In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die internationale Wahrnehmung der deutschen Spitzenköche stark gewandelt. Die weiße Zunft hatte das Gefühl auf globaler Ebene nicht angemessen geschätzt zu werden. Das ist heute nicht mehr so. In diesen Tagen haftet den deutschen Sterneköchen eher das Image an, alles viel zu technisiert und arg präzise kochen zu wollen. Die nicht erkennbare Leidenschaft und der Fokus jedes Gemüse gar fünffach auf dem Teller darstellen zu müssen, bringt den Herdkünstlern zwar jede Menge Respekt aber nicht die individuelle Erlebnisgastronomie ein. Der Trend geht nun eher dazu hin, sich auf drei bis vier Komponenten zu reduzieren, diese jedoch absolut unnachahmlich herauszuarbeiten. Der Schwerpunkt sich dabei den regionalen und traditionellen Quellen aus der Umgebung zu bedienen, ist dabei nach wie vor essentiell, will doch der Gast spüren, wo er sich augenblicklich auf der kulinarischen Landkarte aufhält.
- Massimo Bottura
Diese Passion gilt es bei uns noch zu entfesseln. Wie das auch aussehen kann, wird jedem Interessierten ab morgen höchst eindrucksvoll in der Doku- Reihe namens „Chef`s Table“ gezeigt. Sechs verschiedene Starköche, welche alle in anderen Teilen der Welt schaffen, werden auf sehr persönliche Weise porträtiert. Mozarts 40. Symphony im Einspieler macht zugleich deutlich, dass wir es in dieser Serie nicht mit normalen Protagonisten ihres Fachs zu tun bekommen.
Ben Shewry (Attica Restaurant | Melbourne, Australien)
Magnus Nilsson (Fäviken | Järpen, Schweden)
Francis Mallmann (El Restaurante Patagonia Sur | Buenos Aires, Argentinien)
Niki Nakayama (N/Naka Restaurant | Los Angeles, USA)
Dan Barber (Blue Hill Restaurant am Stone Barns Center | New York City, USA)
Massimo Bottura (Osteria Francescana | Modena, Italien)
Da ist zum einen Massimo Bottura, welcher einen unvergleichlichen Umgang mit den italienischen Traditionen pflegt. In seinen ersten Jahren wurde er höhnisch verspottet wenn nicht sogar verteufelt für seinen ungewohnten und für viele auf respektlosen Umgang mit „Großmutters Rezepten“. Eines seiner bekanntesten Gerichte ist „Tortelloni walking on broth“. Für die Italiener ist diese Nudelsorte wie eine Religion. Dem Landsmann ist nur eine Schale Tortellini niemals genug und sicher wird sie auch zumeist gelobt, doch schmeckt die Pasta der eigenen Oma doch immer besser, da kann sich der Sternekoch so viel er will ins Zeug legen. Rein subjektiv betrachtet ist Bottura mit dieser These einverstanden, doch mangelt es ihm ebenso an der Wertschätzung für dieses Nudelprodukt. So ließ er sich auf ein provokantes Gericht ein.
- Niki Nakayama
Er setzte genau 6 Stück Tortellini in einer Reihe auf einen Fond, welcher zudem noch mit Agar Agar gebunden ist. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, die lokale Presse zerriss ihn, Bottura wurde vernichtend beurteilt. So erging es ihm mit vielen seiner in der „Osteria Francescana“ gezeigten Gerichte. Diese Episode zeigt obendrein, dass er wegen dieser ständigen Provokationen oft ein leeres Lokal führte und kurz vor der Aufgabe stand. Wie dieser Teil endet ist wunderbar anzuschauen und zu schade, um es hier zu spoilen.
Einen anderen Ansatz die Gäste lukullisch zu beglücken verfolgt die Amerikanerin Niki Nakayama. Sie geht dem Ziel nach, über mehrere Gänge in sich ausgewogene und aufeinander abgestimmte Menüs zu kreieren. Um in der Rolle stehen zu dürfen, als Frau Küchenchefin in einem japanischen Restaurant zu sein, musste sie sich viele demotivierende „Ansagen“ aus ihrem Umfeld gefallen lassen. Aber dies war zugleich ihre Antriebsfeder, wollte sie es umso mehr allen beweisen, dass es doch möglich war.
- Francis Mallmann
Dabei geht sie den Weg, sich über jeden Gast alles zu archivieren. Dessen Vorlieben, Abneigungen und Bestellungen werden für den hoffentlich nächsten Besuch abgespeichert. Jeden Tag werden die Reservierungen mit dem Team durchgesprochen und individuell ein Menu angepasst. Diesen Umgang, zu wissen was der Gast zu bestellen vermag, noch bevor er es selbst weiß, um ihn mit dieser persönlichen Gastlichkeit zu überraschen, hat sie von einer ihrer ersten Lehrmeister nach der Ausbildung zu schätzen gelernt und übernommen.
- Ben Shewry
Ihre Ausbildung führte sie außerdem weiter nach Japan, wo sie die Kochphilosophie des „Kaiseki“ kennenlernte. Sie folgt der Leere, bestimmte Garmethoden in einer genauen Reihenfolge darzubieten. Die Möglichkeit, sich selbst zu entwickeln und die Kreativität nicht unnötig einzuengen, ließ sie dazu verleiten, ihre eigene Interpretation dieser Ernährungsweise anzubieten. Sie wurde so schnell zum Stadtgespräch, doch blieb der Respekt vor der Leistung gerade bei den männlichen Kollegen aus. Das führt auf die Tatsache zurück, dass nicht viele damit umgehen können, dass ihr Restaurant „N/Naka“ von einer Frau geführt wird. Sie entschloss sich deshalb den Genuss der Gäste nicht zu stören und verhinderte ab diesen Zeitpunkt den Einblick darüber, wer genau in der Küche steht.
Francis Mallmann Restaurant in Argentinien ist nur mit einer nicht unerheblichen Reise zu erreichen. Er wird hier in der dritten Folge als ein sehr naturverbundenener Mensch dargestellt. Zahlreiche Einstellungen der dortigen Landschaften geben hier faszinierende Eindrücke wieder. Das Feuer umschreibt er als wesentliches Element seiner Küche. Er versammelt Gruppen in Events, um für diese draussen an einer Feuerstelle zu kochen.
- Magnus Nilsson
Mallmann wendet dabei sehr alte Garmethoden an. Wie zum Beispiel einen frisch gefangenen Fisch in dicken Schlamm zu packen und so ins Feuer zu legen. Dabei entsteht derart viel Hitze, die nicht entweichen kann, dass der Fisch quasi gedämpft wird. Sein Ergebnis richtet er noch direkt vor Ort an.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist für ihn das menschliche Gegenüber am Tisch. Ihm sind die Momente mit seinen Mitarbeitern sehr wichtig. Überhaupt ist diese Folge eine, welche weniger sein Essen als eher die Rituale darum herum umschreibt. Viele spannende und interessante Anekdoten werden von Francis Mallmann in Verbindung mit beeindruckenden Bildern wieder gegeben. So hat diese patagonische Art zu kochen etwas Ursprüngliches als auch Einzigartiges.
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Netflix strahlt die oben beschriebenen als auch drei weitere Folgen über diese international bekannten Köche ab dem Sonntag, 26. April 2015, aus. Die komplette Staffel ist ab dem ersten Tag verfügbar und kann somit von den hartgesottenen Kochverrückten unter Euch an einem Stück aufgesogen werden.
„Chefs Table“ zeigt auf wunderbare Art und Weise, dass man den Beruf des Kochs auch ohne reißerische Elemente beeindruckend dokumentieren kann. Man nimmt sich hier sehr viel Zeit für jeden dieser sehr individuellen Charaktere. Mir bleibt nichts weiter als Euch zu empfehlen, diese Serie unbedingt anzuschauen. Ich bin gespannt, inwiefern man bei Netflix sich für eine Fortsetzung dieses Konzepts entscheiden wird. Wünschenswert wäre es, motiviert eine Folge dieser Staffel doch den desillusionierten Koch unter Garantie bis in die Haarspitzen. Er wird sich danach mit Sicherheit wieder voller Tatendrang an den Herd stellen wollen.
Das ist nicht Mozarts 40. Sinfonie, sondern Vivaldi, die Jahrezeiten
Da muss ich wohl noch mal recherchieren. Vielen Dank für den Hinweis, Regula!