Für gewöhnlich schreiben Köche die Kochbücher und servieren natürlich dort gezeigtes in ihrem eigenen Restaurant. In diesem speziellen Fall ist das nichts als blanke Theorie.
Jürgen Dollase ist kein Restauranttester, er bezeichnet sich viel lieber als Restaurantkritiker. Er besticht im Unterschied zu den Testern durch die Fähigkeit Essen nicht nur bewerten sondern auch zubereiten zu können. Das ist seine Meinung, so stellt er die zwei Seiten dar. Sehr detailliert geht er dabei vor, und beschreibt bei seinen Texten sämtliche Details und überlässt dabei nichts dem Zufall. Kritisieren kann man nur wenn man vergleichen kann. Vergleiche kann man nur anstellen, wenn man Referenzen hat. Und die hat er zweifellos.
„Himmel und Erde: In der Küche eines Restaurantkritikers“
Jürgen Dollase
Fotografie: Thomas Ruhl
AT Verlag
2014, Aarau und München
304 S., gebunden, 39,90 €
ISBN: 978-30380-0814-9
Er ist in Kunst, Musik und Philosophie studiert. In den 90er Jahren wuchs sein Interesse am Kochen, der damalige Herausgeber der „Capital“, Johannes Gross, konnte ihn dazu motivieren auf dem Gebiet der Gastronomiekritik aktiv zu werden. Dabei geht es ihm nicht nur um die einfache Hausmannskost, sondern prinzipiell auch um die Aneignung modernster Garmethoden und -prozesse, welche er immer wieder im Eigenstudium erlernt. Seit dieser Zeit beschäftigt er sich unentwegt mit dem Thema der Ernährung und das zumeist auf sehr hohem Niveau. Die Spitzengastronomie ist dabei so etwas wie die alles inspirierende Quelle für den Massenmarkt.
„… Fast jede neue Idee, die auf den Markt kommt – egal ob als Fertiggericht, als neue Eissorte, als Teil der Speisekarte vieler auch einfacherer Restaurants oder sogar der Systemgastronomie – stammt aus der Spitzenküchen. …“
Um die Küche dieser elitären Restaurants zu verstehen, muss ein Kritiker deswegen auch unweigerlich kochen können, nur so ist dieser auch in der Lage alle möglichen Zusammenhänge zu verstehen.
„… Und so hat man auch bei manchen Texten in den Restaurantführern das sichere Gefühl, die Autoren seien nicht in der Lage, wirkliche Begründungen für ihre Einschätzungen zu geben. Warum ein Restaurant bei euphorischen Texten dann am Ende doch eine niedrige Bewertung bekommt oder weshalb ein hervorragendes Restaurant so viel besser sein soll als andere, wird kaum jemals wirklich deutlich…“
So legt Dollase einen sehr hohen Maßstab für alle Kritiker vor. In diesem Buch liefert er den Beweis, dass er selbst diesen auch erfüllt.
Alle Rezepte sind von ihm selbst gekocht und so angerichtet, wie er es macht, hat er denn Gäste zu Haus`. Auf optische Spielereien verzichtet er, die Darbietungsform ist stets den sensorischen Genüssen geschuldet. Für die Fotografie zeichnet sich Thomas Ruhl verantwortlich, wohl ein treuer Weggefährte, verbinden sie beide doch viele Projekte.
Um die hier gezeigten Speisen zuzubereiten, braucht es auch Produkte. Einen Einkaufsratgeber, der sich sehr speziell auf die Art und Weise der Lebensmittelbeschaffung von Dollase bezieht, macht den Anfang in diesem Blattwerk. Er meidet Supermärkte und steuert stattdessen Großmärkte in seiner Region an. Er wird dort recht häufig fündig, zwar nicht zur allerbesten Qualität, doch immerhin ein Produkt „mit dem man arbeiten kann“. Eine weitere gute Quelle für Top- Produkte sind die Reisen mit seiner Frau und der Hündin „Sophie“. Der dritte Pfeiler ist sein eigens angebauter Vorrat an unterschiedlichsten Delikatessen, welcher immer wieder aufgefüllt wird und folgende Schätze beherbergt:
Yuzu Koshu, Bärenklaupulver, Meerwasserkonzentrat, Olivenöl aus Antonella Demuru, Haselnussöl, Apfelkernöl, Holzkohlensenf, flüssiges Mineralsalz, Fruchtessige, Würzöl.
In der Praxis markiert das „Gemüse“ das erste Kapitel und gleich der erste Gang zeigt die differenzierte Auseinandersetzung mit einem Grundprodukt, dem Rosenkohl.
Der Rosenkohl hat in Deutschland jetzt nicht den Ruf eines Trendgemüses wie zum Beispiel einst die Rote Bete und derzeit der Knollensellerie es haben. Aber Dollase zelebriert mit ganz neun Degustationsformen diesen recht attraktiv. Dieses veranschaulichte Konzept des „Foodpairings“ offenbart die recht breitgefächerten Anwendungsgebiete dieses Kohlgewächs`. Er reicht zu den blanchierten Blättern Zutaten wie Zitrus- und Orangenzesten; leicht geräucherter Schinken; Majoran, Liebstöckel und Blattpetersilie; Bitterschokolade; Würfel von kandiertem Ingwer und Datteln; Mikro- Croûtons; gekühlte Foie gras; Curry, Ingwerpulver, Kreuzkümmel; Kalter Hüttenkäse und Kumquats. Diese Aufgebot geht nach einer erklärenden und ausführlichen Einleitung über in die Zutatenliste, Vorbereitung, Fertigstellung und sind erweitert mit Anmerkungen zur Sensorik der Aromenbilder. Dollase seziert den Teller aufs Genaueste und lässt, wie schon erwähnt, wahrlich nichts aus.
Er richtet jedoch auch klassisch an. Er baut aus verschiedenen Gemüsesorten ein Gebilde, was fast schon einer Torte gleicht. So ist man gezwungen die vom Gast gewünschten Proportionen bei fast jeder Gabel gleich aufzunehmen. So gesehen gibt es aber vom ersten bis zum letzten Bissen keine weiteren Überraschungen mehr. Ein großer Unterschied zu den heutigen Präsentationsformen, die dem Gast durch eine sehr punktuelle Anrichteweise die Möglichkeit geben den Geschmack im Wesentlichen selbst zu beeinflussen. Das kann für oder auch gegen das Gericht sprechen. Es liegt gänzlich im Geschick des „Verkosters“.
Dollase nennt diese Speisen „Gemüsepâtisserie. Er fährt einige Varianten auf, so sehen wir hier eine Rosenkohl- Kohlrabitorte, eine Spargel- Avocado- Nusskomposition und zudem eine Blumenkohl- Rote Bete Schnitte mit Balsamicogelee. Er schließt aber die zeitgemäße Auseinandersetzung per se nicht aus. Viele seiner Zusammenstellungen sind sogar auf die Art angerichtet. Viele spannende Geschmacksakkorde werden von ihm dabei vereint. Etwa die Umami- Jakobsmuscheln“, die zusammen mit einer Cremevon fermentierten Zwiebeln, die zusammen mit in Dashi eingelegten Kräuterseitlingen und Lachskaviar gereicht werden. Ein Räucherlachs- Carpaccio mit Birnencoulis, krossen Kartoffelchips und Parmesan sind ein weiteres Beispiel für Gänge, welche besonders gute Produktqualität voraussetzen.
Bei allen aufgeführten Rezepten ist er dabei sehr ausschweifend in den Erklärungen und teilt somit ein Wissen, welches so vielen Köchen aus deren Büchern nicht zu entlocken ist. Dieser Mehrwert macht dieses Buch zu einem Muss für jeden Profikoch, um zu erkennen, was es bedeutet, sich in der Tiefe mit einem neuen Gericht für die Speisekarte auseinanderzusetzen, damit es trotzdem noch Bestand hat, sollte einmal Jürgen Dollase dieses für die F.A.Z. in einer Restaurantkritik auseinandernehmen. Für den ambitionierten Koch am heimischen Herd kann dieses Buch ein inspirierender Ideengeber sein, dessen Schwerpunkt nicht in der Masse an zur Verfügung gestellten Rezepten liegt, sondern mit vielen bisher vielleicht unverstandene Details erklärt und entmystifiziert.
Hinweis der Redaktion
Ein Teil der besprochenen Produkte wurden von Unternehmen zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.
Das Buch hatte ich leider noch nicht in den Händen, aber ich teile Deine Meinung, dass er es in der FAZ besprechen und bewerten sollte.
Dollase sollte sich selbst bewerten? Ich glaube da hast Du mich mißverstanden. Der Satz war aber sehr verschachtelt, das gebe ich zu! 🙂
Das Buch „Himmel und Erde“ von Dollase ist eine expotentielle Selbstbeweihräucherung die mit Geschmackstraining oder Ähnlichem nichts zu tun hat. Die Zutaten sind für den Normalsterblichen Koch und auch für Spitzenköche keine Alternative zu den bereits „normal“ benutzten, aus denen sich immer noch exzellente Kompositionen erzielen lassen. Dollase bemüht sich auch nicht um praktikable Rezepte, denn man muss die Zutaten mit der Briefwaage abmessen. Und auch ist es fraglich, ob der Zeit-, Kosten- und Materialaufwand für Hobbyköche und andere Köche für ein z.B. 5gängiges Menü überhaupt durchführbar erscheint – zumindest sind auch die Töpfe aus einer Puppenküche erforderlich. Bei den Häppchen wird auch keiner satt, auch wenn manchmal Toast als Unterlage dient. Um auch noch auf den Wirsing zu sprechen zu kommen: Filderkraut ist in Deutschland nicht das A und O, Spitzkohl auch nicht – aber wie wäre es mit der Lippischen Palme, Grünkohl oder dem Schwarzkohl. Auch die Variationen sind sind dilletantisch. Dollase hätte sich mal in der Welt umsehen sollen, wie Kohl in anderen Ländern zu Geschmacksexplosionen führen können. Es ist und bleibt in dem Buch eine Selbstbeweihräucherung.