Berlin kennt nur Vollgas! Mit der aktuellen Woche begann auch die Berlin Fashion Week, welche vom 15.- bis zum 18. Januar wieder Deutschlands Dreh- & Angelpunkt für die Textilbranche ist. Schwerpunkt ist in diesem Jahr eindeutig auf filigrane Handarbeit und Maßgeschneidertes. Was sehr gut zu dem heute vorgestellten Buchtitel passt. Denn was mich ebenfalls pünktlich zu dieser aufregenden Woche in der Hauptstadt erreicht, ist das neue Buch Fashion FOOD von Roland Trettl und Helge Kirchberger. Es birgt weder Rezepte noch aufwändig angerichtete Tellergerichte. Es ist ein reiner Bildband mit zusätzlichem Hintergrundwissen zur Entstehung der Kunst, Lebensmittel als Textil für den Menschen in Szene zu setzen.
Fashion Food
Die beiden Protagonisten Helge Kirchberger und Roland Trettl sind mir eher unter dem Aspekt des Fine Dining Konzepts namens „Restaurant Ikarus“ ein Begriff. Dort war Roland Trettl einst der federführende Executive Chef und Helge Kirchberger ist nach wie vor der Haus- & Hoffotograf, wenn es um das Portraitieren der dort geladenen Gastköche geht. Beide haben sich vor 10 Jahren zusammen getan, um ein spannendes Projekt auf die Beine zu stellen. Es geht um das Thema Fashion und natürlich Food.
Denn die von Ihnen abgelichteten Models sind nicht eingehüllt in feinstem Zwirn konventioneller Art sondern vielmehr in Fischhäute, Nudelteig oder Schweinenetze kunstvoll eingepackt. Warum macht man so etwas?
Ursprünglich galt es, ein außergewöhnliches Modebild zu kreieren. Mit diesem wollte man sich an einem Fotowettbewerb bewerben. Aus dieser Idee heraus ist schlussendlich das Projekt „Fashion Food“ und später ein erstes Kochbuch entsprungen. Nun gibt es bereits die zweite Edition, welche jedoch Rezepte mehr birgt.
Stattdessen blickt man beispielsweise auf schokoladenübergossene Frauen, welche obendrein noch mit silbernen Perlen verziert sind, wie man es eigentlich nur von Hochzeitstorten kennt.
Nachhaltigkeit
Natürlich kommt mir als Betrachter sofort der Aspekt der Nachhaltigkeit bei der Produktion dieses Buches in den Sinn. Was wurde mit den Lebensmitteln getan, nachdem das Shooting vorüber gewesen ist? Darauf hat Trettl in dem Interview, welches den Kunststücken in dem neuen Bildband vorausgeht, folgende Antwort. Er bezieht sich dabei auf ein konkretes Werk, welches mit Oktopus arrangiert worden ist:
So definiert er den Konsum und der sich erschließenden Nachhaltigkeit nicht über das Verzehren sondern ebenfalls über das Betrachten der daraus entstandenen Kunst. Ich kann mir denken, dass dies eine eher polarisierende Auffassung von Nachhaltigkeit ist und der ein oder andere Zweifel an dieser Argumentationskette haben dürfte. Doch zurück zum Projekt.
Ein beispielloses Unterfangen
Die beiden hatten sich mit diesem Vorhaben auf ein Unterfangen eingelassen, welches so vorher noch nicht da gewesen ist. So konnte man sich an nichts orientieren oder einen Vergleich vornehmen. Man schuf quasi einen Präzedenzfall, wenn man so will. Die beiden fingen also an, Carpaccio auf den Models auszulegen. Auch für die Träger dieser „eatable fashion“ war es sicherlich etwas Unvergleichbares und ähnelte er einer Mutprobe, aber sie ließen die beiden gewähren.
Sicherlich gibt es neben den gefühlstechnischen Erscheinungen, welche jedes dieser Lebensmittel, das auf die nackte Haut gelegt wurde mit sich brachte, auch diverse Gerüche, welche sich mit steigender Temperatur veränderten oder verstärkten. Damit musste auch umgegangen werden. Auch wird in dem Interview zu Beginn von dem einen oder anderen witzigen Malheur berichtet, was nahelegt, wie ungewohnt wohl dieses Shooting sein musste.
Den Betrachter erwarten dann auf den folgenden Seiten Bilder von Models in Strapsen aus Norialgenblättern und Rüschen aus Schweinenetz oder etwa eine Burka gefertigt aus Sepianudelteig, einen Umhang aus Kombualgen, Perlenketten aus Erbsen oder als größere Version mit Morcheln.
Eine Art Korsage aus Rindercarpaccio dürfte ziemlich metallisch gerochen haben, schaut dennoch ziemlich eindrucksvoll aus. Ebenso wie die riesige Krebsdeko der hochgesteckten Frisur des Models. Man kann sich natürlich denken, dass jede einzelne dieser Arbeiten ein hohes Maß an Geduld und Timing benötigt hatte. Gerade wenn es denn um so leicht verderbliche Lebensmittel wie Salat oder Kresse geht.
Umso eindrucksvoller sind dann die künstlich geschaffenen Frisuren, welche in einem Beispiel aus Frisée, Chili und hunderten Blättern von Daikonkresse gelegt wurde. Das ist Pinzettenarbeit bis ins kleinste Detail. Denn alles, was hier nicht sitzt, verschlingt Unmengen an Arbeitszeit bei der späteren Fotoretusche.
It`s Art
Im Gegensatz zu der ersten Edition von vor zehn Jahren gibt es hier keine Rezepte, welche zum Teil suggerieren, dass es eben doch ein Kochbuch ist. Hier beschränkt man sich einzig und allein auf die Kunst, die man darstellt. Wem es außerdem interessiert, wie diese ganzen Lebensmittel den Weg auf die Fotomodels gefunden haben, dem sei auch die recht umfangreiche „Making of“ Fotostrecke ans Herz gelegt.
Es zeigt die notwendigen Aufbauten der Fototechnik und das Hantieren und Auftragen der verschiedenen Elemente. Ein wirklich sehr schöner Blick hinter die Kulissen.
Fazit
„Fashion-Food“ kann natürlich nicht in die Kategorie der besten Kochbücher mit aufgenommen werden, hat aber einen sehr berechtigten Platz auf diesem Blog. Mir gefällt es sehr, wie hier gezeigt wird, wie ungewöhnlich ästhetisch Lebensmittel kunstvoll und intelligent eingesetzt werden können. Es gab bisher viele Ausstellungen der beiden in unterschiedlichen Städten. Sollte sie wieder in Berlin vorbeikommen, werde ich gewiss Halt machen. Das Buch ist sehr kurzweilig und ist nicht nur etwas für Modebegeisterte.