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s war ein recht wechselhafter Abend. Der 29. Oktober war der Tag an dem es zur Gewissheit wurde, dass wir wieder in einen Lockdown gehen werden. Die Edition der Berliner Meisterköche 2020 sollte in einem sogenannten Walk of Taste zelebriert werden. Unter dem Motto „Zusammenhalt statt Wettbewerb“ stand die Fine- Dining Tour, welche zu vier Top Adressen der Hauptstadt führte. Überall schwang ein wenig Wehmut mit, dass der vorerst letzte Service unmittelbar bevor steht. Ein Resümee über aufgeheizte Gemüter und die erzwungene Pause, die hoffentlich bald vorüber ist.
Bereits seit 1997 zeichnet Berlin Partner Jahr für Jahr die besten Köche der Hauptstadt aus. Meine ersten Erfahrungen mit diesem Preis machte ich noch als Jungkoch im Hotel Palace Berlin. Es war das Jahr 2003 als mein damaliger Küchenchef Matthias Buchholz im Restaurant first floor genau diesen Titel zum dritten Mal erhielt und somit auf einer Gala im Hotel Intercontinental zusammen mit den anderen Trägern ein Menü kochen durfte. Wenn ich mich recht erinnere, waren das um die 300 Gäste, welche dort verköstigt wurden.
Walk of Taste
Solch ein Fest ist in der heutigen Zeit von Corona nicht denkbar. Dennoch versuchen die Organisatoren alles, um die diesjährigen Gewinner als auch renommierten Köche der Stadt zu würdigen und so das Handwerk hochzuhalten. Und das zu recht, denn das was wir in dieser Zeit am meisten benötigen, wenn wir denn schon nicht unser Handwerk ausüben dürfen, ist Zuversicht und Zuspruch von allen Seiten zu erhalten. Denn das ist nun extrem wichtig, um nicht den Mut zu verlieren.
Natürlich bedarf es auch Unterstützung. Die folgt laut Regierung nun auf dem Fuße. In diesen Tagen sollen die Eckdaten für die wohl noch nie dagewesene Kapitalspritze für die Gastronomiebranche kommuniziert werden. Es wird höchste Zeit, dass hier alle Fakten auf den Tisch kommen, denn man kann vor allen Dingen auf sozialen Kanälen wie Facebook sehen, wie sich die Branche gerade spaltet.
300 Gäste in einem Salat • heute undenkbar
Dass wir auf dem richtigen Weg sind, und nach all dem Aufwand für die Umsetzung der Hygienemaßnahmen, der coronabedingt betrieben worden ist, bedarf es eines Signals von außen. Wir wollen nicht nur optimistisch in diesen zweiten Lockdown hineingehen, sondern ebenso gestimmt wieder herauskommen können. Natürlich immer unter dem Vorbehalt „so früh möglich, so spät wie nötig“. Wir geraten mehr und mehr in eine Lage, bei der die Köche einfach nur verzweifelt und frustriert sind. Es ist für die Zunft in weiß schwer erklärbar, warum die Maßnahmen, die teilweise über das notwendige Maß hinaus getroffen und umgesetzt worden sind, doch nicht ausreichen.
Doch hatte sich der Lockdown bereits vor einem Monat angekündigt. Als vermehrt in den Nachrichten skurrile Mitteilungen über ausufernde Hochzeiten, illegale Feiern oder wie zuletzt Fetischparties mit bis zu 600 Teilnehmern stattgefunden haben. Von coronakonformen Handeln kann da hier und da kaum die Rede sein. Doch ganz sicher ist auch, dass die breite Masse alles Mögliche einhalten hat, um weiterhin offen bleiben zu dürfen. Wir sehr schätze ich es, dass ich in einer Gastrowelt wie Berlin zu Hause bin. Wie sehr bin ich dafür, dass diese Vielfalt erhalten bleibt.
Ist sie für mich relevant? Ganz sicher! Es wäre für mich ein Grund, nicht von Berlin wegzuziehen.
Ist die Gastronomie systemrelevant? Wohl eher nicht.
Wir retten keine Menschenleben. Wir schaffen einen beliebten Platz im stilvollen Ambiente mit tollem Essen und fabelhaften Wein. Wir wissen genau, was der Gast will, manchmal bevor er es vielleicht selbst weiß.
Werde ich es vermissen? Aber natürlich!
Das tägliche Kochen und Schicken fehlt
Ich habe seit so langer Zeit, einfach wieder Lust in der Küche zu stehen und einen belebten Service mitzuerleben. Einen Abend bei dem an vier Tischen im Restaurant am besten gleichzeitig der Hauptgang raus muss. Einem Service, bei dem der Gast an Tisch 3 schon wieder seinen Extrawunsch hat, den man mit leichtem Augenrollen so schnell wie möglich ausführt. Einem Service bei dem ich am Ende des Tages weiß, was ich geschafft habe. Nur das zählt bei so vielen Köchen derzeit und kann dennoch nicht stattfinden. Das geht vielen Gastronomen an die Nieren. Frustration und Verzweiflung führt in diesen Tagen und Wochen oft zur Aggression, die sich immer öfter entlädt.
Es ist natürlich ein Leichtes auf die Verantwortlichen, welche diese Entscheidung getroffen haben, einzudreschen. Was da teilweise selbst von bekannten TV- Köchen gesagt wird ist, ist mir unerklärlich. Das führt nun in der Konsequenz teilweise dazu, dass Betreiber von Berliner Restaurants anfangen, Politikern Hausverbote zu erteilen. Das ist ihr gutes Recht. Doch ist das der richtige Weg? Ganz sicher nicht. Denn wenn die Berliner Gastronomie schon immer für eines stand, dann für ihre Offenheit. Für jeden Geschmack den richtigen Fleck anbieten zu können. Für jeden Geldbeutel das bezahlbare Lokal im nächsten Kiez um die Ecke zu haben.
Zusammenhalt anstatt Hausverbote
In einem veröffentlichten Video wurde die Regierung aufgefordert, keine Hilfsleistungen zu zahlen und stattdessen das „Berufsverbot“ aufzuheben. Hilfsleistungen, die von allen Seiten so vehement eingefordert worden sind. Hilfsleistungen, die den Betreibern von Gaststätten und Bars nun zum ersten Mal die Möglichkeit geben, etwas Luft zu holen. Das alles mit dem Wissen, dass man von den bis zu 75 % des Novemberumsatzes aus dem Vorjahr die Gehälter als auch die Miete und die restlichen Kosten begleichen kann, ohne den Betrieb aufsperren zu müssen. Denn dieser sollte lieber in den Zeiten des sprunghaften Anstiegs der Infektionen geschlossen werden, so lautet die Strategie in dieser Zeit. Wurde das vielleicht etwas zu spontan kommuniziert? vermutlich, dennoch dürfte es für die meisten von uns die erste Pandemie sein. Wir üben noch!
Wenn nun der Ort, wo Menschen zusammenkommen, genutzt wird, um Teile der Gesellschaft auszugrenzen, dann ist das ein verheerendes Signal an alle. In einer Demokratie, bei der die Vertreter der demokratisch gewählten Institutionen als Feinde angesehen werden, darf es so etwas nicht geben.
Spaltung ist kein Ausweg aus dieser Krise
Für mich ist es einfach schwer vorstellbar, dass solche Hausverbote dazu führen, dass sich irgendetwas an der Lage ändert. Denn diejenigen auszusperren und anzuprangern, die dafür gesorgt haben, dass das letzte halbe Jahr die Mitarbeiterlöhne von der Gesellschaft und nicht vom Unternehmer getragen werden, die dafür gesorgt haben, dass die Unternehmer nun einen kalten Monat weniger hoffen müssen, die Bude voll zu bekommen, hat spaltende Ausmaße.
Denn irgendwann ist auch diese Krise überwunden und dann kann es nur das Anliegen eines jeden Gastgebers sein, dass man sich zusammen wieder auf Augenhöhe an einen Tisch setzen kann. Diese demokratisch gewählten Vertreter wegen Frust, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Perspektivlosigkeit oder vielleicht nur einem kurzweilig wirkenden Marketingstunts auszusperren, ist einfach nur unvernünftig, da es ganz bestimmte politische Gesinnungen auf den Plan holt und ihnen die Möglichkeit gibt, Verschwörungstheorien und rassistische Parolen unter das Volk zu bringen. Ich habe das in den letzten Tag zuhauf erlebt. Ich hoffe, das hat keinen Vorbildcharakter.
Mir ist das Level an Frustration vollkommen klar und auch nicht gleichgültig. Das darf dennoch nicht dazu führen, dass die Gesellschaft, die in diesen Zeiten zusammenhalten sollte, sich mehr und mehr zersetzt. Nicht mit Aktionen gegen Mitbürger im Amt, die wortwörtlich versuchen, die Gemeinschaft am Leben zu erhalten, schon lange nicht mit Taten, die Teile ausgrenzt. Das führt zu Verhältnissen, die mich derzeit stark an Amerika erinnern. Ich befürchte, nicht wenige verrennen sich gerade und erkennen ernst gemeinte Hilfen nicht an, wenn sie ihnen förmlich ins Gesicht springt.
Ganz Deutschland wird nun zur Kasse gebeten, um uns zu helfen.
Jeder deutsche Steuerzahler wird gerade zur Kasse gebeten, um die Gastronomie hierzulande zu unterstützen. Es geht um Eure als auch um meine Existenz, dabei spielt es absolut keine Rolle, ob man selbstständig, ein angestellter Koch oder Azubi ist. Hotelbesitzer sitzen im selben Boot wie die Raststättenbesitzer auf der Autobahn. Uns geht es allen gemeinsam an den Kragen.
Wir sollten in der Pause viel lieber darüber nachdenken, was wir alles für die Zeit nach Corona ändern können. Denn da gibt es viel zu tun. Das System kränkelt an vielen Ecken und Kanten. Gerade das Lohndumping in der Gastro muss aufhören. Faire Löhne müssen gezahlt werden. Kompensieren kann es nur der Gast mit höheren Preisen.
So kann der Kellner auch auf gerechte Basis entlohnt werden und bekommt nicht ein Drittel auf Trinkgeldbasis ausgezahlt. Da sollte einmal Hand angelegt werden, bevor man sich überlegt, welchen Politiker man aussperrt.
Es ist wichtig, das Handwerk hochzuhalten und attraktiv für die Gäste und vor allen Dingen für die zukünftigen Köche zu gestalten. Sonst verlieren wir die Möglichkeit, in den nächsten Generationen unseren Beruf des Kochs noch leben zu können.
Noch viel wichtiger ist es, das hohe Gut der Meinungsvielfalt zu schützen. Ich bin erschrocken darüber, wie teilweise verbissen Meinungen Dritter mit persönlichen Angriffen jenseits von Gut und Böse niedergemacht werden. So ist ein Austausch nicht möglich.
Walk of Taste Menü mit Start im Hotel Adlon
Ein ganz wunderbarer Austausch fand hingegen zu dem Event der Meisterköche statt. In der ersten Station im Berlin Traditionshotel Adlon traf man sich im Lorenz Adlon Esszimmer, um zusammen mit dem Küchenchef Hendrick Otto über die jüngste Schließung zu sprechen. Er ergriff die Gunst der Stunde, um sich bei seinem Team für die großartige und nicht alltägliche Arbeit der letzten Monate nach dem ersten Lockdown zu bedanken.
Um auf diesem Niveau mit einer 2- Sterne Küche zu arbeiten muss man einfach ein perfekt funktionierendes Team haben. Mit seinem Team kredenzte Hendrick Otto eine Aubergine mit Chimichurri, Honigtomate, gebrannte Mandel, Sesamöl, Limette, Creme von Rum und braunem Zucker. Im Glas befand sich eine 2000-er Riesling Spätlese Wallufer Berg Bildstock. Wahrlich ein Genuss und man bemerkt sofort, wie sehr es allen Beteiligten Spaß bereitet, die Speisen anzurichten und den Gästen direkt auszuhändigen.
Nach einer guten halben Stunde verlassen wir wieder die Küche des Hotels und begeben uns zu der zweiten Station.
Charlotte & Fritz
Für das Zwischengericht in 2 Gängen geht es an den Gendarmenmarkt zum Charlotte & Fritz im Regent Berlin. Hier gibt es klassisch angehauchte Küche mit einem Schlag regionalem Anstrich. Das Amuse, eine Version von Himmel und Erd‘ wird elegant im zylindrischen Kartoffelknusper mit Apfel und Berliner Blutwurst gereicht.
Der anschließende Fischgang war ein auf den Punkt gegarter Heilbutt in Manier eines Leipziger Allerleis. Das pochierte Stück Fischfilet kam mit Morchel, Zitrus und einer Knochenmark beurre blanc zu dem ein wundervoller 2014-er Rioja Blanco Capellania aus Spanien eingeschenkt wurde. Auch hier war die ein wenig getrübte Stimmung über den erneut beschlossenen Lockdown unverkennbar.
Dennoch lies man sich nicht lumpen, sich ausgiebig um das Wohl der Gäste zu kümmern. Eine Leidenschaft, der alle einfach nur noch nachkommen wollen.
Zum Hauptgang ins FACIL
Die dritte Station wurde bei einem der größten Talente, welche die Hauptstadt zu bieten hat, abgehalten. Es handelt sich um den Preisträger Meisterkoch 2010, Michael Kempf. Bereits seit 15 Jahren führt nun dieser Ausnahmekoch das Restaurant mit einer unglaublichen Beständigkeit auf höchstem Niveau. Vom ersten Tag seines Schaffens steht das FACIL für höchsten Genuss und bietet in dem sagenhaften Ambiente dieses Ortes eine sehr vielfältige Küche an.
Das beginnt bereits beim kleinen Amuse Bouche mit Schweinebauch, grünem Speck und Auster. Präzise und gewagt lässt er diese Produkte, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, miteinander harmonieren. Der eingesetzte Hauptgang war nicht weniger spektakulär. Hier richtet er einen perfekt gegarten, zarten Rehrücken aus dem Fläming neben Teltower Rübchen, Granatapfel und einer Sauce Rouennaise an.
Diese sehr intensive und mit Blut gebundene Sauce zeigt, wie gut er klassische Elemente in eine zeitgemäße Küche integrieren kann. Er selbst lies es sich nicht nehmen, im Restaurant zu erscheinen und ebenso über die augenblickliche Lage zu sprechen. Er trägt es mit Fassung und ist voller Zuversicht, dass es möglichst bald wieder losgehen wird. Ein Gewinn ist es ganz sicher, denn das FACIL ist eines der besten Restaurants der Stadt, dessen Küchenchef sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruht, sondern immer wieder am Entwickeln neuer Ideen ist.
Wir verließen das edle FACIL in Richtung POTS, dessen Preisträger Mathias Brandweiner Berliner Gastgeber 2019 war und bereits auf uns in der Lobby des Ritz Carlton wartete.
POTS by Dieter Müller
Kein Geringerer als Dieter Müller ist hier Ideengeber und kulinarischer Consultant für dieses Restaurant am Potsdamer Platz. Es ist im ersten Jahr noch ganz in den Anfängen und als wir den sehr liebevoll gestalteten Bereich betraten, konnten wir nur unschwer erkennen, dass hier wirklich viel Leben, auch drei Tage vor dem Lockdown, drinnen steckt. Fast alle angebotenen Tische waren besetzt und die offene Küche hatte gut zu tun.
Wir kehrten für zwei abschließende Gänge ein. Das Dessert kam in der Aufmachung einen sehr an Dieter Müller erinnernden Karottekuchen mit Quark, Karotteneis und Gewürzstreusel. Dazu eine Cocktailkreation namens Pinke carrOTS. Wir kosteten zusammen diese großartig, klassische Küche, welche mit zeitgemäßen Elementen gespickt war. Zu dem letzten Teller wurde eine Auswahl von deutschem Käse von Fritz Blomeyer himself aufgeschnitten und unserem Zirkel umfassend erläutert. Dazu gab es noch lauwarmes Sauerteigbrot und einen Riesling „Hauptstadtgewächs“ 2017. Eine großartige Zusammenstellung.
Last Supper der Berliner Meisterköche
Unter den bekannten Umständen könnte man diese kleine Safari zu den vier Destinationen ruhig „Last supper“ nennen. Dich ich bin mir sicher, dass es nicht das letzt Mahl sein wird und wir ganz sicher und hoffentlich bald derartige Events und auch Momente bei diesen als auch allen anderen großartigen Gastronomien haben werden. Wir brauchen jetzt vor allen Dingen, etwas Geduld und vor allen Dingen Vernunft, um diese künstlich verschaffte Arbeitspause zu überwinden. Der Zusammenhalt in diesen Zeiten untereinander spielt in meinen Augen eine enorm große Rolle und sollte für uns richtungsweisend für die Zukunft sein.