Das Jahr 2018 startet in der Tat im Vollgas-Modus. Mit diesem Beitrag steht nun ein wirklich großkalibriges Buch auf dem Prüfstand. Kein Geringerer als Esben Holmboe Bang ist der Autor der neuesten Adaption aus dem Hause Matthaes. Maaemo heißt das Buch und trägt also den gleichen Namen wie das Restaurant selbst. Der erste Einblick war bereits mehr als vielsprechend. Warum sich dieser mehr als bestätigt hat und Ihr hier guten Gewissens zugreifen solltet, erfahrt Ihr in diesem ausführlichen Bericht.
Esben Homlboe Bang
Esben gehört zu der neuen Generation der skandinavischen Köche. So sieht es jedenfalls René Redzepi, welcher in diesem Kochbuch die einleitende Laudatio hält. Er umschreibt ihn als 2m-Riesen mit tellergroßen Händen und eisernen Händedruck. Wer diesen Chefkoch zum ersten Mal sieht, wird sicherlich etwas verstört sein, aber er versichert dem Leser, dass man sogleich seine sanften Augen, das freundliche Lächeln und ansteckende Lachen entdeckt, welches direkt ins Herz geht.
Nordic Food ist ganz sicher der obligatorische Trend, dem man diesem Koch auf den ersten Blick zuschreiben könnte. Doch verallgemeinernd kann man das für kein Küchenkonzept dieser Bewegung feststellen. Dafür ist der Norden einfach zu groß und birgt daher viel zu viele unterschiedliche Naturbedingungen, welche wiederum verschiedenste Pflanzen und Tiere hervorbringen. So lässt sich auf keinen Fall dieses Buch auf die „Nordic Cuisine“ herunter brechen. Und die Küche eines Esben Holmboe Bang schon mal gar nicht.
René Redzepi adelt diesen Titel bereits jetzt schon als eine Art Referenzwerk. Das ist für mich ein hohes Maß an Vorschusslorbeeren. Die Frage, ob dem so ist, wird sich bei mir mit jeder Seite in Luft auflösen. Er hat recht.
Das Buch: Maaemo – Mutter Erde
Die ersten Seiten bestechen bereits mit eindrucksvollen Fotografien der Landschaft, welche zudem von sehr anspruchsvollen Illustrationen, die mich irgendwie an den Pointillismus erinnern. Die Fotografien sind typisch dramatisch, gräulich und voller Ausdruckskraft. Sehr nordisch eben.
Esben selbst gibt sich ebenso mit einem Vorwort die Ehre und stimmt den Leser mit dem Versuch, „Maaemo“ zu erklären, auf die folgenden Seiten ein. Er räumt von Beginn an ein, dass er bereits unzählige Male daran gescheitert ist, dieses Konzept anständig zu beschreiben bzw. in eine Schublade zu drücken. Doch das ist ihm bisher nicht erfolgreich gelungen.
Keine Küche für die Schublade
„Maaemo“ umschreibt er als seinen Traum und eine sehr persönliche Sache. Ursprünglich hatte er nie die Absicht, Koch zu werden. Eher wollte Esben Philosophie studieren. Als Jugendlicher jobbte er ein wenig in Restaurants, zuerst als Tellerwäscher und später als Küchenhelfer. Er lernte diesen gastronomischen Kosmos zu schätzen und merkte, wie ihn diese Arbeit mehr und mehr faszinierte. Diese Leidenschaft verstärkte sich mehr und mehr, bis man schon von einer Besessenheit sprechen konnte. Gerade die langen Tage der Köche, welche voller Adrenalin und Testosteron gefüllt waren, nahmen ihn in seinen Bann. Die ständig wiederholenden Arbeitsabläufe sowie Ansagen, wenn es denn hektisch wurde, ließen ihn in dem Glauben zurück, seinen Platz gefunden zu haben.
Adrenalin und Testosteron
Er schmiss die Schule hin und begann mit der Kochlehre. Auf seinem Weg lernte er gute aber auch schlechte Restaurants kennen. Er merkte schnell, dass es ihn nicht ausreichend forderte, einfach nur Zutatenlisten abzuarbeiten. Er fing somit an, ohne Bezahlung in einem Restaurant zu arbeiten, welches besser war als sein Ausbildungsbetrieb. Als er dort schließlich eine Anstellung gegen Bezahlung erhielt, fing er erneut in einem besseren Restaurant an. Rein kochtechnisch geht es ihm nicht um technische Perfektion, denn eher um das emotionale Kochen. Um den Austausch wenn man füreinander kocht.
Schließlich landete er in Oslo, da seine Frau von dort stammt. Nach fast einem Jahrzehnt in guten Restaurants kam Esben dann natürlich die Frage nach dem eigenen Restaurant auf. Er suchte einen Ort an dem er sich frei, ehrlich und ungeschminkt ausdrücken konnte.
Das erste eigene Restaurant
So eröffnete er Ende 2010 das „Maaemo“. Und es schlug ein wie eine Bombe. Nach nur 14 Monaten erhielten sie 2 Sterne im Guide Michelin. Die Aufmerksamkeit stieg. Die Arbeitstage wurden länger. Es viel ihm anfänglich eher schwer damit umzugehen. Seine Erwartungshaltung gegenüber den Mitarbeitern stieg, sein Frust gar ins Unermessliche. Er neigte dazu, sich mit anderen Restaurants zu vergleichen und zu messen.
Eine Wende musste her, so konnte es für ihn nicht weitergehen, da er sich mehr und mehr in seinem Gebaren isolierte, sogar von engen Freunden.
Er ließ die Zügel lockerer und begann das „Maaemo“ für seine Mitarbeiter das werden zu lassen, was es ist, deren Arbeitsplatz und nicht ausschließlich seiner. Es ist nicht nur sein Traum, sondern ebenso der seiner Angestellten.
Fortwährend beschäftigte er sich nach 14 Jahren nun mit den traditionellen, norwegischen Speisen. Er begann seinen Hunger nach der altnordischen Kultur zu stillen. Er erhielt so viele tiefe Einblicke in uralte Methoden der Speisenbereitung. Dessen Verlauf kann man sehr schön in seinen hier aufgeführten Gerichten erkennen. Maaemo ist somit nicht nur ein nach vorn gewandtes Kochbuch. Es baut auf die bisherigen Traditionen und Gebräuche in kulinarischer Hinsicht auf.
Die Rezepte
Die ersten Rezepte begegnen Dir nach einem großzügigen Anlauf, der gespickt ist mit vielen Impressionen rund um das Team, Illustrationen der Natur und Fotografie eben dieser. Die einleitenden Vorspeisen sind vorwiegend mit Zutaten aus dem Meer zubereitet. Die Makrele mit Ulmenblättern, Apfelgelee und Apfelsauce gibt einen sehr ansehnlichen Vorgeschmack auf das, was auf den folgenden Seiten zu erwarten ist. Hier wird ein Apfel-Bärlauchgelee auf marinierte Makrelenfilets ausgelegt. Ulmensprösslinge bedecken den Fisch und eine Apfelsauce sorgt für die zusätzliche Frische. Schon dieser Gang offenbart einem die unheimlich schöne und naturnahe Küche Esbens.
Rezepte und Produktinformationen
Dieses Kapitel heißt merkwürdigerweise „Rezepte und Produktinformationen“. Nach dem Lesen dieser Überschrift drängte sich mit zuerst der Gedanke nach kommerziellen Produktplatzierungen auf, doch das war ganz und gar nicht der Fall. Ihr beinhaltet dieser Teil ebenso interessante Hintergrundinformationen, welche gerade bei den aus dieser Region eingesetzten Produkten, sehr hilfreich sind. Für das zweite Gericht, einer Austernemulsion mit warmer Miesmuschelsauce und Dill, nimmt er eine Auster von Bømlo, einem Ort wo Austern im Fjord gezüchtet werden. Dort wachsen sie, ohne dass man sie füttern muss. Eine nachhaltigere Art des Anbaus gibt es kaum. Somit sind diese für ihn mit die beste Wahl und zeigen, dass große Küchenchefs auch immer ein hohes Maß an Verantwortung tragen, gerade wenn sie wie Esben sehr berühmt sind und über die Landesgrenzen hinaus ihre Philosophie in die Welt hinaustragen können. Es wird nicht wenige Küchenchefs geben, die nun mit diesem Wissen nach ähnlichen Produkten Ausschau halten oder gar diese Ware beziehen wollen.
Schlichte Gerichte – Reduced to the MAX
Diese Auster wird schließlich zu einer Emulsion verarbeitet und mit einem Gelee aus Miesmuschelbrühe und Austernwasser getoppt und mit einem leichten Dillöl benetzt.
„Die Idee ist sehr einfach – ein Gericht mit Austern, das einen möglichst reinen Austerngeschmack hat. Aber mit einer manipulierten Textur, die diesen Austerngeschmack zugänglicher macht. Ein Gericht, dass nach Meer und norwegischen Küstenklima schmeckt. Nach dem Allerheiligsten der Mutter Natur.“
Bis zur Seite 220 wird Dir kein Fleisch gezeigt. Bis dahin beschäftigt sich Esben mit Produkten wie Kabeljau, Messerscheidenmuscheln, Jakobsmuscheln, Knollensellerie, Königskrabbe, Fichte, Kaisergranat und Heidekraut. Ameisen richtet er auf eingelegtem grünem Spargel und essbaren Blüten an.
Butter aus eigener Herstellung
Für das Brot reicht Esben samt Team eine selbst hergestellte Butter, dessen Rezept er in diesem Buch bereitwillig teilt. Es besteht aus Sahne, Ziegenmilch, gesäuerte Sahne der letzten Butterherstellung und Salz. Das Zubereiten verhält sich ein wenig wie bei der Produktion eines Sauerteigs, bei dem man von der letzten Marge immer wieder einen Teil für die Folgeproduktion einsetzt.
Rindermark, Kalbsbries und Fundstücke aus dem Wald
Kurz nach der Mitte des Kochbuchs wirst Du dann auf die ersten Fleischgerichte stoßen. So gibt es einen recht frühlingshaften Teller mit „Kalbsbries, Malz, Erbsen und fermentierte, Kirschsaft“ oder etwa „Abgehangenes Ochsenfleisch mit Holunderbeeren und Blattbete“.
Der sehr reduzierte Stil Esbens gefällt mir sehr. Die Desserts zum Beispiel wirken sehr schlicht, aber längst nich langweilig. Sehr natürlich und liebevoll angerichtet trifft es wohl eher. „Stachelbeeren und Veilchen“ überzeugen durch einen Einlegefond, welcher zum Teil auch aus Blumenkohlextrakten und Rhababeröl besteht. Dies ist ein Rezept, welches ich unbedingt ausprobieren werde. Schon alleine diese Kombination halte ich für sehr vielversprechend.
Großzügiger Aufbau und ganzseitige Fotos
Der Aufbau der Rezepte ist dabei sehr ansprechend und selbsterklärend. Die Zutaten werden neben der Anleitung übersichtlich aufgebaut, Querverweise auf Rezepte in anderen Bereichen des Buchs logisch und sinnvoll aufgeführt. Mit einem ausführlichen Dreizeiler erfährt man zudem ein wenig Information über das jeweilige Gericht. Teilweise erstreckt sich so der Rezeptteil und die Fotos einer gezeigten Speise über mehrere Doppelseiten. Man gibt dem Inhalt sehr viel Raum, das gefällt mir sehr gut.
So weckt das Buch Seite für Seite mehr Gefallen. Es ist unheimlich gut aufgemacht und man merkt richtig, mit welcher Leidenschaft hier alle helfenden Hände zur Sache waren. Eine überaus hochwerte Fotografie mit knackigen Farben und natürlich entwickelten Bildern geben gerade bei den Landschaftsaufnahmen die Motive sehr eindrucksvoll wieder. Ich habe jetzt große Lust, genau dort zu sein.
Aber auch das Food wurde ausgezeichnet aufgenommen. Die Farben stimmen und durch den Einsatz von natürlichen Untergründen wirkt alles sehr harmonisch. Es macht richtig Spaß, in diesem Werk zu blättern. Ich vermute, dieses Buch wird sehr wahrscheinlich mit eines meiner Kochbücher das Jahres werden. Dessen bin ich mir sicher.
Fazit – Für wen ist das Buch geeignet?
Diese Frage stellt sich am Ende des Tages bei fast jedem Band. Hier ist es eigentlich klar. Die Küche ist unter Garantie nicht für jedermann zu Hause zu realisieren. Dennoch bin ich der Meinung, dass es kein Buch ausschließlich für Profis oder sehr ambitionierte Hobbyköche ist. Ich würde jedem dieses Buch anraten, wer sich schon immer sehr für die nordische Küche interessiert hatte und auch etwas über die Regionen kennenlernen möchte. Gerade die vielen Impressionen und Geschichten geben vieles über diese Gegend preis. Es hat somit eine recht universelle Daseinsberechtigung. In meinem Regal steht es jedenfalls ab sofort und das recht gut erreichbar.