Man muss schon sehr genau auf der Landkarte suchen, um das „Fäviken Magasinet“ zu finden. Es ist ein Flecken unberührte Natur mit einer ungeheuer niedrigen Dichte an Einwohnern. Dort kocht und zelebriert ein nicht ganz 30- jähriger Küchenchef namens Magnus Nilsson, das schwedische Pendant zu René Redzepi.
“Fäviken″
Magnus Nilsson
Fotografie: Erik Olsson
Gestaltung: Yokoland
EDEL Germany GmbH | www.edel.com
Hamburg 2012
272 S., gebunden, 49,50 EUR
ISBN: 978-38419-0183-5
In dieser Idylle bekommt doch die Aussage des Guide Michelins, welcher selbst meint, 3 Sterne seien eine Reise wert, eine ganz neue Dimension. Die Entfernung von Trondheim zum riesigen Anwesen beträgt mehr als 3 Stunden und das im Auto. Man muss es also wollen.
Dort angekommen stößt man auf ein fast unabhängiges Ökosystem, welches den eigenen Obst- und Gemüseanbau praktiziert. Knapp 3/4 der Ware stammt vom eigenen Grund.
Hier wird auch auf internationale Importe weites gehend verzichtet.
Dies erfordert ein enormes Wissen im Umgang mit Naturalien, welche Magnus Nilsson in seinen örtlichen Gegebenheiten zur Verfügung stehen.
Da trifft es sich gut, dass in ihm sowieso ein großer Forscherdrang, der viele Techniken zur Haltbarmachung erst ermöglicht hat, schlummert. Dabei wendet er ziemlich oft die „Trail & Error- Methode“ an, bei der er nicht zuletzt auch dann und wann einmal scheitert.
Doch nur beim Gemüseeinmachen ist es nicht geblieben, er legt sogar bei der Jagd & Fischerei mit Hand an.
In den heutigen Küchen dieser Welt wird mit Gerätschaften wie dem Induktionsherd, dem Konvektomaten, dem Rotationsverdämpfer, dem Thermomix oder dem Sous- Vide- Becken gearbeitet. Hier trifft man dagegen z. B. auf offene bzw. direkte Hitze, dem Feuer, ganz ohne das Ablesen der Temperatur.
Er folgt bei allem was er umsetzt keinen Trends oder neuen Methoden der Garung. Es geht ihm um das Produkt, welches prinzipiell nur nach Verfügbarkeit angeboten wird. Missglückte Gänge beim Zubereiten der Menüreihenfolgen werden dann auch gerne mal komplett ausgelassen.
Er zelebriert eine gänzlich ungezwungene aber ebenso radikale Küche, welche einzig und alleine der sich direkt umgebenden Natur unterwift. Er lässt sich von nichts anderem zwingen.
Das Buch zu dieser Küchenphilosophie kann deswegen auch nicht die übliche Optik und Haptik haben. Hier würden keine Hochglanzbilder mit einem stark ausgereizten Design funktionieren.
Es präsentiert sich rein äußerlich so, wie die ganze Szenerie auch wirkt, …wie von früher.
Es schaut von außen fast gar nicht wie ein Koch- sonder eher wie ein Fabel- oder gar Märchenbuch aus. Öffnet man es dann, fallen einem direkt die rauen Seiten auf, nichts da mit grazilen Formen und effektvollen Haschereien. Der Text wirkt fast so als hätte man ihn nicht gesetzt, der Fokus liegt auf dem Inhalt. Eine stimmungsvolle Photographie zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch. Man taucht ein in eine andere entschleunigte und deswegen umso unbekanntere Welt.
Magnus Nilsson hat in dieser Momentaufnahme viel zu erzählen.
Zu Anfang schildert Bill Buford, ehemaliger Verleger und Literaturredakteur der Zeitschrift New Yorker, ausführlich in einer Einleitung der besonderen Art den Werdegang von diesem Ausnahmetalent und seinen Umgang mit der Natur.
Die darauffolgende Erklärung zum besseren Rezeptverständnis nutzt er auch gleich um seine Grundgedanken der von ihm gelebten Küche festzuhalten. In diesem geht es um nichts weniger als darum, seinen Gästen eine Neuentdeckung ihrer Beziehung zur Natur zu ermöglichen und zum so ihren Platz in der Welt neu zu entdecken. Dies` hält er für essentiell um ein Mindestmaß an Glück zu finden.
„Wir kochen einfach echtes Essen!“ – Respekt, Kontrolle, Auswahl, Konzentration, Präsentation
Konfrontiert man sich mit dem Text zum Kapitel „Fleisch in Fäviken“, erfährt man in der gedruckten Schilderung schonungslos über seine Erfahrungen und den respektvollen Umgang mit den eigens gezüchteten Lämmern beim Schlachten und das daraus resultierende Unverständnis und sogar seinen ernst gemeinten Wunsch nach einem Führerschein für den Fleischverzehr, wenn er gedankenlosen Verzehr von Fleisch oder gar achtloses Ablehnen von bestimmten ungeliebten Stücken beobachtet. Solch ein Inhaber müsste ein Tier aufziehen, es zu schätzen lernen und es dann selbst schlachten, um es zu essen.
Es folgen detaillierte Beschreibungen über den Umgang, Lagerung, Eigenschaften und auch Ansichten über die verschiedenen Tiere und Fleischteile. Man merkt an dieser Ausführlichkeit den Stellenwert bei M. Nilsson an. Das erste wirkliche Rezept findet sich so zunächst auf der 76. Seite. Ein „20 Wochen trocken gereiftes Stück Rib- Eye- Steak mit saurer Zwiebel, Rübenspäne und grünem Saft“.
Die Naturverbundenheit muss, sieht man die Bilder der Gerichte, nicht erst erklärt werden. Sie springt einem förmlich entgegen.
Sowie beim „Auerhahn im Nadelwald“ oder der „Drossel mit trocknenden Pilzen, frischer Gurke, fermentiertem Fenchel und Hüttenkäse“.
Der Umgang mit Fisch wird nicht weniger ausführlich beschrieben, die Philosophie dahinter will unbedingt vermittelt werden. Da wird die Jakobsmuschel auf einem Bett aus glühendem Wacholder gegart.
So wird in diesem Werk wird dem Leser nicht nur eine hiesige Sammlung an Rezepten zur Verfügung gestellt, es beinhaltet auch eine tiefgehende Sammlung an Kenntnissen sowie die Philosophie im Umgang mit den Produkten wird vermittelt. Insofern tritt es eindeutig heraus aus dem Reigen der „klassischen Kochbücher“, welche kurzfristige Erfolge durch Nachkochen der Rezepte ermöglichen. Hier will die Art & Weise des Kochens vermittelt werden. Es wird mit Sicherheit vielerorts einen festen Platz im Bücherregal bekommen, da dies auch ein besonderes Buchkonzept ist, welches eher seltener Art ist.
Hinweis der Redaktion
Ein Teil der besprochenen Produkte wurden von Unternehmen zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.
Dieses Buch ist ein ganz besonderes Kochbuch – in mehreren Dimensionen!
Es wird keinen Kochtrends beginnen, dazu ist der Ansatz zu extrem, aber es wird viele zum intensiven Denken anregen – sicher mehr als viele ander hochgestylte Edelglanzfolianten.