„LAUT!“
Möchte man Peter Maria Schnurrs und sein Werk mit einem Wort treffend erklären, so ist dieses wohl eine der Beschreibungen, die sich beim Sichten des Buches weit nach vorne drängen.
Galt es bei den Machern der zuletzt besprochenen Bücher, mittels der gebotenen Gerichte dem Leser die eigene Philosophie des Kochens zu vermitteln, nutzt P.M.S. das Kochbuch als Podium um viele seiner Anschauungen ans Volk zu bringen.
Mittelpunkt ist aber dennoch seine stark polarisierende Küche in Form avantgardistischer Kompositionen, die zum einen viel Anklang finden dürfte,
auf der anderen Seite aber auch mächtig provozieren werden. Das scheint aber ganz im Sinne des Erfinders zu sein.
„cuisine passion légère“
Peter Maria Schnurr
Gestaltung: Atelier Krohmer
Fotografie: Ralf Müller
Matthaes Verlag GmbH
Stuttgart 2012
647 S., gebunden, 139 EUR
ISBN: 978-3-87515-059-9
„Ich kenne keinen sicheren Weg zum Erfolg, aber einen sicheren Weg zum Misserfolg: es allen Recht machen zu wollen.“ Platon
Ausgezeichnet mit 2 Sternen des Guide Michelin und 17 Punkte im Gault Millau Führer kann er sich natürlich weiterhin Unterstützung sicher sein. Gänzlich konkurrenzlos ist er in Leipzig auch nicht, auf dem Gebiet der modernen fast schon futuristischen Kochkunst, welche immer wieder neue Akzente setzt und es auch schafft treue Nachahmer zu finden, aber schon. Prätentiös und mit viel Tamtam wird hier alles dargeboten. Die Arbeit wird dabei sehr theatralisch mit viel Licht und Schatten in Szene gesetzt. Das passt und soll wohl auch so sein, frei von schlichter Eleganz, hier zählen scharfe Kanten und knallige Farbkontraste.
„Everybodys darling is everybodys Depp!“
Unterschiede schafft er aber nicht nur in der Optik, es soll auch im Gaumen so richtig krachen. Gemeint sind Kompilationen, wie „jakobsmuscheln – roh mariniert | geröstetes lammbries | coriander erde & gel | grüner apfel | miso eiscreme“ oder
„bastard makrele | gemüse creme à la marrakesch | harissa dickmilch | saft von weisser schokolade & seegras“.
Gänge wie „winterkabeljau | fenchel | gerührte blutwurst | kalbsbrust schmorsaft | sake schwarzwurzelcreme“ wirken da fast schon harmonisierend.
Seine Affinität zu sehr hochwertigen Fisch- & Fleischprodukten zeigt sich in dessen Produktpalette. Bison, Langustinen, Bigorre Schweinebauch, Entenstopfleber, Blauflossen- Thunfisch, Gillardeau Austern & Wagyu Beef. Wobei ich annehme, dass ihm die Fischgänge und Desserts besonders liegen, wenn das auf diesem Level pauschal behaupten kann.
Er schafft es auch bei nahezu jeder Seite Erstaunen hervorzurufen. Einige Zusammenstellungen wirken auf dem ersten Blick fehl am Platz, erschließen sich aber beim längeren Sinnieren, einem entsprechenden geschmacklichen Thesaurus vorausgesetzt. Einige Bestandteile wird man aber dennoch nicht einordnen können.
Zum Schluss kommt er doch noch zu dem Fingerfood, kleinen Erfrischungen und Pralinenauswahl. Abgerundet mit einer Sammlung aus Basisrezepten komplettiert er damit seinen derzeitigen Fundus.
„Ich bin der Maßstab in meinem Restaurant & sonst niemand! Wenn ich zufrieden bin, dann ist das das Maß aller Dinge! Und ich bin verdammt selten zufrieden.“
Auch in der Buchgestaltung und vom sonst anders gewohnten Gerichteablauf zäumt er das Pferd von hinten auf. Das eigentliche Menüfinale folgt in diesem Fall stets zuerst. Öffnet man also den Band, so gibt sich zu Anfang das Dessert „ashanti kuvertüre | victoria ananas | fenchel | la mancha safran | harissa karotten eiscreme“ zu erkennen.
Die gewählte Optik erinnert durch die Bank weg an für heutige Begriffe futuristische Darbietungen. Ich betone das besonders, da ich mir vorstellen kann, man möge dies in einem Jahrzehnt komplett anders bewerten. So ist das bei der höchst vergänglichen Kunst.
„Kollegenpreise gibt`s bei mir nicht! Links stehen die Gerichte, rechts die Tacken! Ganz klassisch. Ende der Durchsage!“
Mit Ralf Müller als Fotografen an seiner Seite hat er jemanden gefunden, der ihm diese absolute Kompromisslosigkeit visuell einfangen kann und die Technik beherrscht, welche es bedarf um diese kulinarischen Impressionen die richtige Aura zu verleihen. Ein enormes Verständnis für Lichtgestaltung und Komposition wurde hier angewandt. Er taucht die angerichteten Speisen teilweise in dramatische Beleuchtungen, jene auf der anderen Seite kunstvoll Schattenspiele nach sich ziehen.
Das verleiht dem Ganzen noch mehr Raum und Tiefe und steht im Gegensatz zu den monotonen aber dennoch kräftigen Verläufen im Hintergrund. Abbildungstechnisch bietet er also auch hier wieder ein Spektakel. Spielplätze der Ingredienzen sind neben absolut zeitgenössischem hochwertigem Porzellan der Firma Hering einige ungewohnte Gegenstände. Petrischalen dürften noch nicht Einzug in allzu viele Lokale gefunden haben, werden aber mit Sicherheit nach diesem Buch vermehrt Absatz finden.
Beiläufig wird auch die Inanspruchnahme von farbigen Plexiglasplatten einige ambitionierte Imitatoren reizen. Ich kann nur warnen, mich lenken sie nur zu sehr von den Protagonisten ab. Einen Einblick in seine Arbeit an diesem Buch gibt es hier zu sehen.
„Leipzig ist das bessere Berlin“
Was bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist, aber unter keinen Umständen unter den Tisch fallen darf, sind die Proportionen dieser Lektüre. Dass normale Dimensionen nichts für P.M.S. sind, dürfte bis hierhin jedem klar gemacht worden sein. Aber das Buch in der größtmöglichen Panoramaansicht zu gestalten, zollt nicht wenigen einige Lesepausen mangels physischer Ermüdung ab.
6 kg wiegt dieses Monstrum und es ist nicht leicht zu bändigen. Man kommt sich teilweise vor, wie in der ersten Reihe im Kinosaal, so wandert der Kopf von links nach rechts und wieder zurück. Es lässt sich schon fast besser mit einem halben Meter Abstand betrachten, damit das Bild seine Fülle entfalten kann. Ich möchte das jetzt hier aber nicht als negativen Punkt gelten lassen. Mir ist es so lieber, mit Mut zum Design und Ästhetik.
„Ich bin mir immer zu 100 % treu geblieben! Darauf bin ich stolz!“
Einzig und allein die Navigation fiel mir schwer. Hatte ich einen bestimmten Bestandteil in Erinnerung und wollte diesen nachschlagen, fiel mir das mangels Rezepte- Inhaltsverzeichnis` wirklich nicht leicht. In einem Buch mit 647 Seiten hatte ich also ca. knapp 5 Minuten zu tun dieses wiederzufinden. Die Menüs sind zwar Kapitelähnlich strukturiert und man hat auf der einleitenden Seite eine Art Übersicht, doch selbst die sind nicht auf einer umfassenden Seite zusammenfassend hinterlegt.
„Es geht in der heutigen Zeit auch darum, einen Mythos zu schaffen! Gab es bisher nur einmal in Deutschland – Eckart Witzigmann!“
Bleibt noch abzuwarten, welche hier verlegten Innovationen & Trends dann von Führern wie dem Gault Millau oder Herrn J. Dollase persönlich per öffentlicher Abmahnung ausgebremst werden müssen, da sie von dem einen oder anderen übereifrigen Koch unausgegoren kopiert und adaptiert worden sind. So manches Unverständnis ist da schon nachvollziehbar.
Im Restaurant Falco bei Peter Maria Schnurr ganz sicher nicht.
Copyright sämtlicher Bilder: Ralf Müller
Hinweis der Redaktion
Ein Teil der besprochenen Produkte wurden von Unternehmen zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.
Lieber Steffen,
es freut mich ganz besonders, daß Du dieses Buch vorstellst. Im letzten Herbst hatten wir die große Freude bei P.M.S. zu essen und ihn kennenzulernen. Es hat uns total „geflasht“ und der Spaß an diesem Abend war unendlich.
Meinen „erkochten“ Geldpreis habe ich nicht nur in den PacoJet, sondern auch in dieses Buch investiert. Jetzt brauche ich nur noch ein bißchen mehr Luft, um mich einmal an so einen Teller zu wagen. Es reizt mich sehr, sehr, sehr…..
Großartig ist es, wenn Du an diesem Artikel Deine Freude hast. Das Buch ist wirklich ein so noch nicht da gewesenes und ich habe viele Anläufe gebraucht, um bis ans Ende anzukommen.
Du hast einen Pacojet zu Hause, Wow. Die Rezepte aus dem Buch funktionierten bis jetzt jedenfalls immer. Ich kann Dich auf jeden Fall guten Gewissens dazu ermutigen, die Inhalte nach zu kochen, von den teilweise sehr unterschiedlichen und kaum in Worte zu fassenden Geschmackskompositionen abgesehen. Just give it a try! Und erzähle davon!