„Personal gesucht, sonst gehen wir baden“ steht auf dem Schild, welches ein Restaurantbesitzer aus Berlin in der Hand hält. „Wer suchet, der findet“, liest man in seinem Post davor. Das klingt alles schon recht beklemmend, steht aber symbolisch für den Zustand in der Gastronomie. Es geht aber noch schlimmer. In der letzten Eskalationsstufe heißt es „Uns steht das Wasser bis zum Hals“. Der Grund ist leicht ausgemacht und kein Geheimnis.
Personalmangel in der Gastronomie wohin man schaut
Es fehlt an Personal. An allen Ecken und Kanten wird Küchen- und Servicepersonal gesucht. Die Zeiten sind längst vorüber, als es noch stapelweise Bewerbungen in den Küchenbüros gab. Es ist ein Trauerspiel. Doch das Mitleid hält sich bei mir irgendwie in Grenzen. Denn das sind alles hausgemachte Probleme. Wer die Schuld bei den in Scharen geflüchteten Mitarbeiter/innen sucht, die einfach nicht mehr gewillt sind, für einen Apfel und ein Ei zu arbeiten, der darf sich nicht wundern, wenn er nun alleine dasteht.
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Die Gastronomie war schon immer ein Ort, bei dem der Mitarbeiter wie eine Zitrone bis zum „Geht nicht mehr“ ausgequetscht wurde. Servicemitarbeiter wurden mit absoluten Minimalgehältern ausgestattet, da ihnen ja beim Vorstellungsgespräch mitgeteilt wurde, dass der Rest durch die Trinkgelder eingespielt würde. Dass das eine Milchmädchenrechnung ist, wird vielen Mitarbeitern/innen spätestens bei den Kurzarbeitsbezügen um die Ohren geflogen sein. Denn die haben sich schließlich am geringen Bruttolohn orientiert und sind entsprechend dürftig ausgefallen. Dass man sich in diesem Augenblick nach einer Alternative umschaut, ist nur logisch.
Der Eyeopener kam dann für viele vermutlich beim Alternativjob im Supermarkt oder in den vielen Coronatestzentren, als man merkte, dass man auch mit viel weniger Stress und besserem Gehalt durchs Leben kommen kann.
Haben sich die Bedingungen in der Gastronomie verbessert?
Erst vor kurzem wurden die neuen Tarife verkündet. Voller Stolz kommunizierte man die neuen Endgeltgruppen, die auf satte (Ironie) 12 € pro Stunde bei der Entgeltgruppe 2 erhöht worden sind. Das ist genau der Mindestlohn, der sowieso ab 12. Oktober 2022 verbindlich gültig ist. Was für ein Erfolg (immer noch Ironie).
Abgesehen davon, zahlen die wenigsten Betriebe Tariflöhne. Insofern gilt auch hier, dass der Arbeitnehmer*in besser für sich selbst verhandelt.
Zum 1. Januar 2022 steigen die Entgelte in den Entgeltgruppen 2 & 3 auf 12 Euro / Std., dies ist eine Steigerung um 236 Euro bzw. 169 Euro monatlich oder 13,6 % bzw. 9,4 %. Sollte der gesetzliche Mindestlohn vor dem 1. Oktober 2022 auf 12 Euro steigen erhöhen sich die Stundenlöhne in den Entgeltgruppen 2 & 3 auf 12,50 Euro / Std. Das Entgelt in der Entgeltgruppe 4 steigt auf 12,50 Euro / Std., das ist eine Steigerung um 4,3 % . Die Entgeltgruppen 5.1. bis 9 steigen um 4 %. Zum 01.10.2022 steigen alle Entgelte über alle Entgeltgruppen um weitere 6 %. Die Auszubildendenvergütungen steigen jeweils zum 1. Februar 2022 und 2023 um 50 Euro über alle Ausbildungsjahre. Der Tarifvertrag ist zum 30.06.2023 kündbar.
Auszug aus den Tarifinfos für den Raum Berlin
Der Stunt des Jahres – die 4-Tage-Woche
Was gibt es noch? Der Stunt des Jahres war bei vielen die 4-Tage Woche. Hier wurde Praktisches mit Nützlichem verbunden. Da viele Restaurants überhaupt nicht mehr die Personaldecke aufbringen konnten, um für sieben bzw. fünf Tage die Woche die Lokalität zu öffnen, hat man die notwendige Reduzierung der Geschäftszeiten als Benefit für die Belegschaft verkauft. So öffnet man nun vielerorts an vier Tagen die Woche und kann somit dem Mitarbeiter als zusätzliches Bonbon einen dritten freien Tag anbieten. Man sollte hier aber nicht vergessen, das sich lediglich die Arbeitstage pro Woche reduzieren, jedoch nicht die Wochenarbeitszeit von roundabout 40 Stunden. Somit werden die 40 Stunden an nun vier langen Tagen geleistet. Ausnahmen gibt es natürlich auch.
Corona beschert einen hohen Krankenstand
Ein zusätzlicher Ballast für jeden Gastronom ist der ungewohnt hohe Krankenstand. Wie kaum sonst fehlen den Betrieben Mitarbeiter/innen. Die wegfallenden Corona-Schutzmaßnahmen sorgen für eine Durchseuchung der Belegschaft. Es gibt kaum einen Betrieb ohne Coronainfizierte, die zwangsweise zuhause bleiben müssen. Hier und da hört man von Restaurants, die nur wegen der hohen Krankenrate den Betrieb komplett einstellen. Das ist selten wie ungewöhnlich. Man kann einfach nicht mehr flexibel genug ausweichen. Die temporäre Schließlung ist die Konsequenz und gleichzeitig das Worst Case Szenario. Der Gast, der nicht rechtzeitig informiert vor verschlossenen Türen steht, wird sich beim nächsten Mal zweimal den Besuch überlegen.
Was ist die Lösung für dieses Problem?
Im Prinzip ist die Lösung recht einfach. Das, was man den Mitarbeitern/innen über all die Jahre vorenthalten hat, muss man ihnen wieder zurückgeben.
Bezahlung
Die Bezahlung ist nach wie vor eine Katastrophe. Tariflöhne, die sich am Mindestlohn orientieren, sind bei Berufen, welche geprägt von Entbehrungen (Nachtarbeit, Schichtarbeit, Wochenendarbeit, Feiertagsarbeit, massiv viele (teils unbezahlte) Überstunden) und schlechten Arbeitsbedingungen (rauer Umgangston, stressiges Arbeitsumfeld, Arbeiten unter Zeitdruck) sind, absolut unangemessen und unzureichend. Der durchschnittliche Bruttolohn in der Gastronomie lag 2020 in Deutschland bei 25.526 €. Das ist ein Witz. Die letzten Erhöhungen kann man da leider nur als Korrektiv für die in der Vergangenheit nur unzureichend gezahlten Löhne ansehen. Hinzukommt die derzeitige Inflation, welche diese Anpassung zudem noch aufrisst.
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Defacto hat der Mitarbeiterin aus rein finanzieller Sicht absolut keinen Grund, zur Gastronomie wieder zurückzukehren. Zudem sind Überstunden zu bezahlen und nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Was ich hier und da heute noch von meinen Gastrokontakten höre, lässt mir die Nackenhaare hochstehen. Wenn Schichten von 13-15 Stunden pro Tag nicht die Ausnahme sind und diese on top geleistete Arbeit auch noch bei der Gehaltsabrechnung unberücksichtigt bleibt, dann ist das einfach nicht hinzunehmen.
Arbeitsumfeld, Mitarbeiterführung & Weiterbildung
Die Mitarbeiterinnen verdienen ein Arbeitsumfeld, welches geschult im Umgang mit Mitarbeitern ist und auch in Stresssitationen sich in der Lage sieht, das Temperament im Schach zu halten. Zu oft ist die Gastronomie für die mehr als rauen Töne im Service zu recht in Verruf geraten. Wer als Geschäftsführer/in hier kein Auge auf die Abteilungsleiter/innen mit Mitarbeiterverantwortung hat, wird bald vor noch größeren Problemen stehen. Schreiende und cholerische Küchenchefs/innen sollten ein Relikt der Vergangenheit sein.
Der cholerische Küchenchef/in – ein Relikt der Vergangenheit?
Nicht jeder Koch/in, der gut kochen kann, kann gut führen. Das ist gerade in Krisenzeiten sehr gut zu erkennen, da dort die Zündschnur noch kürzer gerät. Hier liegt es in der Verantwortung des Geschäftsführers/in, es nicht vorauszusetzen, dass die kreative Küchenleitung gut im Führen ist. Oft hat man es mit Einzelkämpfern zu tun, die sich erfolgreich an die Spitze gekocht haben und sich dort weiterhin behaupten wollen. Da sind viele Mittel recht.
Der Druck, welcher von öffentlichen Gastroführern und Restaurantkritikern aufgebaut wird, ist nicht für jedes Talent ausnahmslos zu kompensieren. Ziemlich häufig wird da das Team als Ventil hinhalten müssen. Daher braucht es regelmäßiges Leadershiptraining. Ich würde es sogar als sinnvoll erachten, wenn es eine Art Zertifikat gibt, welches für Außenstehende darstellt, wie es im Betrieb um die Mitarbeiterführung bestellt ist.
Feedbackgespräche oder auch die Weiterbildung sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Wer nicht in die Mitarbeiter/innen investiert, wird ganz sicher kein langfristiges Commitment erhalten. Wenn der Mitarbeiter/in merkt, das man nicht nur gefordert sondern ebenfalls gefördert wird, dann wird auch in schlechten Zeiten der Weggang verhindert werden können.
Arbeitszeiten
Hier gibt es gerade in Großstädten konkurrierende Ziele. Es hat irgendwann damit angefangen, dass Speisen in Restaurants bis mitten in der Nacht angeboten werden mussten. Sowas rächt sich in diesen Zeiten. Wer seinen Mitarbeitern eine gute Work-Life-Balance anbieten möchte, der muss auch darüber nachdenken, ob auch den letzten Gästen um kurz vor 23 Uhr noch Speisen angeboten werden müssen. Da hilft ein Blick in die Reservierungsbücher, um zu erkennen, wieviel Umsatz hier in der Tat generiert wird. Ist der Betreiber in der Lage, auf diese zu verzichten, dann sollte das auch getan werden. Für viele Köche/innen wäre es ein enormer Vorteil, wenn der Feierabend schon um 22 Uhr eingeläutet werden kann.
Mitarbeiterführung & Weiterbildung
Feedbackgespräche oder auch Weiterbildungen sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Ein einmaliges, hastiges Gespräch im Jahr kann nicht als ernsthaftes Feedbackgespräch angesehen werden. Diese Zeit gehört nur dem Angestellten und sollte das Interesse des Arbeitgebers sein, sie zu investieren. Wird hier zum Beispiel auf die Stärken und Schwächen fachgerecht eingegangen, kann man mit Sicherheit einen motivierten Mitarbeiter/in gewinnen. Denn in solch einem Gespräch sind eben auch gemeinsam gesteckte Ziele ein wichtiger Punkt. Darauf hinzuarbeiten kann Teil einer effizienzsteigernden Unternehmensführung sein.
Fazit
Es ist und bleibt das Henne-Ei-Prinzip. Es kommt nun darauf an, wer sich hier zuerst bewegt, damit die strauchelnde Gastronomie wieder auf die Beine kommt. Es ist davon auszugehen, dass der Tourismus wieder anzieht. Gerade die Inlandsreisen sind nach wie vor immer noch hoch im Kurs. Somit bleibt nun die Frage, wie man sich heute darauf vorbereitet, die morgigen Umsätze mit motivierten Mitarbeitern zu sichern. Mit der Denke von gestern ist das jedenfalls nicht zu machen.
Steffen
Vielen Dank für den erstaunlichen Artikel. In der Berliner Gastro ist das größte Problem das unprofessionelle arrogante Management. Jetzt haben sie es verdient.
Bedauerlicherweise gibt es hier nur Verlierer. Ich würde nicht soweit gehen, zu behaupten, dass sie es verdient haben. Dafür leiden zu viele Arbeitnehmer und vor allen Dingen die gesamte Branche und am Ende auch jeder einzelne Kunde oder Gast darunter.
Leider ist dem aber so. Die Gastronomie hat sich schon vor Corona ihr eigenes Grab geschaufelt. Ich war selber 30 Jahre in der Gastronomie, davon viele Jahre Küchenleiter. Arrogante und geldgierige Manager und Gastrobetreiber machen leider diesen schönen Beruf kaputt. Viele greifen nur noch zu Convenience Produkte. Anstelle von Qualität setzt man auf Quantität, stellt lieber ungelernte Kräfte ein, da diese billiger sind. Die Preise für die Speisen aber horrend überteuert. Leider ist es nach Corona und dem Ukraine Krieg noch leichter geworden die Preise ins utopische zu erhöhen, weil man diese als Argument für Preiserhöhungen sind. Wir beklagen Fachkräftemangel, tun aber das Gegenteil dafür, dass sich Menschen wieder für diesen beruf interessieren. Stattdessen setzen wir auf ungelernte Billigarbeiter aus dem Ausland. die von der Materie kaum einen Plan haben. Ich muss leider auch sagen, dass die Gastronomen selber schuld sind, wenn sie heute keine Fachkräfte mehr bekommen. Sie Missstände waren schon vor Jahren bekannt und man hat sie einfach ignoriert. Nun erhalten sie dafür die Rechnung.