Mein Kochbuchregalsystem ist absolut überfordert. Ich habe keinen Platz mehr. Kürzlich entdeckte ich dort einen Schatz, der wirklich erst im wahrsten Sinne des Wortes noch ausgehoben werden musste. Ich fand in der zweiten Reihe ein nahezu unberührtes Werk aus dem Jahre 2014 von Alexandre Gauthier mit dem Namen „Alexandre Gauthier, Chef. La Grenouillère“. Ich kann mir diesen Fehler nicht verzeihen. Ich wollte es Euch schon längst vorgestellt haben. Das hole ich nun nach.
Ein ganz besonderes Kochbuch
Wer diesen Shootingstar der französischen Küche noch nicht kennt, dem sei von Beginn an gesagt, dass dies hier kein gewöhnlicher Gourmetkoch mit Hang zu eben dieser frankophilen Küche ist. Hier geht es um ein Kochbuch eines Sternekochs, der seinen Kochlöffel auf eher unkonventionelle Art und Weise schwingt. Der Herd, welchen er Tag für Tag mit neuen Kreationen bespielt, steht im Norden Frankreichs, genauer gesagt in La Madelaine-sous-Montreuil. Dort übernahm sein Vater im Geburtsjahr von Alexandre 1979 dieses Restaurant namens „La Grenouillère“, wo Gauthier den Großteil seiner Kindheit verbrachte. So kam es, dass es für ihn nach all den Erlebnissen in diesen Gemäuern es absolut natürlich war, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.
Ein traditionelles Restaurant im Norden Frankreichs
Den Grundstein legte er dafür mit dem Besuch der Hotelmanagement—Schule. Nach dem Abschluss bemühte er sich um Arbeit bei so renommierten Adressen wie dem Hôtel du Lac oder dem Culinary Institute in Palermo und das Peninsula Palace in Peking. In dieser Zeit ereilte seinem Vater im heimischen Restaurant ein für sie dramatisches Schicksal. Der Stern im Guide Michelin konnte nicht verteidigt werden. Dies war umso schlimmer, da dieser bereits seit den Dreißigern das Haus schmückte.
Sein Vater bat ihn also zurückzukehren, um die Leitung in der Küche fortan zu übernehmen. Dies geschah nicht ohne gravierende Einschnitte.
Der Michelin- Stern musste dran glauben.
So schmiss er sogleich ausgediente Gerichte wie die klassischen Speisen mit Froschschenkel oder Crêpez Suzette von der Karte. Das gleiche traditionelle Essen durfte es nun nicht mehr geben. Ein neuer Stil musste her, das war ihm recht schnell klargeworden. Es entstanden Gänge mit Kombinationen, die sich auf den ersten Blick nicht gleich erschlossen haben und ungewohnt erschienen. Er brach mit bekannten Regeln und kreierte dabei seine eigenen Kunstwerke.
Seine Kollegen im eigenen Lande ließen nicht lange mit der Anerkennung auf sich warten. Alain Ducasse selbst lud ihn ein, um auf dem Fou de France zu kochen. Dies ist ein Event bei dem sich aufstrebende Köche auf einer großen Bühne präsentieren können. So erkochte er nach sieben langen Jahren den Stern aufs Neue, so dass das kleine Örtchen wieder in der kulinarischen Landkarte zu finden war.
Dabei werden seine Schöpfungen nie langweilig. Einen Überblick kann man sich in diesem oben genannten und unglücklicherweise mir verschollenen Buch einholen.
Beim ersten Kontakt mit diesem Werk wird sogleich die besondere Haptik erkennbar. Das Buch mit dem offenen Buchrücken und der sich dort befindenden japanischen Buchbindung beeindruckt unmittelbar. Die atmosphärische Fotografie zieht einen direkt in den Bann. Das Buch hat fast schon künstlerischen Charakter. Der nun 36- jährige Koch zeigt hier einen sehr ursprünglichen Zusammenhang und verbindet Ästhetik mit seiner Kochkunst.
Gauthier geht neue Wege.
Sein Porzellan ist teilweise zerbrochenes Geschirr. Das klassische Fine Dining Konzept wird auf die Probe gestellt. Es geht hier rustikal zu, wobei die Gänge immer filigran und unantastbar erscheinen. Man möchte ihn gleich anhand der visuellen Eindrücke in die „Nordic Cuisine“- Schublade drücken, aber das wäre bei weitem zu kurz gedacht.
Sein Foddkonzept zeigt sich sehr naturverbunden, das erkennt man an Gängen wie dem „Grünen Spargel mit jungen Schalotten“ oder „Kräuter- Dumpling mit geräuchertem Arleux- Knoblauch und Eigelb“. Sein Stil ist der Minimalismus. Komplizierte Gartechniken und -verfahren kommen hier quasi kaum vor. Es geht vielmehr um das Aufeinandertreffen von Aromen. Rauch trifft auf Knoblauch, Auster auf Zucchini, Froschschenkel auf Basilikum, Wachsbohnen auf Minze, Grüne Erdbeeren auf Meerbohnenalgen. Ganz unterschwellig und unaufgeregt vollzieht er ein Kontrastprogramm mit Ecken und Kanten in einem sehr geschmackvollen Gewandt.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Minimalistisch. Naturverbunden.
Der Aufbau bedient sich ebenfalls keiner bekannten Regeln. Hier setzt er voll und ganz auf die visuellen Reize und riskiert nicht, dass die Rezepte von diesen Eindrücken ablenken. Diese lassen sich im letzten der drei Kapitel als komprimierte Form entnehmen. Das ist vielleicht nicht funktional, da hier die Schrift recht klein und die Absätze teilweise sehr lang geraten sind. So wird ein Nachkochen recht aufwändig, doch denke ich, dass dieses Buch vorrangig der Inspiration als Quelle dienen soll.
Für mich war dieses gute Stück vor zwei Jahren ein Geheimtipp und ist es auch heute noch. Das Buch ist verhältnismäßig günstig und auf französisch wie auf englisch zu kaufen.