Das letzte Wochenende hatte zwei ereignisreiche Kapitel in der Entwicklung dieser Gesellschaft im Angebot. Zum einen gab es zum ersten Mal zwei männliche Cheerleader beim Super Bowl. Das ist ein Novum. Ein weiteres wenig erfreuliches Ereignis war die für meine Begriffe selten dämlich gestaltete Werbung von Lidl mit der sich wieder mal wunderbar veranschaulichen lässt, wie viel Arbeit wir noch in dieses Prozess stecken müssen und es unerlässlich ist, dass man sich gegen offenen und auch versteckten Sexismus wehren muss. Unternehmen wie Lidl haben es nicht anders verdient.
Screenshot von der Facebook Fanpage von Lidl.
Was war passiert • #lochgate
Wer am Wochenende sich online ein wenig hier und da aufgehalten hat, wird es vermutlich mitbekommen haben. Lidl ist ein „genialer“ PR- Schachzug geglückt. Es geht um folgendes Bild, welches im Grunde nichts anderes darstellt, als ein Donut und ein Bagel.
Im Großen und Ganzen ist das keine große Sache, wie die meisten der Lidl Kampagnen. Doch mit dem Claim „Loch ist Loch“ versucht man die Aufmerksamkeit zu erhalten, welche man offensichtlich auf smarte Weise nicht erhält.
Der Satz beinhaltet in der heutigen Welt die Message, dass es eigentlich egal sei, mit welcher Frau man denn geschlafen hat, Hauptsache man ist zum Schuss gekommen. Wer das nicht als absolut frauen- und menschenverachtend sieht, hat in meiner Sichtweise ein ganz schön starkes Problem. Denn wer darauf anspielt, dass eine Vagina am Ende eine Vagina ist, unabhängig mit welchem Menschen man hier Umgang hat, begreift nicht, wie sehr man sich selbst damit in einer gleichwertigen Gesellschaft bei der Mann und Frau auf Augenhöhe kommunizieren sollen, disqualifiziert.
Der Shitstorm ließ freilich nicht lange auf sich warten und gemäß der nun auflaufenden Kommentare hatte man offensichtlich bei Lidl damit schon gerechnet. Doch was ab diesem Zeitpunkt folgt, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Denn wer meint, das Social-Media Team hätte wenigstens hinterher begriffen, was man angestellt hatte, der wird eines Besseren belehrt.
Denn die Herrschaften hatten nichts Anderes zu tun, als sich über die berechtigte Kritik dieser sexistischen Aktion, lustig zu machen. Verhöhnende Gifs wurden als Antwort eingefügt. Auch ein Bild eines Ehepärchens, welches mit Cola und Popcorn bewaffnet war, wurde eingefügt. Auf dem Bild stand der Spruch:“Haben die Kommentare schon angefangen“. Man war sich also der Brisanz bewusst. Man hat sämtliche Konsequenzen billigend in Kauf genommen.
Wer jetzt behauptet, diese Aufmerksamkeit haben sie doch so gewollt, der vergisst eines dabei:“Schlechte Presse ist vor allen Dingen eines. Schlechte Presse“. Die braucht keiner, denn so etwas bleibt in Erinnerung. Und es offenbart auch eines. Ein Unternehmen, welches im eigentlich Sinne mit gutem Beispiel vorangehen sollte, verspielt so sämtliche Glaubwürdigkeit.
Screenshot von der Fanpage von Lidl.
Interne Sturkuren bei Unternehmen
Doch mir stellt sich bei der ganzen Problematik noch eine ganz andere Frage. Gibt es bei diesem Prozess der Kommunikation eigentlich eine regulierende bzw. hinterfragende Instanz? Ein Unternehmen mit 2,6 Millionen Followern wirft nicht von jetzt auf gleich eine Werbung in den Raum. Diese Maßnahme wurde vermutlich am runden Tisch geplant, und wenigstens von einer weiteren Instanz gegengelesen. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass bis zu dem Moment des finalen Klicks zur Veröffentlichung kein einzige(-r) „Kreative(-r)“ die Hand gehoben hat, um den Punkt der „Frauenfeindlichkeit“ zu erörtern. Kann es wirklich sein, dass solch ein stumpfes Werkzug derart ungeprüft in die Öffentlichkeit gestellt wird? Was sagt das über den wirklich Stand der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Geschlechterdebatte aus?
Vermutlich, dass wir längst nicht so weit sind, wie viele angenommen haben. Man sieht hier auf perfide Weise, dass Sexismus vor allen Dingen dann funktioniert, wenn der zuschauende Dritte sich nicht einschaltet. Wenn der unbeteiligte Betrachter trotz besseren Wissens hier einfach nicht einschreitet und gewähren lässt. Nur so kann der Sexismus im Kleinen wie im Großen durchkommen. Denn dem Opfer bleibt zumeist nur die Flucht nach vorne, um vermutlich dann erneut zum Ziel zu werden. Die zweite Option ist simples Totschweigen, was dem Sexisten nur noch ermutigen dürfte, weiterzumachen.
Es ist wichtig, die passive Haltung zu verlassen, um den Wandel voranzutreiben. Es darf nicht egal sein, wenn derartige stumpfe Maschen gemäß der „Zwei Schritte vor und einen Schritt zurück“- Methode uns zurückwerfen in eine Zeit, von der wir dachten, dass sie hinter uns läge.
Screenshot von der Fanpage von Lidl.
Gibt es Konsequenzen für Lidl?
Beim Deutschen Werberat ging aufgrund dieser Reklame, einschließlich meiner, mehrere Beschwerden ein. Daher wurde ein Beschwerdeverfahren eingeleitet. Nun wurde Lidl zur Stellungnahme aufgefordert. Selbiges Unternehmen äußerte sich aber nicht zum Verfahren. Lediglich ein Posting auf dem zurückgerudert wird und man über die Löschung der Werbung berichtet, wollte Lidl bisher veröffentlichen. In diesem wurde auch dargestellt, dass man gut unterhalten wollte. Ich hatte bisher nicht gewusst, dass Lidl einen derartigen Auftrag neben dem Kerngeschäft des Einzelhandels hat.
Und das viel größere Problem folgt auf dem Fuße. Direkt unter dem Beitrag tummeln sich allerhand Anhänger und Befürworter dieser schmutzigen Kampagne, welche sich nun bestätigt sehen und munter auf Kritiker verbal eindreschen, gemäß dem Slogan:“Stumpf ist Trumpf“. Was mit dieser „banalen“ Werbung angerichtet wurde, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Eines ist mal klar. Mehr Bagels werden sie dadurch vermutlich nicht verkaufen. Und das sollte doch eigentlich der Sinn dahinter sein! Well done, Lidl!
Der Zeuge von Sexismus muss sich in der Konsequenz erheben, offensichtlich öfter denn je.
Nachtrag vom 5. Februar 2019
Es ist für mich unbegreiflich, wie sich die Debatte über diese augenscheinlich klare sexistische PR- Aktion Lidls entwickelt. Auf Facebook wurde dieser Beitrag ebenso geteilt. Dort gab es bereits Kommentare, welche moderiert werden mussten, weil man sich nicht imstande sah, auf angemessene Art und Weise, auszudrücken. Auch der Fakt, dass diese Werbung ja doch in erster Linie das Hefegebäck anspräche und man sie nicht als frauenfeindliche Attacke adressiert, schockiert mich. Ein Beitrag auf Stern.de führt das recht klar auf, um was es eigentlich geht.
Alleine schon das Äußern von Kritik führt dazu, dass einige komplett ausklinken und recht rüde angegriffen wird. Vergleiche mit Baumärkten, welche ebenso praktizieren, werden angeführt. Teilweise erkennen selbst Frauen nicht, um was es sich hier handelt. Und das ist auch ein Symptom, dass wir Sexismus und deren „witzige Auswüchse“ noch nicht einmal erkennen, weil sie für uns derart Normalität geworden ist, dass selbst die Betroffenen das nicht einmal bemerken.
Ich selbst wurde beschuldigt, mich über das Thema nur profilieren zu wollen. Doch gerade in meinem Beruf ist Sexismus sowas von präsent. Das aufzuarbeiten, würde mehr als nur einen Artikel benötigen. Vielleicht folgt dem hier auch eine Beitragsserie. Was mir die Resonanz auf diese Story, welche mehr als klar liegt, und von so vielen einfach nur krass ausgeblendet wird, zeigt ist, dass wir in der Gesellschaft längst nicht soweit sind, wie wir es glauben.