Die naturverbundene nordische Küche ist seit einigen Jahren in der vermeintlichen Hochsaison angekommen und längst in eine breite Schicht der Gastronomen vorgedrungen. Eine nicht zu unterschätzende Schar von Köchen nehmen sich dieser Materie nun an. Daraus resultiert natürlich eine erhöhte Nachfrage an umfassender Lektüre, welche diesen Komplex aufgreift.
“Moos. Fisch. Rinde. Batt.”
Valentino Brienza, Luisa Martini
Photographie: Michael Rathmayer
Edition Styria
2014, Wien
176 S., gebunden, 39,99 €
ISBN: 978-38503-3806-6
Jüngst wurde von der „Edition Styria“ der Band von Valentino Brienza, Luisa Martini und Michael Rathmayer herausgegeben. „Moos. Fisch. Rinde. Blatt.- Genuss der Leidenschaft“ lautet der Titel, das ist eine aufs Nötigste Umschreibung, was in dem Buch zu erwarten ist. Hier geht es also um die Produkte aus der Natur, welche nach Möglichkeit auch komplett verarbeitet werden sollen. Vorab definieren die Schaffer selbst ihre Küche als „Freestyle- Naturküche“. Zustande gekommen sind die insgesamt 60 Rezepte durch ständiges Testen und Weiterentwickeln von neuen Geschmacks-zusammenstellug. Dieses Kochbuch beschäftigt sich nicht mit der Beschaffung oder den Bezugsquellen der hier benötigten Zutaten. Das ist aber ein kaum zu unterschätzender Punkt, wie sich später noch herausstellen wird.
Es geht sogleich los mit den ersten Rezepten, hier zuerst aus dem Wald. Anfänglich geht es noch recht nachvollziehbar zu. Man offeriert gebratene Steinpilze zusammen mit ein Rührei mit Sahne, gebackenem Wiesenlabkrautkügelchen, jene in der Eierschale serviert werden. Soweit so gut.
Daraufhin folgt ein Gang, der dem Nachkocher ein gewisses Maß an Geduld und Geschick abverlangt, soll dieser doch mit karamellisierender Milch einen Teller aus Milchhaut zustande bringen. Darauf serviert er/sie dann ebenso karamellisierte weiße Schokolade, geräucherte Bananen- Birkencreme, Bananenchips, gebratene Babybanane und Bananenkuchen. Höchst anspruchsvoll und kreativ. Die Verarbeitung des Themas „Naturküche“ hält sich bisher noch zurück, diese Nachspeise gefällt aber dennoch.
„Kräuterseitling/Kürbis/Laub“ zeigt erstmalig die Brisanz beim Kochen mit „Fundsachen“ aus der Natur dessen Überprüfung der „Laie“ vor Ort übernimmt. Hier wird Laub der Eiche bei der Zubereitung eines Pastinakenpürres untergemixt. In Verbindung mit gebratenen Kräuterseitlingen, Kürbisragout und Tripmadam- Zweigen stellt das rein optisch ein durchaus attraktive Komposition dar. Was der Verzehr aber rein ernährungsphysiologisch für eine Bedeutung hat, wird unter dem Rezept angegeben. Das genaue Durchlesen eines jeden bietet sich nicht nur an, sollte bei einer späteren Verpflegung von Dritten sogar verbindlich sein. So liest sich der warnende Hinweis bei diesem Gang wie folgt:
„Achtung: Das Laubblatt auf dem Foto dient zur Dekoration. Verzehren Sie Laub nur in geringen Mengen im gegarten Zustand.“
Was diese recht ungenaue Angabe „in geringen Mengen“ bedeutet, kann man leider nur erahnen, so bleibt das Kochen und Anrichten irgendwie dann auch ein Fischen im Trüben.
Es gibt aber auch weitaus harmlosere Gerichte, welche mit bewährten und auch bekannten Zutaten auskommen. Zum Beispiel ist die „Ente/Vogelmiere/Holunderblüte“ eine sehr anmutende Interpretation mit sinnlich duftenden Aromen, welche leider nur für einen sehr kurzen Zeitraum im Jahr saisonal zubereitet werden kann. Man sollte diese nutzen, um die vielversprechende Zusammenstellung von gebackenen Holunderblüten mit Holundersaft und gedünsteten Erbsenschoten mit Vogelmiere zuzubereiten.
Daraufhin folgt wieder ein Rezept mit Gefahrenpotenzial. „Baumpilz/Hühnerherz/Flechte“ würde ich wahnsinnig gerne einmal probieren. Nur fehlt mir leider das Wissen, den richtigen Baumpilz herauszusuchen, da auch hier wieder die Information dem Leser mitteilt, dass viele Baumpilze giftig sind und eine genaue Überprüfung zwingend notwendig ist. Gerne würde ich auch etwas mehr über den Geschmack eines Baumpilzes erfahren, gehört es doch eher zu den Produkten, welche ich nicht geschmacklich einordnen kann, so würde mir ein dezenter Hinweis sehr weiterhelfen. Der Schwierigkeitsgrad der Rezepte überhaupt hingegen liegt auf einem moderatem Level und sollte auch ohne großen technischen Aufwand sowie semiprofessionellen Hintergrund umsetzbar sein.
So hat der Käufer dieses Buches hier eine besondere Aufgabe vor dem Kochen zu leisten. Muss er sich zu aller erst ein genaues Bild der gesammelten Objekte machen, um auch absolut sicher zu gehen, dass nichts Giftiges oder Modriges aus der Natur mitgebracht wurde. Beim Reh mit Weißkraut und Sägemehl ist z.B. auf trockenes, gut riechendes Sägemehl zu achten, da der muffige Geruch ansonsten den Geschmack beeinträchtigt. Entstehen tut dieser aus Nässe und Schimmel. Erfahrung hilft hier also ungemein weiter.
Besonders ist bei allem auch die Bildsprache hervorzuheben, welche wunderbar auf dieses großformatige Buch projiziert worden ist. Großartige Gerichte werden mit knalligen aber nicht übersättigten Farben und angenehmen Licht- und Schattenspielen in Szene gesetzt. Die Natur wird dabei absolut mit einbezogen, ist sie doch Teil dieser Photographie. Nahezu jedes Bild scheint unter freiem Himmel auf irgendeiner Wiesen-, Wald- oder Sandfläche angefertigt worden zu sein. Die strukturierten Porzellanteile sind teilweise auch durch Holz-, Rinde- oder Steinflächen ersetzt worden. Fabelhaft. Man kann da nichts aussetzen, gerade die durchgehende Qualität von der ersten bis zur letzten Seite ist beeindruckent. Haptisch sind die Seiten auch sehr angenehm. Man bekommt für sein Geld ein ordentliches Maß an Originalität geboten.
Des Weiteren wird das Buch noch mit den Kaptiteln Wiese, Feld und Wasser ergänzt und wartet dort mit nicht weniger spannenden Tellern auf. Vor allen Dingen der zweite Teil der „Wiese“ hat es mir angetan. „Lamm/Buntes Gemüse/Malve“ sind rein optisch schon ein Hochgenuss, dem schließt sich nahtlos das „Stubenküken/Junge Karotte/Heu“ an. Aber steckt auch hier wieder der Teufel im Detail. „Karfiol/Mandel/Glockenblume“ ist wunderbar anzusehen und vom Rezept her auch schlüssig, aber zählt doch die Glockenblume zu den Gewächsen, bei denen eine toxische Wirkung wissenschaftlich noch nicht einwandfrei geklärt ist. Hier kommuniziert man dem Leser diesen Sachverhalt. Zudem wird dargestellt, dass man laut eigenem Standpunkt, nicht der Meinung ist, dass diese Pflanze giftig sei. So findet man sich wieder alleingelassen mit der Entscheidung, was denn nun der richtige Weg sei. Doch hätte ich mir gewünscht, dass man wenigstens die Empfehlung ausspricht, bestimmte Konsumentengruppen (Kinder, ältere Menschen) von dem Verzehr abzuraten, so dass ein eventuelles Risiko minimiert werden kann.
Auch geht der Trend in der Gastronomie dahin, dass Köche sich in Themenkomplexe hineinwagen, welche so rein fachlich nichts mehr mit dem eigentlichen Beruf zu tun haben. Man ist als Koch zwingend auf den Rat und Sachverstand von Bauern, Gärtnern oder Landwirten angewiesen, um zu erkennen und zu wissen, welche Teile von der Pflanze verzehrbar sind oder nicht. Es ist bei weitem nicht so einfach, durch Flora und Fauna zu wandern und ungeschult Naturprodukte zu verarbeiten. Gerade in der professionellen Verpflegung wäre dies mit einer großen Wagnis verbunden.
Insofern ziehe ich vor den Schöpfern dieses sehr anschaulichen Kochbuchs meinen Hut, würde mir aber niemals anmaßen, in der Lage zu sein, eine selbige Versuchsküche zu praktizieren, schon garnicht im Gastgewerbe. Ich gehe davon aus, dass es vielen Köchen aber auch ambitionierten Hausfrauen/ -männern ebenso geht und da fachlicher Rat, gerade im Umgang mit solchen Büchern notwendig ist.