Sebastian Frank ist kein großer Fan von Küche, die das Herz nicht berührt, im Gegenteil: Ihn langweilen zu ausbalancierte Teller, die weder Ecken noch Kanten haben. Was ihn auch ein wenig stört, ist die Tatsache, dass er viel zu lange als „der Österreicher in Berlin“ wahrgenommen wurde. Doch hinter dem unscheinbaren Eingang des bereits 2016 im Guide Michelin mit 2 Sternen geführten Restaurant Horváth verbirgt sich viel mehr. Das bescheidene Restaurant mit einer reichen Geschichte am Paul-Lincke-Ufer sollte als Anlaufstelle Nummer 1 für alle Gemüsefans gelten. Mein Besuch im Spätsommer zusammen mit Alexander van Hessen von der Berlin Food Week kann als kleine Offenbarung bezeichnet werden.
Ein Abend im Restaurant Horváth
Es sind heiße 30 Grad. Es ist Anfang September, und der Sommer will einfach nicht enden. Zusammen mit Alex, mit dem ich in diesen Tagen einen kulinarischen Restaurant Guide namens „Gastro Quartett“ herausgegeben habe, betrete ich heute erstmals das Restaurant Horváth. Warum das erst jetzt passiert, kann ich nicht schlüssig erklären. Es ist nicht so, als ob es mir nicht aufgefallen wäre, schließlich hat es in den letzten Jahren viel Aufsehen erregt. Aber bisher hat es mich nicht hierher verschlagen – leider, muss ich hinzufügen.
Obwohl die einladende Terrasse noch freie Plätze bietet, nehmen wir auf Sebastians Empfehlung hin nach einem herzlichen Empfang gerne im Innenbereich des Restaurant Horváth Platz. Dort gibt es eine Art Chefstisch mit direktem Blick auf die Küche, die nur durch eine dünne Glaswand vom Speisesaal getrennt ist. Die Temperaturen sind angenehm, und die Inneneinrichtung trägt eine reiche Geschichte in sich. Dieser Ort galt einst als internationaler Treffpunkt für Künstler. Bei Renovierungsarbeiten wurde ein Kunstwerk im Gastraum entdeckt, das die Betreiber Jeannine und Sebastian vom Originalkünstler Jim Avignon erweitern ließen.
Heute entscheiden wir uns aufgrund der Hitze für die alkoholfreie Begleitung. Das hilft nicht nur dabei, einen kühlen Kopf zu bewahren, sondern auch die vielen Highlights des Abends besser in Erinnerung zu behalten. Davon gibt es einige.
Wir sind sehr dankbar für den eisgekühlten Start mit Rhabarber und Stangensellerie. Die leicht bitteren Aromen und die angenehme Süße ermöglichen eine schnelle Anpassung.
Sofort danach folgt der erste Hinweis auf Sebastians Vergangenheit und Herkunft. Die warmen, runden Langós mit hauchdünn geriebenem Bergkäse geben bereits ein herrliches Beispiel für seine detailverliebte kulinarische Intelligenz ab. Die wunderbar luftig gebackenen Krapfen mit einem cremigen Kern und knuspriger Kruste sind einfach zum Niederknien.
Sauerteigbrot, Butter und Kartoffelstampf
Natürlich darf Brot in der Küche eines Österreichers wie Sebastian (42) nicht fehlen. „Und es muss ordentlich gewürzt sein“, bemerkt er, als er es zusammen mit leicht gesalzener Butter, einem Kartoffelstampf mit brauner Butter und gerösteter Kartoffelschale auf den Tisch stellt. Bevor wir zum ersten Gang des Menüs übergehen, folgt noch ein weiterer kleiner Gruß aus der Küche.
Ein Kukuruz-Wasser, das sogenannte Maiswasser, wird vom Küchenteam mit etwas Knoblauch und Butter aufgeschäumt. Auch hier verweist Sebastian auf eine Kindheitserinnerung, da er früher neben einem Schweinebauern gewohnt hat, der Mais für sein Vieh angebaut hat. Im Spätsommer, wenn der Mais reif war, stahl er sich oft einige Kolben, um sie zusammen mit Knoblauch und Butter einfach zu genießen. Wir hoffen inständig, dass diese Straftaten verjährt sind, damit er nach diesem Geständnis nicht im Gefängnis landet.
Pilzleber, Butterstriezel & Marillenkernölbutter
Das Menü beginnt mit einem Klassiker des Horváth-Universums. Eine Pilzlebercreme thront auf dem Teller und wird spiralförmig mit einer Reduktion von Apfelbalsam überzogen. Die sehr intensive und voluminöse Creme wird leicht durch die Säure ausgeglichen. Es ist erstaunlich, wie nahe sie geschmacklich an der Original-Foie Gras liegt.
Das österreichische Pendant zum französischen Brioche kommt in Form eines herrlich luftigen Butterstriezels. Darauf befindet sich eine Marillenkernölbutter mit einer leichten Marzipannote. Uns gefällt das sehr, wir bleiben gerne dabei.
Kohlrabi in 2 Teilen
Wir sind sehr dankbar für das nächste Gericht, das erneut gekühlt serviert wird. Der erste Teil besteht aus einer Kohlrabikaltschale mit Tropfen von Kirschkernöl aus der Steiermark. Ich bin ein absoluter Fan von Kohlrabisuppen, besonders wenn sie eisgekühlt und perfekt abgestimmt sind.
Es folgt ein dünn aufgeschnittener Kohlrabi, der vor dem Anrichten in Essig eingelegt, geräuchert und schließlich mit einem Sud aus geräuchertem Schinken bestrichen wurde. Oben drauf sind fermentierte Kirschblüten aus dem Jahr 2022 zu finden (die „1. Corona-Langweiligkeitsaktion“), die er nicht allzu weit von meinem Zuhause, im Nordosten von Berlin, geerntet hat.
Kreation Populaire
Wenn Sebastian von seiner emanzipierten Gemüseküche spricht, meint er, dass er sich von bekannten Normen und Traditionen lösen möchte. Seine Signature Dishes folgen nicht dem Konzept, aus Fleisch, Beilage und Gemüse zu bestehen. Für ihn hat Gemüse denselben Stellenwert wie Fleisch, und dennoch fühlt er sich nicht verpflichtet, Fleisch sichtbar auf dem Teller zu präsentieren. Stattdessen spielt er mit Geschmack und Textur.
Ein Beispiel dafür ist die Kreation Populaire, eine volksnahe und bodenständige Schöpfung. Sie basiert auf der österreichischen Tradition, Ragouts mit Schweineschmalz und Zwiebeln zu beginnen. Seit seiner Kindheit begleitet ihn der Duft von Schweineschmalz, der auch heute in seinem eigenen Restaurant allgegenwärtig ist.
Die Essenz dieses Gerichts ist die Sauce, die das Zentrum bildet und aus gedünsteten Zwiebeln und Schweineschmalz besteht. Dazu gibt es gedörrte Zucchini, deren ursprünglicher Geschmack kaum noch erkennbar ist. Sie werden später auf der Plancha angeröstet und mit lauwarmem Chardonnayessig beträufelt. Nebenbei gibt es einen eiskalten Gurkensalat mit fein gewürfelten Gurken, Kräutern und Gewürzen. Hervorragend!
Der erste Stich
Bei Menüs stellt sich oft die Frage nach dem besten Gang. In diesem Fall ist es wohl „Der erste Stich“, der an diesem Abend den Höhepunkt markiert. Besser wird es heute nicht mehr.
Und wieder einmal werden wir in Sebastians Kindheitserinnerungen gezogen. Er erzählt uns von seiner Leidenschaft, die perfekte Oberfläche von Sauerrahmeimern als Erster mit einem Löffel anzustechen. Zu diesem Anstich lädt er die Gäste ein, wenn er seine Österreichische Bentobox serviert. Und was soll ich sagen? Der Geschmack ist einfach sagenhaft – puristisch, seidig in der Konsistenz, leicht und dabei unglaublich elegant.
Nach dem ersten Löffel müssen wir diese Creme einem Pairing unterziehen. Dafür gibt es auf einem Holzbrett einen Löffel (mein Favorit) mit einer superintensiven Paprikacreme, die neben ihrer anfänglichen Fruchtigkeit auch eine beeindruckende Bitternote hat. Auf der anderen Seite steht ein ebenso fruchtig-herber Sirup aus Kümmel-Knoblauchessig, den ich ebenfalls ziemlich überzeugend finde. Wenn wir nicht noch viele weitere Gänge vor uns hätten, hätten wir dieses Ensemble sicherlich nachbestellt.
Pannonien – Sonne im Glas
Wer sich ein wenig mit Tomaten auskennt, weiß, dass sie viel Umami, also Fleischgeschmack, enthalten. Genau solche Tomaten stammen aus der Region Pannonien, der kulinarischen Herkunft Sebastians. Es scheint nur logisch zu sein, dass Sebastian sie mit einer Emulsion aus den typischen sieben Gulaschgewürzen und einer Marmelade des Pusztasalats mit Majoran kombiniert. Aufgegossen mit einem Furmint Winzersekt und Holunderblüte scheint er die ultimative Formel gefunden zu haben, um die Sonne im Glas einzufangen.
Sellerie reif & jung a.k.a. 50 Colors of Sellerie
Sebastian ist ein Tüftler und bereit, die Extrameile zu gehen, wenn es notwendig ist, um Produkte wie den Salzsellerie zu entwickeln. Dieser Salzsellerie wird nach dem Backen im Salzteig für 12 Monate im Keller gereift und in den ersten Monaten fast täglich gewendet. Dadurch kann der Salzteig das Wasser gleichmäßig aufnehmen. Dieser Wasserentzug lässt das Gemüse schrumpfen und verleiht ihm einen Geschmack, der dem von Pecorino ähnelt. Bei den ersten Tests war der Sellerie nicht trocken genug, um leicht gerieben zu werden, was bedeutete, dass das Team ein weiteres Jahr des Reifens investieren musste. Hier hätten viele Köche vermutlich aufgegeben.
Die Mühe hat sich gelohnt. Dieser Salzsellerie hat es nach der „Marktreife“ geschafft, als seine einzigartige Eigenschaft zu gelten. Von da an entwickelte Sebastian Gerichte, um diesen Sellerie als Würze einzusetzen.
Eines dieser Gerichte ist „Sellerie reif und jung“, bei dem Sebastian die Knolle in allen Facetten durchdekliniert. Auf dem Teller finden sich dünne, gedämpfte Selleriescheiben, Selleriesaat, eine Selleriecreme und Béchamelsauce sowie ein angedickter Selleriesaft. Am Tisch reibt er abschließend und nicht ohne Stolz den gereiften Sellerie großzügig über den Teller.
In der gehobenen Gastronomie gibt es oft die sogenannten „Streberteller“, bei denen zum Beispiel eine Karotte in drei oder vier verschiedenen Variationen gezeigt wird, ohne dass jede für sich eine eigene Geschmacksrichtung hat. Solche Materialschlachten halte ich nicht besonders viel von.
„Sellerie reif und jung“ besteht aus einem einzigen Produkt, und Sebastian zeigt, wie vielseitig er Sellerie darstellen kann, ohne das Gefühl zu vermitteln, dass man etwas hätte weglassen können. Er verleiht dem Sellerie eine Vielschichtigkeit, die durch die Béchamelsauce miteinander verbunden ist. Hier findet sich das gesamte Spektrum des Selleries wieder. Ein Gericht, das den Gaumen verwöhnt.
Suppengemüse
Sebastians Küche zeichnet sich vor allem durch eine gewisse Salzigkeit aus. Wo andere ausgewogen abschmecken, setzt er gerne noch eine Prise Salz hinzu. Es soll schließlich etwas im Herzen bewirken. Und das gelingt nur schwer, wenn man darauf bedacht ist, niemanden zu verschrecken. Ein perfektes Beispiel ist das Suppengemüse nach Louise Seleskowitz, dessen Aspik-Rezept aus einem Wiener Kochbuch als Vorlage für diesen Gang dient.
Der erste Teil besteht aus einem sehr intensiven Gemüsefond. Die Zubereitung dauert über drei Tage und ist ein Extrakt aus Ochsenfleisch, Wildknochen, Suppenhuhn und Kalbsfüßen. Die Brühe wird mit Madeira, Zitrone, Sherry und Estragon abgeschmeckt und dient zum Garen des Suppengemüses. Dazu gehören Karotten, Sellerie und Lauch. Aufgrund dieser Zubereitung kann das Gemüse die volle Umami-Kraft aufnehmen.
Der zweite Teil des Gerichts besteht aus Zwiebeln, die mit einer Reduktion von geröstetem Gemüse glasiert sind. Mein Favorit in diesem Ensemble war der Lauch, der noch einen leichten Biss hatte.
Auch hier zeigt Sebastian sein Können, indem er die volle Intensität der tierischen Zutaten in das Gemüse einfließen lässt und auf beeindruckende Weise einen sehr intensiven Gemüsegang kreiert, der lange in Erinnerung bleibt.
Restaurant Horváth
Schwammerl im Wirtshaus
Unser Menü neigt sich langsam dem Ende zu. Mit „Schwammerl im Wirtshaus“ steht der klassische Schweinsbraten im Mittelpunkt. Das Hauptelement ist jedoch kein Fleisch, sondern ein kurz gedämpfter Kräuterseitling, der danach in Mandelöl getränkt wurde. Zusammen mit einer Gemüsejus, marinierten Trieben von Wurzelgemüse, einer Apfelmarmelade mit Johannisbeerschnaps und einer Gewürzmischung aus geröstetem Knoblauch, Kümmel und Champignons regt dieser Gang sicherlich den ein oder anderen zum Nachdenken an.
Hier wurde der Geschmack des ungarischen Schweinsbratens auf die Spitze getrieben. Traditionelle Genießer werden sich wahrscheinlich an diesem Gericht reiben, aber als Avantgardist ist Sebastian sicher darin geübt, seine unkonventionelle, emanzipierte Gemüseküche zu verteidigen.
Bei uns rennt er damit offene Türen ein.
Albedo
Nach dem Hauptgang ist vor dem Dessert, genauer gesagt dem Vordessert. In diesem Fall trägt es den Namen „Albedo“, was für die weiße Schicht in der Zitrusfrucht steht. Daraus zaubert er eine Zitronenbuttercreme, die als Basis für das darauf gesetzte Minz-Petersiliensorbet dient. Am Tisch wird etwas Kubebenpfeffer darüber gemahlen. Das erfrischt und gefällt uns sehr.
Geröstete Karotte
Aber unser Abend endet nicht ohne ein weiteres Highlight. Das unscheinbare Dessert, das unter der dünnen Schicht gesalzenem Sauerrahmeis eine lang in Butter geröstete Karotte verbirgt, wird am Tisch mit einer warmen Reduktion von Flusskrebsen und Sahnekaramellsauce übergossen. Dieses Dessert bietet eine Vielzahl von Texturen. Die leicht zähe Karotte mit Apfelmarmelade, die samtige Schicht aus Sauerrahmeis und die reichhaltige Flusskrebs-Karamellsauce ergeben ein einzigartiges Geschmackserlebnis. Wenn noch Platz gewesen wäre, hätten wir hier definitiv nachbestellt.
Nach der gerösteten Karotte sind wir etwas überwältigt, als uns die halbflüssige Blutpraline in essbarem Papier serviert wird. Das Genießen dieses Klassikers macht nicht nur Spaß, sondern erinnert auch ein wenig an eine Mutprobe, die schnell mit süßem Genuss belohnt wird.
Fazit
Sebastian gelingt im Horváth das, was viele andere vergeblich versuchen – eine authentische Erlebnisküche, die das Thema Gemüse höchst kreativ und technisch vielfältig aufgreift, ohne dabei zu dogmatisch zu sein. Das Restaurant Horváth passt mit seiner unkonventionellen und zugänglichen Art perfekt zum Paul-Lincke-Ufer. Beachtlich ist, dass das Konzept dieser einzigartigen, emanzipierten Gemüseküche so lange erfolgreich in Berlin besteht. Wir sind beeindruckt von dem Mut und der Hingabe, die Sebastian und sein Team in jedes Gericht stecken.
Uns bleibt ein Abend in Erinnerung, der geprägt ist von kreativer Exzellenz, außergewöhnlichen Aromen und Geschichten aus der Kindheit, die in jedem Gericht erzählt werden. Wir verlassen das Restaurant Horváth mit einer tiefen Anerkennung für die Arbeit von Sebastian Frank und seinem Team. Wenn Sie die Möglichkeit haben, dieses außergewöhnliche Restaurant zu besuchen, sollten Sie diese unbedingt nutzen. Ihr Gaumen wird es Ihnen danken.
Funfacts zum Restaurant HORVÁTH
Restaurant: | HORVÁTH |
Küchenchef/-in: | Sebastian Frank |
Auszeichnungen: | ✱✱ Guide Michelin 5 Hauben Gault Millau 10/10 Gusto Pfannen FFFF+ Feinschmecker XXXX+ Schlemmer Atlas „Spoon“ 95-96 Falstaf „Fork“ HHHHH Großer Guide |
Adresse: | Paul-Lincke-Ufer 44a | 10999 Berlin |
Kontakt: | +49 30 612 899 92 | mail@restaurant-horvath.de |
Datum des Besuchs: | September 2023 |