Es folgt der zweite Teil der dreiteiligen Buchbesprechung des kulinarischen Kochbuchs mit Sonderstatus von Ferran Adrià. Mit einer Score von 95,2 Punkten hat es zudem direkt beim Einstieg die Spitze der „Besten 50 Kochbücher“ erklommen. Das ist ein Grund mehr, sich mit diesem Werk einmal ausgiebig zu befassen.
Katalog 2
Wichtig, wenn nicht sogar essentiell, bei all diesem akribischen Prozedere ist das reproduzierbare Endergebnis. Hat man durch vielfaches Probieren und Tüfteln das optimale Produkt geschaffen oder eine Zusammenstellung, welche eventuell als sogenannter „Signature Dish“ über viele Jahre hinweg aufs neue auf die Karte gesetzt und sogar von den Kollegen adaptiert wenn nicht sogar als Kopie nachgekocht wird, dann möchte man natürlich wissen, wie dieser Zustand erreicht worden ist. Das ist nur durch konsequente Dokumentation möglich. Ebenso sind die Gerätschaften ein unumstößliches Kriterium dieser Philosophie. Hilfsmittel wie ein Pacojet, ein Thermomix, Vakuumierer, Grammwagen, Rotationsverdampfer, usw. sind ein entscheidender Faktor. Gerade eine genau einstellbare Maschine, wie der Thermomix es ist, der neben dem Wiegen auch das Mixen, Erwärmen und auch Dämpfen ermöglicht, spielen dem Kreativen enorm in die Hände. Hier wird auch nicht mit Variablen gearbeitet, welche dem Anwender bei den Rezepten unnötig Spielräume lassen. Das perfekte Gericht verträgt das nicht. 0,8 g sind 0,8 g und nicht eine Messerspitze.
Ferran Adrià, Juli Soler, Albert Adrià
Phaidon, 2014
2720 S., gebunden, 525,00 €
ISBN: 978-0-714-8654-85
Im Jahr 2006 setzt sich also dieser Prozess fort. Die Gerichte sind vom Aufbau exakt wie beim ersten Band geordnet und bieten wieder ein sehr breites Spektrum dieser polarisierenden Küche. Beeindruckend sind hier das „Hibiskus- Papier mit Eukalyptus“ oder auch die „Ananas- Katzenzungen mit Sternanis“ als sogenannte Snacks. „Spähren“ von Olivenöl mit Anchovis oder eine flüssige Krokette sind wieder mal Beispiele der höchst experimentierfreudigen Kunst. Besonders die Desserts haben es mir beim 2. Buch angetan. Oder auch der Käsegang in Form des „The sheep, its cheese and its wool“, bei dem cremiger Schafskäse zusammen mit einer Wolke aus gesponnenen Zuckerfäden an einer Ecke Fruchtpâte angerichtet wurde. Mehr und mehr werden diese Gerichte gar als Landschaften präsentiert. Schäume und Wolken von mit Lecithin versetzten Flüssigkeiten oder auch mittels Stickstoff schockgefrorene Segmente von Grapefruit werden bei dieser recht temperamentlosen Photographie stark vergrößert und recht mittig ins Bild gerückt. Überhaupt kommt diese gewählte Bildsprache komplett ohne großartiges Schi Schi aus.
Kein aufwendiges Porzellan stellt hier die Bühne für sämtliche Snacks, sondern Plexiglas oder auch kleine Löffel bilden hier das Podium. Der Hintergrund ist stets neutral mal in weiße oder auch graue Farbverläufe gehalten. Mit ca. 400 Seiten sind die ersten 5 Bände ähnlich umfangreich gehalten.
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Mit den Jahren werden die angebotenen Gerichte komplexer, jedenfalls stellt es sich für mich so dar. Auch die Darstellung wirken lebendiger. Das hier vorgestellte Menü sticht durch das überdurchschnittliche Vorkommen von Frucht und Obst hervor. So fruchtig ging es bis hierhin nicht zu. Viele Konzepte sind schon beim Betrachten geschmacklich zu greifen. Etwa das gefrorene Yuzu- Eigelb. Dafür wird Eigelb auf 68°C erhitzt und wieder kalt geschlagen und mit dem Yuzu gemischt. Danach erfolgt ein Schockgefrieren in flüssigem Stickstoff. Eingelagert wird dieses gefrorene Eigelb nun in Maltodextrin. Er offeriert dem Gast diese Ei(s)kugel in einer Pralinenschachtel. Irre. Auch den Shooter bestehend aus „Wodka, Erbse und Limette“ möchte ich mir selbst einmal nach dieser Anleitung zubereiten.
Viele heute angesagte Trends finden wohl ihren Ursprung in dieser Schmiede. Man hat beim Blättern durch das Buch ständig das Gefühl, dass dieses oder jenes Gericht doch erst kürzlich irgendwo gesehen worden ist, sei es in einem angesagten Magazin oder gar in einem Restaurant angerichtet als fertige Speise. So ertappt man sich bei dem Gedanken, dass in diesen heiligen Hallen des elBulli damals nahezu alle Trends, welche noch fast ein Jahrzehnt später aktuell sind oder ihre x-te Reinkarnation durchlaufen haben, entstanden sind. Aber auch jene aufgeführten Gerichte haben mit Sicherheit ihre eigenen Ursprünge oder Eingebungen bei dritten Quellen. Nur selten erlebt man dennoch eine solche hohe Dichte an Innovationen.
In dieser Zeit scheint wohl der Sponge- Cake, ein Gebäck, das ein wie aus dem Namen schon ableitbares Erscheinungsbild ähnlich eines Schwamms besitzt. Die Herstellung ist einfach und recht schnell umzusetzen Der fertige Teig wird in eine Espumaflasche gegeben, in einen Kaffeebecher geschäumt und sofort in der Mikrowelle bei höchster Stufe gegart. Dieser breitet sich enorm schnell im Becher aus und bleibt dann auch nach dem kurzen Backprozess so.
Auch das Gemüse am Ende eines Menüs erneut zu zelebrieren, wird hier durchgeführt. 2007 war Ferran Adrià mit seinen Speisen Ausstellungsteilnehmer der „Documenta“ in Kassel, nicht vielen Köchen wird diese Ehre zuteil.
Katalog 4
Zum ersten Mal überzeugt auch die Photographie in dieser Reihe. Man geht einen mutigeren, kontrastreicheren und zum Glück auch farbigeren Weg. Bei so viel Inhalt ist das auch notwendig. Die Lust daran, die nun weitaus attraktiveren Gänge selbst zu kochen steigt dabei immens. Frustrierend ist dann bei einigen Beispielen, die fehlende Ausstattung. Die Herstellung des überaus anmutenden Basilikumblattes kann man nur bewerkstelligen, wenn man im Besitz eines Gefriertrockners ist. Dieses überaus kostspielige Gerät können sich wahrscheinlich mehr als 95 % der deutschen professionellen Gastronomie kaum leisten, würde es doch viel zu lange dauern, bis sich die immens hohen Anschaffungskosten wieder lohnen. Ganz selten erlebt man in diesen Büchern Dinge wie einen gebratenen Stück Fisch oder Fleisch, welches man schon durch das bloße Ansehen einem bestimmten Tier genau zuordnen oder sogar das verwendete Teil benennen konnte. Unsäglich schön ist der „Japanische Herbst“ ganz in verschiedene Rottöne getaucht.
Katalog 5
Angekommen im Jahr 2009 werden bei diesem Jahresmenü wiederum andere Trends fokussiert. Esspapier, Folien und Krokants liegen hierbei ganz weit vorne. Welche Lebensmittel zu diesen optischen Highlights verarbeitet werden können verblüfft nach all den vergangenen Rezepten immer noch sehr. Parmesan oder Erdbeer mit Wasabi werden so aufgeknuspert. Hier stellt man ebenso vermehrt die floralen Welten kulinarisch dar. „Rosen/Artischocken“, „Hibiskus Blüte“, ein „Kaktus Magarita“ oder auch die „gefrorene Rose“ stehen dafür.
Bei der „Hibiskus Blüte“ beispielsweise wird Wasser mit den Blüten eingelegt, der daraus gewonnene Fond wird daraufhin gefriergetrocknet. Durch diesen Vorgang kann man Flüssigkeiten reduzieren ohne den Geschmack zu ändern. Reduziert man eine Tomatenessenz unter Hitzezufuhr in einem Topf auf dem Herd, würde diese ihren ursprünglichen Geschmack stark verändern. Dies kann man verhindern, indem man das Gefriertrocknen zur Anwendung bringt. Diese Reduktion wird noch mit Wasser und Zucker vermengt und frische Hibiskusblüten werden mit diesem Fond vakuumiert.
Nach einer kurzen Zeit nimmt man diese wieder aus dem Beutel heraus und bäckt diese im Ofen so dass diese Blüten karamellisieren und dabei deren Blätter durchsichtig werden. Dieses fertige Produkt wird nun als Gang serviert. Letztendlich wird unter vielen aufwendigen Prozessen die Blüte in einer Essenz mit eigenem verstärktem Aroma eingelegt, der Vakuumierer hilft dabei diese Essenz in die Auslese hinein zubringen.