Viele technische, biologische als auch kulturelle Evolutionen haben den Menschen in seinem Tun und Handeln stark geprägt wenngleich nicht gar eine komplett neue Herangehensweise ausgelöst worden ist. Beispielhaft für technische Entwicklungen sind in jüngster Vergangenheit die Dampfmaschine, das Auto und am Ende auch der Computer.
Kulinarisch betrachtet ist wohl die Entdeckung des Feuers mit Abstand das wichtigste Ereignis, da es die Bandbreite der verzehrbaren Speisen und dessen Zubereitungsarten enorm erweitert hat. Techniken wie das Fermentieren, Einwecken oder auch Einsalzen machten es möglich, auch auf längeren Reisen, wie sie nicht selten auf Schiffen stattfanden, eine adäquate Ernährung zu gewährleisten.
„Inside Chefs`Fridges, Europe“
Adrian Moore & Carrie Solomon
TASCHEN
2015
328 S., gebunden, 39,99 €
ISBN: 978-3836553520
Mit dem elektrischen Strom kam aber ein technischer Fortschritt in die heimischen Gefilde, der es zuließ, die Lebensmittelhaltbarkeit drastisch zu verlängern. Der Kühlschrank zog ein.
Früher kühlte man die Lebensmittel mit Eis aus den Bergen, welches dafür in vorgesehene Keller aufwändig transportiert wurde. Das war nicht sehr effizient und schon lange nicht für jedermann gedacht. Mit der Erfindung der Kühltechnik durch Carl von Linde im Jahr 1876 hatte man einen Ansatz, der es erlaubte, einen Kühlschrank für jeden Haushalt serienreif zu produzieren. Umgesetzt wurde dieses letztendlich 1920 in den USA. Bereits 1937 hatte fast jeder zweite amerikanische Haushalt ein solches Gerät im Haus.
Seitdem verbreitete sich dieses Gerät weltweit und ist heute nicht mehr wegzudenken.
Der Kühlschrank ist auch das zentrale Objekt im neuen Buch vom TASCHEN Verlag. Es heißt „Inside Chefs` Fridges, Europe“ und beinhaltet, wie der Name schon sagt, Einblicke in die Kühlkombinationen verschiedenster Herdkünstler. Die Autoren Carrie Solomon & Adrian Moore hatten sich überlegt, was wohl alle Starköche dieser Welt mit den „Normalbürgern“ teilen: den Kühlschrank. So galt es zuerst, die auserwählten Köche überhaupt von dem Sinn zu überzeugen, die eigenen Geräte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine weitaus größere Herausforderung waren die Reisen kreuz und quer durch Europa, die Besuche bei den Köchen und das Inspizieren ihrer Küchen. Besucht wurde der Norden und Süden Frankreichs, in Belgien, Dänemark, Deutschland, Spanien, Schweden und Großbritannien.
Insgesamt 40 kulinarische Vordenker, die zusammen auf 60 Sterne im Guide Michelin kommen, zeigen auf diesen 328 Seiten alles, was uns sonst so verborgen ist. Doch kann man nun an den Inhalten erkennen, ob denn jeder die Prinzipien der nachhaltigen als auch regionalen Ernährung im privaten Leben ernst nimmt. Die Eindrücke sind höchst vielseitig.
Den Einstieg bildet sogleich auch ein deutscher Avantgardist aus Berlin. Die Rede ist von Daniel Achilles, der mit seinem Team im Restaurant „Reinstoff“ bereits zwei Sterne erkocht hat. In seinem Porträt liest man, dass er auch in den heimischen Gefilden für die Küche verantwortlich ist und dort für das leibliche Wohl seiner Frau und seinem Sohn sorgt. Sie ist Vegetarierin und der Kleine mag nur Würstchen und Minibananen. So schlicht gestaltet sich auch der Inhalt. Er ist geprägt von viel Obst und Gemüse als auch den besagten Hot Dog- Würstchen und Bananen. Auch tummeln sich Supermarktprodukte im Regal. Er fällt somit nicht ganz aus der Rolle.
Ganz im Gegensatz zu Bo Bech aus Kopenhagen. Er gilt wohl als berühmtester seiner Zunft, jedenfalls dann, wenn man sich auf die Region in der Nähe zur dänischen Hauptstadt beschränkt. Er selbst liebt gutes Essen und deckt sich auch entsprechend zu Hause mit den benötigten Zutaten ein. Bo Bech vergleicht gutes Essen mit Sex:
„Das erste Mal kann schrecklich sein. Wer als Amateur in ein Spitzenrestaurant geht, wird vielleicht von den Mitarbeitern herablassend behandelt. Wenn man sich daran gewöhnt ändert sich das, und plötzlich ist man mit allen möglichen Leuten im Gespräch.“
In seinem gekühlten Lager sticht sofort ein Geschenk von Thomas Keller hervor. Es ist eine Flasche Sake. Neben Avocados, Chicoree und Zitronen tummelt sich dort viel Eingemachtes. Gemeint ist ein Glas fermentierte Holunderblüten, Bärlauchkapern in Molkebutter oder Wacholderbeeren in Apfelessig. Neben den Ansichten in die weißen Kammern gibt es natürlich auch noch ein zwei Rezepte von jedem Küchenchef. Hier sind es gegrillte Avocados mit Curry und Mandelöl oder die Weisse Zwiebel mit asiatischer Sauce. Das wirkt alles sehr bodenständig und nachkochbar, selbst in einer privaten Küche.
Der eine oder andere Kochkünstler hat aber auch sehr merkwürdige Dinge im Kühlschrank gelagert. So beinhaltet der Froster von Rasmus Kofoed (Geranium) eine Packung gefrorener Fliegen. Diese sind für das Aquarium gedacht, das Missfallen seiner Frau wird aber hier auch deutlich gemacht. Daneben findet man außerdem noch ein Sanddornsorbet und Karotten- Rosinenbällchen. Wie auch in vielen anderen Kühlschränken trifft man auf Edamame. Diese Sojabohnen sind erschreckend häufig in den Tiefkühlern anzutreffen.
Nicht nur Kochbuchliebhaber kommen mit diesem Buch auf ihre Kosten. Hat man vor, sich einen neuen Kühlschrank zuzulegen, so gibt dieses Buch mit einem Griff einen umfassenden Überblick über die erwerbbaren Kühl- Kombinationen. Neben den Marken- als auch Typennamen findet man immer eine Skizze, welche Aufschluss über das jeweilige Gerät gibt.
Ich ertappe mich übrigens bei fast jedem gezeigten Beispiel dabei, was ich aus den gesichteten Zutaten so zaubern würde. Besonders schwer fällt mir das jedoch beim letzten Kühlschrank, der stammt nämlich von Marco Pierre White. Er ist stolzer Besitzer eines restaurierten Frigeco- Kühlschranks aus Hartholz aus den 1930-ern. Dieses Prachtstück steht fernab der Stadt in der Wildnis von Wiltshire, wo er seinen Leidenschaften wie Angeln und Jagen frönt. Die meiste Zeit ist er jedoch in London, so dass hier diese Kühlmöglichkeit nur bei der Jagd zum Einsatz kommt.
Die Rezepte sind allesamt recht simpel und nachvollziehbar aufgebaut. Sie erinnern an bürgerliche Kost, die mit viel Herzblut und Liebe zubereitet worden ist und hat nichts von all den filigranen Arbeiten, die diese Ausnahmetalente sonst so auf den Teller bringen. Es ist ein sehr intimer Blick in die Privaträume der Starköche, der sich bei mit den beigefügten Rezepten als lohnende Investition entpuppt. Solch ein Kochbuchkonzept gibt es sicher nicht alle Tage.