Mit der diesjährigen Ausgabe der Erfolgsreihe von Roland Trettl namens „Kulinarische Überflieger“ geht es in die nun schon 5. Runde in der das vergangene Jahr mit einer Zusammenstellung der ganz besonderen Art gewürdigt wird.
„Kulinarische Überflieger 2012“
Roland Trettl
Gestaltung: Red Bull Creative, Salzburg
Collection Rolf Heyne
München 2012
304 S., gebunden, 49,90 EUR
ISBN: 978-389910541-4
Es huldigt die vergangenen 11 Gastköche, welche ihre Einladung in die Hallen des „Ikarus“ als ganz persönlichen Ritterschlag ihrer individuellen Kochkunst der internationalen Szene sehen dürfen. Das Lineup der vergangenen 12 Monate war folgendes:
Frantzén & Lindeberg | „Frantzén/Lindeberg“ – Schweden
Rizzo & Redondo | „Maní“ – Brasilien
Nuno Mendes | „Viajanta“ – England
Tim Raue | „Restaurant Tim Raue“ – Deutschland
Ryan Clift | „Tippling Club“ – Singapur
Tanja Grandits | „Restaurant Stucki“ – Schweiz
Pino Lavarra | „Rosselinis/Palazzo Sasso“ – Italien
Daniel Patterson | „Coi“ – USA
Pascal Barbot | „L`astrance“ – Frankreich
Rasmus Kofoed | „Geranium“ – Dänemark
Peter Gilmore | „Quay“ – Australien
Den letzten der zwölf Monate bleibt dem Ikarus- Team selbst die Möglichkeit, ihre Gäste von ihrem Können zu beeindrucken.
Kulinarische Überflieger gibt es hier zuhauf
Gleich zu Anfang wird dem Leser zu verstehen gegeben, nichts Alltägliches oder gar Gewöhnliches in diesem Werk zu entdecken. Durch ständiges Infrage stellen und stetiges Neubeleuchten wird Altbewährtes auf den Prüfstand gestellt, um die beste und befriedigende Antwort gefunden hat. Dieser Anspruch neue Trends nicht zu erzwingen sondern grundsätzliche Entwicklungen durch Veränderung gerecht werden zu wollen, ist der Grundsatz des Ikarus`- Team.
„Man „plant“ nicht einen Trend, sondern wenn überhaupt, dann macht man ihn.“ – Roland Trettl
Umso mehr der Wandel der internationalen Küche vorangetrieben und durch Medien wie Internet in allen Gesellschaften erreicht wird, desto mehr verschwimmen die Grenzen eines eindeutigen Kochstils.
Das merkt man insbesondere bei den ersten Gastköchen, welche durch ihre Herkunft eine nordische Kochkultur erahnen lassen. „Frantzén / Lindeberg“ aus dem gleichnamigen Restaurant in Stockholm, welches eine absolut entschleunigte Version des Kochens darstellt. Kein Mise en place, keine Vorbereitung der Produkte im klassischen Sinne. Das meiste wird erst zubereitet, wenn der Gast den Gastraum, welcher irrwitzig klein ist und dessen Pass der Küche in diesen aus Platzgründen eingearbeitet ist. Besteck nimmt man sich aus eine Art Besteckhalter, welcher in Etablissements auf diesem Niveau eher ungewöhnlich aber mit einem gewissen Charme und dem gut durchdachten Design sympathisch näher gebracht wird. Besitzer der vergangenen Ikarus- Werke werden sofort das andere Layout bei der Rezeptdarstellung bemerken, welches für jeden Kochkünstler neu gestaltet wurde. So heben sich die Charaktere nicht nur durch ihre Kompositionen, sondern auch über ihre ansprechende Darstellung ab.
Das Tatar vom Rind mit geräuchertem Aal und Kaviar ist auf die Art und Weise zubereitet worden, in der Beide die Rohstoffe am liebsten verarbeiten – roh.
Auch hatte jeder der Protagonisten die Aufgabe einen zugesandten Kochlöffel ganz nach ihrem Geschmack zu gestalten. Eine sehr neckische Variante, welche jeder auf seine einzigartige Weise interpretiert hat. Teilweise von der knallbunten Version hin zur Speisekarte in der Holz- Ausführung.
Natürlich lässt es sich Roland Trettl auch nicht nehmen, selbst nach dem Besuch in seinem Hangar 7 auf Stippvisite vorbei zu kommen. Diese „Tournee“ wird dann wie bei den Vorgängerausgaben der kulinarischen Überflieger eindrucksvoll festgehalten.
Der Vertreter der deutschen Köchezunft war im letzten Jahr Claus- Peter- Lumpp aus dem Restaurant Bareiss in Baiersbronn. Sein nationaler Nachfolger war im Februar 2011 zu Gast und stellte dort seine 3- Säulen Küche „Salz, Säure & Schärfe“ vor. Tim Raue ist den Meisten ein Begriff und das liegt natürlich an seiner enormen Medienpräsenz. Die Zeit im Ikarus nutzte er um seine Gerichte, wie das „Onglet vom Rind mit Roter Bete und Périgord Trüffel“ oder das „Karamell Beurre Salé“ zu zeigen. Dabei sind alle Gerichte in diesem Buch auf gar wundersame Weise festgehalten. Man habe beim Anblick der Bilder das Gefühl, die Teller auf denen sie angerichtet sind schweben, was automatisch eine gewisse Leichtigkeit und Einfachheit der Gänge suggeriert ganz gleich wie komplex sie doch in Wahrheit sind. Wunderbar!
„You are only as good as the last meal you cooked…“, ist der Leitspruch von Ryan Clift, welcher in seiner Collection der „Signature Dishes“ wirklich stark beeindruckt. Irre bei seinen Gängen ist die sehr kontrastreiche Zusammenstellung der Produkte, welche bei ihm auf dem Teller zusammenkommen.
„Schweinebauch mit Totentrompetenpüree, Schwarzwurzeln und Mozzarellahaut“ liest sich für den ambitionierten Koch mehr als fragwürdig. Da ist der Gang mit der „Gebratenen Taube mit Himbeeren, Roter Bete und Quinoa“ schon annehmbarer. Beide Gänge sind von der Präsentation her gesehen Weltklasse.
Überrascht ist man dann beim ersten Blättern auf die Seiten der Cocktailrezepte, welche er nicht nur optisch darstellt sondern gleichzeitig rezeptiert.
„It`s all about fashion, food and Rock`n`Roll“ -Roland Trettl
Roland Trettl und sein Team haben sich die Aufgabe gemacht, alte vermeintliche Klassiker neu aufzulegen. Geholfen bei der Zusammenstellung der Auswahl berühmter Kochgrößen hat ihm dabei der Partner des Ikarus Eckart Witzigmann, welcher auch gleichzeitig Schöpfer einer dieser anders interpretierten Gerichte ist. Sein „Kalbsbries Rumohr“, das im Look eines riesigen Trüffels daherkommt, fasziniert bereits bei dessen Anblick. Selbst räumt er mit dieser Darstellung ein, man habe zugleich ein gänzlich neues Gericht geschaffen, welches E. Witzigmann als respektvolle Ehrerweisung anerkennt.
Er stellt sich zudem im Zentrum des Buches vielen Fragen über das Küchenkonzept von Roland Trettl. Dieser Teil lockert das Buch ungemein auf und gibt den Leser die Möglichkeit kurz auszuruhen, zwischen den imposanten lukullischen Meisterwerken. Andere Größen an die sich R. Trettl & Team herangewagt hatten, sind Auguste Escoffier | „Homard à l`américane“, Lucien Oliver | „Salat Oliver“, Paul Bocuse | „Coq au vin“ oder Josef Keller | „Schwarzwälder Kirschtorte“.
Den größten Weg ins österreichische Mekka der Gastronomie hat Peter Gilmore aus dem australischen Sydney zurück gelegt. Dort kocht er seit Jahren erfolgreich im Restaurant „Quay“ eine natürliche Küche, welche einen sehr individuellen und vor allen Dingen einzigartigen Charakter hat. Der „Rehrücken mit geräuchertem Rindermark, Babyspinat, Red Orach und Auberginencreme“ oder der „Zwetschgenschneeball“ zeigen gekonnt, wie aus kreativem Antrieb kunstvolle und dabei doch sehr schnell vergängliche Objekte entstehen können. Doch seine Paradebeispiele von gastronomischen Darbietungen sind zumeist aus dem Reich der Meerestiere. Kaum einer versteht es die Natürlichkeit der Produkte auf dem Porzellan so detailverliebt und natürlich darzustellen wie er.
Als absolut richtungsweisend ist auch die offensive Herangehensweise, die Menübegleitung nicht zwangsläufig mit alkoholischen Getränken zu gestalten. Trettl lässt verlauten: „Ich will nicht die Winzer killen. Aber Restaurant- Gäste, die keinen Alkohol wollen, sollen trotzdem auf höchstem Niveau genießen können.“ So wird serviert, was flüssig ist und die Möglichkeiten werden nur durch die Rohstoffe begrenzt und sind somit schier endlos. Er drängt trotzdem darauf richtig verstanden zu werden, da er keinesfalls gegen Alkoholgenuss ist und seine Cocktails eher als Ergänzung sieht.
Ein absolutes Highlight stellt die dem Buch beigefügte App für das iPad sowie das iPhone dar. Sie ist in Ihrer Aufmachung und dem Umfang nahezu unerreicht. Jeder Gastkoch, welcher bei Trettl einkehrte wird hier porträtiert und dessen Rezepte samt aufwendiger Fotografie gezeigt. Man kann sich sogar sein eigenes Menü zusammenstellen und per eMail zusenden. Das funktioniert einwandfrei und dabei ist das Programm gar kostenlos. Ich kann diese Zusatz- App neben dem Buch uneingeschränkt empfehlen. Sie bietet so eine perfekte Übersicht über die einzelnen Gänge und dessen Zutaten mit der Zubereitung.
Wie auch letztes Jahr kann ich nur raten, dieses Buch in die heimische Kochbuchsammlung einfließen zu lassen, da sie eine seltene und vor allen Dingen stark differenzierte Bandbreite an Kochphilosophien mit exemplarischen Rezepten und spannenden Erklärungen bietet.
Quellenangaben:
© sämtlicher Bilder liegen bei Collection Rolf Heyne
Hinweis der Redaktion
Ein Teil der besprochenen Produkte wurden von Unternehmen zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.