Am meisten beeindrucken mich bei gastronomischen Konzepten die Einrichtungen, welche für Tradition und gleichzeitig auch für Entwicklung stehen. Unternehmen, welche sich niemals auf deren Lorbeeren ausruhen und stets für eine Neuorientierung offen sind. Solch eine Gastronomie lebt oft auch von der Vielfalt und dem ständigen Hinterfragen bewährter Methoden.
Ich denke bei Anne- Sophie Pic kann man zweifelsohne von solch einer Arbeitsweise sprechen. Sie verkörpert ihr Familienunternehmen, was nun bereits seit 1891 besteht, in der dritten Generation. In Zeiten der Globalisierung steht sie aber vor ganz anderen Herausforderungen, vor die sich ihr Großvater einst wohl nicht konfrontiert sah. Auch ihr Vater wird sich wohl nicht an eine Vermarktung über soziale Medien wie zum Beispiel Twitter Gedanken gemacht haben.
Doch mit Sicherheit wird man früher auch über das Verlegen eines Kochbuches nachgedacht haben. Ein Projekt, welches Pic bereits vor einigen Jahren einmal in die Tat umgesetzt hat und nun mit ihrem zweiten Buch in den Startlöchern steht. Eine englische und natürlich französische Version gibt es bereits. Seit einigen Tagen ist nun auch die deutsche Ausgabe auf dem Markt, welche hierzulande schon von vielen Foodbloggern frohlockend erwartet wird, das kann ich sagen.
“Le Livre Blanc”
Anne- Sophie Pic
Fotografie: Thomas Nagabbo
Matthaes Verlag GmbH, Stuttgart, 2014
228 S., gebunden, 59,90 EUR
ISBN: 978-387515-0-889
Viele englische Werke wurden bereits vom Matthaes Verlag erfolgreich ins Deutsche adaptiert. Darunter zählen Kochbücher wie zum Beispiel zuletzt der Bestseller von Daniel Humm „I love NY“ oder auch das Meisterwerk von Peter Gilmore namens „QUAY“. Sie sind vom Original kaum zu unterscheiden und ähneln sehr in der Haptik und Qualität der Inhalte. Wie ist das bei dem Buch von Anne- Sophie Pic, welches mir auch auf Englisch vorliegt. Ich konnte es einfach die Übersetzung nicht abwarten.
Sie ist ihnen wieder sehr gelungen. Alle optischen Raffinessen konnten überzeugend übernommen werden und wirken keinesfalls schlecht nachgemacht. Gerade der wunderbar gestanzte Schuber, in dem das Buch geschützt aufbewahrt wird, ist eine Klasse für sich. Das Hardcover ist zudem auch geprägt und mit einer veredelnden Lackierung aufgehübscht worden. Sowas nennt sich in der Fachsprache eine partielle UV- Lackierung. Für das Sahnetüpfchen sorgt auch noch ein silbriger Farbschnitt am Seitenrand, der dem Ganzen einen sehr hochwertigen Rahmen gibt und einfach Lust auf das Innere des Buchs macht.
Was nun kommt ist eigentlich nur auf ein einziges Wort zu reduzieren: Perfektion.
Die oben beschriebene Kraft der Erneuerung, welche stets und ständig alles neu überprüfen lässt, war auch teilweise ein Hindernis. Bei der Veröffentlichung ihres ersten Buches konnte man nicht an dem geplanten Termin festhalten, da unmittelbar nach den Aufnahmen zu dem Buch, Anne- Sophie mit weiteren neueren Rezepten aufwartete, welche zugleich die angefertigten in Frage stellten. Mit der Zeit entstand bei ihr ein präziserer und stark verfeinerter Stil, der immer wieder diesen Rhythmus der Runderneuerung aufgreift. Am Anfang eines jeden Entstehungsprozesses steht bei ihr das im Buchtitel schon beschriebene „Weiß“. Diese Farbe steht bei ihr für Reinheit und Leichtigkeit.
»Weiß ist makellos wie eine unbefleckte Kochjacke, aber diese Farbe verkörpert auch den Anspruch des leeren Blattes, auf dem jeden Tag eine neue Geschichte geschrieben werden will, eine ewige Hymne der Kreativität.« Anne- Sophie Pic
Entgegen des heutigen Trends Materialschlachten auf dem Teller stattfinden zu lassen, hält sie ihren Kochstil sehr reduziert. Sie spielt ganz wie in diesem Buch mit den Weißflächen und platziert auf ihren Tellern selten mehr als 4 Produkte, diese aber stets in höchster Vollendung. Bevorzugte Erzeugnisse dafür sind oft Fisch und Meeresfrüchte, welche schon den einen oder anderen „Signature Dish“ generiert haben. Sorgsam werden diese dafür mittels schonender Garprozesse vorbereitet und so kreiert sie Gänge wie „Petersfisch von der Küste“, welcher im sanften Dampf von Pfefferminze gegart wird, mit schwarzem Trüffel und kurz gegartem Spargel aus Mallemort.
Es ist keine einfache Art von Küche. Viele Handgriffe sind von Nöten, um dieses Niveau an Vollkommenheit zu erlangen. Die klassische französische Art der Speisenbereitung zeichnet sich durch diese Art der Inszenierung aus, immer wieder noch eine Schippe drauf zu setzen. Das spiegelt sich oft auch in der Auswahl der Produkte wieder, die hier auch nur auf die auserlesenen ihrer Klasse zielt. Angefangen vom Steinbutt, Seeigel, Bretonischen Hummer, Gillardeau Auster bis zu Foie gras, Kaviar, Kalbsbries, Flusskrebsen und Taschenkrebs. Hier finden nur die besten Güter zusammen. Dafür gehört auch die höchste Sorgfalt und der Respekt gegenüber diesen Luxusgütern gewahrt.
»Dieses Rezept, ein typisches Beispiel für „traditionelle Exzentrik“, zeigt eine Kühnheit, die immer durch geschmackliche Erwägung gelenkt wird. „Der Hummer wird sanft in Krustentierbutter gegart, diese Butter passt sowohl zur Süße als auch zum Jodgeschmack“, erklärt die Chefin.«
Dabei hat sie ihre ersten Schritte in der familiären Küche erst sehr spät gemacht. Sie konnte zwar beobachten, wir ihr Vater, Jacques Pic, diverse Köstlichkeiten an den heimischen Kochtöpfen verwirklichte, doch galt es für sie in erster Linie nur zuzusehen. Zu rigide waren doch die militärisch anmutenden Anweisungen in der männerdominierten Küchenwelt. So kam es, dass sie zuerst ein Studium in Betriebswirtschaft aufnahm und in New York ein Diplom ablegte. Doch der Drang nach der künstlerischen Selbstverwirklichung forderte seinen Tribut, und sie wagte die Rückkehr ins elterliche Restaurant, ganz zur Erleichterung ihres Vaters. Sie hat dort als Auszubildende alle Posten erlernen können.
Viele Rückschläge und Prüfungen musste sie seitdem bei der Führung des Familienbetriebes zusammen mit ihrem Bruder hinnehmen. So galt es den frühen Tod ihres Vaters zu überwinden und das Hotel grundlegend zu modernisieren, da es dieses in den bisherigen Strukturen wahrscheinlich nicht mehr lange gegeben hätte. Ihr Bruder zog sich nach dem Verlust des 3. Sterns zurück, so dass letztendlich sie vor der Herausforderung stand, die Leitung der Küche zu übernehmen.
Was danach alles geschah, kann man in diesem Buch nachlesen und es ist unheimlich spannend, ihr dabei zu folgen. Die aktuelle Momentaufnahme ist das Resultat dieses Werdegangs. Die einzige Köchin, die 3 Sterne in Frankreich, welche sie 2007 wieder bekam, aufweisen kann und zudem dabei ist, international sich als Marke zu etablieren. Das geht über dieses Rezeptbuch bis hin zu Gewürzmischungen, welche von ihr zu kaufen sind.
Auch dieses Bild des Kochs oder Köchin hat sich bei den ganz großen ihrer Zunft geändert.
Betrachtet man nun nach dieser Einleitung ihre Gerichte, sieht man diese in mehrere Kapitel aufgebaut. Das erste handelt von den Fischen und ist in ein 8- Gang Menü untergliedert. Dessen Rezepte sind zwar in diesem Buch enthalten, befinden sich diese aber ungewohnter Weise am Ende des Werks, welche alle Zubereitungsanleitungen gebündelt zugänglich macht. Auch sind diese Rezepturen statt auf Hochglanzpapier auf matten Seiten dargestellt. Die gesamte Aufmerksamkeit wird nun in diesen sechs Kapiteln den Gerichten und ihren Zutaten zuteil, da kein Text von den Abbildungen ablenkt und man die Menüreihenfolge auf sich wirken lassen kann. Auch ein schöner Ansatz, wie ich finde.
Bei der Bildsprache spiegelt ganz klar der Titel des Buches das Konzept wieder. Es gibt viele weiße Flächen zu sehen und man spielt auch ganz bewusst mit diesem Effekt. Gerade die farbenfrohen Gerichte einer Anne- Sophie Pic kommen hier umso mehr zur Geltung und rahmen diese tollen Gänge schlicht und edel ein. Die Fotografie kommt dabei ohne effekthaschende Schattenspielereien aus und lenkt so nicht ungewollt vom Hauptdarsteller ab. Eines meiner Lieblingskapitel ist jenes, welches von „Erinnerungen & Gegenwart“ handelt. Gibt es doch die tägliche Zerreißprobe 1:1 wieder, die es zu meistern gilt, nennt man denn so ein traditionsreiches und -bewusstes Haus als sein eigen. Die Verantwortung, welche da generationsübergreifend ohne Unterlass mitschwingt muss erdrückend sein. Aber ihre dort gezeigten Gerichte sind so fantasievoll und elegant, dass ich als bald als möglich einen dieser Gänge selbst nachkochen möchte.
Deswegen steht am Ende bei mir nur ein einzig denkbares Fazit: Wer eines der für meine Begriffe besten Bücher der vergangenen Jahre in seinen Händen halten möchte, kommt nicht am „Le Livre Blanc“ vorbei. Es ist schnörkellos, präzise und scheinbar gänzlich fehlerlos. Einfach perfekt, wie es ein reines „Weiß“ nur sein kann.
Quellenangaben: Copyright der Bilder Thomas NagabboHinweis der Redaktion
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