Heiko Antoniewicz führt ein Leben als Entwickler und Tüftler. Er ist ein reiner Food- Techniker, ein Geschmacksbesessener. Im Neudeutschen würde man wohl “Addicted to Food” sagen. Die ständigen Ausarbeitungen zeitgemäßer und vor allen Dingen besserer Gartechniken treiben ihn an. Selbst ist er schon längst kein Gastgeber in einem eigenen Restaurant mehr, das war einmal. Heute verdient er seine Brötchen mit Kochkursen, hält hier und da wirklich gute Symposien und sorgt mit seinen Kochbüchern, welche schon seit 2007 beim Matthaes Verlag vertrieben werden, für Aufklärung bei den Profiköchen und den ambitionierten Hobbyköchen.
“Rohstoff:
Unbekanntes Saisonales Gesammeltes”
Heiko Atoniewicz
Adrien Hurnungee
Photographie: René Riis
Matthaes
2015, Stuttgart, 300 S., gebunden
69,90 €
ISBN: 978-3875154054
Sein erstes Buch, welches ich mir auch sogleich erstanden hatte, ist das fast schon kultige “Fingerfood” Kochbuch. Dies gibt es schon in der 4. Auflage. Er befasst sich von Beginn an mit den verschiedensten aktuellen Themen. Eine Liste seiner Werke liest sich wie folgt.
Fingerfood | 2008
Molekulare Basics: Grundlagen und Rezepte | 2008
Verwegen kochen: Molekulare Techniken und Texturen | 2008
Brot: Das Back_Kochbuch | 2010
Sous Vide | 2011
Flavour Pairing: Das Spiel der Aromen | 2013
Rohstoff: Unbekanntes Saisonales Gesammeltes | 2015
Fermentation | 2015
Wo andere Gourmetköche zwei bis drei Jahre für ein gutes Buch mit Mehrwert benötigen, schafft Heiko Antoniewicz gleich mehrere. Sein neuester Streich rückt das Thema der unbekannten Rohstoffe in den Mittelpunkt. Bei anderen Büchern gab es ähnliche Aufarbeitungen schon zu sehen, bezogen sie sich doch in aller Regel auf den Komplex Gemüse, indem sie “vergessene” Gemüsesorten wieder in den Lichtkegel rückten.
Das ist hier anders, er beschränkt sich nicht nur auf das Vegetarische. Insgesamt 130 Produkte werden in den 300 Seiten starkem Buch behandelt. Dabei zwängt er sich nicht in das Korsett, nur regionale Lebensmittel einzusetzen.
Eine Übersicht habe ich Euch hier einmal erstellt.
Dieses Buch kommt im Gegensatz zu den bisherigen Werken, ohne einführenden Theorieteil aus. Direkt nach den zwei Vorworten der Autoren (H. Antoniewicz & A. Hurnungee) werden die ersten Rezepte feilgeboten. Diese halten zudem das, was am Anfang im Untertitel versprochen wurde, die Zutaten sind zumindest mir fürs Erste unbekannt. Da ist zum Beispiel die Chufa, eine Erdmandel, welche aus Asien importiert werden. Er richtet diese zusammen mit eingelegten Milchbällchen und Minzeblüten an.
Aber auch Kräuter sind hier gut vertreten. So werden in Haselnussöl und Gemüsefond marinierte Goldrutenblätter mit Iberico- Filet, Quinoa und Karotte sowie weißer Lichtnelke kredenzt. Das ist geschmacklich natürlich recht schwer einzuordnen bzw. vorzustellen, wie gerade die noch nie erlebten Kräuter und Zutaten mit den Bekannten harmonieren. Dafür gibt es als kleine Hilfestellung zu jedem behandelten Produkt eine kleine Infobox, welche Fakten wie Blüten, Ernte, Geschmack und Besonderheiten kurz umranden. Auch gibt Heiko Antoniewicz in der Rubrik “Chef`s Choice” eine Empfehlung ab wie man das Ganze noch verarbeiten könne.
Ich treffe auf diesen Seiten ebenso auf bekannte Produkte, welche ich folglich auch besser einschätzen kann. So ist die Pimpernelle oder auch Gewächse wie die Vogelmiere, Wilder Hopfen und die gemeine Kamillenblüte ein Begriff. Mit dem Cima die Rapa, einem wilden Brokkoli, den ich bisher immer aus Italien importiert habe, kombiniert man hier den Maibock nebst Birkenblüten. Natürlich rät das Entwicklerteam auch in diesem Buch dazu, bei Unwissenheit im Umgang mit den eventuell unbekannten Rohstoffen, lieber einen Fachmann hinzu zu ziehen. Nicht alle Lebensmittel aus den Wäldern sind für den Verzehr geeignet oder dürfen nur in bestimmten Dosen zu sich genommen werden. Dies ist kaum zu unterschätzen, gerade im Umgang mit Laub oder ähnlichem.
Desgleichen wird hier auch der Verarbeitung von jungen Weidetrieben aufgegriffen. Der ein oder andere wird solch einen Gang schon mal im Netz bei zahllosen Videos von René Redzepis “Signature Dishes” gesehen haben. Hier frittiert Heiko Antoniewicz die geputzten Triebe und verarbeitet sie zudem zu einer Vinaigrette. Der geeignete Begleiter ist ein Pulled Pork aus der Schweinenuss. Dieses und auch viele andere Gerichte setzen dabei auf den Einsatz der vom Autor vertriebenen Gewürzmittel. Hier braucht man zum Beispiel 3 g “Liquid Flavour universell” aus der “Selektion Antoniewicz“. Bevor man sich also dieses Buch mit der Motivation kauft, das ein oder andere Gericht nachzukochen, sollte man sich dessen bewusst sein.
Die Fotografie ist für mich leider nicht so berauschend. Ich finde nichts an einer bedingungslosen Ablichtung aus der Vogelperspektive. Wenn ich mich recht erinnere, ist es jetzt das dritte Buch in Folge, welches auf diese Ansicht setzt, ich würde mich freuen, würde das beim nächsten Werk wieder anders sein.
Obendrein ist der Fotograf René Riis hier den Schritt gegangen, alle Gänge mit dem Blitz überzubelichten, so dass einige Teile ausgeblichen scheinen. Schatten wurden komplett ausgeleuchtet, man erzielt so eine recht flache Wirkung, welcher mit den harten Kontrasten in der Nachbearbeitung noch verstärkt wird. Alles wirkt zweidimensional. Porzellan wurde ebenso nicht eingesetzt, die Gerichte wurden auf einem weißen, glatten Tisch bzw. Platte zusammengesetzt. Man muss es so nennen, da durch diese Optik alles wirkt, als wäre man an einem OP- Tisch beim Sezieren. Sollte dies der Sinn und Zweck gewesen sein, alles recht präzise und fast schon im Stile einer Landkarte abzubilden, dann ist das gelungen. Für mich nimmt dieses Kunstverständnis der Präsentation wichtige charakteristische Merkmale weg und raubt dem Gericht die Seele.
Trotzdem bleibt dieses Buch immer noch ein sehr interessantes Nachschlagewerk für Interpretationen der besonderen Art. Ich hätte mir zum Beispiel jetzt nicht gedacht, dass man Maishaare oder auch Kleeblüten sinnvoll bei der Speisenbereitung einsetzen kann. Ich bin schon gespannt auf sein nächstes Buch, welches sich dann um das Thema Fermentation dreht.