Die diesjährige Berlinale ist seit nun 10 Jahren auch das Podium für das „Kulinarische Kino“. In diesem Bereich gibt es eine ganz besondere Sparte des bewegten Bildes zu sehen. Hier kommen ausschließlich die Filme rund ums Thema „Essen“ zum Einsatz. Neben dem eigentlichen Film wird dieser auch noch bei ausgewählten Veranstaltungen mit einem Aufgebot an Starköchen, welche die Besucher zudem noch vor Ort verköstigen, abgerundet. Mehr und mehr entwickelt sich dieses Konzept zu einem Highlight mit Alleinstellungsmerkmal. Insbesondere dann, wenn dieses Festival solch beeindruckende Vorstellungen, wie den aktuellen Streifen über Sergio Herman, bereit hält.
Kaum ein zweiter Koch ist derart omnipräsent und gehypt, wie Sergio Herman. Sein Restaurant „Oud Sluis“, welches er von seinem Vater übernommen hatte, bringt er zu ungeahntem Ruhm. Im 25.000 Seelen Ort namens Sluis in den Niederlanden wird er wie ein Rockstar verehrt und das hat seinen Grund. Er ist ein absolutes Ausnahmetalent, vollkommen vom Kochen eingenommen. Nur schwer kann er abschalten. Durch seine Akribie brachte er es zu 20 unglaublichen Punkten in der Bewertung des „Gault & Millau“. Außerhalb Frankreichs gab es nie einen weiteren Träger dieser historischen Marke. Auf der Spitze entscheidet er sich jedoch für die Schließung und den anschließenden Neubeginn.
Von diesem Bruch handelt dieser Film.
Er zeigt ungeschönt und recht nah die Arbeitsweise und den Alltag Sergio Hermans über Monate hinweg. Die Zeit vor der Schließung in der er bei stillen Momenten in sich gehend rekapituliert, was eigentlich alles nicht so stimmt und wie es doch eigentlich sein sollte, gerade mit Blick auf sein Familienleben. Angefangen bei seinen Kindern, welche sich ihren Vater stets teilen müssen. Ein Vater, der selbst zu Hause es nicht schafft abzuschalten, allen voran er aber sich der Unterstützung seiner Frau sicher sein kann, die auch mit dem Laster zu kämpfen hat, sich stets im Entbehren üben zu müssen.
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Durchzogen ist dieser oft nachdenklich stimmende Teil immer wieder vom stark vibrierenden Tagesgeschäft im Restaurant, bei dem man gerade als Koch sich sehr lebhaft vorstellen kann, welch Energie durch diesen Menschen fließen muss. Einem Koch, der bei Ansage dieser finalen Abkehr vom elterlichen Betrieb einen regelrechten Reservierungsansturm ausgelöst hatte, wird daraufhin wohl noch viel genauer beobachtet werden. Solche sich nun in Geduld übende Gäste, kann man keinesfalls mit einer schwachen Tagesform enttäuschen, die Anspannung wächst umso mehr. Immens wichtig ist bei solch einem Business der Rückhalt im Team durch starke und loyale Vertreter und Begleiter, die hier auch sehr gewürdigt werden. Es ist erstaunlich anzusehen, wie Sergio Herman sich windet, als er die Garstufe einer Taubenbrust am finalen Tag unmittelbar vor dem Anrichten anzweifelt, und sein zweiter Mann ihm fast schon ermutigend versichert: „Perfect, Sergio, it`s perfect“.
Die ständige Anspannung und der stetige ihm anzusehende Druck wird umso verständlicher, wenn man bedenkt, wieviel Arbeit und Energie seinerseits in den Projekten steckt. Beispielsweise kann man ihm in einer Szene dabei beobachten, wie sogar ausführlich über die Sitzhöhe der neuen Stühle im späteren Restaurant „The Jane“, welches in eine eigens dafür restaurierte Kirche gezogen ist, diskutiert wird. Ich kenne nicht viele Chefköche, die sich so detailverliebt bei Themen die derart fern vom Kochen sind, geben. Bei ihm muss aber alles perfekt sein.
So auch im Service. Er verlangt von seinen Leuten alles ab. Ein Anfeuern und Ermahnen ohne Unterlass begleitet den Abend. Jeder Teller wird gegengecheckt und aufs kleinste Elemnt hin geprüft. Wer die beiden Kochbücher, welche er obendrein innerhalb der letzten vier Jahre herausgebracht hat, sein eigen nennen darf, wird wissen, dass seine Gerichte auch immer eine Aussage haben oder sich mit einem Thema beschäftigen. Die Ausarbeitung dieser Gerichte, obliegt einem ständigen Prozess. Man kann ihn sehr gut an dem hier schon oben beschriebenen Gang des Abschiedsmenüs beobachten. Da wird am Tisch darüber philosophiert, wie man den Abschied als auch Neubeginn darstellen kann. Sehr viele Emotionen fließen dabei mit ein, welche diese absolute Beharrlichkeit, ja fast schon Verbissenheit erklären.
Der letzte Service geht einem ans Herz, schließt er doch ein Kapitel, welches viel Ballast abwirft und Platz für Neues schafft.
Die Zeit zwischen den Projekten vergeht schnell. So richtig weg vom Kochen kommt er dabei nicht. Bilder des neuen Restaurants machen Lust auf mehr, begründen nur zu gut seine Abhängigkeit nach mehr Perfektion, mehr Leistung, mehr Adrenalin. Der Film zeigt ihn aber nicht nur als Gewinner. Er hadert mit sich selbst und man merkt schnell, dass das größte Opfer die Familie bringt, ihn als fehlender Vater und Ehemann mit eingeschlossen.
So ist dieser Film nicht nur absoluten Fans von kochenden Helden, wie Sergio Herman einer ist, zu empfehlen. Nein, jeder angehende Koch sollte diesen Film vor seiner Ausbildung gesehen haben, einen interessanteren und ergreifenderen Querschnitt des Kochalltags gibt es derzeit nicht, auch wenn man bedenken muss, dass Sergio Herman wahrlich kein alltäglicher Koch ist.
Dieser Film war leider vorerst nur während der Berlinale zu sehen. Sollte der Streifen in die Kinos kommen bzw. auf DVD erscheinen, werde ich Euch natürlich berichten. Für einen Eindruck über die dort servierten Speisen samt Erklärung kann ich wie immer wärmstens die Seiten der Sternefresser empfehlen. Dort habt Ihr die Möglichkeit einen sehr gut bebilderten Besuch kurz vor Ende seiner Schaffenszeit im „Oud Sluis“ nachzulesen.
Hallo! Gibt es mittlerweile den Film auf DVD, wenn ja, wo? Leider war meine Suche im Web danach bisher erfolglos 🙁 Freue mich über ein Feedback. Danke & sunny day Tina
Schau mal hier!