Mit der Serie der NEU Dinners haben sich Per Meurling, Autor und Gründer der Berlin Food Stories, und Arlene Stein eine großartige Dinner Serie aufgebaut. Hier treffen regelmäßig Größen internationalen Formats aufeinander, um in einem gemeinsamen Menü unterschiedliche Stile zu vereinen. In dieser Ausgabe gab es ein sogenanntes „Four Hands Dinner“ mit Will Goldfarb und René Frank. Diese beiden kreierten also die zweite Edition der NEU Dinners – ein Bericht.
NEU Dinners #2
Wenn es einen kulinarischen Matador in Berlin gibt, welcher stets auf der Suche nach dem nächsten Kick, den morgigen Trends und neuen Standards der Foodszene ist, dann ist das wohl Per Meurling. Er betreibt seine Seite der „Berlin Food Stories“, die schon seit geraumer Zeit eine Schatzkiste für Hotspots der lukullischen Art in Berlin ist. Dadurch konnte er sich eine sehr angesehene Referenz aufbauen und so ein Netzwerk mit Kontakten schaffen, welches Events wie zum Beispiel die NEU Dinners ermöglichte. Aber das tut er nicht alleine.
Zusammen mit Arlene Stein hat er sich dieses Konzept aufgebaut. Arlene Stein ist Gründerin und Executive Director des Terroir Symposiums, ein Katalysator für kreative Zusammenarbeit und soziale und ökologische Verantwortung in der Hotellerie. Seit 2006 hat Terroir internationale und kanadische Branchenführer jedes Jahr auf einem zweitägigen Symposium in Toronto – und seit 2014 bei Off-Shoot-Veranstaltungen in Europa und Nordamerika – für Bildung, Networking und Inspiration abgehalten.
In der ersten Edition waren bereits ziemlich bekannte Chefs am Werkeln. Keine Geringere als Ana Roš, Christina Bowerman, Sebastian Frank und Lukas Mraz waren die Stars des ersten Menüs. Es beinhaltete eine Genussreise samt Wein- und Saft-Pairing.
Der zweite Teil
Im zweiten Teil, welcher inmitten Berlins und über den Dächern Kreuzbergs stattfand, hat ebenfalls ein großartiges Line-Up zu bieten. Einer der bekanntesten Patissiers Deutschlands, René Frank, und Betreiber der CODA Dessert Dining & Bar, einem Konzept mit ausschließlich süßen Speisen, konnte von Per davon überzeugt werden mitzumachen. Ich kann davon ausgehen, dass dieser Spitzenpatissier nicht lange überredet werden musste, bei diesem „Four Hands Dinner“ mitzumachen, da sein Mitstreiter ebenfalls ein sehr bekannter „Pastry Chef“ ist.
Denn René ist mit seinem Konzept einer reinen Dessertbar nur in Deutschland auf diesem Niveau ein Alleingänger. Weltweit gibt es einige dieser Nachspeisenparadise. Sehr erfolgreich und mit dem Namen „Room for Dessert“ führt sein Kompagnon für diesen besonderen Abend ein solches Lokal auf Bali. Die Rede ist von Will Goldfarb.
Will Goldfarb – Der weitgereiste Dessertküntsler
Netflix ist für alle vorgestellten Köche und nun schließlich auch Patissiers mit dem Format „Chefs Table“ ein wahrer Ritterschlag. Wer hier dieses Podium zur Verfügung gestellt bekommt, um sich dazustellen, benötigt kaum noch weiteren Anschub, um das Geschäft am Laufen zu halten. Ganz im Gegenteil.
Volle Reservierungsbücher sind quasi garantiert. Will Goldfarb konnte man in solch einer Folge in der süßen Variante dieser Serie erleben. Dort gibt es in einer gewaltigen Bildsprache seine Desserts bestaunen und man erhält ebenso einen Eindruck, was eigentlich für Arbeit hinter solchen einzigartigen Kreationen steckt.
Seine Speisen sind oft eine Hommage an ein bestimmtes Thema, inspiriert etwa von Filmen oder ganz besonderen Ereignissen. In die Tiefe geht er zu diesen Gängen etwa auch in seinem im April im Phaidon Verlag erschienen Kochbuch namens „Room 4 Dessert“. Dort kann man zu jeder seiner Kreationen die Geschichte dahinter und natürlich ebenfalls die Rezepte nachschlagen. Die an diesem Abend gezeigten Signature Dishes sind jedoch exklusiver Natur. Keiner wurde vorab woanders schon einmal gezeigt.
„Pickled Beetroot:Maple“
„Nori Icecream Sandwich:Coconut sugar“
„Bonemarrow:Kluwak:Cake“
„Zuchiniflower:Hazelnut-Chantilly:Brandenburg Sturgeon Caviar“
„Young Carrot:Pumpkin Seed:Marigold“ & Els Bassots, La Cosa
„Apricot:Soy Milk:Chamomile“ & Ancient Rabbit Kokuto Shochu, Edelkorn, Lemon Elderflower
„Zwetschge:Pecan:Black Grill:Dulse Seaweed“ & Madeira Rainwater, Rittenhouse Rye Whisky, Kombucha Blackcurrant
„Burrata:Sourdough Bread:Cherries:Radicchio“ & Lambrusco Amabile, Bunnahabahain Eirigh Na Greine
„Fig:Cironé Cheese:Hazelnut:Anchovies“ & Macvin Rouge, Kornbrand, Blackcurrant Pine Tips
„Jasmine:Beet:Cocoa“ & Moscato d`Asti Canelli, Scheurebe Sekt brut & „Luli“ Chinato, Cremant
Netflix sorgt für volle Reservierungslisten
Das Problem bei diesen Netflix Folgen ist zumeist, dass man stets direkt das Bedürfnis erhält, genau diese gerade eben gesehenen Gerichte live genießen zu wollen. Das ist bei den meisten mit einer großen Reise verbunden und zudem erhält man nur schwer einen der sehr begehrten Plätze, da diese Restaurants mit Sicherheit bis auf lange Zeit ausgebucht sein dürften.
Doch mit der 2. Edition des NEU Dinners war es nun möglich, dieses Talent in der Hauptstadt Deutschlands zu erleben.
Zusammen mit dem wohl einzigen Gründer einer Dessertbar in Deutschland konzipierte Will nun mit René ein Dessertmenü samt Foodpairing. Sechs Gänge inklusive eines einleitenden Fingerfoods und anschließender Petit fours durften die insgesamt 66 Gäste erwarten.
Für dieses besondere Menü hatte Per sich auch eine ungewöhnliche Location ausgesucht. Mit Nähe zum Moritzplatz in Kreuzberg mietete er einen passenden Raum für Desserts mit Blick auf die beeindruckende Skyline Berlins. Dieser Platz erlaubte es dem Gast, den beiden Protagonisten samt Team über die Schulter zu schauen, denn es gab eine offene Küche. Und zu sehen gab es eine Menge. Doch zuerst gab es die Begrüßung und ein angenehmes Kennenlernen unter all den anwesenden Genussmenschen.
Snacks
Der einleitende Snack bestand zum einen aus Roter Bete, von der man nicht genug bekommen konnte oder etwa einem erfrischenden Nori Kokosnuss Eissandwich, welches bei den ziemlich heißen Temperaturen von den Gästen sehr willkommen geheißen wurde.
Außerdem wurde ein rein optisch an Amarettini erinnerndes Gebäck gereicht. Doch bereits der erste Bissen ließ erkennen, dass es sich hier um etwas gänzlich anderes handeln musste. Der noch warme, weiche Teig trug einen Kern von Kluwak in sich. Eine Pflanze, dessen Ursprung ich ebenso erst einmal nachschlagen musste.
Ebenso ungewöhnlich wie geschmacklich in der Kombination ungesehen kam der folgende Löffel mit Haselnusscreme, Kaviar und Zucchiniblüte daher. Zwar hatte der Kaviar gegen die recht dominierende Nusscreme zu kämpfen, doch schlugen sich etwas später im Gaumen dann doch noch die recht feinen salzigen Noten des Kaviars durch. Es gab also zu Beginn schon vier höchst unterschiedliche Geschmackserlebnisse, die einem recht schnell klar machten, dass man mit konventionellen Dessertvorstellung bei dieser Veranstaltung nicht weit kommen würde.
Das Menü
„Young Carrot:Pumpkin Seed:Marigold“ & Els Bassots, La Cosa
Der erste Gang, der nach den einleitenden Worten von den beiden Herdkünstlern eingesetzt wurde, war eine Hommage an den bekannten Karottenkuchen. Der Gast trifft hier auf eine sehr moderne, teilweise dekonstruierte Version dieses Klassikers, an dem sich schon viele, eingeschlossen mir, versucht haben. Diese Variante zieht sogar noch einige neue Elemente, wie zum Beispiel den Kürbis in Form von Eis, mit hinzu. Beim Anrichten im hinteren Bereich hat das ganze Team zu kämpfen, da dies einer der Gänge mit den meisten Handgriffen ist.
Alleine das Finish, welches unmittelbar vor dem Anrichten stattfand, bedurfte schon ein halbes Dutzend Handgriffe. Dennoch ist Will, welcher diesen Gang entworfen hat, sehr ruhig und fast schon entspannt bei der Sache. Er ist auch keiner der Sorte, welche die Eiscreme in Nocken ausstechen sondern stattdessen das Eis fast schon in größere Stücke heraus schaben. Auf diese Art habe ich das bisher auch noch nicht gesehen.
Über dem Eis wurde zudem noch ein Stück Esspapier von Karotte gelegt, welches nach dem Platzieren mit dem Mini-Brenner erhitzt wurde, um es so an das Eis anschmiegen zu lassen. Der Geschmack wurde bereits durch den unheimlich leckeren Kuchen im Kern sehr gut getroffen und somit war es eine absolut gelungene Eröffnung des Menüs.
Serviceteil
„Apricot:Soy Milk:Chamomile“ & Ancient Rabbit Kokuto Shochu, Edelkorn, Lemon Elderflower
Den wohl besten Drink des Abends gab es für meine Begriffe beim Aprikosengang. Hier wurde Aprikose Sous Vide gegart und zusammen mit einem Tofuschaum, geratenen Aprikosensteinen und Kamilleblättern angerichtet. Zum Schluss gab es noch ein Kamillegranité on top. Für den Spaß im Glas sorgte ein Mix von Shochu, Edelkorn und Zitronen- Holunderblüten. Eine erneut gern gesehene Abkühlung.
„Zwetschge:Pecan:Black Garlic:Dulse Seaweed“ & Madeira Rainwater, Rittenhouse Rye Whisky, Kombucha Coconutsirup
Wir kommen zum vermutlich besten Gang des Abends. Jedesmal, wenn man die Karte liest, hatte man stets die Herausforderung, dass man nicht so richtig einzuschätzen vermag, wie einem dieses oder jenes Produkt auf süße Art und Weise näher gebracht werden soll. Das ist später bei dem Käsegang mit den Anchovies der Fall und in diesem versuchte ich vorab einzuordnen, wie denn bitteschön Knoblauch geschmackvoll in ein Dessert eingebaut werden könne. Die Lösung des Rätsel liegt am Ende in der fermentierten Version.
Wer fermentierten also schwarzen Knoblauch nicht kennt, wird sicherlich zuerst an den für viele unangenehmen Geruch nach dem Verzehr denken. Das ist aber bei der fermentierten Variante dieses gesunden Gewächses nicht der Fall. Dieser schmeckt fast schon süßlich und hat ganz milde Aromen von Knoblauch und kann somit auch für eine Nachspeise unterstützend hinzugezogen werden.
Zusammen mit Zwetschge in verschiedener Form und dem süßlichen Drink aus Madeira, Whisky und Kombucha, war dies mein favorisiertes Pairing an diesem Abend. Alle weiteren Gerichte würden es wohl sehr schwer gegen diesen haben.
„Burrata:Sourdough Bread:Cherries:Radicchio“ & Lambrusco Amabile, Bunnahabahain Eirigh Na Greine
Und es kam wie es kommen musste. Der folgende Teller hatte es wirklich sehr schwer. Zum einen war das Wording schon sehr verheißungsvoll, da man mit dem Burrata, dem Radicchio und dem Sauerteigbrot nicht zwingend Desserts verbindet und ich automatisch ein gesteigertes Interesse, wie denn nun dieses Gericht umgesetzt werden würde, aufgebaut hatte.
Auch der Punkt, dass mit dem sehr starken vorherigen Dessert die Latte sehr hoch hing, kam hinzu. Das Gericht war absolut kein schlechtes, ganz im Gegenteil, doch hatte ich mir alle Aromen etwas stärker und prägnanter vorgestellt. Das Broteis war kaum herauszuschmecken und der Burrata ebenfalls sehr dezent. Alles war delikat für den Gaumen, aber bei der Kombination dieser Zutaten habe ich einen stärkeren Geschmack erwartet, und somit hat es bei mir vermutlich Lust auf etwas mehr hinterlassen.
„Fig:Cironé Cheese:Hazelnut:Anchovies“ & Macvin Rouge, Kornbrand, Blackcurrant Pine Tips
Anchovis in einem Dessert? Unvorstellbar?!
Hier wird es möglich gemacht. Dieses Gericht lässt alle gerunzelten Stirnfalten des vorherigen Desserts wieder verschwinden und René überzeugt einmal mehr mit einem großartigen Käsegang. Wer Renés Art Käsegänge zuzubereiten kennt, wird hier sicherlich seine Freude daran haben.
Dünne Späne und schockgefrorenes Granulat vom Cironé Käse, einem Rohmilchkäse aus der Schweiz, eine im Monolith gegrillte Feige, gepuffter Wilder Reis und Raucharomen, welche direkt auf der Terrasse unter eine Haube auf jeden einzelnen Teller geleitet wurden, sind Bestandteil dieses unglaublichen Käsegangs. Am Gast schenkt René in einer interaktiven Situation mit dem Gast Haselnussmilch ein. Ein sehr pulsierender und spannender Käsegang, wie er anders eigentlich nicht zu erwarten war.
„Jasmine:Beet:Cocoa“ & Moscato d`Asti Canelli, Scheurebe Sekt brut
Vermutlich mit der schönste Teller dürfte der sechste und finale Dish gewesen sein. Eine gefrorene Meringue saß auf einem Sockel von glasierten Blaubeeren, gegrilltem Pfirsich, Kakaobohnennibs, Kokosnusssirup und Dillblüte. Fruchtig, saftig, süß und voll im Geschmack. Dieses Dessert nimmt einen noch einmal voll mit und ist ein wahrlich angemessenes Finale für einen unvergesslichen Abend, den man nach diesem Spektakel mit einem Punsch von Moscato d`Asti und einem Scheurebe Sekt Brut ausklingen lassen konnte.
Abschließende Dankesworte an die Gäste und vor allen Dingen auch an das Team gab es später natürlich ebenso. die Chef-Patissiers ließen es sich natürlich nicht nehmen, ein paar Dankesworte dazulassen und für ihre eigenen Lokale die Werbetrommel zu schlagen. Es sei ihnen gegönnt, denn an diesem Abend haben sie ganz Wunderbares geschaffen.
Petit fours
„Haselnuss:Sourkrout“
„Erdnuss:Chilli Ancho:Milchschokolade“
„Basilikum:Kichererbse:Meringue“
Ein Konzept für die Zukunft
Das NEU Dinner ist ein kaum zu unterschätzendes Konzept mit dem Potential, wirklich groß zu werden. Bereits die zweite Edition hat ein großes Dinner der süßen Art hervorgebracht. So etwas darf und muss es in Berlin öfter geben. Weiter so, Arlene und Per!
Room 4 Dessert – Das Kochbuch von Will Goldfarb
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- Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
- Verlag: Phaidon (25. März 2018)
- Sprache: Englisch
- ISBN-10: 0714876402
- ISBN-13: 978-0714876405
- Größe und/oder Gewicht: 22,2 x 2,9 x 29,8 cm
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