Es mag so um die Jahrtausendwende gewesen sein, da gab es in Deutschland sowas wie einen Moment des kulinarischen Stillstands. Der war so gravierend, dass es hier und da zuweilen hieß, der Stand der Sterneköche ruhe sich auf seinen Lorbeeren aus. Eine Antriebslosigkeit und mangelnde Kreativität wurden schnell überall diagnostiziert. Die Zunft der erfahrenen Küchenmeister war in einer Sackgasse, es gab das Problem, die eigene Identität zu finden. Zu groß waren die Schatten der französischen Großmeister mit ihrer Novelle Cuisine. Die heranwachsende Führungsriege scharrte schon mit den Hufen in Reihe zwei und wartete nur auf den Moment, der Ihnen dazu verhalf das Steuer in die Hand zu nehmen.
“Junge Wilde″
Edition Rolling Pin
Fotografie: Werner Krug
Wolfgang Hummer
Christin Bacher
Graz, 2013
223 S., gebunden, 29,90 EUR
ISBN: 3-95030-652-8
Zu dieser Zeit entwickelte sich eine selbsternannte Gruppe namens „Junge Wilde“, welche von Otto Koch gegründet worden ist. Das Ganze fand vor 14 Jahren statt, und seither hat sich viel getan. Längst ist die deutsche Küche hierzulande stets weiterentwickelt worden und hat zudem ein ganz anderes internationales Standing, sie konnte sich zumindest endlich freischwimmen. Das konnte man zuletzt sehr gut im internationalen Vergleich bei der Vorstellung der 50 besten Restaurants weltweit sehen. Dieser ist zwar höchst umstrittenen, beherbergt aber nun einen deutschen Sternekoch in den Top 10. Joachim Wissler schaffte es mit seiner Küche des Restaurants „Vêndome“.
Das Verständnis guter Küche hat sich letztlich mehr und mehr über das technische und auch optische „In- Szene- Setzen“ definiert. Der Teller ist ein Produkt von unzähligen Handgriffen geworden, die neue und bis vor einigen Jahren noch unbekannte Zubereitungsprozesse voraussetzten. Doch gerade auch auf geschmacklicher Ebene wird stark aufgeholt. Das Ziel ist es, durch die verschiedensten Deklinationen diverser Komponenten eine neue selbstbestimmende Art des Geschmackserlebnisses zu schaffen. Die dadurch gewonne Komplexität ist ein wesentlicher Baustein um den Spannungsbogen des Gerichts aufzubauen. Sehr gut kann man das auch bei dem Bericht zum
SweetTank No. 2 nachlesen.
Viele nutzen die teilweise sehr zeitintensive Sous- Vide Technik, andere machen sich die verschiedensten Texturerzeugnisse der molekularen Küche zu eigen, wobei heute der Trend dazu hingeht, den Einsatz dieser Hilfsmittel der oft verschrienen Epoche zu verbergen. Es wird nun auf nächster Ebene auf fernöstliche Verfahren des „Cold Brewings“ zurückgegriffen, während andere sich mit Rotationsverdämpfern beschäftigen.
Ein Spiegel dessen, mit welchen Mitteln und Elementen der modernen Küche sich der heutige „Junge Wilde“ beschäftigt, wird uns mit dem kürzlich veröffentlichten Buch mit gleichem Namen vorgehalten. Er verbindet die alte Generation dieser Clique mit der heutigen Gemeinschaft.
Aus der Vereinigung hat sich neben dem eigentlichen Zusammenschluss engagierter und hochklassiker Köche, welche die Welt mit einer alternativen Ansicht zu kochen nachhaltig wiederbeleben wollten, ein Wettbewerb unter gleichgesinnten Youngsters geformt, der peu a peu für neuen Nachschub sorgen soll.
Zusammen mit den vergangenen Siegern dieses Wettbewerbes haben sich Größen und Mitglieder dieser Vereinigung wie Stefan Marquard, Kolja Kleeberg und Juan Amador die Ehre gegeben, in diesem Buch den Geist weiterleben zu lassen.
Viele erstklassige aber auch bekannte Teller vereinen sich in diesem Buch. Der „Laubfrosch“ von Juan Amador oder sein „Brick on the Wall“ leiten zugleich auf sehr hohem Niveau die Runde ein.
Das Food- Magazin „Rolling Pin“, dessen Chefredakteurin Katharina Wolschner sich auch für dieses Buch verantwortlich zeigt, gibt sich gerne polarisierend. Umso verständlicher, dass auch hier die Aufmachung und das Vokabular sehr der monatlich erscheinenden Lektüre ähneln. Da wird mit egogeboosteten Zitaten nicht gegeizt, denn der Leser braucht ja, wie es nicht zuletzt auch in der Einleitung erwähnt wird, Eier für dieses Druckerzeugnis. Man stelle sich also auf die eine oder andere Lebensweisheit ein.
Blendet man das aus, wird man aber mit vielen guten Gerichten der seit 2007 gekürten Gewinner belohnt. Gerald Angelmahr zeigt mit seinen drei Gerichten eine Version von „Bretonischer Sardine“, „Knuspriger Hummer – Geschmorter Ochsenschwanz“ und ein „Weißes Ivoire Schokoladentörtchen“.
Der sogenannte „Junge Wilde Godfather“ präsentiert eine „Lasagne vom Bison“, „Gepiercter Kokos- Butterlachs“ und „Brikett vom sauren Seeteufel“. Ca. 4 bis 5 Komponenten werden jeweils rezeptiert. Das geschieht in einer Zutatenliste, einer Zubereitungsanleitung mit zusätzlichen Angaben zu der totalen Zubereitungszeit und dem Schwierigkeitsgrad. Bleibt mir an dieser Stelle anzumerken, dass alles übersichtlich und leicht zu verstehen ist, ich mir doch wirklich immer öfter wünsche, die Rezepte würden allesamt, gerade auch bei den flüssigen Zutaten in Gramm angegeben sein. Gerade der Umgang mit den Texturas wie Agar Agar und Xanthan verlangen solch ein genaues Arbeiten ab und Messmethoden wie Teelöffel und Esslöffel sind für meine Begriffe überholt.
Was das Magazin auszeichnet, wird hier konsequenter Weise fortgesetzt. In der „F&B“- Abteilung wird man über so mancherlei Theorie, die ja unsäglich wichtig für die Praxis ist, unterrichtet. Sämtliche Teile vielerlei Getier werden da erläutert und sehr schön illustriert. Nur zu gerne hätte ich hier ein wenig mehr über Kochtechniken und Garverfahren gesehen. In der für normale Köche schon kaum mehr fassbaren Kochwelt mit neuen Maschinen und Gerätschaften ist dieser Teil hier leider komplett vernachlässigt worden.
Umso mehr besinnt sich dieses Buch dann aber wieder auf die Charaktere und deren offensichtlicher Spaß bei der Schaffung dieser Momentaufnahme. Für 24 h wurden die Protagonisten mit ihren Lebensmitteln und einigen Kameras eingesperrt, herausgekommen ist eine riesige und im Buch dokumentierte Kitchenparty.
14 Köche zeigen somit auf den 224 Seiten Ihre ganz eigenen 3- Gänge Menus, die mit den Fotografien von Werner Krug und Wolfgang Hummer in Szene gesetzt worden sind. Wirklich attraktiv ist hier meiner Meinung nach der Preis, der auf keinen Fall zu hoch angesetzt ist. Ein Werk mit vielen interessanten und inspirierenden Ideen.
Quellenangaben:
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Meine Tochter ist total begeistert von dem Buch und hat es verschlungen.Auch ich habe schon ein paar Seite gelesen und finde es sehr spannend.Kann ich nur empfehlen.