Ein halbes Jahr Ausbildung on top – das ist das einzige Angebot, welches die IHK für die Auszubildenden Köche macht, mehr nicht. Ist das ausreichend? Ganz sicher nicht! Eine bundeseinheitliche Regelung gibt es nicht. Die Ausbildung ist wieder mal Ländersache. Hier und da gibt es die dringend benötigten Nachhilfeprogramme, denn eine Ausbildung hat in den letzten 16 Monaten praktisch kaum stattgefunden. Die Theorie als auch Praxis wurde vielerorts coronabedingt einfach nicht vermittelt. Doch auf Seiten der IHK gibt man sich recht fantasielos, was das mögliche Angebot betrifft, um den auslernenden Azubis eine Perspektive zu vermitteln. Ein Weckruf an die IHK.
Ein Weckruf • der vermutlich zu spät kommt
Ich sehe hier den Bund in der Pflicht, welcher über die IHK kostenlose Ausbildungsangebote hätte machen können/sollen. Vergleichbares sieht man beispielsweise bei den Grundschülern. Da der Schwimmunterricht wegen der Corona- Maßnahmen komplett ausgefallen ist, bot man den Kindern tausendfach kostenlose Stunden an, damit diese die versäumten Unterrichtseinheiten in den Sommerferien nachholen konnten. Und siehe da – das Angebot war binnen weniger Tage restlos vergriffen.
Die Köchinnen und Köche sehen wieder mal in die Röhre. Hier und da gibt es in Deutschland vereinzelt Angebote, doch von einer flächendeckenden Lösung ist man weit entfernt. Bestreben seitens der IHK jenseits des Angebots, die Prüfung ein halbes Jahr verzögert durchzuführen, gibt es nicht.
Ein halbes Jahr länger Auszubildendenlohn – wer soll davon derzeit leben?
Doch was heißt das eigentlich genau, wenn der Prüfling ein halbes Jahr drauflegt? In erster Instanz bleibt er weitere sechs Monate in einer schlecht bezahlten Azubi- Position. Und sind wir mal ehrlich, in Zeiten des absoluten Mitarbeitermangels würden sich sicherlich nicht wenige Arbeitgeber darüber freuen, den Auszubildenden noch ein wenig mehr als geplant günstig halten zu können. Daher darf man sich dessen Überzeugungsarbeit dem Azubi gegenüber sicher sein. Das dürfte auch der IHK in den Sinn gekommen sein. Nicht jeder junge Nachwuchskoch wird bei einem erfahrenen Küchenchef, welcher situationsbedingt für eine längere Ausbildung plädiert, dagegenhalten können.
Ich wäre nicht dafür, den Nachwuchs doppelt zu bestrafen. Und das hat folgenden Grund.
Die Lehrlinge müssen mit massiven Belastungen umgehen.
Studien belegen, dass zwei Drittel der Deutschen unter der Pandemie leiden – vor allen Dingen Familien mit Kindern und junge Menschen. Das geht aus einer repräsentativen Studie der Asklepios- Kliniken hervor. Im Pandemie- Winter zum Jahresbeginn 2021 gaben demnach 61 Prozent an, dass sich ihre psychische Gesundheit verschlechtert hat.
Insbesondere in den Berufsschulen habe sich die Situation massiv verschlechtert, berichten 71 Prozent der Azubis. Die Motivation ist dermaßen gesunken, dass man hier von einem Präzedenzfall sprechen kann. Unter den Lehrlingen fürchtet gar 40 Prozent um die Übernahme. Das sind mehr als alarmierende Zahlen.
Was fällt der IHK dazu ein?
Wie oben schon beschrieben, leider herzlich wenig. Man darf lediglich die Prüfung um ein halbes Jahr verschieben. Soll das etwa alles sein? Gab es nicht genug Zeit, bei den zuständigen Ministerien für Hilfsgelder anzufragen, um kostenlos den ausgefallenen Unterricht in den Zeiten, wo die Berufsschule wieder möglich ist, anzubieten? In vielen Bundesländern liegt ein adäquates Angebot in weiter Ferne. Schaue ich auf meine zuständige Internetseite vom IHK- Berlin, sehe ich bis auf das magere Angebot die Ausbildung zum Wohle der Auszubildenden (vermutlich sind eher die Ausbilder gemeint) zu verlängern, nichts. Das ist absolut unzureichend und beschämend. Als ob es keine Zeit gegeben hätte, sich dazu sinnvolle Gedanken zu machen. Viel mehr vermute ich jedoch, dass die Ideen ausgegangen sind. Ein Weckruf ist dringend notwendig, um die Verantwortlichen dazu zu bewegen, etwas zu tun.
Wie sähe mein Lösungsansatz aus?
Würde ich die Entscheidung treffen müssen, entweder die derzeitig auslernenden Azubis in eine Extrarunde zu schicken oder auf der anderen Seite die Prüfung zu erleichtern, würde ich letzteres wählen. Nach Zeiten der Coronakrise, in der sich diese vermutlich finanziell verschuldet haben, sollten sie endlich in eine besser (noch lange nicht gut) bezahlte Anstellung kommen. Das würde wenigsten den Anreiz vermitteln, dass man endlich die Jugend schützt, nachdem man sich (zu recht) die meiste Zeit um die älteren Generationen gekümmert hat.
Ich habe am eigenen Leibe erlebt, dass man das Meiste nicht in der Lehrzeit sondern viel später in der Gesellenzeit lernt. Lediglich die Hygieneregelen und Abläufe sollten sitzen. Mir wäre es periphär, ob in diesen Zeiten des Fachkräftemangels der Gesellenanwärter zwei oder drei verschiedene Komponenten auf den Dessert- Teller in der Prüfung gebracht hat.
Das kann man natürlich auf alle anderen Bereiche der Speisenbereitung in der praktischen Prüfung anwenden. Denn umgangssprachlich gesagt, geht es uns Arbeitgeber am Ende doch lediglich darum, dass der Geselle einigermaßen geradeaus laufen kann und sauber und geordnet arbeitet. Er muss längst nicht alle (frankophilen) Fertigkeiten mitbringen, welche die Prüfung heute abverlangt. Einen Großteil stelle ich, und das wissen meine Leser bereits, ohnehin infrage.
Insofern gehört der Schwierigkeitsgrad ausnahmsweise heruntergeschraubt und die Prüfung des Lehrlings genau wie bisher bewertet. Mit diesen gesenkten Anforderungen sollte es möglich sein, dass der Azubi nicht vollends demotiviert ist. Ich kann mir vorstellen, dass so einige Azubis den Beruf komplett hinschmeissen würden, wenn der Arbeitgeber es nur zu gerne sehen möchte, dass sie sich weitere sechs Monate an den Betrieb binden lassen.
Im Übrigen ist Theoriemangel auch im nächsten Jahr zu erwarten
Durch den massiven Ausfall von Berufsschulstunden ist auch im nächsten Abgangsjahr mit deutlichen Bildungslücken zu rechnen. Insofern ist es immer noch ratsam, sich dazu von Seiten der IHK den Kopf zu zerbrechen. Dafür müsste sie lediglich aktiv werden und bei den zuständigen Ministerien anfragen.
Sollte es wirklich keine angemessenen Ideen und Konzepte, welche durch den Bund finanziert werden, geben, sehe ich schwarz für die Gastro und insbesondere das Handwerk des Kochs. Meiner Meinung nach schauen sich die IHK und NGG Jahr für Jahr an, wie sich die Lage verschärft, ohne spürbar tätig zu werden. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Ich befürchte jedoch, dass das nicht passieren wird.
Haben Sie schon einmal über “…. und die Karawane zieht weiter” nachgedacht, Herr Sinzinger? Ich fürchte, Sie wollen ein typisch deutsches Problem ‘lösen’: Bevor ich was mache, brauche ich eine Kostengutsprache. Aber so funktioniert die Realwelt nur in Ausnahmefällen. Und eben leider noch viel zu oft in Deutschland. Besser wäre da schon, wenn Sie in Ihrem Ausbildungsbetrieb Realitätssinn mitvermitteln würden. Etwa in die Richtung, dass herabgesetzte Erwartungen an der Prüfung zwar zu mehr bestandenen Prüfungen, aber nicht zu mehr guten Köchen führt. Und dass ungenügend qualifizierte deutsche Köche ganz einfach durch nicht unbedingt bessere, aber billigere Köche aus anderen Ländern ersetzt werden. Ganz nach dem Motto “Der/Die deutsche Koch/Köchin hat seine/ihre Schuldigkeit leider nicht getan, der/die deutsche Koch/Köchin kann gehen.” Das wäre dann eine Lektion Lebensweisheit, die wert wäre, vermittelt zu werden.
Vielen Dank für Ihre Antwort Herr Keller.
Wie ich es bereits in meiner Kolumne beschrieben habe, geht es hier um einen nie da gewesenen Ausnahmezustand. Wir hatten bereits vor Corona einen massiven Fachkräftemangel. Der einzige Weg, diesem zu begegnen, ist den Beruf Koch für den Nachwuchs wieder attraktiv zu machen. Ich sehe hier ein enorm hohes Potential, und die Studien belegen das, dass die Auszubildenden durch eine ausbleibende zusätzliche Unterstützung noch mehr demotiviert werden als sie es ohnehin schon sind. Die Betriebe können das nicht leisten. Die müssen derzeit aufgrund des ausbleibenden Geschäfts auf Sicht fahren. Gemäß dem Minimalprinzip kann hier auch nicht Ware geordert bzw. Personal gestellt werden, welches ausschließlich für die Ausbildung genutzt werden kann. Man kann quasi der Ausbildung nicht mehr nachgehen, weil noch immer viele Mitarbeiter in Kurzarbeitszeit stecken und so wie es aussieht, dürfte es noch eine vierte Welle geben.
Ein “Weiter so” wie bisher oder wie Sie es mit “Die Karawane zieht weiter” umschreiben wäre für die Gastronomie ein fatales Signal. Zum Einen wird gezeigt, dass der Azubi mit seinen Problemen, welche coronabedingt eingetreten sind, alleine gelassen wird und auf der anderen Seite erleben wir bereits heute, ein kurzer Blick in die Stellenanzeigen genügt, dass wir all die freien Positionen nicht mehr besetzen können. Die Konsequenzen sind bekannt. Entweder wird, da wo es geht, Convenience eingekauft oder das Restaurant halt zu gemacht.
Wagen Sie doch einmal den Perspektivwechsel und stellen Sie sich vor, dass ihre Ausbildung im dritten und letzten Jahr ihrer Ausbildung faktisch nicht stattgefunden hat, weil der Berufsschulunterricht ausgefallen ist und in der Praxis Sie vermehrt im Frühstück eingesetzt worden sind, weil das das einzig verbliebene Business ist, bei dem man in den letzten Monaten noch Köche einsetzen konnte. Wenn sie in dieser Zeit dann freilich Schwierigkeiten hätten die Prüfung zu bestehen, weil die Anforderungen einfach ein Stück weit zu hoch sind und als einziges Angebot der IHK eine Verlängerung ihrer Ausbildungszeit besteht, würden Sie sich sicherlich auch überlegen, den Beruf komplett bleiben zu lassen. Wir in der Gastro können uns aber noch mehr Aussteiger nicht leisten. Darum geht es schließlich auch.
Und machen wir uns mal nichts vor. Wir arbeiten hier nicht am Herzen noch betreiben wir keine Raketentechnik. Wenn ein Auszubildender bereits zwei Jahre hinter sich hat und das dritte Jahr der Ausbildung coronabedingt nur hälftig mit Ausbildung gefüllt werden konnte, ist das kein Grund, ihm einen Abschluss nach drei Jahren zu verwehren. Anders würde ich da bei anderen Berufsgruppen wie Ärzten oder anderen Berufen denken. Wir reden hier von Köchen:innen, welche sowieso den meisten Anteil ihres Fachwissens nach der Lehre aufbauen.
Im Übrigen haben wir bereits die Entwicklung, dass Köche aus dem Ausland ersatzweise herangezogen werden, weil es absolut keine (ob schlecht ausgebildete oder nicht) deutschen Fachkräfte mehr gibt.
Und da seitens der IHK offensichtlich nichts unternommen wird, Gelder bei den zuständigen Ministerien zu beantragen (direkte Quellen meinerseits bestätigen das), hatte ich mich dazu entschlossen, mein Forum hier zu nutzen. Denn im Grunde ist es schon bedauerlicher, dass in mehr als 1,5 Jahren nichts anderes unternommen wird, als das Problem auszusitzen.
Würden Sie verraten, wo sie tätig sind?