Berlin entwickelt sich mehr und mehr zum kulinarischen Zentrum Deutschlands. Viele jährliche Events finden hier statt. Da wären die „Eat Berlin“, die „Next Organic“– Messe auf dem ehemaligen Flugplatzgelände Tempelhof, die altbekannte „Grüne Woche“ und nicht zu vergessen auch die sich hoffentlich mehr und mehr etablierenden Genusstage der „Berlin Food Week“, welche dieses Jahr Anfang Oktober stattfinden wird.
Längst etabliert hingegen hat sich der CookTank der Sternefresser. Das Team um Christian Strohmann und Daniela Heykes iniierte die erste Ausgabe dieser Serie bereits 2011 und er bestand damals aus lediglich 4 Gängen. Nach und nach entwickelte sich daraus eine immer größer werdende Denkfabrik, jene nun in der siebten Auflage zum ersten Male zur Spreemetropole gefunden hat. Dort suchte man unter den Lokalmatadoren nach den Teilnehmern, die bereit sind, einen neuen Gang zu kreieren und diesen den Kollegen sowie den geladenen Pressevertretern vorzustellen und sich der anschließenden Auseinandersetzung zu stellen. Sie wurden schnell fündig.
Drei weitere Köche konnten zudem sich für ein Dabeisein qualifizieren, indem sie ein eigenes Gericht bei den Sternefressern einreichten. Nach einem öffentlichen Abstimmungsverfahren konnten daraufhin die Gewinner ermittelt werden. Diese hatten eine ganz spezielle Aufgabe zu lösen. Es gab die Hürde, sich rund um das Produkt Parmesan eine Zusammenstellung zu überlegen.
Es liest sich die Liste der „Götter in Weiß“ mit ihren Themen wie folgt:
„Berlin – arm aber sexy“
Matthias Dieter als Gastgeber | „first floor“
Sonja Frühsammer | „Frühsammers“
Marco Müller | „Rutz“
Sebastian Frank | „Horváth“
Roel Lintermans | „Les Solistes“
Christian Singer | „Tim Raue“
Daniel Achilles | „Reinstoff“
„Rosen-Deko“
Michael Kempf | „Facil“
„Parmesan im Menü“
Kevin Mitcheli | „Lafers Stromburg“ (Wildcard)
Lukas Mraz | „Cordobar“ (Wildcard)
Sascha Ludwig | „Filetstück“ (Wildcard)
Gleich zu Beginn der Veranstaltung wird eines sofort klar. Sie ist enorm gewachsen. Waren doch bei meinem ersten Besuch des „SweetTanks“ in Wolfsburg die Vertreter der Medien überschaubar, hat man den Rahmen hier deutlich größer gesteckt. Es waren mehr als 40 Gäste vor Ort. Unter den Journalisten gab es viele mir bekannte Gesicher, wie dem Restaurantkritiker Bernd Matthies vom „Tagesspiegel“, Vijay Sapre von der „Effilee“, Jens Darsow vom „Kulinarischen Interview“ und zudem eine der Organisatorinnen der „Berlin Food Week“ Alexandra Laubrinus. Das Fernsehen fehlte ebenfalls nicht, wurde für den RBB doch ein Bericht über dieses illustre Schausiel produziert.
Auch auf wissenschaftlicher Ebene hat man sich hier auseinandergesetzt. Prof. Werner Sommer von der Humboldt Universität war für einen kleinen Vortrag geladen und die Dipl.- Kommunkationswirtin Miriam Feuls beobachtete die Veranstaltung, um diese Eindrücke bei Ihrer Arbeit an der Universität der Künste mit dem Titel „Food for Thought. Entwicklung einer Methode zur Identifikation einer Avantgarde bei innovativen Entwicklungen“ einfliessen zu lassen. Einige Kernfragen, dessen Antworten sie hier erhofft zu finden, sind zum Beispiel:
Ist die Avantgarde heute (noch) Vorantreiber kultureller Innovation? Wo entsteht heute das Neue? Wie spielen das oft diskutierte Ende der Avantgarde und gesellschaftlicher Wandel zusammen?
Ich bin gespannt, inwiefern ihr dieses Event weiterhelfen kann und freue mich schon jetzt auf den späteren Austausch mit ihr.
Für die visuelle Darstellung hat man sich mit Klaus Eiwanger samt Team wieder die „Crème de la Crème“ ins Haus geholt. Wundervolle Timelapse- Aufnahmen der verschiedensten Anrichteschritte können so neben allen Speisenfotos von jedem später abgerufen werden.
Um 12 Uhr ging es dann los, der Hausherr Matthias Diether hatte vorzulegen. Die Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt der regionalen und nicht derart preisintensiven Küche ist in der Weltstadt mit Herz und Schnauze eigentlich nichts Ungewöhnliches, wird es doch hier in vielen Restaurants immer wieder gerne aufgegriffen. Einige Lokale leben ausschließlich davon, dies an die Touristen zu verkaufen. Ein gutes Beispiel ist da wohl die „Letzte Instanz“. Indes wurde hier nicht zuletzt die Speerspitze der kochenden Zunft eingeladen, um sich hier auf intensive und zeitgemäße Weise damit zu befassen.
M. Diether nutzt dazu den Klassiker „Leber Berliner Art“ und kombiniert Kaninchenleber, welche gerollt und mit Hefearomen und Perlzwiebeln gereicht wird. Zudem gibt es ein recht süffiges Bier statt der üblichen Weinbegleitung. Dieser Teller ist wahrlich ein gekonnter Einstieg und gefällt durch die spielerische Darbietung.
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Weiter ging es dann recht zügig. Sonja Frühsammer lag die Aufgabe sehr, ist sie doch in Berlin für diese Art der Küche bekannt. Sie vereint einfache und für viele vermutlich gar nicht so reizvolle Zutaten zu einem spannenden Geschmacksakkord zusammen. Der Räucheraal, der als einziger aufgrund seines heutigen Anschaffungspreises von 50 € pro kg kaum noch zum Thema „arm aber sexy“ passen dürfte, war absolut gekonnt in ein Ensemble von Fenchel, Ochsenmark und Buchweizen eingereiht. Zudem konnte man den Gang schon sehr intensiv über die angenehm duftenden Raucharomen ausmachen. Der Unterschied zu den anderen Gerichten ist im Übrigen die Präsentation, welche sich sehr schlicht und unaufgeregt offenbarte.
Für Sascha Ludwig bestand die Aufgabe darin, mit Parmesan eine Kreation vorzustellen. Er entschied sich für den Klassiker „Caesar Salad“. Zum Einsatz kam neben dem Römersalat ebenso seine Paradedisziplin. Fleisch.
Sein Restaurant „Filetstück“ lässt was Fleisch angeht kaum noch Wünsche offen. Hier ist das Herzstück ein Beeftatar vom Galloway Kalb (35 Tage dry aged) getoppt von einer Sardine. Der Römersalat wird hier gleich vielfach in Anspruch genommen. So ist der dritte Gang ein weiteres spannendes Element an diesem Tag, jenes ein relativ simples Gericht in einer komplexeren Variante anbietet.
Neben der reinen Bekochung gehört es zusätzlich dazu, die eigenen Teller dem anwesenden Publikum zu erklären. Gestaltete sich das beim SweetTank noch sehr zurückhaltend und waren kritische Töne nur sehr selten zu vernehmen, wurde man gleich beim ersten Gang recht aktiv. Alles dennoch stets auf sachliche und doch bestimmte Art und Weise. Toll daran ist, dass hier verschiedenste Sichtweisen zum Tragen kommen und außerdem direkt vermittelt werden. Der bedeutend lebhaftere Umgang unter den Verkostern hat sicherlich mit der bereits guten Vernetzung untereinander zu tun. Unter den Anwesenden kennt sich fast jeder. Durch die vielen Events in und um Berlin ist das wohl kein Wunder. Alle Köche pflegen eine respektvolle gar schon freundschaftliche Beziehung, verbindet sie doch die Region miteinander.
Nach dieser Methodik legte jeder für sich das „Berlin – arm aber sexy“ aus. Marco Müller, jener sich mit der „Zwiebelstulle“ der harten Prüfung stellte, eine absolut geerdete, fast profane Speise zu einer vielschichtigen kulinarischen Erfahrung zu erheben, ist es offensichtlich voll und ganz gelungen, sprach man doch noch sehr oft von dieser Interpretation. Er zerlegte die einzelnen Komponenten, indem er das Brot in eine „Erde“ verwandelte und diese als Sockel für die weiteren Bestandteile nutzte. Diese waren neben Zwiebelgewächsen, eine Sauerampfercreme mit einer wunderbar ausbalancierten Säure auch eine roh angebeizte Schweineschulter. Das Ergebnis war von der Darbietung bis hin zum Geschmack eine absolut runde Nummer.
Auch sehr interessant empfand ich in den kurzen Pausen die Kommunikation am Tisch. So tauschte man sich zu den verschiedensten lukullischen Themen aus. Vijay Sapre erzählte von seinem eigenen noch jungen Projekt als Betreiber des Hamburger Literaturhauscafés. Zugleich empfand er es bei der aktuellen Durchdeklinierung der verwendeten Produkte als strebsam, bei einem der nächsten CookTanks die Speisen auf lediglich 3 verschiedene Produkte zu limitieren. Ein sehr spannender Ansatz, wie ich finde, da es dem Schaffer umso mehr abverlangt, diese geschmacklich auf höchstem Niveau herauszuarbeiten.
Wer die CookTank- Reihe nun schon eine Weile mit verfolgt, wird es schon mitbekommen haben, dass solch ein Tag immer mit ein paar harten Fakten aus der Welt der Wissenschaft angereichert wird. Nicht zuletzt heißt das Wort „Gastronomie“ schlussendlich „die Wissenschaft des Magens“. Diesen Part übernimmt normalerweise Prof. Dr. Vilgis, welcher jedoch leider verhindert war. Nicht weniger erhellend war jedoch der Vortrag von Prof. Werner Sommer, der über den Einfluss beim Speisen in Restaurants mit Gesellschaft referierte. So wurde verdeutlicht, dass zum Beispiel alleine die Möglichkeit der Speisenauswahl das subjektive Empfinden beim Dinnieren verändert.
Es drängt sich mir nun doch die Frage auf, inwiefern Restaurantbetreiber mit lediglich einem Menü im Angebot und ohne dazu irgendeine mögliche Art der Selektion zu gestatten, mehr anstrengen müssen, um diese Wahrnehmung zu kompensieren. Die Forschung sei wohl in diesen Zusammenhang wohl noch am Anfang, da es zu diesem ganzen Komplex nur eine sehr überschaubare Anzahl aussagegräftiger Studien gibt.
Nach dieser rein verbalen Aufbereitung ging es danach weiter zum Degustationsprogramm.
Die vielen aufwendig gestalteten Speisen wurden zwisschenzeitlich durch eine sehr simple Präsentation aufgelockert. Der Küchenchef von Tim Raue, Christian Singer, kredenzte einen „Chinesischen Bauarbeiter- Lunch in Berlin“, so wie man ihn in der Hauptstadt wohl kein zweites Mal ebenso um die Ecke bekommen wird. Dafür hat er einen Standard aus dem Restaurant, nämlich keinen Reis zu servieren, kurzerhand außer Acht gelassen. Es gab also gebratener Reis mit Ingwer, Chinesischer Salami, Spanferkelbauch, Kai Lan und Kaisergranat. Er zeichnete sich durch eine angenehme aber auch sehr präsente Schärfe aus. Diesen hatte man in einer praktischen Asiabox „to go“ angerichtet und samt Löffel zum „Reinschaufeln“ eingesetzt. Das „Goji- Beeren- Bier“ war absolut passend, kühlte es doch herrlich den feurigen Snack ab. Das ist durch und durch nachahmenswert und hat man es doch im Restaurant ausnahmslos hochgelobt, weil es eben einfach ist und funktioniert!
Ein reger Austausch an Meinungen kam beim Thema Regionalität und die vor Ort verfügbaren Waren auf. Dort lieferte sich der so gar nicht wortkarge Chefkoch der Cordobar, der zudem mit einer sehr gewagten Version in der Parmesanrubrik aufwartete, eine ausgesprochen angeregte Diskussion mit Marco Müller und Sebastian Frank. Kern der Debatte war, das für Lukas Mraz (Cordobar) nicht vorhandene Netzwerk von qualitativ guten Produkten in Berlin und Umgebung. Speziell die Kartoffel bekam da recht offensiv ihr Fett weg. Eine große Auseinandersetzung ganz im Sinne der Veranstalter brach vom Zaun. Davon würde ich mir beim nächsten Mal sogar noch mehr wünschen.
Der Tag ging nach vielen geschmacklichen Highlights zu Ende und ich konnte am Rande noch den einen oder anderen ehemaligen Kollegen wieder sehen, war das Hotel Palace Berlin doch auch einmal meine Wirkungsstätte.
Bleibt mir nun noch mein Wunsch nach einem regelmäßigen Event dieser Couleur in greifbarer Nähe. Vielleicht haben wir ja Glück, bezeichnete doch Christian Stromann die Bundeshauptstadt als den spannendsten Fleck Deutschlands, was die Kulinarik angeht. In diesem Sinne…