Dieser Mann lebt von der Polarisierung, dem Ausleben von leidenschaftlichen Gegensätzen. Konstantin Filippou kocht in Wien eine hervorragende Küche. Sein Restaurant trägt wie sein Buch seinen Namen, ebenso führt er das Weinbistro „O boufés“. Bevor er aber in Österreich sesshaft wurde, reiste er durch die Welt. Seine kulinarische Momentaufnahme erzählt eine Menge aus seinem bisherigen Leben, in dem er sich so öffnet, wie es wenige seiner Kochkollegen in einem Kochbuch tun würden. Eine Besprechung.
Eine viel zu lang aufgeschobene Kochbuchrezension
Diese Besprechung hätte eigentlich schon viel früher hier erscheinen müssen. Ganz sicherlich wäre es ein großer Anwärter auf das Kochbuch des Jahres 2016 gewesen, dessen Abstimmung hier gerade in den letzten Zügen gelaufen ist.
Er handhabt die eigene Darstellung im aufwändig gestalteten Kochbuch im Gegensatz zu seinen Kollegen sehr offen und nahbar. Ein großer Teil seines Werks, genau genommen nahezu die Hälfte der mehr als 330 Seiten, bergen keine Rezepte. Es beinhaltet die Entstehung und den Werdegang seiner eigenen Persönlichkeit sowie verschiedene Schwerpunkte in seinem Kochkosmos. Er formuliert dies in seinem Vorwort so:
„Dieses Buch ist ein Journal dieser Welt. Es ist einerseits ein Kochbuch, in dem 80 Gerichte, die ich in den letzten drei Jahren in meinem Restaurant serviert habe, minutiös und wunderschön präsentiert werden. Es erzählt aber auch die Geschichte jener Zwischenräume, aus denen ich meine Inspirationen bezieh, die mich als Koch ausmachen. Oft stellt ein einziges Gericht eine Reise quer durch Europa dar, manchmal auch über mehrere Kontinente. Manchmal treffen Nähe und Ferne aufeinander, manchmal Vertrautheit und Exotik, manchmal einfach ein paar zum Sterben großartige Geschmäcker.“ Auszug aus dem Kochbuch
So ist dies für mich im eigentlichen Sinne eine Biografie, mit welcher der Leser hier zuerst konfrontiert wird.
Ein ausführlicher Werdegang von Konstantin Filippou
Konstantin Filippou betrieb sein Handwerk bereits in den verschiedensten Küchen dieser Welt. Das waren zum Teil größere aber auch kleinere Restaurants Europas. Stationen waren zum Beispiel das „Steirereck“ in Wien, das „Arzak“ in San Sebastián“ oder bei Gordon Ramsay in London. Außerdem gehörte das „Novelle“, eine mediterrane „Glamourhütte“, zu seinem Lebenslauf.
Dort kochte er mehr als sechs Jahre lang und erlitt eine sehr starke Prägung, die dazu führte, dass er seine eigene kulinarische Handschrift entwickeln konnte. Beim Verlassen dieses Restaurants wusste er bereits, dass die nächste Stelle keine sein würde, bei dem er einen Chef über sich haben würde.
Zusammen mit seiner Frau Manuela eröffneten sie 2012 nur ein Jahr später das eigene Lokal.
Der Leser wird bei all den Erzählungen begleitet von eindrucksvollen und eher ungewohnten Eindrücken eines Chefkochs. Hier zeigt man zum Beispiel Wien, wie man es beim ersten Betrachten nicht zwingend mit der Kulinarik oder einem Bezug zur Küche von Filippou verbinden würde.
In den weiteren Kapiteln wie „Graz liegt am Peloponnes“, „Das Meer“, „Der Wald“, „Das Gericht.“, „Die Neugier.“ oder etwa auch „Griechenland“ hat man die Möglichkeit einen Konstantin Filippou in immer feiner herausgearbeiteten Facetten kennen zu lernen bis man schlussendlich zu seinen Rezepten gelangt.
Die Gerichte und Rezepte
Und diese sind, wie im Buch schon eingangs erwähnt, absolut nicht für den Hausgebrauch optimiert. Es wird vornehmlich auf den Einsatz von eher unüblichen Gerätschaften verwiesen, legt man denn den üblich heimischen Bedarf zu Grunde.
Jedem Gang gönnt Filippou eine kurze Einleitung über besondere Eigenschaften oder den Verwendungszweck. Für den Einstieg wird ein Malzbrot mit Zwiebelbutter rezeptiert. Anschließend folgt er einer eher klassischen Menüfolge mit appetitanregenden Snacks, die man auch Amuse Bouches nennt. Dort werden „Schweinsnasen“, „Sepia-Taco“ mit Huchen und Saiblingskaviar oder ein frittierter Tremella-Pilz mit Hummermayonnaise aufgeführt.
Wer das Kapitel mit dem Namen „Ethik und Ästhetik“ zuvor gelesen hat, wird schnell erkennen, dass die Anordnung der Bestandteile seiner Geschmackskompositionen nie nur optische Bedürfnisse befriedigen, sondern eben auch gewisse Funktionen erfüllen sollen. Das beginnt bereits bei der Produktion von speziellen Tellern, welche er bei der Keramikerin seines Vertrauens in Auftrag gegeben hat.
So zwingt das von ihm gewünschte Porzellan den Gast auf freundliche Weise dazu, alles auf einmal in den Mund zu nehmen, um damit „… die ausgeklügelte Beziehung aller Komponenten zu erleben“.
Aber nicht nur die Teller sind ausgesprochen hübsch anzusehen, die Gerichte an sich sind einfach nur sagenhaft und gehen schon rein visuell betrachtet eine äußerst spannende Symbiose mit der Bühne ein.
Essiggurkerl. Pferd.
So verarbeitet er ein Pferdetartar mit eigens marinierte Einlegegurken. Getoppt wird es mit Senfsaat, welche Filippou für 32 Stunden in Apfelessig, Kräutertee und Honig legt.
Für ihn ist das ein extragenialer Snack, der nicht in Vergessenheit geraten darf. Er bezeichnet den Verzehr von Pferdefleisch in der heutigen Zeit als stigmatisiert. Es ist ein Stück Wiener Tradition.
Weitere Gerichte mögen auf den ersten Blick banal klingen, sind auf den zweiten Blick aber alles anderes als gewöhnlich. Er kredenzt ein Rochenwürstel mit Senfkaviar. Um einen portionierten Teil des Rochenflügels in einen Wurstdarm zu bekommen, braucht man sicherlich ein Mindestmaß an Fingerspitzengefühl zum Anderen dürften die Beilagen wie die aufgepoppten Gräten ebenfalls nicht aus dem Standardrepertoire eines Kochs stammen.
Filippous Küche zeigt von der Inszenierung her sicherlich eine sehr extravagante Art der Cuisine. Die maximale Reduktion auf recht wenige, verschiedene Elemente, die auf dem Teller Platz finden, entspricht dem heutigen Understatement der zeitgemäßen Küche. Er versteht es dabei, die Gerichte wie Kunstobjekte aufzubauen und durch derartiges Platzieren, sich vom Rest deutlich abzugrenzen. So wirken alle Gerichte in diesem Buch wie Kunstobjekte mit einer besonderen Aussage, so dass es mir schon schwer fällt, sie als simples „Essen“ einzustufen.
Kontrastreich
Die Bildsprache von Per-Anders Jörgensen unterstützt diesen Stil. Die Ablichtungen der Gänge wirken allesamt etwas dunkel bis düster, was die Stimmung des Buchs in eine ganz bestimmte Richtung drückt. Auch der Buchumschlag als Hardcover sowie der Seitenschnitt sind beides in schwarz gehalten. Für mich ist das ein eher individuelles und anspruchsvolles Designkonzept, welches im Kontrast zu den vielen anderen Kochbüchern steht.
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Fazit
Das Buch ist für mich gerade wegen der recht ungewöhnlich ausführlichen Offenlegung zu Beginn seitens Konstantin Filippou und den so gar nicht gewöhnlichen Rezepten eine Empfehlung wert. Ich mag Bücher mit Ecken und Kanten und mit unkonventionellen Herangehensweisen. Dies entspricht absolut dem Kochstil von Filippou.
Ihr könnt das Buch ausschließlich unter folgender Seite ordern. Bitte beachtet das Porto für einen Versand nach Deutschland. Wer dieses nicht zahlen möchte, geht am Besten direkt bei Konstantin und Manuela Filippou im Restaurant vorbei, ist ein paar Gänge und nimmt das Buch dort gleich mit. Ans Herz zu legen wäre wohl beides.