Herkunft steht für:
„Soziale Herkunft, das soziokulturelle Erbe von Ressourcen und Wertesystemen
Abstammung von Vorfahren, genetisch oder im sozialen Zusammenhang hergeleitet
Etymologie, in der Sprachwissenschaft die Herkunft von Wörtern, Namen und Phrasen Heimat, als Ursprungsort eines Lebewesens Vaterland, als Bezeichnung für das Land, aus dem man selbst oder die Vorfahren stammen Mutterland, in manchen Kulturräumen im Sinne des deutschen „Vaterland“ verwendet Herkunftseltern, die leiblichen Eltern von Pflege- und Adoptivkindern von Sagen oder Legenden abgeleitet, siehe Herkunftssage und Origo gentis“
„Origin“
Ben Shewry
Fotografie: Colin Page
Design: Allen & Unwin Pty Limited 2012
Matthaes Verlags Gmbh, Stuttgart
290 Seiten, gebunden, 59,90 EUR
Diese Information kann man über Wikipedia beziehen, gibt man das Stichwort „Herkunft“ ein. Um was geht es in diesem Buch, welches „Origin“ heißt und zu Deutsch sich offensichtlich wohl ganz mit der Herkunft beschäftigt, die Frage ist bloß welcher?
Es geht ums Kochen, aber auch ums Geschichtenerzählen. Ben Shewry, der Chefkoch eines Restaurants namens „attica“ in Australien, wünscht sich vom Leser, dass dieser seine Momentaufnahme am besten wie einen Roman von vorne nach hinten durchliest. Er hat in diesem Buch viele Erlebnisse zu erzählen, welche allesamt authentisch seien und von seiner Kindheit, der Ausbildung zum Koch, bis hin zu dem jetzigen Lebensstil als Vater dreier Kinder und Chefkoch in der Spitzengastronomie, welche in der San Pellegrino Liste der weltweit besten Restaurants auf Platz 21 wiederzufinden ist. Er beschreibt sich dabei selbst als bodenständig und pflegt keinen glamourösen Lebensstil.
Mit solch einem Standing ganz oben hat er erkannt, dass es wichtig sei, die so gewonnene Verantwortung anzunehmen und als Küchenchef sorgsam mit den gegebenen Ressourcen umzugehen. So berichtet er, dass die Speisekarte seines Restaurants jährlich bis zu 40.000 Male heruntergeladen wird. Mit solch einer Reichweite ist es sicherlich nicht untertrieben, wenn er sich wie folgt äußert:
„Treffen meine Kollegen und ich eine unglückliche Wahl, kann dies über das Schicksal einer ganzen Fischart oder Pflanzengattung entscheiden.“
Eine nachhaltige Produktion der Lebensmittel ergo die Garantie einer nachhaltigen Herkunft wird von ihm angestrebt und die Präsentation versucht er gar in ihrer ursprünglichen Form zu präsentieren.
„Eine gute Küche hat für mich vor allem mit den Zutaten zu tun, dem Zubereitungsprozess und der inneren Einstellung und nicht mit irgendwelchen Hintergedanken, Wettbewerben und Auszeichnungen. Man sollte das Kochen intuitiv lernen, um ins wahre Zentrum der Kreativität vorzudringen, beziehungsweise den Schöpfungsprozess durchleben und Dinge außen vor lassen, die nicht wichtig sind. Was zählt ist einzig und allein die aufrichtige Hingabe.“
So hält er sich auch nicht zurück, dem Leser elementare Hinweise bei der Zubereitung der Gerichte mit auf den Weg zu geben. Die daraus resultierenden Konsequenzen für den praktischen Umgang mit den Zutaten findet sich dort wieder. Hier ein Auszug:
„- Frische Zutaten sollten möglichst aus der Region stammen und biodynamisch angebaut werden.
– Fische und Meeresfrüchte wurden nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit ausgewählt. Die Portionen sind klein, um der Tatsache Genüge zu tun, dass unsere natürlichen Fischbestände endlich sind und dass, wenn wir Fisch essen wollen, wir dies mit Bedacht tun sollten.
– Schokolade sollte aus fairer Produktion stammen, sodass der sozialen Verantwortung und der Nachhaltigkeit Rechnung getragen wird, denn zwei Drittel der Kakaoplantagen befinden sich in Westafrika, wo größtenteils Kinder unter skandalösen Bedingungen arbeiten …“
Er gibt somit die Verantwortung für das Schaffen und Tun an den Leser 1:1 weiter, der sich genau wie er, gefälligst Gedanken um seine Ernährung und die damit verbundenen Folgeerscheinungen in seiner unmittelbaren Umgebung und anderswo bewusst machen soll. Somit ist für ein unbeschwertes Kochen so Einiges an Mühe generiert, bedeutet doch solch ein „Arbeiten“ Hintergrundwissen über lokale Anbieter guter/ nachhaltiger Produkte. Neben dem Mehraufwand stehen dieser Kochphilosophie wohl nicht selten erhebliche Mehrkosten gegenüber.
Ist das auch hier so?
Um dem Leser diese Art von Kochen schmackhaft zu machen, stellt er es recht raffiniert an. Er appelliert an das Gewissen und zeigt zuerst sehr schöne Ansichten von Neuseeland und dessen Wälder- und Küstenlandschaften. Ihm geht es darum diese Vielfalt der Natur zu erhalten.
Auch stellt er auf beeindruckende Art und Weise diese Natürlichkeit auf dem Teller dar. So aufs Wesentliche reduziert und puristisch habe ich es zuletzt bei Peter Gordon, der auf dem australischen Kontinent kocht und nicht weniger populär ist, gesehen. Die meisten Speisen kommen mit drei bis vier Komponenten aus und er scheint seine Stärken gerade bei den Gemüse- und Kräutersorten, die er gekonnt platziert und sinnvoll zum Einsatz bringt. Aus den Fischen und Meeresfrüchten werden Fonds und Eintöpfe hergestellt und mit frischen Gewächsen unübertrefflich arrangiert.
Ein faszinierendes Gericht ist für mich zu Beispiel „Kartoffeln, gegart in der Erde, in der sie wuchsen“. Die Kartoffelzubereitung basiert auf eine Gartechnik der Maori, einem Ureinwohnervolk Neuseelands, welche ein Loch in die Erde gruben und dort heiße Steine und die Kartoffeln vergruben. Er entwickelte ein brauchbares Rezept für sein Restaurant um diese Art der Speisenbereitung zu adaptieren. Ich warte einmal ab, wie lange es dauert, bis auch mein Lieferant für Obst und Gemüse mir anbietet, die dafür benötigte Anbauerde der verwendeten Kartoffel mitzuliefern. Rein optisch ist das Gericht für mich absolut nachahmenswert.
Und so widmet er sich nach und nach der kulinarischen Kultur seiner Heimat und stellt diese kulinarisch dar. Elemente wie Buttermilch, Garnelen, Perlmuscheln, Schlüsselkrabbe, Hummer, Schwein, Taube und auch Schweizer Gruyère kommen hier zum Einsatz.
Wer noch zudem einmal Lust hat zu erfahren, was es heißt ein Bäcker zu sein, der betrachte den Tages- (Nacht-) ablauf dieser dort betitelten „Fließbandarbeit“ auf Seite 61. Sie ist chronologisch aufgeführt und startet um 1 Uhr morgens.
Die Gerichte sind sehr ansprechend in Szene gesetzt und fügen sich durch ihre unaufdringliche, weiche Ausleuchtung nahtlos in das Gesamtkonzept ein. Verantwortlich hierfür zeichnet sich Colin Page, der die Fotografien der über 60 Teller in diesem äußerst großformatigen Buch angefertigt hat.
Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass die am Anfang erwähnten Geschichten und Erzählungen im guten wie im schlechten Sinne, welche Ben Shewry dem Leser zu den dazugehörigen Gängen offenbart, sich sehr kurzweilig lesen und des Öfteren zum Staunen anregen.
Es ist schon beachtlich, welchen Wandel das Kochbuch die letzten Jahre genommen hat. Viele werden bei diesem Band sich nicht trauen ihn mit in die Küche zu nehmen, ist er doch wieder mal bemerkenswert „anders“ eingeschlagen. Diese äußere Haptik mittels teilweisen Stoffumschlag signalisiert dem Käufer von vornherein ein gewisse Robustheit, vielleicht auch Naturverbundenheit. In dieser Momentaufnahme wird wieder auf unterschiedliche Papiersorten zurückgegriffen, was diesem Buch nicht unbedingt zu mehr Inhalt verhilft aber sehr gut den gestalterischen Anspruch unterstreicht.
Die Rezepturen sind gekachelt und gut übersichtlich aufgebaut. Sie lesen sich allesamt schlüssig und sind für mich auf den ersten Blick sehr gut nachvollziehbar. Stellt man die Frage nach der Umsetzung am Herd, ist sie im professionellen Sinne mit Sicherheit gegeben, vorausgesetzt man hat den kulinarischen Intellekt all die „exotischen“ Zutaten, welche hierzulande nicht verfügbar sind, mit regionalen Erzeugnissen zu ersetzen. Für die heimisch kochende Fraktion bleibt wieder mal nur das Vertrösten auf die vielen Inspirationsquellen im Buch, da nicht wenige Rezepte entweder einen Sousvide- Garer, Pacojet, Dörrautomat, Rotor, Schockfroster oder gar Vakuumierer voraussetzen. Einige der Geräte lassen natürlich eine alternative Improvisation zu, aber letztendlich ist das Ergebnis auch oft ein Kompromiss.
Dennoch behaupte ich, dass dieses Werk wiedermal ein Ansporn an die nationalen Küchenchefs sein muss. Zu wenig tut sich da für mich in letzter Zeit. Es will natürlich solch ein Werk erst einmal finanziert sein, aber vom Konzept und der Gestaltung ist hier wieder einem internationalen Koch ein Meilenstein gelungen, den der Matthaes Verlag wieder sehr gekonnt von der Originalfassung ins Deutsche transportiert hat. Ich wünsche mir mal wieder ein großartiges Buch aus den nationalen Gefilden, die Mut zu alternativem Design und vor allen Dingen einzigartiges Konzept en haben.
Quellenangabe
Auszug aus Wikipedia
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