Dieses Buch ist in allen Belangen überragend. Es hat ein wenig auf sich warten lassen, jedoch wird man dafür immens belohnt. Der gebürtige Westfale, kocht seit 2008 in Rottach- Egern im Seehotel Überfahrt (2 Sterne Guide Michelin,
19 Pkt. Gault Millau) und seinem gleichnamigen Restaurant und scheint für alle normalen Otto- Normalverbraucher kein allzu bekannter Koch wie z.B. Alfons Schuhbeck oder Johann Lafer zu sein. Das hat auch seine Ursache.
„Christian Jürgens – Das Kochbuch“
Christian Jürgens
Gestaltung: Wolfgang Seidl, Stuttgart
Fotografie: Luzia Ellert & Christa Engstler
Collection Rolf Heyne, München 2012
400 Seiten, gebunden, 75 EUR
ISBN: 978-3-89910-483-7
Er spielt sich nicht allzu künstlich in den Vordergrund, und lässt dafür lieber seine Arbeit sprechen. Der dritte Stern ist ganz klar anvisiert und so erklärt sich auch die Medienabstinenz, welche im umgekehrten Sinne alles produzieren würde, nur nicht das gleiche Maß an Qualität auf dem dafür geforderten Niveau.
In der Effilee verriet er kürzlich ansatzweise sein Geheimnis dafür.
„…Als Küchenchef ist es meine Aufgabe, die Fähigkeiten meiner Mitarbeiter im Sinne meines Kochstils zu steigern. Man muss sie führen, aber auch tun lassen, sonst entwickelt sich nichts!“ (1)
Es scheint ihm wohl sehr gut zu gelingen, jedenfalls suggerieren die Eindrücke aus dem Buch sehr stark diese Tendenz.
In seinem nun dritten Buch, welches sich aber signifikant von den bisherigen unterscheidet, erzählt er einleitend von den Ansprüchen an sich und sein Umfeld, jenes beim Schaffen neuer Gerichte maßgeblichen Anteil haben und welche Werte ihm hilfreich dabei sind diese umzusetzen: „…Nicht rastlos oder getrieben von der Jagd nach Auszeichnungen, nicht überspannt und verkrampft, sondern konsequent und kompromisslos, aber auch geduldig auf die eigene Leistung und Qualität ausgerichtet, Bewährtem verbunden und neuen Dingen aufgeschlossen, immer mit dem Wissen, das Kochen nie fertig ist.“
So weit so gut. Den Auftakt machen fürs Erste nach dem klassischen Prinzip die Amuse Bouches. Schnell lässt er durchblicken, dass hier nicht nur aus den einfachen Rohstoffen Kulinarik auf höchstem Level betrieben werden will, sondern man sich auf selbstverständliche Art und Weise auch den hochpreisigen Gütern verschrieben hat.
Darum bilden auf höchst kreative Art und Weise Appetitanreger, wie das „Falsche Wachtelei“, verschiedenste „Murmeln“ aus Extrakten von Olive, Koriander oder Paprika und „Edelsnacks“ wie das Gänselebereis im Kaffeekrokant mit Apfel- Sellerieasche ganz simpel als „Zigarre“ deklariert, die Ouvertüre.
Ein Auftakt nach Maß also und ebenso großspurig geht es weiter.
Da wird unter der Bezeichnung „Beef“ ein Teller platziert, welcher akkurat in Form eines Rinderfiletstückes geschichtet ist. Bestehend aus Avocadotartar, Rindertartar, einer wirklich nicht allzu knappen Portion Imperial- Osietra- Kaviar und einer Scheibe Rinderschinken bilden diese Ingredienzien einen optisch schlichten aber finanziell schwergewichtigen Eindruck.
Aber er kann auch mit einfachen Erzeugnissen unvergleichlich umgehen.
Seine „Fischsuppe“ besticht nicht nur durch ihren Geschmack, sondern mitunter auch mittels ihrer ungewöhnlichen und sehr aufwendigen Darbietung. Sie wird dafür nach ihrer Fertigstellung in Halbkugeln gefroren, zwei dieser Hälften zu einer Kugel zusammengesetzt, erneut gefroren und fünf- bis sechsmal durch heißen Tomatengeleefond gezogen, erneut kühl gestellt und dort komplett wieder aufgetaut ehe sie dann als Bestandteil einer kalten Vorspeise angerichtet wird. Die bekannten Beilagen dieses französischen Traditionsmahls sind neben Sauce Rouille, Basilikumöl mit Brotchips noch Schwert- und Bouchotmuscheln sowie Pulpo. So wird aus einer einfachen bürgerlichen Fischsuppe eine neue detailreiche kalte Vorspeise konstruiert.
Seine eigenwillige Interpretation einer „Calzone“, jene sich durch ein fantastisch anmutendes Filet vom St. Pierre samt Tomatenfüllung in Basilikumhülle, die im Ganzen wieder in Spinat und dann noch in den namensgebenden Pizzateig eingeschlagen ist, verkörpert auch bei ihm den Bedarf Bewährtes neu aufzugreifen. Wahnsinn!
Wir sind ja bereits bei den Hauptgängen angekommen. Bei all den bisher genannten Details, versuche ich nicht zu ausufernd zu werden. So belasse ich es bei dem Gang „Hirtenschmaus“ mit der Benennung der einzelnen Bestandteile…
Seinen Inszenierungsdrang die Gerichte dabei zu kleinen Bühnenbildern werden zu lassen, wie etwa beim Thema „Herbstlaub vom Wallberg“, wird man da nur staunend entgegentreten können. Sofort ist man imstande sich bei diesem Anblick die raschelnden Laubblätter und die knackenden Äste beim Durchgehen vorzustellen.
Oder wie es gar zu seinem „Sturm im Kirschgarten“ gekommen ist, mag sich jeder selbst ausmalen, alsbald die Schale mit dem Arrangement von Kataifiteig mit Läuterzucker (Baumkrone), Blätterteig (Kirschbaumwurzel), Süßholzwurzelbaiser, Kirschpapier, Karamellmousse, Pistaziensand und marinierten Herzkirschen erblickt wird.
Dieser instinktive Ideenreichtum mag in diesem Buch gar unerschöpflich sein. Es macht sich zudem bei den meisten Köchen irgendwo immer ein Schwerpunkt bemerkbar, auf dem jeder seine größten Stärken ausspielt. In diesem Buch der Superlative, die sich über alle Kapitel durchziehen, ist es mir im geringsten nicht möglich, diesen auszumachen.
Schwierig bleibt dabei festzustellen, inwiefern er Trends hinterher geht oder doch selbige entwickelt. National ist ja die regionale Küche dabei der Bio- Kultur den Rang abzulaufen. Da aber hochwertige Bücher eben nicht in ein paar Monaten produziert werden, sondern selten unter einer Schaffenszeit von ein bis zwei Jahren auf den Markt zu bringen sind, ist der Schwerpunkt im Einsatz von Gemüse und Kräutern eher wegweisend zu sehen. Eindeutig ist jedenfalls seine ganz eigene Handschrift, welche sich im schöpferischen Umgang mit den Produkten zeigt. Zudem komplettiert er diese nicht zuletzt unter Hilfenahme überregionaler Einflüsse wie zum Beispiel aus dem italienischen oder gar asiatischen Raume.
Noch rein gar nichts habe ich bisher über die mir immer sehr wichtige Fotografie angemerkt. Wenn ich jetzt schreibe, dass Luzia Ellert beauftragt wurde, könnte dem ein oder anderen regelmäßigen Leser hier ein Licht aufgehen. Die Lichtbilder sind nicht nur allesamt hochprofessionell angefertigt, sondern versetzen einen ähnlich wie die Gerichte von C. Jürgens in eine eigene Stimmung. Beim ersten Blättern ist es mir bei diesem Buch besonders aufgefallen, wie eine bestimmte Wirkung auch auf die Stimmung erzielt werden kann. Bei den begleitenden Aufnahmen zwischen den Gängen benutzt sie vor allen Dingen das Spiel mit der Unschärfe um die Gedanken des Lesers ganz unbewusst schweifen zu lassen. So ebnet sie dem Betrachter ein Gemütszustand, der einen noch mehr versinken lässt. Ich empfehle beim Blättern auf unnötige Nebengeräusche zu verzichten, so kann man auf Seite 296 in Gedanken den Wind zwischen den Blättern hören nachdem man das oben beschriebene Dessert dazu erblickt hat.
Auch erzeugt sie durch den allmählichen Aufbau der Speisen über mehrere Seiten gekonnt Spannung. Das wirkt am Anfang etwas befremdlich, entpuppt sich aber als raffiniertes Konzept.
Eigentlich ist es auch unnötig zu erwähnen, dass sie absolut in der Lage ist, eine Foodkomposition aufzubauen und abzulichten ohne dabei zu sehr vom Hauptakteur, dem Essen abzulenken. Und wenn sie dazu noch zwei Shii Take Pilze abbildet, welche einander eine Steilwand herablassen, oder eine Heerschar von Zigarren um die Ecke stürmen, hat das schon etwas Neckisches und zudem enorm Erfindungsreiches.
Die nunmehr sachliche und faktische Auseinandersetzung mit dem Buchinhalt soll helfen von der überschwänglichen Art der Rezension meinerseits in eine rein objektive Ansicht zu wechseln:
Rezepte mit Bildern zu 10 x Amuse Bouches, 14 x Vorspeisen,
11 x Zwischengängen, 14 x Fisch- Hauptgängen, 9 x Fleisch- Hauptgängen, 2 x Käsegängen, 14 x Desserts und 5 Süßen Abschlussgängen à la Petit Fours sowie 32 weiterführende Basisrezepte
Für mich ist dieses Buch ohne Zweifel eines der Top Erscheinungen des Jahres!
Quellenangaben
(1) Zitat aus dem Effilee Interview der Ausgabe #19 / 2011
Copyright sämtlicher Bilder: Luzia Ellert & Christa Engstler
Hinweis der Redaktion
Ein Teil der besprochenen Produkte wurden von Unternehmen zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.
Vielen Dank für den Hinweis. Für uns ist Christian Jürgens seit einiger Zeit die Top-Liga. Das Buch wird sofort besorgt.
Es wird sich lohnen!
Appreciate the recommendation. Will try it out.