Normalerweise wird in meinen Kochbuchbesprechungen stets ein aktueller Titel vorgestellt. Dieses Mal ist das anders. Beim Stöbern durch all meine Besprechungen bin ich zum Schluss gekommen, dass es eigentlich hier und da das ein oder andere Meisterwerk gibt, welches ich der Vollständigkeit halber hier noch anführen muss. Zweifelsohne zählt das letzte Kochbuch von Dieter Müller dazu.
Seit der Staffelübergabe 2008 in seinem ehemaligen „Gourmet-Restaurant Dieter Müller“ an den langjährigen Sous Chef Nils Henkel ist es etwas ruhiger um ihn geworden. Ein Restaurant „Dieter Müller“ gibt es aber heute immer noch. Dafür muss man jedoch bereit sein, das Land zu verlassen. Es befindet sich an Bord der „MS Europa“ und für 70 Tage im Jahr ist er höchstpersönlich anzutreffen.
Seinen Fans hinterließ er gütiger Weise noch vor seiner Abkehr vom Herd in Bergisch Gladbach ein kulinarisches Vermächtnis in gedruckter Form. Mit dem Buch „Dieter Müller“ aus dem Hause „Collection Rolf Heyne“ stellte er noch einmal seine unerreichten Leistungen zu Schau.
Zu Beginn wagt Dieter Müller himself einen Blick zurück und zitiert vorab Joseph Conrad, welcher sagte: „Streng genommen hat nur eine Sorte Bücher das Glück unserer Erde vermehrt: Die Kochbücher.“
Als leidenschaftlicher Kochbuchfan will ich ihm das gerne glauben. Er sieht seine primäre Aufgabe als Koch darin, den im Produkt verborgenen einfachen Geschmack zu finden, gleichzeitig als wunderbares und reines Ess- Erlebnis herauszuarbeiten und schmeckbar zu machen. Er sieht es auch nicht als übertrieben an, dies als Kochkunst zu bezeichnen. Auf solch einem Niveau gepaart mit dieser Erfahrung, kann man das wohl sicher auch behaupten. Auf den folgenden Seiten begibt er sich auf eine kleine Zeitreise, welche seine Karriere als Koch bestenfalls skizziert, bevor er sich mit den ersten Rezepten befasst.
Diese werden nach strenger Menüfolge mit den Suppen und Appetitanregern eröffnet. Er ist ja mitunter berühmt für seine legendären Amuse- Bouche- Menüs. Diese hier sind rein optisch schon ein reinster Gaumenschmaus und können nur begrenzt darstellen, welche Akribie hinter all seinen Gerichten steckt.
Folgendes Amuse- Bouche- Menü wird in diesem Buch vorgestellt:
- Gänselebermousse im Glas mit Apfel- Korianderconfit
- Gebackene Geflügelblutwurst auf Rübsel mit Gänseleber und Wachtelei
- Crème Brûlée und Praline von Gänseleber mit Ananaschutney
- Roulade von Seezunge und Wildgarnele mit Seeigelsauce und Erbsenschoten
- Saltimbocca und Filet von bretonischer Makrele auf feinem Gurkensalat mit Zitronen- Anissauce
- Rotbarbenfilet mit Pulpo, Safransauce und Bärlauch- Risotto
- Kressesüppchen mit Austern im Tempurateig
- Suppe von gewürztem Kürbis mit gebackener Jakobsmuschel
- Suppe von passierten Tomaten mit Lammspiess und Knoblauch- Croutons
- Crêpinette von der Etoufféetaube mit Lavendeljus, Maisblini und Minimais
- Rehmedaillon mit Rote- Bete- Püree und Potweinkirsche auf Spitzkohl und Pfefferjus
- Geschmorte Milchlammstelze mit Knoblauchjus, Gremolata und Artischocke
- Kaltschale von weißem Pfirsichen und Verveine mit Pfirsichsorbet
- Erdbeer- Charlotte mit Erdbeercoulis
- Crème Brûlée mit Vanille und Tonka- Bohnen parfümiert
- Topfentörtchen mit Orangenbutter
- Weiße und dunkle Schokoladenmousse mit Gewürzkirschen
- Schokoladenseite mit Grand Manier- Parfait
- Griessflammerie mit Himbeeren
Solche Marathonmenüs, selbst in Miniaturform, gelten heutzutage als Auslaufmodell. Bei Dieter Müller war es ein Markenzeichen. Er überlässt nichts dem Zufall, die Rezepte zeigen das. Hier wird in erster Linie auf Qualitätsprodukte gesetzt. Regionalität spielt nicht die erste Geige, es wird dabei stets mit Produkten aus der 1. Liga gekocht. Gänsestopfleber, Seeteufel, Seeigel, Etoufféetaube, Gourmettomaten und Thunfisch sind nur eine kleine Auswahl der Luxusprodukte, welche auf diesen Seiten Anwendung findet.
Seinem Kochstil ist er auch bis in die letzten Tage als Chefkoch treu geblieben. Die „Molekulare Küche“ ist dabei nie eingezogen. Genauso sind auch seine Anrichtetechniken weitestgehend gleichgeblieben. Ihm geht es hier lediglich um die Darstellung des bestmöglichen Ergebnisses ohne dabei auf allzu viel Effekthascherei zu setzen, auch wenn die Gerichte teilweise einen anderen Eindruck vermitteln. Das zeigt zum Beispiel der Wildlachs im Pulpomantel. Der Wildlachs wurde mit einer Lachsfarcehülle bestrichen und anschließend in Pulposchuppen eingewickelt. Solch aufwendige Arbeiten werden heutzutage in den wenigsten Restaurants noch gezeigt.
Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal von einem klassischen Soufflé auf der Speisekarte gelesen habe. Er zelebrierte die Zubereitung in seinem Restaurant ohne mit der Wimper zu zucken. Rezepte hiervon gibt es auch, so sieht sein Quarksoufflée mit gewürzter Ananas und Ananassorbet einfach nur himmlisch aus.
Die Rezepturen sind dabei allesamt selbsterklärend und daher schnell erschlossen. Die Anordnung der Zubereitungsanleitungen wurde vorbildlich in einzelne Absätze gegliedert. Wendet man sich beim Nachkochen kurz vom Buch ab, findet man sehr schnell wieder hinein. Das ist im Gegensatz zu den heute veröffentlichten Büchern nicht gerade selbstverständlich. Davon kann ich quasi ein Lied singen.[/fusion_text][fusion_text]Der Hauptteil teilt sich in folgende Kapitel auf:
- Suppen
- Crostini & Canapees
- Amuse Bouche Menü
- Kalte Vorspeisen
- Warme Vorspeisen
- Fisch
- Fleisch
- Beilagen
- Desserts
- Grundrezepte
- Wein
Ein besonderes Augenmerk darf hier speziell auf die Grundrezepte gelegt werden. Bei anderen Kochbüchern wird lediglich mit einer Zusammenstellung von den üblichen Grundfonds aufgewartet, so ist es hier ganz und gar nicht. Satte 64 Seiten gönnt man dem Leser voller Rezepturen, die für das Gelingen der Gerichte unentbehrlich sind. So geben sich Gemüsezubereitungen, Beilagen, Teige, Farcen und Buttermischungen, Chutneys, Eingemachtes, Gewürzmischungen, Fonds, Gelees, Reduktionen, Grundsaucen, Kalte Saucen, Spezialsaucen und Patisseriekünste hier die Klinke in die Hand. Es wird nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Für die Fotografie hat man sich das Handwerk von Luzia Ellert sichern können. Sie macht einen großartigen Job und ist nicht umsonst bekannt für viele Kochbücher erster Güte, nicht nur aus dem Segment der Sternegastronomie.
Zu traurig nur, dass der Verlag „Collection Rolf Heyne“ heute nicht mehr existiert und das Buch lediglich in gebrauchter Version zu haben ist. Ebenso war die zweite Auflage mit dem Softcover schnell ausverkauft.
Fazit
Dieses Buch steckt voller Bereicherungen und Inspirationen. Die gesamte Trendküche von heute baut irgendwo auch auf den Techniken und Methoden der hier gezeigten französischen Kochkunst auf. Wer sich solcher noch einmal annehmen und dabei vom Besten der Besten lernen möchte, kommt um dieses Werk nicht herum. Ein gut erhaltenes Exemplar würde ich mir bei diesem enormen Umfang von fast 400 Seiten nicht entgehen lassen.
PS: Ein großer Dank geht an Luzia Ellert, welche mir als Urheberin die Möglichkeit eingeräumt hat, original Bildmaterial aus ihrem Bestand einzusetzen.