Fast jedes europäische Land hat gastronomisch gesehen seine eigenen Vertreter der wohl am populärsten von René Redzepi vertretenen organischen und sehr regional bezogenen Naturküche. Sie zeichnet sich im ursprünglichen durch den absoluten Verzicht von importierter Ware aus fernen Ländern aus. Insofern zwingt sie den sich darauf berufenden Koch sein unmittelbares Umfeld zu erkennen und es notfalls neu kennen zu lernen. Es dürfte noch nicht viele Ausbildungsstätten geben, die nach diesem Credo gelehrt haben.
Hierzulande ist für meine Begriffe Matthias Schmidt einer der erfolgreichsten Vertreter dieser Zunft oder für die Schweden dürfte das Magnus Nilsson vom Fäviken sein.
“Avantgardistische Naturküche″
Stefan Wiesner
Fotografie: Michael Wissing
AT Verlag
Aarau, 2011
272S., gebunden, 69,90 EUR
ISBN: 3-03800-532-0
So hat nun auch die Schweiz einen Repräsentant, welcher sich zudem noch der avantgardistischen Küche verschrieben hat. Stefan Wiesner, seines Zeichens ein Koch dessen Anfänge unter anderem ganz im Sinne der Novelle Cuisine geprägt wurden, beruft sich auf den selbst lang gehegten Wunsch, ein Restaurant zu betreiben, aus dem alles aus eigener Hand hergestellt worden ist. Er startet diese Entwicklung zu einer Zeit, da hatte das Noma längst noch kein internationales Standing. In seinem erschienenen Kochbuch wird beschrieben, dass er durch Zufall z.B. zum Experimentieren mit Holz und Heu gekommen ist. Die ersten Versuche waren nicht immer erfolgreich doch nach und nach entwickelte er wohl ein Händchen für den richtigen Umgang und bekam obendrauf noch wichtige Hinweise des Dorfschreiners.
Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt natürlich der Gast im Restaurant und den galt es für diese neuen aber doch sehr ursprünglichen Methoden zu begeistern. Die anfänglich gemachten Kompromisse musste aber auch er eingehen, trotzdem entwickelte er diese Küche weiter zu dem, was sie heute ist. Heute ist er mit 1 Stern im Guide Michelin und 17 Punkten im „Gault & Millau“ ausgezeichnet.
Es wird direkt in der Einleitung auch noch der entscheidende Hinweis gegeben, dass dieses Buch in erster Linie ein Buch von Profis für Profis sowie ambitionierte Hobbyköche- und -köchinnen ist. Als Grund hierfür wird auf die speziellen Techniken, Hilfsmittel und Verfahren hingewiesen, dessen Zugang und Einsatz vorwiegend in Profiküchen vorherrscht. Auch über den Verzehr und dem damit verbunden Spiel zwischen Texturen und Aromen wird eine wichtige Regel vorausgesetzt. Es wird dringend empfohlen die verschiedenen Bestandteile auf dem Teller abzuwechseln.
„Die Gäste sollten sich selbst wie Musiker fühlen und die Akkorde im Mund erklingen lassen.“
Stefan Wiesner
Ein Kochbuch mit Anleitung zum anschließenden Verzehr hat man auch nicht alle Tage.
Das Buch baut sich nach dem Schema der Jahreszeiten auf, welche allesamt ein Menü mit jeweils sechs Gängen in sich tragen. 2 ganze Jahre werden so dem Leser präsentiert, rechnet man alles zusammen, kommt man also auf die stattliche Anzahl von 48 Gerichten.
Bewertet man seine Teller rein optisch, ist ein gewisser Purismus in der Darbietung seiner Erzeugnisse zu erkennen. Schlichte Eleganz breitet sich auf den meisten Tellern aus, ohne Effekthascherei und Schi Schi. Er verfolgt dabei das Konzept des Foodpairings, und geht bei der Zusammenstellung der Aromen sehr unkonventionelle Wege.
So kreuzt er im ersten Gang seines Menus „Catwalk“ Tomatenessenz mit Buttereis aus Schwarzen Johannisbeeren und Johannisbeerknospen und Zellen von Grapefruit. Oder sein mit Buchholz parfümiertes Eigelb, Kartoffel- Buchenblätter- Püree mit frittierter Frauenminze und Rahmsauce aus Buchenholzkohlen- Destillat. Die Gerichte werden einführend mit all ihren zusammengesuchten Zutaten im rohen Zustand und in der finalen Ansicht angerichtet auf einem Teller präsentiert. Eine schöne Art der Aufführung gerade auch in Bezug darauf, dass viele der hier genannten Produkte dem einen oder anderen unbekannt sein dürften, und da mutet doch der Anblick im unverarbeiteten Zustand viel nützlicher an.
Die Ingredienzien einzelner Kunstwerke sind alle sehr genau aufgelistet und immer für 4 Personen gedacht. Die Texte der Zubereitungen erwiesen sich für meine Begriffe als gut verständlich und schildern die Abläufe kurz und knapp.
Die Fotografie und Haptik des Buches passt absolut zum Thema, man trifft hier nicht auf Hochglanzbilder sondern hat ein etwas griffigeres und robustes Werk in der Hand. Auch wird gerade bei den fertig angerichteten Speisen mit einer ungewöhnlich kleinen Schärfentiefe gearbeitet.
Den Rezepten angefügt ist noch ein verhältnismäßig großes Lexikon der Geschmackskombinationen und der sogenannten Modifikateure. Dort erfährt man, welche Geschmacksnoten zu welchen Produkten passen oder welche Modifikateure einen bestimmten Geschmack verstärken oder ergänzen können. Ein Wissensschatz, der viel Erfahrung braucht, um derart aufgebaut zu werden.
So hat nun auch die Schweiz einen auf die Natur bedachten Spitzenkoch, der sich mit seiner kulinarischen Eingebung nicht vom Weg abdrängen lässt, um seinen eigenen Stil weiter voran zu treiben. Das Buch, das in zweijähriger Arbeit fertig gestellt worden ist, zeigt das auf eine sehr schöne, demütige Art und Weise.
Quellenangaben:
Copyright der Bilder © 2013 Michael Wissing, AT Verlag Aarau & München Hinweis der Redaktion
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