Zumeist gibt es die Art von Kochbüchern, die bieten genau das, was man von ihnen erwartet. Sauber abgelichtete Gerichte, welche gepaart mit den funktionierenden Rezepten dem Leser eine solide Grundlage bilden und möglichst nachvollziehbar vermitteln, wie das Handwerk zu bewältigen sei, möchte man diese oder jene Gänge einmal selbst zubereiten. Diese Art von Büchern deckt meiner Meinung nach den größten Teil des Kochbuchmarktes ab. Sie sind nicht selten austauschbar und sie verschwinden nach dem Probieren des einen oder anderen Rezeptes gerne wieder im hinteren Regal. Sie bieten dem Leser mit Sicherheit aber eine Basis, sind sie doch für den heimischen Herdkünstler spielend leicht nachkochbar.
“Le Livre Blanc″
Anne- Sophie Pic
Fotografie: Thomas Nagabbo
Jacqui Small
UK- Import, 2013
240 S., gebunden, 48,45 EUR
ISBN: 9-78190-9342-118
Eine Option, die von den Schaffern der Kochbücher von Eliteköchen, und in diesem Fall sogar eine Sterneköchin, nicht immer geboten werden kann. In nicht wenigen Fällen ist es sogar selbst für viele Profis eine Herausforderung, die Umsetzung der gezeigten Speisen auch nur ansatzweise zu bewerkstelligen.
„Cooking for the ones we love is the greatest proof of love.“ -A- Sophie Pic
Anne- Sophie Pic ist eine Meisterin ihres Fachs. In der dritten Generation einer großen Kochfamilie holte sie mit nur 37 Jahren den 3. Stern zurück, welcher ebenso von ihrem Großvater als auch Vater erkocht worden ist. Mit dieser Auszeichnung ist sie die erst vierte Französin, welche eine solch hohe Bewertung von den Testern des Guide Michelin erhalten hat. Sie wurde im gleichen Jahr auch zur Küchenchefin des Jahres ernannt, in dieser Kategorie ist sie sogar die Erste, welche diese Ehrung entgegen nehmen durfte. Sie schuf nun eine kulinarische Momentaufnahme, die sich sofort von der Masse abhebt. Eine Sammlung von Rezepten, die in ihrer Darbietung für die meisten wohl unerreicht bleiben wird.
„LE LIVRE BLANC“.
„Das weiße Buch“ ist ein in sich stimmiges Werk: puristisch, elegant, grazil, perfekt. Reduziert auf das Nötigste ohne Effekthascherei. Pic stellt auf ihren Tellern eine unnahbare Natürlichkeit dar, die absolut genau präsentiert wird und so auf ihre Art die Produkte auf einen ganz eigenen Sockel hebt. Sie schafft damit ein Alleinstellungsmerkmal und verzichtet bei den Lebensmitteln auf nichts. Regionalität und die Auseinandersetzung mit den Produkten in ihrer Umgebung sind nicht der kulinarische Schwerpunkt, einzig und allein der pure Genuss und die damit verbundene Leidenschaft ist ihr Auftrag.
Der ständige Drang den eigenen kreativen Impulsen nachzugeben ist auf der einen Seite ihre Antriebsfeder, kann aber auch hin und wieder ein Hindernis darstellen. Wenn zum Beispiel, wie bei ihrem ersten Buch geschehen, die gesammelten Rezepte noch kein befriedigendes Ergebnis erbracht haben und sie sich somit ständig gezwungen fühlte, diese nachzubessern. Diese Unruhe war letztendlich für den Abbruch der Produktion verantwortlich, da direkt nach dem Belichten der Aufnahmen, dieses Finetuning der Zubereitungen oft alles erheblich veränderte.
In weniger als zehn Jahren später hat sie sich letztendlich gefunden und den eigenen Stil gefestigt. Originelle, klare und außergewöhnliche Schöpfungen, dessen Inspiration sie über das Studium neuer Produkte der jeweilig anbrechenden Saison findet. Dieser Prozess der Speisenentstehung startet bei ihr in aller Regel auf einer weißen Seite Papier. Die Gestaltung basiert vorwiegend über die Kombination von zwei maximal drei Bausteinen, welche so von ihr auf ihre Tauglichkeit hin geprüft und danach zu einem Gericht entwickelt werden: Auster/Lakritze, Rote Bete/Kaffee, Jasmin/Vanille und Menton Zitronen- geräucherte Foie gras, Tonkabohne/St. Pierre oder auch Gurke/Anis.
Dabei hat sie stets den Drang grundsätzlich neu Wege zu gehen. Manchmal realisiert sie, dass sie den Weg, welchen sie genommen hatte, bereits vorher entdeckt worden ist. An diesem Punkt geht sie zurück und zeichnet dabei ihre Schritte nach.
„I hate anything that`s already been done“ -A-Sophie Pic
Sie stellt sich dabei immer demütig hinter ihre Teller und verzichtet auf lautes
PR- technisches Geplänkel. Geradlinig geht sie dabei ihren Weg, welcher so zuerst nicht die klassische Laufbahn einer Köchin sein sollte. All diese prägenden Lebensereignisse sind in den ersten Abschnitten ihres Kochbuches festgehalten und sehr eindrucksvoll wiedergegeben.
Doch wird dem Leser mit Sicherheit nicht ihre Curriculum Vitae nach dem Blättern in diesem Buch in Erinnerung bleiben, sondern die unbeschreiblich schönen Bilder, welche allesamt von Thomas Nagabbo stammen. Die Gerichte sind umhüllt von schlichtem Weiß, dessen Flächen nicht von abgedruckten Rezepten durchgekreuzt werden. Diese befinden sich alle gesammelt hinter den Menüs, die in insgesamt sechs Kapiteln aufgteilt sind. Diese sind wiederum bestimmten Themen, wie „Earth & Sea“, „The lightness of air“ oder auch „The edge of frontiers“ zugeordnet. Die Rezepte werden in metrischen Einheiten angegeben, welche ja ein Vielfaches genauer sind als die sogenannten „Cups“ und Teelöffel aus den Staaten.
Ich stelle fest, der Superlativ ist hier wirklich durchgehend vertreten. Harmonisch fügen sich alle notwendigen Ingredienzien einer gut aufgemachten Rezeptesammlung in das Gesamtbild ein und bilden mit den gebotenen Speisen eine absolute Abgestimmtheit.
Selten fällt es mir so schwer, auch nur ein einziges Gericht besonders hervorzuheben. Sie erscheinen ausnahmslos erhaben.
So stelle ich Euch mit diesem Buch einen sehr hohen Neueinstieg in meine eigens geschaffene Bestenliste, welche ich hier demnächst veröffentlicht wird, vor. Es ist immer leicht, Bewertungsskalen für die Funktionalität eines Kochbuchs mit Hilfe von Sternen oder gar nach dem Schulnotenprinzip zu vergeben. Rein subjektive und emotional sehr variierende Gesamteindrücke sind jedoch auf diese Art schwer nachvollziehbar zu klassifizieren. So habe ich mich entschieden eine Rangliste der bisher hier besprochenen Bücher zu erstellen, welche keineswegs als Abwertung der hier nicht aufgeführten Werke zu verstehen ist. Es ist eine Aufstellung der hier bereits getesteten Bücher, dessen Summe von wichtigen Merkmalen wie Funktionalität, Aufbau, Haptik, Fotografie, Design und der subjektive Gesamteindruck meinerseits einen Überblick geben soll, welche Bücher auf keinen Fall fehlen dürfen.
Dieses Werk von Anne- Sophie Pic zählt dieses Jahr mit Sicherheit zu den wenigen Pflichtkäufen.
Danke für’s aufmerksam machen auf dieses Buch!
Ich bin ein großer Fan von Anne-Sophie Pic, wobei mich vor allem ihr Werdegang interessiert. Aber die Fotografie macht es letztlich für mich zu einem ganz dringenden Must-have, auf das ich mich freue.