteller“ in den Fokus, verzichtet bei den aufgeführten beispielhaften Rezepten aber bewusst nicht auf Fleisch. Es adelt die Gewächse als absolut gleichwertig.
Wie wurde das umgesetzt?
Zu allererst nähert man sich dem Sachverhalt mit einer Fülle an Wissen. Da ist die Rede von der Vererbungslehre und der damit verbundenen Artenentstehung, die Anwendung der Zucht und dem Wandel von Pflanzen der ursprünglichen Wildform bis hin zur Kulturpflanze. Zudem wird der Rubrik „Saatgut“ hier ein Podium geboten, regelt doch dessen Politik maßgeblich das Endprodukt, welches bei uns iauf dem Tisch landet. Unterfüttert wird dieses Spektrum zum Beispiel mit altbewährten Grafiken der verschiedenen Kohlsorten. Illustrationen solcher Art haben sich bei naturwissenschaftlichen Erläuterungen schon immer besser geeignet als Fotografien und ergeben hier abolsut Sinn. Eine „Kleine Pflanzenkunde“ ergänzt zudem noch die genaue Definition zu allgemein gebräuchlichen Begriffen wie „Gemüse“, „Nutzpflanzen“ oder auch „Obst“.
Es folgt die Gegenüberstellung der Protagonisten im Einzelnen. Viele Sorten kennt man sicherlich, hat man sie doch bestimmt schon einmal gesehen oder gar beim letzten Restaurantbesuch genossen. Doch käme man aufgrund der „Bildungslücke“ und daraus resultierenden Unsicherheit im Umgang nie darauf sie zu kaufen. Einen großen Schub bekamen ja in den letzten Jahren die „Beten“ allen voran die Rote und später auch Gelbe Bete. Dazu gesellte sich obendrauf die deutlich schwerer erhältliche „Ringelbete“ auch genannt „Chioggia“. Dass es da durchaus noch 8 weitere nennenswerte Arten gibt, kann man an der sehr gut aufgemachten Übersicht erkennen. Weitere Gemüsegattungen wie „Karotten“, „Kartoffeln oder auch „Topinambur“ sind ebenso dargestellt und mit Informationen wie der Beschaffenheit und Geschmack vorgestellt.
Bevor es weiter hinten im Buch ans wortwörtlich zu verstehende Eingemachte geht, wird dem Leser noch ein Arsenal an Werkzeugen der Gemüseverarbeitung offeriert um zu verdeutlichen, in welche Form denn das fleischlose Produkt so gebracht werden kann. So darf wohl bei einem angehenden Gemüseschnitzer kein Kochmesser, Tourniermesser, Buntmesser, Gemüsehobel oder gar Mandoline, Kugelausstecher, Zestenreißer oder Gemüsespiralenschneider fehlen um zur Elite aufzusteigen. Wem die Namen nichts sagen, kann getrost diese Tools und dessen Endprodukte bestaunen.
Nach der allgemeinen Theorie geht es zu den allgemeinen Gar- und Zubereitungsmethoden. So ist hier von „Sous-Vide“- Garen, Essenzen, Fonds, Gemüsegrillen, Frittieren, Trocknen und Einwecken zu lesen. Einstiegs- und Basisrezepte helfen dabei die ersten Schritte zu unternehmen.
Auf den letzten mehr als 100 Seiten folgen nun noch die inspirierenden Ideen der Küchengrößen unserer Epoche, die sich durch ihren kreativen Umgang mit dem Gemüse ihre eigene unverkennbare Stilistik geschaffen haben und somit einen auch international erhörten Ruf genießen. Allen voran wird hier Thomas Bühner angeführt, der mit seinen regelrechten „Materialschlachten“ das Niveau in der Gemüsezubereitung extrem auf die Spitze treibt. Nicht selten haben seine Teller über 20 verschiedene Bestandteile. Er dekliniert einzelne Lebensmittel mehrfach in einem Gang durch und erreicht damit sehr komplexe Varianten einfacher Zutaten. Dem Gast ist ein Teil der Geschmackssteuerung somit selbst überlassen, je nachdem wie der Teller mit der Gabel angegangen wird, tendiert das Gericht mal in die eine mal in die andere Richtung.
„Rote Bete und Artischocken mit Filet vom Rehrücken, geräuchertem Rindermark, Boudin Noir“ ist ein glanzvolles Beispiel dafür. Ganze 17 verschiedene Komponenten schmücken den Teller. Allein die Blutwurst kommt hier als Creme, Muffin und Krokette auf das Porzellan. Legt man nun das Auge auf das Gemüse sind neben der benannten Roten Bete und den Artischocken noch Frühlingslauch, Zitronenthymian, Basilikumcreme, Kartoffelmousseline und Bohnenkerne zu finden.
Viel puristischer geht es da beim Nordstern Johannes King zu. Er setzt auf eine Interpretation der Salzkartoffel. So inszeniert er sie zusammen mit Monsumer- Krabbenspargel und einer Ziegenbutter- Hollandaise. Ein absolut gegenteiliges Konzept, welches noch mehr das Vegetarische in den Mittelpunkt rückt.
Aber nicht nur nationale Küchenhelden sind hier zugange. Tanja Grandits, welche bei Ihren Gerichten neben den geschmacklichen Akzenten zudem sehr viel Wert auf das farbliche Zusammenspiel legt, bekommt auf diesen Seiten neben Stars wie René Redzepi, Thomas Dorfer, Eneko Atxa oder Jonnie Boer auch eine Bühne.
Es bietet sich dem Leser eine recht große Bandbreite an spannenden Gerichten, die nicht immer auf das gleiche Konzept setzen. Wer jedoch schon viele der „Port Culinaire“ Ausgaben sein eigen nennen kann, wird bestimmt so einige der Gerichte wiedererkennn. Für alle anderen bietet dieses umfangreiche Sammelsurium an Rezepten mit dem großen Teil an Informationen und Fachwissen zu den unterschiedlichsten Gemüsesorten sicherlich ein Buch mit Mehrwert dessen Anschaffung sich im Endeffekt als lohnenswert herausstellen dürfte.
Hinweis der Redaktion
© sämtlicher Bilder bei Thomas Ruhl
Ein Teil der besprochenen Produkte wurden von Unternehmen zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.