Heute geht es in der Kochbuchbesprechung nicht um ein klassisches Kochbuch. Vielmehr geht es um Menu Engineering. Oder sagen wir einfach Speisekartendesign der letzten 200 Jahren. Der TASCHEN Verlag hat mit Menu Design In Europe erneut ein kulinarisches Werk auf den Markt gebracht, welches sich umfänglich mit der Historie der Gastronomie beschäftigt. Wie der Name schon sagt, dreht sich in diesem Band alles um das europäische Menüdesign der letzten zweihundert Jahre. Ich habe es mir für Euch angesehen.
Menu Design in Europe
Der TASCHEN Verlag war für mich schon immer sehr interessant, gleich wenn er bis auf die Reihe von Modernist Cuisine keine klassischen Kochbücher herausgibt. Vielmehr beschäftigt sich dieser Verlag in vielfältiger Weise mit Themen der Gastronomie. 2014 erschien das legendäre Modernist Cuisine, welches das neue Standardwerk für wohl so ziemlich alle Kochtechniken, welche auf der Welt angewandt werden, in sich trägt. Modernist Cuisine at Home gab es wenig später mit der Version für den ambitionierten Hobbykoch. 2015 warf man mit Inside Chef’s Fridges, Europe einen Blick in die Kühlschränke von bekannten Spitzenköchen. 2018 kam mit Food & Drinks Infographics eine Sammlung von unheimlich vielen übersichtlichen Infografiken, welche höchst divers informative Statistiken der lukullischen Art vereinte.
Wie einst die Gerichte bestellt wurden – Speisekarten by Design
Hast Du Menu Design in Europe in den Händen, wirst Du zu Beginn nicht das Gefühl haben, dass es um Speisekarten geht. Die ersten Seiten haben eher etwas mit Kunst zu tun und erinnern nur schwer an eine Speisekarte. Doch bevor wir ans Eingemachte gehen, möchte ich uns einmal den heutigen Bestellprozess in Erinnerung rufen. Denn nach dem Betreten der Lokalität wird nicht selten auf einen QR-Code verwiesen, welcher die Speisekarte auf das eigene Smartphone lädt. Eine haptische Version aus Papier ist uns dabei immer seltener vergönnt. Die Digitalisierung hat auch diesen Prozess vereinnahmt. Wir sind auf dem besten Wege, die Speisekarten abzuschaffen.
Internet killed the (printed) menu
Das Internet hat also das gedruckte Menü auf dem Gewissen. Vorbei sind die Zeiten, in denen wir uns ein wenig mit der Speisekarte unterhalten konnten. Sicherlich gab es in der Regel kaum noch Illustrationen und Zeichnungen, wie es sie einst einmal gab, doch wird mir das hin und her blättern von der haptischen Speisekarte sehr fehlen. Das weiß ich schon jetzt.
Menü aus über 200 Jahren
Und natürlich gibt es einen wirtschaftlichen und vor allen Dingen Vorteil in Sachen Effizienz, wenn es um den Einsatz von digitalen Speisekarte geht. Man kann als Gastgeber mal schnell eben eine Änderung vollziehen, ohne gleich den kompletten Satz neu drucken zu müssen. Auch spart der Host sich eine Menge Materialkosten oder könnte durch eine veränderte Anordnung der Gerichte in Erfahrung bringen, welche Speisen sich dadurch vielleicht besser verkaufen. Doch geht bei all der digitalen Vorteile eine Menge Charme und Wertschöpfung verloren.
Randnotiz:
Kürzlich war ich bei einem Italiener in Berlin essen. Dort wurde erst der QR-Code auf dem Tisch gescannt und die Speisekarte öffnete sich auf dem Telefon. Als ich bestellen wollte, verwies man mich auf die Shop-Funktion auf der Telefon. Dort konnte ich meine gesamte Bestellung abgeben. So war es möglich, dass jeder der vier Gäste an unserem Tisch in sein Handy starrte und seine eigenen Speisen orderte. Ich halte diese Entwicklung für bedenklich. Eine Kommunikation hatten wir lediglich bei der Bezahlung, die dann doch bar sein musste. Der Gastwirt wollte sich die Gebühren bei der Zahlung per Kreditkarte sparen. So weit geht die Liebe zur Digitalisierung dann doch nicht. Ich werde das Thema mal später in meiner Kolumne aufgreifen.
„A beautiful menu will not make a dish taste better, but it will make the dining experience a total experience.“
Steven Heller
Aus Liebe zur gedruckten Speisekarte
Das Buch Menu Design in Europe greift den Werdegang europäischer Speisekarten gekonnt auf. Jim Heimanns neues Werk beinhaltet hunderte Speisekarten aus der Zeit des frühen 19. Jahrhunderts bis hin zur Jahrtausendwende. In unzähligen Beispielen wird gezeigt, wie mannigfaltig die Aufarbeitung mittels grafischer Stile und unterschiedlichster Designelemente von den Restaurants auch über die Speisekarte aufgearbeitet wurde. Aus dem Bedarf, nach einer formellen Präsentation entstand in den Zeiten der noch recht jungen kommerziellen Küche eine Reihe von Speisekarten. Dabei sind etliche Stildekaden vertreten – angefangen vom Jugendstil und Art-déco-Kunstwerken bis hin zu eher grafischen Arbeiten aus Zeiten der DDR.
Je gehobener das Restaurant, umso aufwendiger die Speisekarte
Je edler die Restaurants, umso mehr Aufgaben hatten die Speisekarten neben der reinen Anzeige der angebotenen Speisen samt Preisen zu leisten. In der gehobenen Gastronomie soll sie auch die Wertigkeit des Erlebnisses widerspiegeln. Es ist verblüffend, mit welcher Detailverliebtheit vor hundert Jahren die Speisekarten gestaltet wurden. Du kannst Dich wörtlich in die Atmosphäre des jeweiligen Restaurants hineinversetzen, so genau und stimmig passend sind die Illustrationen damals umgesetzt worden.
Fast schon im Schnelldurchlauf kannst Du in diesem Buch die rasante Entwicklung des Menüdesigns erleben. Wenn beispielsweise die Kunstwerke immer schlanker und schnörkelloser werden und vor allen Dingen die Schriften mehr und mehr ihre Serifen verloren.
„Es bleibt zu hoffen, dass dieses Buch, in dem mehrere Jahrhunderte der Gaumenfreude festgehalten sind, daran erinnert, dass dieser gewöhnliche Gegenstand einst das Schlüsselelement einer Mahlzeit war. Oftmals erhob die Speisekarte das Essen zu einer Kunstform und wurde ein essenzieller Bestandteil der grafischen und kulinarischen Geschichte, der für die Nachwelt erhalten werden sollte.“
Jim Heimann
Fazit von Menu Design in Europe
Die Speisekarte im klassischen Sinne stirbt aus. Das kann leider nicht anders gesehen werden. Das Design und die Individualität, welche vorteilhaft mittels analoger Menüs dargestellt werden konnte, weicht der digitalen, flimmernden Version. Die Einleitung liest sich fast schon wie ein Nachruf. Das sich einschleichende Ableben der Speisekarten hat offenkundig begonnen. Wenn Du noch einmal in diese Welt eintauchen möchtest, gibt es kein besseres Buch als Menu Design in Europe. Eine klare Kaufempfehlung meinerseits gibt es daher.