René Frank ist ein Ausnahme- Patissier – oder vielleicht doch nicht? Definiert er sich im Grunde genommen doch eher als Koch, denn als Patissier. Seine Art Desserts im CODA zu entwickeln, ist in Deutschland unerreicht. 2 Sterne im Guide Michelin und Patissier des Jahres der 50 World Best Restaurants 2022 sprechen da eine klare Sprache. Ich kenne kein Konzept, welches ähnlich komplex und unique an die Entwicklung von kulinarischen Erlebnissen der ehr süßen Natur herangeht. Ich wage den Versuch, euch sein aktuelles 15-Gang Menü näherzubringen.
CODA – Dessert Dining
Ich stehe vor einer großen Herausforderung. Mir drängt sich nach zwei CODA-Besuchen, die ich innerhalb von anderthalb Wochen genießen durfte, die Frage auf, wie ich euch die Gerichte nachvollziehbar umschreibe.
Denn das ist keineswegs so einfach. Selbst mit mehr als 2 Jahrzehnten Berufserfahrung ist es nicht leicht für mich. Denn spätestens nach der Ehrung zum World’s Best Pastry Chef 2022 bei der internationalen Award-Verleihung “The World’s 50 Best Restaurants” ist das 2-Sterne Restaurant in der Berliner Friedelstraße zum Mekka der Patissierwelt geworden.
Desserts, die eigentlich keine sind
René Frank und seine Küchenchefin Julia Leitner gehen absolut neue Wege, wenn es um die Dessertzubereitung geht. Das Ergebnis ihres Handwerks, welches komplett ohne raffinierten Zucker auskommt, erhält seinen Geschmack ausschließlich durch den Einsatz natürlicher Süße. So kommen anstelle von künstlichem Zucker nur Produkte zum Einsatz, die bereits von Natur her eigene Süßkraft mitbringen.
These dreams aren’t made of sweets
Spätestens hier wird schnell klar, warum René sich eher als Koch denn als Patissier definiert, kommt doch ziemlich oft Gemüse in den Desserts zum Einsatz – Gemüse wie Rote Bete, Mais, Karotten oder fermentierter Reis. Um das perfekte Extrakt zu erreichen, setzt das CODA-Team auf innovative Techniken.
Bereits der Wegfall des Industriezuckers lässt sämtliche Gerichte viel weniger süß erscheinen, was im Gegensatz zu Restaurants steht, die noch nach dem konventionellen Konzept, Nachspeisen kreieren. Hier sind die Desserts allesamt so süß, dass man kaum mehr als 2 bis 3 Gänge davon schafft. An 15 wäre nicht zu denken.
leicht, aromatisch hochkomplex
So sind die folgenden Momente, die uns im CODA ereilen, wirklich schwer in Worte zu fassen. Uns begegnen Techniken und vor allen Dingen Kombinationen, die oft unbekannt und daher erst einmal zugeordnet werden müssen.
Die Desserts (ich bleibe jetzt erst einmal bei diesem Begriff) zeigen auf, wie viel Spielraum und Mut man doch an den Tag legen kann, um nicht nur neue Wege zu gehen, sondern auch Themen wie Nachhaltigkeit oder Food Waste neu beleuchten kann. Wir starten also in unsere kulinarische Journey.
GUMMIBÄR
Es geht los mit einem Gummibären von Gelber Bete, der in einer Hülle von getrockneten Ahornsirup als Fingerfood den Beginn einläutet und gut darstellt, wie diese natürliche Süße aus Gemüse und natürlichen Quellen extrahiert wird.
BEEFCAKE – Knochenmark, Süßkartoffel
Der erste lauwarme Gang ist mir in dieser Form noch vom Four Hands Dinner mit Will Goldfarb in Erinnerung geblieben. Will Goldfarb ist ebenfalls ein sehr bekannter Koch, der sich ausschließlich den süßen Speisen verschrieben hat. Diese kleine gebackene Umamibombe besteht aus Rinderdknochenmark und Süßkartoffel und ist für die Größe richtig massiv. Mit ihm zusammen hatte René ein Dessertmenu im Rahmen der Neu Dinners abgehalten. Dort sah ich den Renés Beefcake zum ersten Mal – einfach großartig. Es ist beeindruckend, wie gehaltvoll dieses kleine Gebäck doch ist.
BRIOCHE – Gouda, Steckrübe
Beim dritten und vorerst letzten Snack zeigt das CODA Team um René Frank die Liebe zu kreativ verarbeiteten Käsegängen. Der Brioche in Donutform ist mit jungem Gouda gefüllt. Die Glasur besteht aus reduziertem Steckrübensaft und trägt ebenfalls eine erdige Umaminote in sich.
Da der Käse im Kern flüssig ist, empfiehlt uns Julia diesen Gang als sogenannten One-Biter zu verzehren, was wir auch taten. Zum ersten Mal überkommt uns das Gefühl, dass wir an einem besonderen Ort sind. Wenn mir als erfahrenen Koch kurz die Worte fehlen, dann will das schon was heißen. Bereits hier sind wir schon vollends begeistert.
GRAPEFRUIT – Mascarpone, Wirsing, Thymian
Das Menü mit den oben angesprochenen 15 Gängen ist vom Wording klassisch reduziert gestaltet. Somit können wir nur erahnen, was sich hinter der Aneinanderreihung der Hauptzutaten verbirgt.
Uns werden gut gekühlte, schwere Teller eingesetzt und Thymiangeist in die offenen Hände gesprüht. Im Teller befindet sich am Rand eine gestrichene Mascarponecrème auf der ihre in Stickstoff gefrorenen Flocken mit knusprig, kandierten Wirsingflakes thronen.
In die Tellermitte gießt uns der Service eine Grapefruitsauce mit Tapioka und Grapefruitsegmenten. Bei jedem Löffel, den wir zum Mund führen, steigen uns die ätherischen Öle des Thymians in die Nase. Komplettiert wird dies vom ersten Drink, der das CODA-Flavorpairing perfektioniert.
Die Komplexität reicht von herrlich frischen Grapefruitnoten und dem cremig, knusprigen Mascarpone. Es wird ein sehr schöner Spannungsbogen zum herben Wirsing, der thematisch nicht wirklich in den Sommer gehört, jedoch hier sich einfach wunderbar einfügt, gespannt. Mein Tischnachbar meinte, läge das Team hier einen Langoustinoschwanz hinzu, könnte es eine nicht weniger perfekte Vorspeise sein, so dessertuntypisch entpuppte sich dieses Gericht.
Ich kann schon jetzt behaupten, dass dies wohl eines meiner Favorites 2023 wird.
AUBERGINE – Pekannus, Apfelbalsamico, Lakritzsalz
In diese Liste dürfte sich ebenfalls dieser Klassiker von René Frank recht weit vorne mit eingliedern. Die Aubergine wird jedes Jahr neu aufgelegt und einem „Update“ unterzogen. Diese Variante besteht hauptsächlich aus der Eierfrucht und Pekannuss.
Auf einem saftigen Pekannusbiskuit setzt das Team eine Scheibe konfierte Aubergine mit Pekannusseis und einen knusprigen Auberginenchip mit Pekannusscrumble. Dazu gesellt sich zwischen den Schichten ein Apfelbalsamicoessig, welcher als Crème und Gel die Brücke zwischen den Protagonisten schlägt. Der Sherry Oloroso im Glas kommt mit einem Spritzer Kardamom Geist und Oolong Tee als Pairing und vervollständigt dieses sehr gelungene Dessert.
Was auffällt, ist, dass wirklich bei allen Gängen das Eis eine perfekte Temperatur aufweist. Dadurch entsteht ein herrlicher Schmelz, der die Aromen bestmöglich entfalten lässt. Hier beweist die CODA Crew enormes Fingerspitzengefühl.
KOPFSALAT – Salzgurke, Frischkäse
Klein, aber fein geht es wieder mit einem One-Biter weiter. Hauchdünne, kandierte Kopfsalatblätter sind zu einer Halbkugel gepresst und bergen dressierten Frischkäse, der mit einem Pulver von getrockneter Salzgurke einen säuerlichen Frischekick erlebt – superb.
RACLETTE WAFFEL– Kimchi, Joghurt
Mit dieser Hommage an die belgische Waffel, Kimchi und dem geschmolzenen Raclette Käse, der sich in der lauwarmen Waffel befindet, bedient sich René fast schon in eklektisch Ansätzen den besten Produkten aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt und schafft geschmackliche Verbindungen, die auf den ersten Blick nicht direkt erkennbar sind. Der fluffige Teig trägt einen 6-Monate gereiften Raclette Käse in sich, dessen sich ziehende Fäden absolut instagrammable in Szene setzen lassen.
Die so zerrissenen Waffelstücken sollen wir durch den ebenfalls eingesetzten Teller mit Joghurt und würzigem Kimchipulver ziehen. Im Glas wartet eine herrlich hopfige Berliner Weiße mit Aquavit „Dill Anis“ auf uns. Wir empfanden bei diesem Gang die Aufnahme des Kimchipowders mit der Waffel ein wenig herausfordernd, da es nicht so richtig haften wollte. Vielleicht wäre es besser, die Waffel mit diesem aromatischen Pulver einzustäuben, so dass es gleichmäßig genossen werden kann?
RHABARBER – Estragon, Rapsblütenhonig
Nach all den Kanllergängen ist der Rhabarbergang eines der etwas leichter einzuordnenden Desserts. Diese Rhabarberkomposition setzt auf ein Flavourpairing mit Estragon, welches in einer grünen Halbkugel aus Eis in Erscheinung tritt. Darin befindet sich der angenehm fruchtige Rhabarberkompott mit Joghurtschaum samt Honigbiskuit und wird mit einer superdünnen Scheibe Estragonschokolade belegt. Für viel Volumen sorgt der Sherry mit Ingwergeist und Wermut im Glas. Frisch und fruchtig überzeugt uns auch dieser kühle Gang.
CAVIAR POPSICLE – Oscietra Kaviar Sturia, Topinambur, Pekannuss
Gegen einen Aufpreis gibt es einen optionalen Gang, der es in sich hat. Der sogenannte Caviar Popsicle ist ein Stieleis, wie du es ganz sicher noch nicht genossen hast. Der CODA Signature Snack ist ein Vanille-Topinambureis mit einem Kern von Pekannussganache, welches final mit 12 g Oscietra Kaviar von Sturia aus Frankreich eingestrichen wird. Diese Sorte glänzt durch eine milde Salzigkeit und ein herrlich weiches Korn mit buttrigem, leicht nussigem Geschmack. Zum Schluss folgt dem Ganzen eine dünne Schicht Pekannussschokoladen-Airbrush.
„Ihr könnt das einfach wie ein normales Eis am Stiel essen“, meinte Julia, als sie uns diese Kreation vorstellte. Das „Stieleis“ entlockte uns zusammen mit der offerierten 2010-er Graacher Himmelreich Auslese von „Joh. Jos. Prüm“ nicht weniger als einen Sturm der Begeisterung. Müsste ich das fast schon banal klingende Stieleis mit wenigen Worten umschreiben, so würde ich es „die perfekte Balance“ nennen, wenn gleich ich das ebenfalls für das ganze Menü sagen kann.
CIRONÉ CHEESECAKE– Kaffee, Sellerie
Der Abend ist an dieser Stelle bereits mehrere Stunden alt und wir haben die Halbzeit hinter uns gelassen. Der nun folgende „Käsekuchen“ versteckt sich unter einer dünnen Scheibe getrockneten Knollensellerie, die wir nach der Aufforderung des Services mit dem Löffel knacken müssen, bevor er eine Crème von Espresso- Mandelemulsion einlaufen lässt.
Die Emulsion vermischt sich mit dem flüssigen 22-Monate alten Schweizer Hartkäse, der sehr heiß gebacken wird. Ein Mix aus Sherry Amontillado, Kuro Mirin (20 Jahre) und Yasanoka Shiso Shochu sorgen für das stimmige Pairing.
SÜßKARTOFFEL – Schmand, Apfel, Shiitake
Man mag es kaum glauben, doch bisher ist René Frank komplett ohne dunkle Schokolade in seinem Menü ausgekommen. Das ist beachtlich. Das ändert sich auch nicht bei dem nächsten Dish, der mit einer großartigen Frische die Geschmackssensoren neu kalibriert. Dafür sorgen dünne Streifen von Apfel, die elegant in Blütenform auf eine Süßkartoffelscheibe mit Schmand drapiert werden.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass über den ganzen Abend hinweg der Service absolut nahbar und herrlich unaufgeregt durch die vielen unterschiedlichen Aromenkombinationen gelotst hatte. Jedes Gericht wurde verständlich erklärt und dem Gast in deutsch oder wahlweise auf englisch routiniert vermittelt ohne dabei zu belehrend zu wirken. Der sympathische Service hat im Wesentlichen dazu beigetragen, dass die Abende so großartig verliefen.
CRISSINI – Landschwein, Sauerkraut
Für ein Mehr an Umami sorgt nun das knusprige „Crissini“, welches im eigentlichen Sinne eine gepuffte Schweinehaut mit Pinienkerncrème und Sauerkrautpulver ist. Der erste rein salzig-pikante Snack ist nach all den vielen süßen Noten gern gesehen, bevor es zum Thema Schokolade geht.
CACAO & CRISPY
Vor jenem Gericht geleitet uns Julia in die Küche, wo uns von einer Kollegin gezeigt wird, wie das CODA die Schokolade verarbeitet. Denn die Kakaobohnen werden höchstselbst in einem viertägigen Prozess verarbeitet und zu einer 100 % reinen Schokolade hergestellt. In der Küche erhältst du einen kleinen Crashkurs in Sachen Kakaoaufbereitung.
Cacao & Crispy besteht aus einer Schokoladenmoussekugel (100 %), die von einer knusprig karamellisierter Sojamilchschleife umhüllt ist. Dazu gesellen sich eingeweckte Kirschen, dessen Kerne getrocknet, angestoßen, geröstet und mit Mandelmilch infusioniert sind. Dadurch entsteht eine Crème, mit leichtem Kakaogeschmack. So bilden die Kirschen, die final noch dehydriert werden, die Crème und das Schokoladenmousse mit der am Tisch angegossenen Kirschreduktion einen sehr willkommenen Geschmacksakkord.
PETERSILIENWURZEL – Schwarzer Knoblauch, Pistazie
Dies dürfte wohl der mit bekannteste Signature Dish des CODAs sein. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Aha-Effekt, als ich vor mehr als einem Jahrzehnt das erste Mal das Eis von fermentiertem Knoblauch vorgesetzt bekam.
Mutige Patissiers wie René Frank loten in avantgardistischer Manier die Grenzen des Machbaren aus, um später zigfach von inspirierten Köchen adaptiert zu werden. Auch diesem Dish wurde ein Update unterzogen. Die Petersilienwurzel kommt als Eis und in knuspriger Streifenform. Sie thront auf einer Schwarzen Knoblauchcrème mit karamellisierter Pistazie. Am Tisch wird eine Petersiliensauce angegossen, während uns im Glas begeistert ein Kuro Mirin (20 Jahre) mit Robustus 6 und Criollo Kakao Geist frohlocken lässt.
Fazit
Lasse ich das ganze Menü Revue passieren, bin ich unheimlich dankbar, dass es genau solche Konzepte in meiner unmittelbaren Nähe gibt. Denn genau diese Kreativwerkstätten sind die Pioniere und Impulsgeber*innen dieser Zeit, die sich keinen konventionellen Regeln unterwerfen und immer nach vorne schauen, um wegweisende Gerichte zu entwickeln.
René und Julia kochen im CODA auf eine unheimlich befreiende Art auf. Wer sich in einem Restaurant umschaut und viele 1-er Tische sieht, kann sich sicher sein, dass dies ein Garant für ein außergewöhnliches Restaurant ist. Nicht wenige Food-Enthusiasten scheuen keine Kosten und Mühen, um die besten Restaurants der Welt zu erkunden. Dies tun sie im Zweifelsfalle nicht selten solo. An diesem Abend erkennen wir einige dieser Food-Hunter. Ich hatte an diesen Abenden stets das Glück, in Begleitung passionierter Foodies oder Gastronomen zu sein. Beide waren sehr angetan und schier überwältigt.
CODA
dessert dining
CODA-Dessert-Dining – Hard Facts
Das progressive Dessert-Dining in 15 Gängen gibt es ab 244 € inklusive der acht Pairing Drinks. Wenn du Wein zu deinem Menü ordern möchtest, gibt es natürlich noch eine Weinkarte mit einer gut sortierten Auswahl. Du solltest beim CODA deinen Tisch nicht Last Minute buchen. Das Restaurant ist gut gebucht. Ich kann das CODA vorbehaltlos empfehlen.
Credits: Die oben gezeigten Bilder stammen von Claudia Gödke