Tim Raue ist ein Vermarktungstalent. In diesen Wochen stellt er seine eigene Geschirrserie, das eigene Kochbuch, eine weitere Folge in der Serie „Kitchen Impossible“ und nun als erster deutsche Koch überhaupt, wird er einen Teil in der sagenhaften Netflix-Serie namens „Chef`s Table“ beitragen. Während der Berlinale wird dieser Streifen am 14.2. als Weltpremiere vorgestellt. Ich habe ihn mir für Euch vorab angesehen.
Das Kulinarische Kino ist eine Instanz für sich. Thomas Struck, der Kurator des Ablegers der Berlinale, hat Jahr für Jahr ein sehr glückliches Händchen mit der Gestaltung dieser medialen Foodstücke. Das diesjährige Thema bzw. Motto lautet „Passion“.
In diesen Tagen gibt es während der traditionsreichen Filmfestspiele der Berlinale die Folge von Tim Raues Teil der „Chef`s Table“- Reihe als Weltpremiere zu sehen.
Netflix gibt dem ersten deutschen Sternekoch ein Podium
Tim Raue ist derzeit einer der erfolgreichsten Köche hierzulande, glaubt man der Liste der „World`s 50 best Restaurants“. Dort wird er derzeit auf Platz 34 gelistet. Damit ist er Deutschlands Speerspitze, wenn es um die Köchezunft geht. Aber auch bei sämtlichen anderen Führern hat er die höchsten Bewertungen vorzuweisen. So wertet der Guide Michelin seine Kochkünste mit 2 Sternen und der Gault & Millau sieht ihn bei 19 von 20 möglichen Punkten, die de facto nicht verliehen werden. Sollte es nächstes Jahr einen Koch mit 3 Sternen in Berlin geben, gehört er sicherlich zum sehr engen Kreis.
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Für die diesjährige Staffel der Netflix-Reihe „Chef`s Table“ sticht für mich als Wahlberliner besonders sein Teil heraus. Er ist in allem, was er unternimmt ein absolutes Unikum. Man findet viele verschiedene Worte aber keines, welches ihn auch nur annähernd trifft. Er verkörpert einen sehr eigensinnigen Charakter. Es wirkt fast schon komisch, wie eine Kennerin der Szene in der Einleitung nach Worten ringt, um ihn zu beschreiben. Sie gibt schließlich auf.
Er verstellt sich nicht. Das weiß man spätestens nach der ersten Küchenszene. Hier fährt er einen Kollegen trotz laufender Kamera recht persönlich an. Es ist dieser sehr herrische Ton, der vielleicht nur hier so funktionieren kann. Doch umreißt der Umstand, dass er sich der Öffentlichkeit aus PR-Zwecken nicht verstellen vermag, seinen integren Charakter. Woanders wäre solch ein Führungsstil später vermutlich im Schnitt der Zensur gewichen. Tim Raue ist das egal. Ich habe das Gefühl, er will vielleicht, dass man dieses Schauspiel miterlebt. Für ihn gibt es nur den ersten Platz. Dafür fordert er eben alles. Von sich selbst in gleichem Maße wie von seinen Mitarbeitern.
Hier geht`s ans Eingemachte
Geschmacksproben werden ohne Rücksicht auf persönliche Belange auseinander genommen und schonungslos bewertet, was nicht heißt, dass er bei gelungenen Speisen nicht loben kann. Doch überwiegen die autoritären Anweisungen und Ansagen, die ein reibungslosen Ablauf bis zur Perfektion herleiten sollen.
Die Ergebnisse sprechen eine klare Sprache. Der Film zeigt großartige Aufnahmen seiner „Signature Dishes“, die nach vielen Tüfteleien kreiert worden sind. Reisen in die Metropolen dieser Welt spielen bei der Findung eine große Rolle.
Eine persönliche und kulinarische Auseinandersetzung
Die „Chef`s Table“-Serie zeichnet sich jedoch nicht nur dadurch aus, dass sie schönen Aufnahmen der sehr anspruchsvollen Gerichte eines jeden Protagonisten darstellt. Es wird primär hinter die Fassade geschaut.
Tim Raue erzählt von seinen kulinarischen Anfängen.
Er holt hier sehr weit aus und beginnt das erste Stück seines Weges damit, dass er bereits im Alter von 9 Jahren sehr oft von seinem Vater geschlagen worden ist. Sein Leben verlief bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich normal. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen mit seiner Mutter in Kreuzberg auf. Zwischen dem neunten und dreizehnten Lebensjahr lebte er abwechselnd bei seinem Eltern. Der Vater bestrafte ihn wegen kleinster Fehltritte, sei es in der Schule oder durch kaum sichtbare Kratzer am Fahrrad. Häusliche Gewalt gehörten fortan in seinen Alltag, mehrere Krankenhausbesuche ebenso.
Er nutzte in dieser Zeit jede Möglichkeit, um von zu Hause zu entfliehen. So gab er zum Beispiel sein Geld für Besuche im Supermarkt aus, um dort in eine Welt der Gerüche und Geschmäcker zu entfliehen.
Dass Tim Raue als Jugendlicher selbst gewalttätig wurde, kennt man sicherlich bereits aus dem einen oder anderen Porträt. Hier berichtet er schonungslos, was ihn dazu antrieb und wie er seinen Weg nach der Zeit bei den „36 Boys“, eine recht bekannte Jugendbande aus Berlin-Kreuzberg, in die Küche gefunden hat. Bei allem, was ihn bis zu diesem Zeitpunkt an schlechten Erfahrungen ereilte, muss man neidvoll anerkennen, dass ihm dabei offensichtlich nie der Mut und vor allen Dingen das Selbstvertrauen verlassen haben. So lässt eine derartige Vergangenheit sicherlich das nötige Maß an Verständnis aufkommen, um zu erklären, warum Tim Raues Umgangston ist, wie er ist.
Tim Raue ist ein Ausnahmetalent
Die Wortwahl in seinem eigenen Kosmos mag für viele verstörend sein. Was er mit seinem Team auf die Teller bringt ist beachtlich und sein Bestreben, weitere Restaurantkonzepte hier und da auf ebenfalls hohem Niveau auf den Weg zu bringen zeigt erneut seinen absoluten Willen zum Erfolg. Für mich persönlich ist Tim Raue einer der wenigen großen Köche, die sich nicht hinter komplizierten Gerichten verstecken oder versuchen, so viel Kochtechniken wie möglich zur Anwendung zu bringen.
Er kreiert Gänge, welche nun noch mehr aufs Wesentliche reduziert sind und so nicht selten mit drei oder vier Komponenten auskommen. Das müssen andere Köche, eingeschlossen mir, erst einmal bewerkstelligen können, ohne dabei gänzlich uninteressante Gerichte zu schaffen. Nebenbei versteht er es glänzend, mit seiner Art die Menschen zu unterhalten und über das Essen Geschichten zu erzählen, die nicht nur spannend sind sondern eben auch an seine Kulinarik binden. Davon gibt es in Deutschland leider viel zu wenige.
Er ist ein Gegenentwurf zum glattgebügelten Musterkoch
Diese Folge der dritten Staffel besticht erneut durch brillante Bilder, großartige Musik und dem Werdegang eines sehr interessanten Protagonisten, dessen Aufbau man gerne zuschaut, da er stets kurzweilig, nie unglaubwürdig und immer inspirierend ist. Man möchte fast schon stolz darauf sein, in Berlin einen solchen Aufsteiger als Koch zu haben.
„Ich glaube heute an den Spruch: Life is not about finding yourself – it is about creating yourself.“ Tim Raue
Großartige geschrieben und rezensiert.
Danke und Chapeau.
Vielen Dank Tanja! Dann hoffe ich, Du schaust Dir mal den Film an. Es lohnt sich.