Gegen Ende dieses Jahres wird nicht ein heißer Bücherherbst sondern eher ein heißer Bücherwinter eingeläutet. Die Zahl der Titel, welche kurz vor dem Jahreswechsel hier einkehren, ist gemessen an den letzten Jahren ziemlich hoch. Nun dreht sich also alles um Benjamin Maerz, welcher im Matthaes Verlag ein Kochbuch herausbringt. Der Titel ist Programm. Er heißt Heimat. Ob es sich hier um Etikettenschwindel handelt oder es in der Tat um regionale Küche geht, erfahrt Ihr in meinem Bericht über das Kochbuch, der in dieser Version ein wenig mehr ausholt und das nicht ohne Grund.
Benjamin Maerz – ein Chefkoch, der nie das Zepter übernehmen sollte
Das Wort Heimat ist gerade in der Gastronomie nach all der regionalen Kost, die sich trendtechnisch in den letzten Jahren durchsetzen konnte, ein stark frequentierter Begriff. Nicht zuletzt auch Horst Seehofer hat mit der Schaffung des Heimatministeriums für viel Fokus auf das Thema Deutschland und seine Regionen gelegt, ganz gleich, wenn es hier um einen gänzlich anderen Kontext ging.
Doch was ist Heimat eigentlich genau?
Heimat wie sie Benjamin Maerz sieht
Benjamin Maerz definiert Heimat nicht ganz eindeutig. Er möchte in seinem jüngst veröffentlichten Titel „Heimat – Weite Welt“ nicht mit seinen Gerichten zeigen, was Heimatküche bedeutet. Für ihn ist es kein geografischer Begriff. Eher bezieht er sich in der Einleitung darauf, dass in diesem Buch offenbart werden soll, was für ihn das Wort Heimat in sich trägt.
Von seinem Zuhause hat er sich nie wirklich lang entfernt. Er fühlt sich in dieser Region am wohlsten und wohnt zusammen mit seiner Frau nur zehn Minuten vom eigenen Unternehmen entfernt in seinem Haus. Benjamin bezieht sich also sehr stark auf die Gegend am Neckar wo Weinberge, Wälder und Wiesen direkt vor der Haustüre liegen. Mit diesen vor Ort zur Verfügung stehenden Ressourcen möchte er sich Tag für Tag kulinarisch auseinandersetzen.
Vor allen Dingen das Reisen dient der Inspiration
Dabei spielt die Inspiration bei den Reisen eine große Rolle. B. Maerz gibt an, bei seinen Gerichten ungefähr zehn Prozent an nicht- regionalen Produkten einzusetzen. Importierte Produkte auf die Benjamin in seinem Restaurant setzt, könnten vom AIDA- Küchenchef Sascha Quast inspiriert worden sein. Er lernte ihn bei seiner Hochzeitsreise kennen. Heute verbindet beide eine Freundschaft.
Hin- und wieder hat er die Möglichkeit, als Gastkoch an Bord der Aida kochen zu dürfen. Die Marktbesuche an den vielen internationalen Häfen sind auch heute noch für ihn wichtige Impulsgeber. Derartig gewonnene Erkenntnisse in Sachen Kochtechniken als auch Zutaten baut er später in seiner Küche in Verbindung mit regionalen Produkten ein.
So dehnt sich hier und da die Definition Heimat recht dynamisch, je nachdem welcher Gang gerade in dem Buch vorgestellt wird. Benjamin gibt sich bei einigen der Speisen die Blöße, sie in ihrer Entstehung oder den näheren Zusammenhang in einem Dreizeiler zu erklären. Dass ist vermutlich das Storytelling, welches er eingangs erwähnte.
Alte Tomatensorten
So berichtet er vom Tomatenanbau des Frühjahres 2018. Damals wurde auf dem Hoteldach zum ersten Mal probiert, dieses Nachtschattengewächs selbst zu ziehen. Aus den ersten brauchbaren Exemplaren des Spätsommers wurde der Gang „Alte Tomatensorten“ entwickelt. Es entstand eine Art Tomatensalat mit vier unterschiedlichen Sorten und abwechslungsreichen Texturen. Zusammen mit aromatisierten Mozzarellawasser und Basilikumöl schafft er so einen modernen Tomatensalat der komplexen Art.
Seine Liebe zu den regionalen Produkten kann man sehr gut an den traditionell behafteten Gerichten erkennen. Mir gefällt zum Beispiel „Saure Rädle 1.0“ und „Saure Rädle 2.0“ sehr gut. Es ist sein Signature Dish, welches im Ursprung ein Arme- Leute- Essen gewesen ist. Im Zentrum steht die Kartoffel vom Vortag, welche man noch ein weiteres Mal verwertet.
In Verbindung mit erdigen Aromen der gerösteten Zwiebel, Fleischbrühe und eben jener Kartoffelscheiben entsteht so eine komplexe Vielfalt, dass mit einem „Schwäbischen Ponzu“ und Miso gar einen asiatischen Touch erhält.
Fachlich ist Benjamin Maerz unbestritten ein großes Talent. Die Geschmacksrichtung Umami spielt offensichtlich eine sehr große Rolle. Die Schwarzwälder Forelle gart er bei 800°C Oberhitze und setzt das Filet später in seinen Schwäbischen Dashifond.
Sehr spannend ist für meine Begriffe auch der Gang „Schwäbische Trauben“. Hier zeigt er, wie spannend man Wein sehr breitgefächert aufarbeiten kann. Die Weinblätter werden blanchiert und dehydriert. Die weißen und roten Trauben füllt er mit Wein. Dazu reicht er einen Veilchensud und kredenzt dieses Potpourri von Wein mit ein wenig Traubenkernöl. Das beste von der Traube quasi.
Benjamin Maerz 2.0
Überhaupt wirken die Arbeiten von Benjamin Maerz bedeutend ausgegorener als noch vor ein paar Jahren als er sein erstes Buch herausgebracht hat. Alles wirkt stimmiger, harmonischer und gut durchdacht. Er ist in der Lage, seinen ganz eigenen Stil zu entwickeln und zu einer eigenen Handschrift zu kommen. Das wirkt sympathisch, und macht Spaß zuzusehen. Hier reift ein sehr guter Koch zu einem großen Talent heran.
Kreative Drinks inklusive
Was ebenso positiv auffällt, ist dass neben all der Speisen, es ebenfalls sehr ansehnliche Drinks zu erkunden gibt. Wie zum Beispiel der Rhabarber- Kombucha, ein eisgekühlter Drink aus Rhabarber mit Fenchel und Litschisaft. Hier zeigt sich, dass Heimat nicht zwingend ausschließlich regional gedacht wird.
Sushi goes regional
Dass er es mit der Regionalität wirklich ernst meint, ist beispielhaft an dem „Sonnenblumen- Müsliriegel“ zu sehen. Diese sogenannte Aperogericht ist eine vegetarische Variante der japanischen Sushi. Was in Fernost der Klebereis ist, ist hier ein Müsliriegel aus Haselnuss, Sonnenblumenkernen, Haferflocken und Honig. Dieser Riegel wird mit einem Karottentatar getoppt. Ein wenig Schafsjoghurt und Yuzu- Sesamöl bilden mit einigen Karottentrieben das Finish dieser Sushi- Variante aus Baden- Württemberg.
Fotografie
Kommen wir zum problematischen Teil. Wie schon oft auf diesem Blog angemerkt wurde, habe ich so meine Probleme mit der Fotografie von Lukas Kirchgasser, welcher sich für das Ablichten der Food- Bilder in diesem Buch verantwortlich zeigt.
Bereits bei Christian Baus Kochbuch fiel mir auf, dass sich schon das Setting rund um das Bild herum zu arg in den Mittelpunkt schiebt. Es wird einfach eine Spur zu viel Gas gegeben. Sei es beim Kontrast, bei den Farben oder dem Licht. Wer Speisen mit natürlichem Charme sucht, wird hier nicht fündig werden.
Die Farben sind bei vielen Fotos, nicht bei allen, übertrieben knallig, wie zum Beispiel bei der „Roten Bete“. Der rote Saucenspiegel ist derart unnatürlich rot leuchtend nachentwickelt worden, dass es nicht nur beim Zusammenwirken bei dem starken Licht- und Schattenspiel weder zum Anbeissen sondern fast schon nicht mehr nach Essen überhaupt ausschaut.
Wer dann am Teller vorbeischaut, wird zudem die aufwändigen Aufbauten, die zu stark vom eigentlich Fokus ablenken, erkennen. Bei diesem Gericht ist es aufgeschüttete, schwarze Erde, beim nächsten ist es Baumrinde, wiederum einige Seiten weiter sind es massive Steinplatten, welche von weißen Kieselsteinen gefolgt werden, die danach von nassem Sand und durch was weiß ich nicht noch alles getauscht werden.
Wer Inspirationen für den nächsten Baumarktbesuch sucht, ist hier bestens aufgehoben. Ich mag mir nicht ausmalen wollen, mit wieviel Equipment man zu den Fotoshootings angekommen ist. Alleine die Baustoffe müssen eine halbe LKW- Ladung in Anspruch genommen haben.
Was die Sache nicht einfacher macht, ist, dass Benjamin Maerz sich bei seiner Arbeit nicht weniger zurückhält. Er setzt auf unheimlich viele verschiedene Teller. Ich zähle sage und schreibe 36 verschiedene Modelle. So verkommt ein Kochbuch, welches ursprünglich eine kulinarische Momentaufnahme sein sollte, zu einem Steingut- & Porzellankatalog. Beim ersten Einblättern wirkt es sicherlich interessant und abwechslungsreich nach einiger Zeit nervt es ziemlich.
Denn das Buch wirkt so in sich enorm unruhig und lässt dem Leser überhaupt nicht die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, weil im Hintergrund wie bei einem Stierkampf stets irgendwo mit einem roten Tuch gewunken wird. Es wurde leider über das Ziel hinaus geschossen und man einfach zu viel gewollt.
Unterschiedliche Bildsprache
Was passieren kann, wenn man unterschiedliche Fotografen in einem Buch zum Einsatz bringt, konntet Ihr erst kürzlich bei der Besprechung zu „Die Weltköche zu Gast im Ikarus“ lesen. Hier hat sämtliche „Outdoor- Fotografie“ Michaela Klose übernommen. Sie verfolgt einen gänzlich anderen Ansatz als L. Kirchgasser.
Sie setzt auf Natürlichkeit, auf leicht verblasste Farben. Sie spielt viel mit Gegenlicht und setzt das Thema Heimat, welches für mich eher etwas mit dieser Ästhetik zu tun hat, mit wenig bis gar keinem Kunstlicht um. Das ist für sich genommen sehr schön anzuschauen, passt nur leider überhaupt nicht zum Stil des restlichen Buches. Es wirkt alles nicht sonderlich ausbalanciert.
Layout & Design
Was sich in immer mehr Kochbüchern durchsetzt, ist der Einsatz von Zeichnungen der Produkte und Gewächse. Wissenschaftliches Zeichnen ist eine Kunst, die auf eine große Tradition zurückblickt. Warum braucht man eigentlich in der heutigen Zeit mit all den tollen Makroobjektiven derartige Zeichnungen? Man könnte doch viel einfacher und kostengünstiger sehr detaillierte Fotos anfertigen.
Dafür gibt es einen guten Grund. Denn manches Gewächs wird mit abgebrochenen Wurzeln oder jenes Federvieh mit einer leichtern Verformung abgelichtet. So fallen derartige Exemplare als repräsentativer Vertreter durch. Einige Einzelstücke einer Gattung sind zu groß andere wiederum zu klein. Eine wissenschaftliche Zeichnung ist somit der perfekte Ist- Zustand des jeweiligen Gezeigtem. Eine Summe von idealen Bedingungen, um eine jederzeit gültige Version einer Spezies/Objekt in ihrer maximalen Reduktion abbilden zu können. Somit sind alle hier gezeigten Objekte, teilweise auf eine ganze Seite gestreckt, wunderschön anzusehen. Derartiges Zeichnen ist fast schon eine Kunst für sich. Hier wird sie sehr schön gezeigt, zudem bildet sie einen leisen Gegenpol zu dem sonst recht krawalligen Buch.
Was auf der anderen Seite sehr gut gefällt, ist die Anordnung der Rezepte, die Schrift und dessen Satz. Alles ist harmonisch, stimmig und lässt sich gut lesen. Außer der Fließtext bei der Zubereitung, der muss wirklich nicht sein. Aber wem erzähl ich das?
Jedem Gericht wird eine Seite mit einem großflächigen Foto spendiert. Dass man direkt daneben noch eine Art Briefmarkenversion mit sehr ähnlichem Anschnitt und Blickwinkel zum Rezept anfügt, erschließt sich mir nicht. Der Mehrwert fehlt mir hier.
Dauerwerbesendung & Portraitfotografie
Es gibt einige Dinge, die in diesem Buch richtig aufdringlich sind. Sicherlich ist es ein Kochbuch von und mit Benjamin Maerz, jedoch ein klein wenig mehr Understatement täte dem Großen und Ganzen sicherlich gut. Fast dreißig Portraits zähle ich hier auf round about 240 Seiten. Die wirklich ganz Großen à la Daniel Humm & Co. sieht man maximal ein oder zweimal in deren Kochbüchern.
Noch viel unangenehmer ist die Dauerwerbesendung, welche sich bei fast jedem einzelnen Gang aufdrängt. Bei den Rezepten sind in den Mengenangaben in den Klammern die Sponsoren bzw. namenhafte Shops, bei denen man dieses oder jenes eingesetzte Lebensmittel/ Gewürzmischung/ Textura/ Fleisch/ Kraut und was weiß ich noch alles erwerben kann. Hinten sind zudem noch einige dieser Partner gelistet.
Es sind fünf Partner, sieben Sponsoren und drei sogenannte „Freunde und kreativer Austausch“. Jeder dieser Partner bekommt in diesem Buch eine eine Seite oder mehr eingeräumt, in der man diesem ein Podium für eine nähere Vorstellung findet. Mit einer derartigen Selbstverständlichkeit im Umgang mit Markenwerbung bin ich selten in einem Kochbuch konfrontiert worden. Sicherlich ist das Buch gegenzufinanzieren, doch der Leser zahlt dafür einen stolzen Preis in Höhe von 69,90 €. Ich denke, da darf man den Anspruch hegen, nicht mit Werbung unterhalten zu werden.
Wenn man das Buch aufschlägt und enttäuscht ist, kann ich das nur nachvollziehen. Vielleicht hätte man einfach weniger diverses Steingut eingesetzt, weniger Baumarktutensilien zum Einsatz gebracht und unnötige Kosten reduziert und sich mehr auf das eigentliche Thema fokussiert.
Fazit
Ich bin mir ganz sicher, dass der Matthaes Verlag über eine enorme Expertise verfügt, um die besten Kochbücher auf nationaler Ebene zu produzieren. Mir ist ein wenig schleierhaft, warum man in diesem Buch so unterschiedlich herangegangen ist. An und für sich macht hier jeder einen akzeptablen Job aber keine dieser Arbeiten harmoniert mit der anderen. Das ist besonders für den Protagonisten bedauernswert, weil Benjamin Maerz ganz klar eine sehr großartige Küche auf den Teller bringt.